E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Friedl Versöhnung auf dem Hartlhof
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-475-54701-0
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-475-54701-0
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Paul Friedl wurde als Sohn eines Sägemeisters geboren und lebte im Bayerischen Wald, wo er lange Zeit Angestellter der Gemeinde Zwiesel war. Er stellte seine vielen Talente unter anderem als Holzschnitzer, Humorist, Theatergruppenleiter und Rundfunkredakteur unter Beweis und gründete neben dem Zwieseler Heimatmuseum eine Reihe von Heimatvereinen. Paul Friedl hat eine Fülle von Romanen und Kurzgeschichten verfasst und erhielt zahlreiche Ehrungen, u. a. den Preis der Schillerstiftung und das Bundesverdienstkreuz.
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Taghell lag der Vollmondschein auf dem weiten Dorfplatz, und blendend strahlte die weiße Mauer unter dem flachen Giebel des Schmidtbräu. Die beleuchteten Fenster der Gaststube zu ebener Erde und die des Tanzsaales im ersten Stock glühten scheinlos. Nur das gewölbte Haustor gähnte in schwarzer Finsternis. Die Gassen und der Platz, auf dem sie zusammenführten, lagen still und menschenleer. Gegenüber dem Schmidtbräu glänzten die weiten Kronen der großen Angerlinden silbern und deckten unter sich dunkle Schatten, die bis zum leise plätschernden Dorfbrunnen hinüberreichten.
In die Stille schrummte dumpf und schütternd der Brummbaß der Kirchweihmusik hinter den Fenstern des Tanzbodens, und aus der Gaststube quoll ein kurzer Lärm, wenn sich dort die Türe in den Hausgang kurz öffnete. Das Stampfen und Juchzen, Reden und Musizieren verschmolz zu einem Summen, das sich unter dem Dach des Schmidtbräu staute. Nur ein girrendes Mädchenlachen stach ab und zu aus diesem Gebrodel heraus.
Droben in der Kirchgasse schloß der Landpolizeimeister Schindler die Haustüre hinter sich, sah hinüber zu der Uhr am mondbeschienenen Kirchturm, die gerade die Mitternacht anzeigte, rückte den Gürtel zurecht und stieg gemächlich die Stufen zur Gasse hinunter. Die kurze Kirchgasse zum Dorfplatz ließ er sich Zeit, sah sich aufmerksam auf dem leeren Platz um und horchte auf die Geräusche, die in dieser Nacht, in der man die Kirchweih feierte, alle aus dem Hause des Schmidtbräu kamen. Aus der Gaststubentür drangen für einen Augenblick streitende Stimmen bellend in den hallenden Hausgang, und das Zuschlagen der Türe knallte wie ein Schuß auf den Platz hinaus.
Droben im Tanzsaal sangen sie rauh zu einem Zwiefachen, und nahe bei einem Fenster schlug wohl jemand mit der Faust auf dem Tisch den Takt dazu.
Horchend stand Schindler eine Weile auf dem Platz.
Der Höhepunkt des Festes schien erreicht, die Gemüter waren erhitzt vom Trinken und Tanzen, Sticheln und Streiten, Singen und Lachen, und es war Zeit, daß er jetzt an das Heimgehen erinnerte. Wenn die Musikanten aufhörten, würde es nicht mehr lange dauern, bis der letzte Kirchweihgast sich ohne Aufforderung auf den Heimweg machte. Den letzten konnte man ja ein wenig auf die Beine helfen. Große Schwierigkeiten hatte er mit den Dorfleuten nicht. Es gab wohl einige Feindschaften und ein paar Burschen, die im Rausch gerne krawallten und kraftmeierten, aber schon die Arbeit des nächsten Tages machte sie wieder vernünftig. Einige kleine Keilereien hatte es wohl schon gegeben, wenn aber die Beteiligten sich dann vor dem Richter wegen leichter Körperverletzung und den meist damit zusammenfallenden Vergehen zu verantworten hatten, versagte doch immer wieder ihre Bauernschläue, und reumütig zahlten sie ihre Strafen oder saßen ihre Haft ab. Er hatte eigentlich nur einen Burschen im Dienstbereich, dessen Neigung zu Raufhändeln ihm wirklich zu schaffen machte. Das war der Älteste vom Hartlhof, der Hans, auf den man nach der ersten Halbe Bier schon achten mußte, und der immer wieder eine Gelegenheit zum Streiten und Raufen fand, obwohl die anderen ihm aus dem Wege gingen.
„Der Hartl ist natürlich auch wieder dabei, benimmt sich aber ganz manierlich“, hatte sein Kollege, der Hauptwachtmeister Breuer, ihm noch vor einer Stunde berichtet.
Er sah auf seine Armbanduhr. Es war zehn Minuten nach zwölf.
„Jetzt langt’s“, sagte er vor sich hin und schritt auf das Gasthaus zu.
Da klang hinter den Fenstern des Tanzsaales ein brüllender Schrei auf, so laut, daß er das verfilzte Gesumme übertönte. Schindler sah am Haus empor.
„Aha“, brummte er grimmig.
Sekundenlang verstummte aller Lärm im Haus, dann aber folgte ein Krachen und Splittern, brüllten und heulten zehn, zwanzig Männerstimmen auf, und gellten verängstigte Frauenstimmen. Das Toben auf dem hölzernen Tanzboden sprengte ein Fenster und drang in die Nacht. Mit einem heiseren Bellen fuhr der Hofhund aus dem Haustor auf den Platz, und als der Polizeimeister der vom Hausgang aus aufwärts führenden Stiege zurannte, kamen ihm die ersten Flüchtenden entgegen, erschreckte Frauen und Mädchen, Burschen und Männer, die sich lieber aus dem Staube machten, um nicht einmal als Zeugen erscheinen zu müssen. Mit den Ellenbogen machte er sich Platz und kämpfte sich zur Saaltüre durch, aus der nun alles ins Freie wollte. Ein schmächtiger Bursche duckte sich und schlüpfte unter seinen fuchtelnden Armen durch. Er hielt ihn auf.
„Was ist los?“
„Ich will nix damit zu tun haben“, zischte dieser verbissen und drängte die Stiege hinab. Seine Wange war aufgeschrammt und ein Rockärmel heruntergerissen. Zwischen Saaltüre und Schenke mühte sich der Schmidtbräu vergeblich, durch die Flüchtenden zu kommen und mit dem Ochsenziemer den balgenden Haufen in der Saalmitte auseinander zu treiben. Seine Leibesfülle hinderte ihn, und mit puterrotem Gesicht fluchte er und fuchtelte mit der Ochsensehne. Schindler griff über die Köpfe und nahm dem Wirt das Schlagwerkzeug ab. Mit einem Sprung war er bei dem balgenden Menschenknäuel, das sich in der Mitte des Tanzbodens zwischen umgestürzten und zerbrochenen Stühlen und Tischen wälzte und nur aus schlagenden Armen und stampfenden Füßen zu bestehen schien. Der Höllenlärm war verstummt, und dem Poltern und Keuchen der Raufenden und dem Klatschen der Schläge gewichen.
„Auseinander da!“
Er riß einen jungen Burschen zurück, daß dieser sich überschlug, und ließ die Ochsensehne auf die breiten Buckel niedersausen. Fluchend zerteilte sich der Haufen, die Arme zogen sich zurück, die einen stämmigen jungen Mann am Boden festgehalten hatten, und die Fäuste hörten auf zu schlagen. Die Getroffenen hielten sich die Köpfe und hasteten aus dem rauch- und staubgefüllten Raum.
Der am Boden Liegende sprang auf und griff nach einem zerbrochenen Stuhl. Sein Gesicht war zerschlagen und verzerrt, und fast besinnungslos in seiner Wut suchte er nach seinen Gegnern.
„Jetzt ist a Ruh, Hartl“, donnerte der Polizeimeister ihn an.
„Wo ist er, der Hund, der meineidige“, ächzte dieser und hob taumelnd den Stuhl zum Schlag. Da fuhr ihm die Faust Schindlers an die Brust, daß er wieder hintüber fiel.
„Raus alles! Schluß ist!“
Hinter den Tischen kamen die letzten unbeteiligten Burschen und Mädchen hervor, und der Saal leerte sich. Der Hartl Hans war wieder aufgestanden und wischte sich mit den Fäusten die Augen.
„Den bring ich um, Herr Wachtmeister, so wahr ich –“
„Jetzt verschwinden Sie! Und wenn ich heut nacht noch einmal was hör, dann sperr ich Sie ein, verstanden?“ fuhr Schindler ihn grob an: „Morgen reden wir schon weiter, und wenn Sie den Heimweg net schleunigst finden, dann leucht ich Ihnen schon, darauf können Sie sich verlassen!“
„Ich mach mir’s heut noch aus, heut!“ knirschte der junge Bauer und torkelte hinter den letzten aus dem Tanzsaal. Ihm folgten die Musikanten.
„Ausgegangen ist es wie eine richtige Kirchweih“, meinte einer von ihnen zum Bräu, der ihm die Antwort schuldig blieb und zornig und bekümmert die der Schenke zunächst liegenden Trümmer seines Mobiliars zur Seite räumte.
Polizeimeister Schindler stand noch in der Mitte des leeren Saales und sah sich die Verwüstung an. Ungläubig schüttelte er den Kopf: wie man nur in wenigen Minuten ein solches Trümmerfeld schaffen konnte! Zornig wog er noch immer den Ochsenziemer in der Hand. Das würde wieder eine Arbeit, bis der Tatvorgang festgestellt, die Beteiligten ermittelt und die Anzeige fertig war.
Neben dem Musikpodium in der Ecke des Saales sah er noch ein Paar stehen. Bleich und verstört der Hartl Jakob, der Bruder des jungen Bauern, der heute unter die Fäuste der Dörfler gekommen war, und bei ihm die Lisl, die Tochter der Kramerin vom unteren Dorf, ein flachshaariges Mädel mit einem blassen, schmalen und nicht unschönen Gesicht. Über zerbrochene Stühle steigend, ging Schindler zu den beiden. Beim ersten Blick erkannte er, daß auch der Hartl Jakob einen Schlag ins Gesicht erhalten hatte, seine linke Wange war gerötet und das Auge verschwollen. Zweifelnd fragte er: „Sind Sie auch beteiligt gewesen?“
„Nein, ich net, Herr Kommissär“, preßte der jüngere Hartlbauer heraus und sah verlegen und bedrückt zu Boden.
„Nein, er ist net dabeigewesen, aber –“ Das in Zorn und Abscheu erstarrte Gesicht des Mädels löste sich in Tränen auf. „Schuld bin eigentlich ich, aber ich kann nix dafür. Der Hans – vor alle Leut hat er auf seinen Bruder eingeschlagen, und der hat sich net einmal gewehrt. Der Kapplknecht und der Sagschnitter haben dann den Hans weggerissen, und dann – ist es losgangen. Dann haben sich die andern auch eingemischt – aber...




