E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Friedl Der Wald singt sein ewiges Lied
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-475-54684-6
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-475-54684-6
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Paul Friedl wurde 1902 als Sohn eines Sägemeisters geboren und lebte im Bayerischen Wald, wo er lange Zeit Angestellter der Gemeinde Zwiesel war. Er stellte seine vielen Talente unter anderem als Holzschnitzer, Humorist, Theatergruppenleiter und Rundfunkredakteur unter Beweis und gründete neben dem Zwieseler Heimatmuseum eine Reihe von Heimatvereinen. Paul Friedl hat eine Fülle von Romanen und Kurzgeschichten verfasst und erhielt zahlreiche Ehrungen, u. a. den Preis der Schiller-Stiftung und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse am Bande.
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1
Ein Herbsttag, verhangen, diesig und mit feinem Sprühregen.
Die Obstbäume um den Ameishof reckten ihre Äste schon starr und laublos gegen den düsteren Himmel. Auf den rupfigen Wiesenflecken, oben beim Feldkreuz, standen die Kühe und bissen unlustig in das letzte magere Gras von der Weide. Mürrisch brüllten sie in den unfreundlichen Spätnachmittag und äugten sehnsüchtig nach Hof und Stall. Beim Feldkreuz neben den Totenbrettern der Ameisbauern stand, frierend unter dem nässelnden Schauer, barfüßig ein Bub und zog den Rupfensack, den er zum Schutz gegen den Regen um die Schultern gehängt hatte, fröstelnd enger. Unter dem schmutzigen grünen Filzhütel, das der Bub auf dem Kopfe trug, strebte ein Schüppel gelockter Blondhaare über die Stirne, und die Blauaugen blitzten mißmutig aus dem hübschen Bubengesicht. Er lehnte sich an das Kreuz und starrte unwillig hinunter zum Ameishof, wartend, ob dort nicht das Zeichen zum Heimtreiben gegeben würde.
Ein kalter Zugwind wehte über die Berge, und unruhig fingen die Kühe zu gehen an.
Wollten dem Stall zu.
Da mußte der kleine Veitl laufen, um ihnen den Weg von der Wiese abzuschneiden und sie wieder zurückzutreiben. Die nassen Bloßfüße waren ihm rot geworden von der Kälte, und nun, da er im Winde stehen mußte, klapperten ihm die Zähne.
Und die Tränen kamen ihm in die Augen.
Heimtreiben durfte er nicht, wenngleich die Kühe nicht mehr fressen und immer wieder von der Wiese zu gehen suchten. Er mußte warten, bis der Vater pfiff! Wenn er eher eintrieb, dann —
Und waren so schwer zu halten, die guten Tiere, wenn sie zum Stall wollten! Unwillig und mit bösen Augen senkte die große Kalbin den Kopf und wollte gegen ihn angehen, als er sie mit dem Haselstecken vom Weg zurücktrieb. Zornig und die Bubenstirne in Falten ziehend, hieb er mit dem Stecken auf einen Felsblock, als wäre dieser Stein jemand, dem er etwas heimzuzahlen hätte.
Wozu mußte das arme Vieh in dieser Herbstkälte heraußen sein? Wo es doch nicht mehr fressen wollte und lieber im warmen Stall wäre? Wenn ein Stückel krank wird, dann hat doch wieder nur der Veitl schuld. Wenn er den Vater nicht gar so fürchten täte, dann triebe er einfach heim, aber er hatte genug an den Schlägen, die er wegen jeder Kleinigkeit bekam. Wenn er halt schon ein paar Jahre älter wäre, auf und davon tät er laufen, so schön wie daheim bekäm er es überall!
Jeder Bauer von Steinöd hatte seinen Hütbuben eingestellt, nur der Ameisbauer, weil er einer der größten im Dorf war, der mußte seinen Buben damit schikanieren, damit ihm der Lohn, den so ein Hütbub hat, zum Versaufen blieb.
Saufen wie ein Bürstenbinder und grob sein, daheim die Mutter und ihn schlagen, wenn er besoffen nach Hause kam, daß sie oft mitten in der Nacht aus dem Haus mußten — das und so war sein Vater. Aber im Wirtshaus, da war er lustig und redselig, sang mit den anderen und war der große Ameis. Daheim redete er den ganzen Tag kein gutes Wort und war immer fuchsteufelswild und saugrob.
Das war ein Leben — pah!
Ärger als bei den armen Besenbinderleuten drüben im Häusl, die sich höchstens einmal zankten und rauften, weil sie oft vor Not nicht wußten, was sie voreinander anfangen sollten. Der Ameisbauer aber, der im Gemeinderat saß, mit dem Pfarrer so schön und aufrichtig reden konnte und sich überall als den braven Mann hinstellte, der hatte es nötig, daheim einen solchen Lackel zu machen und auf die Mutter einzuschlagen, wenn er im Rausch und im Zorn war. Pah!
Wenn er erst aus der Schule ist, dann wird er, der Veitl, ausreißen und sich draußen im Gäu bei einem Bauern verdingen. Wenn er auch als der einzige Bub einmal den Hof kriegen sollte! Aber da war noch lange hin.
Daheim war er der Niemand, der Rotzbub und der Taugenichts, obwohl er den Hütbuben und den kleinen Knecht ersetzen mußte und nichts als Arbeit kannte, während die anderen Dorfbuben spielen konnten.
Ein kräftiger Regenschauer fegte über den Wald und den Hang her.
Frierend zog er das Filzhütel weiter über die Ohren und sah sich nach den Kühen um.
Herrschaftszeiten —
Die Rotscheck riß aus und rannte in queren Sprüngen dem Weg nach dem Hof zu! Hinterdrein stürmte die ganze Herde. Nun konnte er sie nicht mehr halten. Jetzt war es zu spät. Er mußte sie laufen lassen.
„Sauviecher!“ weinte er zornig und warf seinen Hüterstecken hinter der Herde her. Er traf damit die trächtige Kalbin, die als Letzte nachtrabte. In Schmerzen aufbrüllend, stieg sie hoch, raste davon und stürzte, den Zaun des Wurzgartens beim Hof überrennend, gegen das halb offenstehende Tennentor. Sie versuchte sich durch das Tor zu drängen, blieb eingeklemmt zwischen Wand und Verschlußbalken und stieß sich, im Bestreben, wieder freizukommen, ein Horn ab. Röhrend und zitternd vor Schreck und Schmerz blieb sie stehen. Die anderen Kühe drängten sich stoßend und brüllend vor der Stalltüre, als der Veitl laut weinend nachgelaufen kam.
„Jetzt ist es aus! Jetzt erschlagt mich der Vater!“ stöhnte der Veitl und machte die Kalbin frei. Er kam nicht mehr dazu, den Kühen die Stalltüre zu öffnen, denn gerade trat der Ameisbauer aus der Haustüre auf die steinerne Gred, den Steinplattenaufgang, der am Stall und Haus entlanglief.
Groß, mit breiten Schultern und lässig hängenden Armen, den Kopf in den Nacken gezogen, sah er mit den schwimmenden Augen des Säufers auf das brüllende Vieh. Das gedunsene verfärbte Gesicht wurde noch röter, und zornbebend schrie er, rauh und heiser:
„Wer hat dir geschafft, daß du eintreiben sollst!“
„Sind ja nimmer geblieben in dem Regen und in der Kälten“, schluchzte der Veitl, und stand, die Kalbin am Glockenriemen haltend, angstzitternd am Fuß der Gred.
„Wart nur und komm mir nur in die Stube, dann“ — wollte sich der Bauer drohend entfernen, als er plötzlich bemerkte, daß die Kalbin blutete und ihr ein Horn fehlte. Mit sich überschlagender Stimme kreischte er:
„Ja, Kreuzteufel! Lausbub, elendiger! Was ist denn mit der Kalbin!“
„Sie ist —“, stotterte der Veitl, da sprang aber sein wütender Vater schon auf ihn zu, schlug ihn mit der geballten Faust ins Gesicht, daß er auf die Steinplatten der Hausgred stürzte und ihm die Sinne schwanden.
Unter der Haustüre kam nun die Ameisbäuerin, verhärmt und erschrocken, und zuckte zusammen, als der Bauer den Buben zu Boden schlug. Sie duckte sich und hob abwehrend die Arme, als sich der Ameishofer nun schreiend vor Wut an sie wandte:
„Saubande! Jetzt wird es mir zu dumm! Alle jag ich euch noch vom Hof! Die Kalbin — schau dir die Kalbin an!“
Wie ein Rasender fuhr er herum, riß von der Stallwand die schwere Ochsenpeitsche und wollte damit in ohnmächtigem Zorn auf den reglos am Boden liegenden Veitl einschlagen. Da stand vor ihm der Sepp, der Großknecht, der aus dem Stadel gekommen war, entriß ihm die Peitsche und warf sie in weitem Bogen auf den Misthaufen. Dann wandte er sich gegen seinen Bauern, die großen Hände an den muskulösen Armen geöffnet, als wollte er damit zupacken und den Ameishofer der Peitsche nachwerfen. Ruhig sah er dabei den Wütenden an und knurrte:
„Willst ins Zuchthaus, du damischer Teufl? Schämst du dich net, du Unmensch!“
„Du?“ brüllte der Ameis auf. „Was willst denn du?“
„Was ich will? Die Peitschen nehm ich und laß dich durch, daß das Tanzen lernst!“
Verwundert und mit glotzendem Blick starrte der Bauer seinen Großknecht an, schüttelte den Kopf, bewegte den Mund, als wollte er von neuem losbrüllen, wandte sich aber dann rasch ab und stapfte ins Haus. Dabei stieß er noch rücksichtslos die angstzitternde Bäuerin zur Seite, daß sie an die Wand taumelte. Drinnen schlug er die Stubentüre zu.
Der Großknecht half dem Veitl auf, und dieser stand schwankend und zitternd, mit farblosem Gesicht und erloschenen Augen, und drohte wieder umzufallen. Die Bäuerin stützte ihn. Sie sagte nichts, und ihr Gesicht war hart und verschlossen.
„Tu den Buben ins Bett, Bäuerin“, knurrte der Sepp verbissen, „ich bring die Kühe in den Stall. Brauch dich nicht dazu.“
Frost und Nässe schüttelten den Veitl, als die Mutter ihn ins Haus zog, vorbei an der Stubentür, hinter der der Bauer wütend auf und ab stampfte. Die Bodenstiege hinauf schleppte die Mutter den Buben zu seinem Bett unterm Dach. Seine Blauaugen im furchtgrauen Gesicht wurden groß, und seine Zähne klapperten laut, als sie ihn zudeckte.
„Mutter“, jammerte er, „warum mag der Vater mich gar net? Ich hab die Kühe nimmer halten...




