Friedl | Schwarze Kirschen | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Friedl Schwarze Kirschen


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-475-54685-3
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-475-54685-3
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Schauplatz dieses Romans ist eine Sägemühle im Bayerischen Wald. Paul Friedl schildert einerseits Dorfbewohner, die um Liebe und Freundschaft ringen, andererseits zeigt er Menschen, die alles Gute missachten und in maßloser Selbstüberschätzung sich selbst zugrunde richten. Eine außergewöhnliche Dorfgeschichte, die den Leser nicht loslässt.

Paul Friedl wurde 1902 als Sohn eines Sägemeisters geboren und lebte im Bayerischen Wald, wo er lange Zeit Angestellter der Gemeinde Zwiesel war. Er stellte seine vielen Talente unter anderem als Holzschnitzer, Humorist, Theatergruppenleiter und Rundfunkredakteur unter Beweis und gründete neben dem Zwieseler Heimatmuseum eine Reihe von Heimatvereinen. Paul Friedl hat eine Fülle von Romanen und Kurzgeschichten verfasst und erhielt zahlreiche Ehrungen, u. a. den Preis der Schillerstiftung und das Bundesverdienstkreuz erster Klasse am Bande.
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Über dem Wald kündigte sich der neue Tag an. Ein grauer Schein nur, aber er hob Dorf und Kirchturm aus dem Dunkel der Nacht, hellte die taudunstenden Wiesenflecken auf und drängte die Nacht aus dem Tal der Rumpachmühle in die weiten Forsten zurück.

Auch durch die Fenster der Wohnstube in der Rumpachmühle kam das leichte Grau des kommenden Morgens, und aus dem Dunkel der Stube tauchte das fahlweiße Gesicht der Müllerin, die am Tisch saß und gegen den Schatten starrte, der sich nun am Fenster abzuzeichnen begann. Wegen ihrer beträchtlichen Leibesfülle atmete sie röchelnd, und ihr heiseres Flüstern setzte die dicke, verbrauchte Stubenluft in Bewegung.

„Es wird schon Tag.“

„Hm“, kam die gebrummte Bestätigung vom Fenster her, und ein Streichholz flammte auf. Es beleuchtete für einen Augenblick das übernächtige Gesicht eines jungen Mannes, der hastig an der Zigarette zog.

Draußen wurde es heller, die Umrisse des Mannes am Fenster deutlicher. Hörbar stieß er den Zigarettenrauch aus. Mit der Linken stützte er sich am Fensterkreuz, der Ärmel des rechten Armes hing leer von der Schulter und steckte in der Hose.

„Wird ihn bald einer finden“, keuchte die Müllerin leise, „wird der Stiegler bald zur Arbeit gehen und ihn finden.“

Ein unwilliges Brummen kam vom Fenster her.

Unter der schwarzen Balkendecke stauten sich die rauchgeschwängerte Luft, die abschwellende Stubenwärme und der herbe Ruch von Sagemehl und altem Holz, von muffigen Kleidern, von der Sauermilchsuppe des Vorabends und dem bangen Atmen der beiden. Das alte Haus knisterte, und wenn in der Kammer nebenan der alte Müller hustete, horchte die Müllerin auf.

„Dann wird es nimmer lang dauern, bis die Gendarmen kommen. Wegen dem Streit beim Wirt wird man es gleich auf euch, die Müllerbuben, haben!“

Der junge Mann fuhr auf und zischte: „Auf mich kann es niemand haben! Ich hab net gestritten und net gerauft.“

„Alois, wenn die Gendarmen kommen, die stellen das ganze Haus auf den Kopf, und dann?“ röchelte die Alte aus dem dicken Hals.

„Pah, im Krieg haben sie das Haus dreimal durchgesucht und die alte Sackkammer net gefunden! Mutter, jetzt muß es gehen, wie wir es gemeint haben, oder es ist alles beim Teufel! Entweder die Sägemühle gehört uns, oder wir können zusammenpacken und gehen, das weißt du ja selber! Drum paßt mir das alles ganz gut. Besser hätte es für uns gar net kommen können. Mich kann keiner verdächtigen, ein Einhandl kann niemanden umbringen, das muß einer mit starken Fäusten gewesen sein, werden sie sagen.“

„Mir ist gar net gut dabei“, stöhnte die Müllerin.

„Du weißt gar nix und sollst auch nix sagen, wenn gefragt wird. Du weißt nur, daß der Bernhard in der Nacht heimgekommen ist und dir gesagt hat, daß er einen zusammengeschlagen hat, und dann hat er eben sein Zeug zusammengepackt und ist auf und davon. Wohin? Wie sollen wir das wissen! Vielleicht geht er ins Ausland.“

Der Alois war heftig geworden, und sie zischte warnend.

„Net so laut, der Vater könnt dich hören.“

Er lachte hämisch. „Komm mir net mit dem Vater! Ein Stiefvater ist kein Vater — und jetzt schaut die Geschichte ganz anders aus. Die Mühle muß mein werden, und jetzt, wo ich den Stiefbruder in der Hand habe, geht es nach meinem Willen! Da lasse ich mir auch von dir nix dreinreden!“

Sie schwiegen und horchten auf das Husten hinter der Kammertür.

Die Glut der Zigarette bewegte sich wie ein Leuchtkäfer vor dem Fenster. Draußen ging die Mainacht zu Ende, und der Himmel wurde blau. Die Stube wurde hell, und im wachsenden Taglicht sahen sie sich an.

„Der Alte hat mich lange genug schikaniert. Jetzt pfeift bald ein anderer Wind! Du sagst ihm alles genauso, wie wir es ausgemacht haben, sonst brauchst du dich um nix zu kümmern. Verstehst! Du weißt nix!“

„Ich fürcht mich — die Polizei — mit der mußt du fertig werden“, flüsterte sie bang.

Der Alois lachte wieder höhnisch auf.

„Das werd ich auch, und mit deinem Müller werd ich auch fertig!“

„Das ist eh ein kranker Mann! Wirst es doch erwarten können, bis er stirbt!“ keuchte die Müllerin.

„Du hältst natürlich lieber zu ihm als zu deinem eigenen Sohn! Hast ihn ja haben müssen! Hättest net hergeheiratet zu diesem alten Witwer, dann hätte ich meinen Arm noch!“

„Kann denn jemand was dafür, daß du in die Transmission gekommen bist? Hättest selber besser aufpassen sollen!“ schnaufte die Mutter.

„Das will ich nimmer hören!“ brauste der Alois auf.

„Net so laut!“ stöhnte sie. Aus der Kammer kam wieder das Husten und eine Bettstelle knarrte.

Die Sonne schob sich über den Wald und brachte den hellen Tag. Der schwere Atem der Müllerin füllte die Stube, und ihr angstgraues Gesicht kehrte sich dem Fenster zu.

„Der Bernhard —“, rasselte sie.

„Den werden sie net finden!“ stieß der Alois durch die Zähne, trat vom Fenster zurück und zischte: „Der Stieglermaurer geht in die Arbeit!“

Die Müllerin wischte sich mit der fleischigen Hand den kalten Schweiß von der Stirn.

„Jetzt dauert es nimmer lang, bis alles rebellisch wird — und die Hastreiter Angela wird auch bald kommen, die muß ja heut einstehen. Haben dann wieder ein fremdes Leut im Haus! Gar net wohl ist mir, wenn ich dran denke —“

„Das ist deine Sache, daß der nix aufgeht! Ist grad recht, daß sie bei uns fremd ist. Die kann drüben im Beihäusl schlafen, im Haus hat sie nix zu suchen, da kann sie dir in der Kuchl helfen, aber weiter nix“, antwortete er grob.

„Mir ist ganz schlecht, hab keine Minute geschlafen“, greinte sie.

Der Alois ließ sich auf die Bank fallen und streckte die Füße von sich. Während er mit der einen Hand eine Zigarette aus der Schachtel fingerte und sie, die Streichholzschachtel zwischen die Knie geklemmt, anzündete, beobachtete er mißtrauisch seine Mutter. Alles an dieser unförmigen Frau wirkte schlampig. Rock und Joppe waren im schmutzigen Braungrau, die Schürze fleckig. Unter dem schütteren, schon leicht ergrauten Haar war das feiste Gesicht breit und schwammig, und die huschenden Augen blinzelten durch dicke Fettpolster.

Sie schwiegen und horchten auf die kleinen Geräusche des alten Hauses und das leise Rauschen des Mühlbachs, der zwischen Wohnhaus und Säge floß. Auf dem großen Kirschbaum vor dem Haus sangen die Vögel den Morgen an. Der Löwenzahn leuchtete in tausend gelben Sonnen auf der Mühlwiese. Die Birken auf dem bergseitigen Hang hinter Wohnhaus und Sägewerk trugen die ersten seidiggrünen Blätter. Um die Rumpachmühle war es still, als hätten die Mühlleute den schönen Morgen verschlafen. In Windungen dem Bach folgend, führte das Sträßlein vom Wald nieder, vorbei am versteckten Häusl des Stieglermaurers und an der Rumpachmühle dem Dorf zu, und erreichte dieses durch ein Wäldchen.

Das alte Wohnhaus mit der angebauten aufgelassenen Mühle bot einen fast ärmlichen Anblick. Das weißgekalkte Untergeschoß trug einen hölzernen Aufbau mit einem Balkon, dessen Sprossen teilweise fehlten. Vom Anbau der alten Mühle war der Verputz längst abgefallen. Dieser rückwärtige Teil des Hauses steckte im Hang, und die jungen Brennessel wucherten schon wieder an den brüchigen Mauern. Gnädig breitete der blühende Kirschbaum seine weiße Pracht über das morsche Mühlendach, auf dem die Haustauben in der Frühsonne gurrten. Wo einst das Mühlrad sich drehte, grünten Stauden und Unkraut am eingestürzten Kanal. Vom alten Haus führte ein Steg über den Bach zum neuen Sägewerk, das von einer Turbine getrieben wurde. Neu und sauber war das kleine Beihaus, das an die Säge angebaut war. Grüne Fensterläden und weiße Wände, gelbbraunes Holz und ein rotes Ziegeldach strahlten den frischen Morgen wider.

Im Dorf, das in der Talmulde am unteren Mühlbach lag, kündete die Kirchenglocke den Tag an, und die hallenden Töne fluteten über die Hügel und Hänge zu den Wäldern. Hühner rannten ins Freie, Hähne krähten, und Tennentore knarrten.

Der letzte Glockenton schwamm mit dem leichten Wind davon, und der Mesner Sigl kam aus der Kirche. Er blieb auf dem Dorfplatz stehen, sah sich um und nahm, zufrieden mit dem schönen Morgen, bedächtig eine Prise Schnupftabak.

Beim Kirchenwirt, dessen Haus sich etwas aufdringlich in den Dorfplatz schob, schlief man in den Tag hinein. Es war spät geworden in der vergangenen Sonntagnacht. Sie hatten das Maibaumbier getrunken, lustig und...



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