E-Book, Deutsch, 128 Seiten
Frischmuth Die Schönheit der Tag- und Nachtfalter
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7017-4745-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 128 Seiten
ISBN: 978-3-7017-4745-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Diese kleinen Meisterwerke der Fantasie sind zugleich ein Plädoyer gegen die Ausbeutung der Natur durch den Menschen.
Blau schillernde Käfer, pelzige Nachtfalter, mutige Heuschrecken und flirrende Libellen sind die Held*innen von Barbara Frischmuths neuen Erzählungen. Doch wenn wir genauer hinsehen, so geht es der Autorin nicht nur um sorgfältig beobachtete Insekten: Es geht um fein gezeichnete Symbiosen von Mensch und Natur, um seltene Mischwesen zwischen Mädchen und Käfer, um sprechende Libellen oder um das, was wir uns von den schlauen Heuschrecken abschauen können. Mit liebevollem Humor zeigen uns diese Geschichten, wie sehr wir Menschen Teil der Natur sind. Denn, so wird die Gärtnerin und Dichterin Barbara Frischmuth niemals müde zu betonen: Nur in einem Zusammenleben mit der Natur, das von Respekt und Achtsamkeit geprägt ist, haben wir alle eine Überlebenschance.
Autoren/Hrsg.
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Es ist ein sonniger Tag, an dem die Zwillinge nach dem Frühstück zum Wald aufbrechen, durch Haselnusssträucher, Kiefern, Buchen, Weiden, Eichen, Pappeln, Laub- und Nadelbäume, und dort in einen springenden Bach gehen wollen. Sie greifen und hanteln sich durch, als gäbe es keine Wege, nur Richtungen mit Erwartungen. Schon hören sie das Wasser an die Steine klatschen und sehen, wie sich das Grün zum erhöhten Blau öffnet. Rundum gibt es ein wenig Wiese und stumpfes Holz, das von gefällten Bäumen zurückgeblieben ist. Der große Tom sieht als erster die Blauflügel-Prachtlibellen, während der kleinere Tim ein Mädchen mit grünem Hut und gelber Jacke auf einem dicken Erlenast bemerkt, den die Holzfäller vergessen haben. Bist du …, fragt Tim, aber das Mädchen kommt ihm zuvor: Ja, ich bin Cecilia und ihr seid die Zwillinge, stimmt’s? Tom dreht sich um: Olala, die Jungfer vom Fluss. Du bist Tom, oder? Der große Tom, der die Bäche und Flüsse kontrolliert, Temperaturen misst und nach Schleichschwänzen sucht. Tom nickt, gleichzeitig wiegt er den Kopf. Und du, sie schaut auf Tim: Wer bist du? Ich bin der Rest. Ich kontrolliere, ob Toms Kontrollen auch richtig verbucht wurden. Und du, wer bist du denn außer Cecilia? Sie wartet ein wenig, neigt den Kopf nach vorn und öffnet den Mund: Ich gehöre zu einer anderen Art, das heißt, ich bin anders schön. Gleiche Gattung, doch andere Art, dafür sind wir ja bekannt. Tom und Tim nicken: Das wissen wir. Aber es reicht nicht. Wir sind die drei, die beides sein könnten, wenn wir uns besser verständigen, mit uns selbst und mit den anderen. Schönheit kann ja auch eine Hilfe sein, zumindest für die Menschen, und unser allerschnellstes Fliegen mit eigenem Strom ebenso. Warum? Weil wir so viele Jahre hindurch nur gejagt, gefressen und gelernt haben. Das hat unser Denken samt allen unseren Einfällen gestärkt. Wir sind ein immer wieder zusammenwachsender Körper, der lebt, vergeht und sich dabei erneuert. Die Zellen begeben sich auf neue Wege, um herauszufinden, ob es brauchbare Verbesserungen gibt, nicht bloß Technisches aus Bequemlichkeit. Wir waren schon da, als die Saurier kamen, waren klug und wurden kleiner. Deshalb leben wir, trotz aller Unerträglichkeit, noch immer in dieser Welt. Jetzt wird es heiß, nach den Eiszeiten kommen die Dürren. Das haben wir schon öfter erlebt. Einige der Unsrigen sind bereits in den Norden gezogen, doch der Norden ist zu klein für uns alle, seit die Menschen zu viele geworden sind. Kontrolle hat nur Sinn, wenn das zu Kontrollierende danach entsprechend verändert wird. Beim Frühstück sagte Tom, er habe einen merkwürdigen Traum gehabt, der ihm beinahe den Atem genommen habe. Genau wie ich, meinte Tim. Dieses Mädchen mit dem grünen Hut, das ununterbrochen schnatterte … Die Mutter fand es merkwürdig, dass Zwillinge dasselbe träumen konnten, sagte aber nichts dazu. Der Vater der beiden war, als sie noch nicht einmal richtig sprechen konnten, von einem der Himalaya-Gipfel gestürzt, weil er wissen wollte, wie hoch Libellen fliegen, wenn die Sonne schien. Seine Frau hatte darauf bestanden, dass das, was von ihrem Mann übriggeblieben war, zu ihr gebracht würde, damit es ein Grab gab, an das sie mit den Kindern die ausgefallensten Blumen bringen könnte, so dass sie alle immer wieder gerne an sein Grab kämen. Habt ihr etwas für den Nachmittag vor?, fragte die Mutter. Wir wollen schauen, ob die Blauflügler bereits in Rudeln kommen und die Frösche nach ihnen schnappen, meistens sind ja die Libellen schneller. Tim hoffte, dass auch die gelbgefleckten Flussjungfern samt den Großen Quelljungfern schon da wären, die angeblich nur noch hier existierten. Ich nehme an, ihr werdet auch schwimmen und die Badehosen … Haben wir schon angezogen, man sieht es nur nicht. Wollt ihr eine Jause mitnehmen? Schon in der Tasche! Kommt nicht zu spät zum Abendessen, es gibt Lachs mit Röstkartoffeln, die Lieblingsspeise eures Vaters. Es ging ihr noch immer darum, dass die Kleinen, die inzwischen größer waren als sie, nicht vergaßen, dass sie auch einen Vater gehabt hatten, sogar einen, der mit Tieren und Pflanzen umgehen konnte. Nach dem Frühstück liefen sie zum Wald und dann zum Bach. Diesmal nicht im Traum. Sie kannten den Weg und wussten, wo die Libellen wie Wolken schnell durch die Luft sausten, bis zu 50 km/h, mit den Muskeln direkt an den Flügeln. Das soll ihnen mal einer nachmachen, rief Tom. Die können ihre Flügelpaare unabhängig voneinander bewegen, und dadurch abrupt die Richtung wechseln, in der Luft stehenbleiben oder sogar rückwärts fliegen! Als sie ankamen, wurden sie geradezu geblendet von den Lichtspielen der Libellenflügel und deren pfeilschneller Jagd nach anderen Insekten. Hin und wieder schnellte ein Frosch in die Höhe, um nach einer dieser Schönen zu schnappen, aber das gelang nur sehr selten. Das Sirren der Flügel hörte sich an wie ein Kichern, als wollten sie sagen: Ihr kriegt mich nicht! Auch wenn ihr mit euren Schnellfüßen meterhoch springt! Je höher, desto mehr Geplätscher! Die Ringelnattern, die größeren Fische, die Vögel … Man sollte immer wachsam sein, wenn es einem an den Kragen geht. Und darauf achten, dass man, wenn man sich im Flug von unten nach oben oder von links nach rechts die Mahlzeiten holt, nicht das Pech hat, selbst gemahlzeitet zu werden. Es war Tim, der immer wusste, was kommt. In seinem Kopf bündelten sich die Nachrichten, die er zu sortieren hatte. Ob Schein, ob Wahrheit, ob Gewalt oder Zuspruch, er durfte nichts übersehen. Das Gewesene lässt sich nicht wiederholen, das Zukünftige nicht vorhersehen. In der Gegenwart liegt die Chance, aber auch das Versagen. Bei so vielen verschiedenen Lebewesen muss alles alert sein, wenn es am Leben bleiben will. Im Krieg oder in der Waffenruhe – die einen machen es mit den Zähnen, die anderen mit Gewehren – beides ist tödlich. Dazwischen Liebe, Schönheit, Lachen, Freundlichkeit, Genuss und Dankbarkeit. Das ist die Welt, dazu gehören auch Hilfsbereitschaft und Zufriedenheit. Tim hatte das alles im Kopf. Er ist in der Leitung, empfängt und antwortet, ohne Laute, ohne Sprache, ohne jeden Befehl, er fühlt, spürt und begreift. Seine Stimme ist hell, sein Körper schmal, seine Kraft ist die Aufmerksamkeit. Die beiden zogen sich aus bis zur Badehose, wühlten mit den Füßen im Sand. Die Libellen schossen an ihnen vorüber, blieben plötzlich stehen in der Luft, sahen sie an mit ihren vielen Augen, surrten davon, kamen wieder und glitzerten in blauen, grünen und roten Farben. Kühl, meinte Tom, tauchte bis zum Bachboden, wo die weißen Steine und die grünen Pflanzen lagen. Die einen zeigten, dass das Wasser klar war, die anderen, dass es darin auch Nahrung gab. Tom schwamm ein wenig unter Wasser, sah Beine, zarte Beine, die sich selbst weiterstießen, und einen Mädchenbauch samt Hals und Brüsten. Auftauchen! Er sah ein Gesicht, ähnlich wie das im Traum und doch anders, mit grünen Augen, schwarzem Haar und weißer Haut. Hallo! Der große Tom stand da, der Bach war nicht tief, gerade so, dass man darin schwimmen konnte. Der Zusammenstoß blieb mild, so wie das Hallo! Von ihr her kam kein Laut. Ich bin Tom! Er blieb stehen, für sie war es nicht so einfach. Ihre Beine waren zu kurz, um den Boden zu erreichen. Trotz aller Bemühungen landete sie in Toms Armen. Lula, sagte sie und schluckte ein wenig Bachwasser, da sie den Mund zu lange offen gelassen hatte. Willst du raus? Tom deutete auf ein Stück Sandstrand, Lula nickte. Die Sonne schien durchs Gebüsch und schickte Strahlen, die Muster aus Schatten malten. Tom half ihr über die letzten spitzen Steine unter Wasser bis zum Sand. Gleich danach kam Tim, auch er kletterte zum Sand hin. Hallo Lula, warst du schon länger im Wasser?, fragte er. Tom und Lula setzten sich gerade. Woher Tim ihren Namen kannte, wusste nur er. Lula saß zwischen den beiden. Immer wieder blieben die Mosaikjungfern vor ihnen stehen und glotzten sie neugierig an. Das sind die neugierigsten in der Libellenwelt. Kaum bewegte sich Tom, zogen sie nach oben, flogen mehrmals im Kreis, dann kamen sie von der anderen Seite wieder. Wie hübsch sie sind, diese Blauflügler, samt den Gebänderten, die ihnen ähneln. Wie auch die Königslibellen, die Flussjungfern und sogar die Plattbäuche, und alle sind sie Kannibalen, die fressen, was in ihre Fangkörbe kommt. Aber wir brauchen sie. Sie fressen viele, die für uns schädlich sind, damit wir nicht krank werden. Aber auf die Dauer wird es für uns alle nicht gehen, wenn Käfer, Schrecken, Schmetterlinge, Bienen und alle anderen Insekten dieser Welt aus dem Gleichgewicht fallen. Vergesst die Techniker nicht! Tom warf Kiesel um Kiesel ins Bachwasser. Das meiste haben wir nachgemacht. Die Frage ist nur, wie die Natur sich rächen wird. Sie kommt schon des Weges, Tom, man riecht sie, meinte Tim. Noch sind wir diejenigen, die die Richtung zeigen, zumindest sieht es so aus. Aber was soll’s, ich bin hungrig nach dem Schwimmen. Wenn ihr wollt, schwimme ich rüber und bringe den Beutel mit der Jause. Tim stand auf, und da niemand etwas sagte, lief er ins Wasser und begann zu schwimmen, schneller, als man schauen konnte. Was sagst du dazu? Lula legte ihre Arme um die Knie. Tom zuckte mit den Schultern:...