E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Friedl Wilder Wald
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-475-54687-7
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-475-54687-7
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Paul Friedl wurde 1902 als Sohn eines Sägemeisters geboren und lebte im Bayerischen Wald, wo er lange Zeit Angestellter der Gemeinde Zwiesel war. Er stellte seine vielen Talente unter anderem als Holzschnitzer, Humorist, Theatergruppenleiter und Rundfunkredakteur unter Beweis und gründete neben dem Zwieseler Heimatmuseum eine Reihe von Heimatvereinen. Paul Friedl hat eine Fülle von Romanen und Kurzgeschichten verfasst und erhielt zahlreiche Ehrungen, u. a. den Preis der Schillerstiftung und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse am Bande.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Über die Dächer des alten Grenzstädtchens Furth im Wald flutete das erste Licht eines Junimorgens. Der über die Waldhöhen blitzende Sonnenstrahl hob das Schloß, die Türme der Pfarrkirche und die der Kreuzkirche aus dem schwindenden Nachtdunkel der Gassen. Die Glocken in den Türmen läuteten den Tag an, und die hellen und summenden Klänge schwammen über die Häuser in das Hügelland weithin. Steile Rauchkerzen begannen aus den Kaminen gegen den blauen Himmel zu steigen, und je weiter die Sonne sich über den Wald schob, desto mehr erwachte der Ort. Zwei Gäule zogen einen Ackerwagen über das rumpelnde Kopfsteinpflaster, und das Klappern ihrer Hufe hallte in der Gasse. Aus einer Schmiede meldete sich der klingende Hammerschlag und störte die Dohlen auf, die nun kreischend um die Türme kreisten. Die letzten Schatten der Nacht verkrochen sich in dunklen Haustoren.
Aus dem Haus des Webers Eckl kam schon seit dem ersten Morgengrauen das Pochen des Webstuhls und das rutschende Zischen des fleißigen Schiffchens, und als die Sonne den Weg auch in die Gasse fand, ließ sie die Schusterkugel in der Werkstatt des Kilian Kolbeck aufleuchten, und das Wasser im Glas gab den engen Wänden einen flirrenden Schein. Auf dem Podest am Fenster saßen nagelnd und klopfend, zwirnend und nähend der Meister, sein Geselle und ein lang aufgeschossener Lehrbub.
Meister Kolbeck, dick und behäbig, mit blinzelnden Augen und einem buschigen Schnurrbart im runden Gesicht, begrüßte die Sonne mit einem langen Trunk aus dem Bierkrug und erhob sich schwerfällig, um den frischen Morgen durch ein winziges Oberfenster in die stickige Werkstätte einzulassen. Sich ächzend wieder auf seinen Schemel niederlassend, nahm er den hungrigen und dürstenden Blick seines ihm gegenübersitzenden Gesellen Jakob zur Kenntnis, warf, sich den Bart wischend, auch einen forschenden Blick auf den Lehrbuben an seiner Seite und klopfte sich aus dem grüngläsernen Schnupftabakglas eine braune Prise auf die Faust. Während er sich den Riemen wieder über das Knie zog und nach einem Schuh griff, musterte er unter der gerunzelten Stirn hervor den hochaufgeschossenen schmalen Jungen neben sich, der an einem schweren Bauernschuh nähte, als hätte er es schon immer getan, und nicht erst seit drei Tagen. Ein braunes Gesicht mit vorstehenden Backenknochen, einem auffallend langen Kinn und einer spitzhakigen Nase ließ den Buben alt erscheinen. Seine dunklen Augen schienen in den Höhlen unter der Stirn keinen Platz zu haben, und die Augendeckel spannten sich zur Hälfte wie ein Dächlein über die vorstehenden Augäpfel, als wollten sie den ewig lauernden, scheuen und oft stechend scharfen Blick verbergen.
„Und du sagst, daß du noch bei keinem Meister gewesen bist? Wo hast du denn dann das Nähen mit der Ahl gelernt?“ knurrte der Kolbeck.
„Haben daheim die Schuhe selber geflickt, Meister“, lispelte der Bub bescheiden.
„Daheim! Weißt du endlich, wo du daheim bist?“
„Nein, Meister.“
Kopfschüttelnd klopfte der Meister ein Stück Leder, und der feine Staub fing die Sonne ein und wirbelte im glänzenden Strahl.
Neugierig horchte der Geselle Jakob und rieb sich den roten Bartflaum am Kinn. Der Meister griff wieder zum Bierkrug und forschte dann weiter, wie er es schon drei Tage vergeblich tat.
„Gewohnt habt ihr also in einem Häusl mit zwei Kühen. Wer sind denn eure Nachbarn gewesen?“
„Hatten keine Nachbarn, Meister, alles Wald.“
„Und wohin seid ihr in die Kirche gegangen?“
„Bin nit in eine Kirche gegangen.“
„Aber es muß doch irgendwo eine Ortschaft gewesen sein, wie hat die geheißen?“
„Ist zwei Stunden weit weg gewesen und hat Dorf geheißen.“
„Wie hat denn deine Mutter geheißen?“
„Mutter, sonst nix!“
Der Meister ließ nicht locker: „Hat man vom Häusl aus einen Berg gesehen? Was ist das für ein Berg gewesen?“
„Das weiß ich nit, Meister.“
In der Küche nebenan klapperte das Geschirr, und der Geselle mahnte: „Mich tät schon hungern und dürsten, Meister.“
Unwillig zog der Kolbeck die dunklen Augenbrauen auf. „Mußt du alleweil nur ans Fressen und Saufen denken? Der Mensch ist zur Arbeit auf der Welt!“
Der Jakob nörgelte aufsässig: „Aber der Mensch muß auch essen und schlafen, sonst holt ihn der Teufel! Um zehne ins Bett und um viere wieder auf den Schusterstuhl, das hält kein Roß ohne Fressen aus! Ein Sitzfleisch hab ich schon wie Sohlenleder!“
„Schlafen kannst du am Sonntag den ganzen Tag lang. Aber da müßt ihr jungen Gitzer ja hinter den Menschern her sein!“
Verdrossen schwieg nun der Jakob und nagelte mit rotem Gesicht an seinem Schuh. Der Meister wandte sich wieder seinem Lehrbuben zu:
„Ist ein Wasser in der Nähe gewesen? Hat das einen Namen gehabt?“
Der Junge hob seine Augendächlein und sah den Meister kurz und listig an: „Hat Bachl geheißen.“
An seinem Schnurrbart kauend, murrte der Kolbeck: „Ich bringe es schon noch heraus. Der Sprache nach bist du entweder aus dem Lamerischen oder von drüben aus dem Angeltal. Hast in der Red net viel Steinpfälzisches oder Böhmisches. Kennst du den Arber oder den Osser?“
Der Bursche schüttelte nur den Kopf.
Nun steckte ein kleines Mädchen mit schwarzem Haar und munteren Augen den Kopf zur Tür herein und meldete mit hellem Stimmchen: „Sollt zur Suppe kommen!“
Wie vom Stuhl geschnellt, rumpelte der Jakob aus der Tür, bedächtig streifte der Meister die Lederschnitzel vom Schurz, erhob sich und folgte ihm, und der Lehrbub machte den letzten. Der Dampf der Milchsuppe kam ihnen verheißungsvoll entgegen, und das frischaufgeschnittene Brot duftete. Neidvoll sah der Jakob, wie die hagere Meisterin dem Lehrbuben einen Streifen von dem Geräucherten abschnitt, das der Meister sich schon zum Frühstück einverleibte. Wütend löffelte der Geselle die großen Brotbrocken aus der Schüssel und maulte:
„Warum muß der eine Ausnahm haben?“
„Das geht dich nix an, Jakob!“ wies die Meisterin ihn scharf zurecht. „Hätt der Peterl unsere Vroni net weggerissen, dann wär sie unter die Huf und die Räder gekommen und wir hätten sie zum Freithof tragen können.“ Und sehr betont forderte sie den Lehrbuben auf: „Iß nur, Bub, hast eh keine guten Zeiten hinter dir, das merkt man!“
Der Meister schmunzelte hämisch, schnitt ein winziges Schnitzlein vom Fleisch und legte es dem Gesellen hin:
„Da, damit dir die Brotbrocken net vor Neid im Hals bleiben!“
Gierig verschlang der Jakob das Schnitzelchen.
Sittsam löffelte die kleine Vroni die Milchsuppe aus ihrem Schüsserl, doch die Blicke ihrer großen Augen wanderten von einem zum anderen und blieben immer wieder lange und forschend auf dem Gesicht des Lehrbuben haften. Schließlich platzte das kleine Mädchen mit der Frage heraus:
„Vater, weißt du nun schon, wo der Peterl her ist?“
„Er will es net sagen“, sagte der Meister verärgert, und schnell antwortete darauf der Lehrbub, ohne aufzusehen:
„Ich weiß es nit.“
„Wird ihm schon noch einfallen“, meinte die Meisterin begütigend.
„Wenn er es net sagen will, kann ich ihn auch net behalten. Das sagt der Bürgermeister.“ Schulterzuckend erhob sich der Meister und ging, gefolgt vom Gesellen und dem Lehrbuben, in die Werkstatt zurück. Hinter ihnen her schlug die Wanduhr in der Küche schnarrend die siebente Morgenstunde.
Meister Kolbeck nahm aus dem Regal ein Paar Stiefel und drückte sie dem Lehrbuben in die Hand:
„Die Stiefel tragst du zu meinem Vetter, dem Dimpfl in Eschlkam, sagst ihm einen schönen Gruß, sagst ihm, daß das Stiefelrichten einen Gulden kosten tät, und sagst, daß der Meister das Geld gleich braucht. Brauchst nur die Straße da hinaus zu gehen und kannst auch einmal fragen, wo es nach Eschlkam geht.“
„Weiß es, Meister.“
Mißtrauisch sah der Kolbeck ihn an: „Du weißt es? Also bist du schon dort gewesen?“
„Ja.“
„Schlenz net lang umeinand, dann brauchst du eine gute Stunde hin und eine zurück, und um zehne kannst wieder hier sein.“
„Ist recht, Meister.“
Der Lehrbub Peter stand lang und dürr, mit etwas vorgebeugtem Oberkörper, und überragte fast den Schuhmacher, der wieder Mißtrauen in den Augen hatte und zweifelte:
„Fünfzehn Jahre willst du erst alt sein?“
„Die Mutter hat es gesagt, Meister.“
„Und kennst dich in Eschlkam aus?“
Der Lehrbub hatte die Stiefel geschultert und schon die Türklinke in der Hand. Mit...




