Friedl | Der große Sturm | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Friedl Der große Sturm


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-475-54704-1
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-475-54704-1
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
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Viele Jahrzehnte ist es her, dass ein großer Sturm im Waldgebirge über der Donau tobte. Damals glaubte man, der Weltuntergang bräche an. Die Not der Menschen und die Zerstörung der Wälder schildert Paul Friedl in diesem eindrucksvollen Roman. Er berichtet von dem Leben der Waldbewohner, von Hass und Liebe, und von einer Frau, deren Schicksal ihre Landsleute zutiefst bewegte.

Paul Friedl wurde 1902 als Sohn eines Sägemeisters geboren und lebte im Bayerischen Wald, wo er lange Zeit Angestellter der Gemeinde Zwiesel war. Er stellte seine vielen Talente unter anderem als Holzschnitzer, Humorist, Theatergruppenleiter und Rundfunkredakteur unter Beweis und gründete neben dem Zwieseler Heimatmuseum eine Reihe von Heimatvereinen. Paul Friedl hat eine Fülle von Romanen und Kurzgeschichten verfasst und erhielt zahlreiche Ehrungen, u. a. den Preis der Schillerstiftung und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse am Bande.
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Horlacher teilte die inzwischen von den Dörfern um Kreuzberg zusammengekommenen Holzhauer in Gruppen ein und wies ihnen die Arbeitsplätze zu. Dann machte er sich auf nach Guglöd.

Wo sich der Weg dorthin und der nach Riedelhütte teilte, begann der Wald. Das Sträßlein verschwand unter den geworfenen Fichten und Tannen. Gegen das tiefliegende Filz zu sah er noch stehenden Wald. Es war aussichtslos, auf der Waldstraße vorwärts zu kommen, und er mußte zusehen, daß er von einem der ostseitig liegenden Bestände, die nicht so schwer betroffen waren, zum andern durchkam, um auf diese Weise Guglöd zu erreichen.

Auch das sollte ihm noch schwer genug fallen.

Eine stundenlange Kletterei über die gestürzten Stämme, ein anstrengendes Kriechen unter dem verfilzten Geäst der liegenden Kronen, brachte ihn bis zum Klosterfilz. Schweißdurchnäßt, Jacke und Hose zerrissen, das Gesicht und die Hände übel verkratzt und blutend, trat er aus dem wüsten Durcheinander des zerschmetterten Waldes in die Baumschatten des verschont gebliebenen Waldstückes. Er taumelte nach dieser Anstrengung und konnte es kaum glauben, daß mitten in dieser Wüstenei noch ein Stück war, in dem man unter den aufrecht stehenden Fichten und Tannen dahingehen konnte. Wo war die nächste Insel in diesem Meer der Vernichtung?

Wieder erreichte er den Rand dieses Waldstückes und hatte vor sich die Zerstörung. Ineinander verkeilt lagen die Bäume. Gefallene Stämme hatten stehende niedergebeugt und wie Bogen gespannt. Das Knirschen und Knistern, Knacken und Krachen war unheimlich. Tausendfach kam es aus der grünen Wildnis. Er kletterte an einem hängenden Fichtenstamm hinauf, der nicht mehr ganz hatte stürzen können, weil unter ihm schon zuviele der Baumleichen lagen, und sah sich um. So gut er hier den Wald bereits kannte, jetzt erschien er ihm völlig fremd. Alles war anders, und auch die vom Orkan gerupften Berge sahen völlig anders aus. Dort drüben, wo der nächste Waldbestand aufragte, das mußte auf der andern Seite der Ohe gegen den hinteren Oswalder Forst sein.

Der Harzgeruch war fast betäubend. Eine Schar Krähen zog häßlich kreischend über das Trümmerfeld. Pfeifend fuhr eine schlanke Fichte auf, die sich durch eine Bewegung der auf ihrem Gipfel liegenden Baumlast befreit hatte. Nun stand sie wieder hoch und aufrecht aus dem Astgewirr und schwankte wie betrunken. Mit einem Knall brach unweit davon ein Stamm, ebenfalls unter dem Druck der auf ihm liegenden Last.

Der Schweiß rann Horlacher in die Augen und brannte ihn wie Feuer. Die Hände waren schwarz und steif von Pech. Wie Lanzen drohten ihm von allen Seiten die aufgesplitterten Aststumpen. Der Waldgrund war trügerisch geworden. Bächlein stauten sich und machten Moos und Tangel grundlos. Von Baum zu Baum kletternd mußte er weite Strecken zurücklegen, über Wurzelstöcke und Asthaufen. Die Ohe überquerte er auf einem liegenden Baumstamm. Der Lauf des Baches war kaum mehr auszumachen. Wieder erreichte er einen unbeschädigten Waldteil.

Dem Stand der Sonne nach mußte es schon mitten am Nachmittag ein, und der Hunger meldete sich. Vier Stunden hatte er zu einem Stück Weg gebraucht, den er sonst in einer knappen Stunde zurückgelegt hätte. Wie in einer schützenden Stube kam er sich vor, in diesem ruhigen Fichtenwald. Hier konnte er eine Strecke aufrecht ausschreiten. Das Klettern und Kriechen hatte ihn so ermüdet, daß ihm die Knie versagen wollten. Er mußte auf einem Baumstumpf Rast machen.

Das Gewehr hätte er zurücklassen sollen, dann wäre es leichter für ihn gewesen. Umgehängt konnte er es nicht tragen, da er sich damit dauernd im Geäst verfing.

Ein Fuchs schnürte kaum zehn Schritte vor ihm durch den Wald. Er hatte gar keine Lust, darauf anzulegen. Dieses Wildtier wußte selbst, daß etwas über den Wald gekommen war, das auch den Menschen hilflos machte. Oben zogen die Krähenschwärme hin und her, krächzten jammernd und suchten nach ihren Horsten, die im Wirbel des Sturmes untergegangen waren.

Hier konnte man gar nicht glauben, in welcher in den Boden gestampften Wildnis dieses verschönte Stück Wald lag. Friedlich schien auf die Baumgipfel die Herbstsonne wie an allen Tagen.

Heute noch nach Spiegelau wieder zurückzukommen, war undenkbar. Über einen Waldsteig erreichte er eine Höhe, deren ehemaliger lichter Bestand am Boden lag, in Mannshöhe abgesäbelt. Hier war der Steig nur stellenweise verworfen, und er kam rascher vorwärts. Noch einmal aber mußte er einen Verhau durchqueren, ungezählte Male riesige, aus dem Boden ragende Wurzelstöcke umgehen, über Stämme klettern oder unter diesen durch einen Weg suchen, dann tat sich vor ihm die Lichtung von Guglöd auf. Er sah, daß diese Weiler vom Wald gut geschützt und die hölzernen Häuser nicht zu Schaden gekommen waren. Die Männer von Guglöd waren mit Axt und Säge daran, den großen Kirschbaum beim alten Hüttenplatz aufzuarbeiten, der über dem Dorfweg lag, umringt von den Frauen und Kindern. Einige alte Fichten, die auf dem Anger und zwischen den Häusern gestanden hatten, lagen ebenfalls am Boden.

Die Männer hielten in ihrer Arbeit inne und sahen erstaunt auf den Ankommenden, dessen Kleider zerrissen waren und dem von den Wangen das Blut tropfte.

„Ja, liebe Zeit, der Herr Förster! Wie sind denn Sie durchgekommen?“ redete als erster der Hohenwarther, der als alter Partieführer schon seit seiner Jugend Holzhauer war.

„Ist grad gegangen, aber unterwegs bin ich schon seit Mittag“, lachte Horlacher und ging zum nebenan fließenden Hausbrunnen, um sich Gesicht und Hände zu waschen. Sein blonder Vollbart war vom geronnenen Blut gefärbt und über die Stirne lief ein roter Striemen, den ihm ein schnellender Ast zugefügt hatte. Während er sich wusch, fragte er, wie es ringsum aussähe, und der Hohenwarter berichtete.

Alle Wege sind verworfen, in den Wald hinauf sei kein Drandenken zum Durchkommen, ebenso in die Spiegelau oder durch den Forst nach Siebenellen. Die Hänge hinunter zur Säge bei der Waldhäusererbrücke stehen noch, und der Sagschneider Heini sei schon drunten gewesen bei der Säge. Könnt sein, daß man über die Kaiserhütten auf Oswald kommen könnte. Wäre notwendig, weil der alte Biebl in der Truhe liegt und morgen in Oswald begraben werden sollte.

„Ist im Ort sonst nix passiert?“

Geschäftig hatte die Reiteckerin, an deren Hausbrunnen sich Horlacher gewaschen hatte, ein Handtuch gebracht.

„Ist nix passiert — aber wie es droben in der alten Forsthütten ausschaut — beim alten Tanzer, wissen wir noch net“, berichtete der Hohenwarter.

„Ist das in der alten Hütte unterm Taferlruck?“

„Ja, der alte Tanzer ist schon stucker zehn Jahr droben und sein Tochterkind. Kann aber sein, daß der Sturm gar net hinkommen ist.“

„Also, laßt diesen Kirschbaum liegen, der läuft net davon. Solang noch der lichte Tag ist, geht ihr jetzt in einer Partie zum Oswalder Sträßl, das muß als erstes freigemacht werden, heut und morgen — wenigstens bis Siebenellen. Der Hohenwarter schreibt die Stunden auf, und mitarbeiten können alle Mannsbilder. Möcht auch keinen sehen, der was anderes tut, solang net die Weg frei sind. Erst einmal der nach Oswald, dann der in die Riedelhütte und nach Spiegelau.“

Sie nahmen ihre Werkzeuge auf und richteten sich an die befohlene Arbeit. Horlacher rief den Schwankl, der bisher stumm und unbeweglich auf die Axt gestützt beim Kirschbaum stehen geblieben war, zurück.

„Na, Schwankl, hast wieder anfangen können? Hat dich der Förster Schober wieder eingeteilt?“

Widerwillig und mit finsterem Gesicht gab der Angeredete Antwort: „Hab mich noch net wieder zu melden getraut, weil — weil mich der Schober doch nimmer nimmt — mein ich.“

„Jetzt braucht man ja alle Leut. Siehst ja, daß rundum der Wald liegt. Also, wenn der Förster von Oswald dich net will oder wenn du bei ihm net nachfragen willst, kannst bei mir arbeiten. Suchst dir selber eine Partie, in der du gern mitarbeiten willst und sagst es mir dann.“

Erstaunt sah jetzt der Schwankl erst auf, aber sein braungebranntes hageres Gesicht mit den vorstehenden Backenknochen und dem kleinen Schnurrbärtchen blieb mißtrauisch und kalt. Nur sein Zunderhütl zog er bedächtig vom Kopf und meinte: „Wohl, wohl!“

Horlacher tat, als wäre ihm plötzlich noch etwas eingefallen. Sich noch einmal zu dem Holzhauer zurückwendend, fragte er:

„Sag einmal: bist du gestern am Abend daheim gewesen?“

„Bin in Oswald gewesen und hab die Leich vom Biebl angemeldet.“

„Wann bist du denn da weggegangen und wann bist wieder heimkommen!“

„Bin so um Fünfe weg und bin auf dem Heimweg in den Sturm...



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