E-Book, Deutsch, 81 Seiten
Füssel / Hänisch / Beyer Tambach-Dietharzer Wunderwasser-Krimis
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-945605-18-9
Verlag: Verlag Tasten & Typen
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
E-Book, Deutsch, 81 Seiten
ISBN: 978-3-945605-18-9
Verlag: Verlag Tasten & Typen
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Lieblich die Landschaft und reizend die Verbrechen. Es wird fleißig gemordet rund um den sagenhaften Wunderwasser-Brunnen in Tambach-Dietharz, dem Luftkurort im Thüringer Wald.
Brachiale oder dezente Lebensverkürzung wird inszeniert - angesiedelt zwischen 1537 und 2017. Laut und leise, raffiniert und durchtrieben führt man in elf Kurzkrimis aktiv hin zum Ende der Atmung, zum Herzschlagfinale - verlässlich gepaart mit geballtem Fehlverhalten und verblüffender krimineller Energie. Manchmal düster arrangiert, manchmal mit einem Lächeln erzählt.
Der Leser wird sich möglicherweise vom Frevel moralisch distanzieren, aber ganz bestimmt unterhält er sich glänzend mit den Kurzkrimis von elf Autoren aus Deutschland und Österreich, ausgewählt aus 95 Einsendungen für den 'Tambach-Dietharzer Wunderwasser-Krimi-Preis 2017'.
Kai Brodersen wird in Werdohl im Sauerland geboren, am 27.12.1966.
Nach Schule und Zivildienst 1986 zum Studium der Geschichts- und Politischen Wissenschaften sowie der Philosophie nach Bonn. Dort erlebt er sein Coming out und eine zweite Pubertät, stellt fest, dass ihm die geisteswissenschaftliche Luft zu dünn wird und wechselt 1991 (ohne den angestrebten Magistertitel) nach Gießen zur Veterinärmedizin. 1996 wird er als Tierarzt approbiert und treibt bis zum Jahr 2000 Postgraduate Studies im Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten der Tiere.
Statt Promotion tritt er im Jahr 2000 in die Firma Applied Biosystems als Sales Engineer ein, und zieht nach Bonn, später in das Dorf Halscheid im Windecker Ländchen, von wo aus er 2010 zur Firma Integrated DNA Technologies als Sales Manager wechselt. In beiden Firmen ist er beschäftigt mit molekularbiologischen Techniken und künstlichen Molekülen. - Hochinteressant und recht prosaisch.
2002 ist Brodersen eine eingetragene Partnerschaft mit seinem niederländischen Freund Richard, einem Teddybärenkünstler, eingegangen und heißt seither Brodersen-van Aalst. Die Partnerschaft scheitert im verflixten siebten Jahr und wird 2011 aufgehoben. Brodersen behält einen Sack voll Erinnerungen und den zweiten Nachnamensteil, das Haus in Windeck wird verkauft, und er zieht nach Köln.
Nach zwei ebenso turbulenten wie lehrreichen Jahren zieht er 2013 nach Hagen, wo es ebenso lehrreich ist, aber weniger turbulent ... Heute widmet er sich der Krankenpflege - und dem Schreiben.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kai Brodersen Brunnenvergifter
„Was für eine blödsinnige Verschwendung jedes Mal!“, schimpfte Fritz vor sich hin, während er durch den Nieselregen zum Lutherbrunnen stapfte. Natürlich nieselte es, es nieselte ja immer am Reformationstag, jedenfalls war das Fritzens Erinnerung. Es war kein weiter Weg vom Landgasthof, in dem er mit Tante Willie abgestiegen war, bis zu der eingefassten Quelle, deren Wasser angeblich vor fünfhundert Jahren den Reformator von heftigem Nierenleiden befreit hatte. Aber es nieselte, und der Weg von dem kleinen Dorf im Niedersächsischen, in dem Wilhelmine Eleonore Agathe Freiin zu Hengstbergshausen-Enningerloh, eben Tante Willie, residierte, der war weit, öde und unnütz. So jedenfalls sah es ihr Großneffe Fritz. Was soll’s? – Das alte Mädchen muss bei Laune gehalten werden, dachte er, während er sich die Schiebermütze etwas tiefer ins Gesicht zog. Dann erinnerte er sich an Tantchens Alter, ihr schwaches Herz, ihr Vermögen … Mit einem kleinen Lächeln erreichte er den Brunnen. Seit zwanzig Jahren fuhr er die Freiin nun schon hierher, seit er den Führerschein hatte (bezahlt von Tante Willie, der gesamte Rest der Familie war „verarmter Adel“, wie er schon im Grundschulalter gelernt hatte). Sie war großzügig, „die Baronin“, wie sie in ihrem Dorf genannt wurde, aber sie erwartete widerspruchslosen Gehorsam, wenn sie einen ihrer exzentrischen Wünsche äußerte. Bis auf den heutigen Tag verteidigte sie beispielsweise zäh und ohne die geringste Neigung zu Kompromissen die Bank im Altarraum der Kirche, deren Renovierung sie vor ein paar Jahren praktisch allein finanziert hatte, für „die Enningerlohs“. Der Dorfpfarrer, ein in vielen Kämpfen gestählter, aber auch gelassen gewordener Lutheraner, hatte sich damit abgefunden und sein zur Sozialdemokratie neigendes Presbyterium in dieser Frage kurzerhand übergangen. Ernsten Widerspruch hatte er allerdings hinsichtlich der Wallfahrten Wilhelmines zum Lutherbrunnen nach Tambach-Dietharz angemeldet. Das Wasser im Brunnen sei Wasser, weiter nichts, hatte er bemerkt, und des Tantchens Überzeugung, ein Gläschen diesen Nasses helfe ihr besser gegen ihre Nierenkoliken als alles, was ihr alter Hausarzt (liebevoll „der olle Quacksalber“ genannt) verschreibe, das gehe denn doch zu weit in Sachen Luther-Verehrung. Als Pfarrer Stolzmann dann auch noch Parallelen zog zu den „naiven Nönnchen, die nach Lourdes pilgern“, da kam es zu einer Auseinandersetzung, die im gesamten Landkreis bekannt wurde und die beinahe mit der vorzeitigen Verrentung des Kirchenmannes geendet hätte. Der Streit wurde beigelegt (Es war die Rede gewesen von einem Besuch des Superintendenten auf Gut Enningerloh.), und Wilhelmine ließ sich weiterhin jedes Jahr zum Reformationstag nach Tambach-Dietharz fahren, um sich einen großzügig bemessenen Vorrat des Wunderwassers abzufüllen und nach Niedersachsen zu schaffen. Im Thüringischen war sie eine feste Größe, und der Pfarrer der Lutherkirche freute sich in jedem Jahr über eine erhebliche Aufbesserung der Kollekte, wenn die Baronin zum Gottesdienst am Reformationstag erschien, sich ganz vorn in eine Kirchenbank setzte und auf dem Weg dorthin huldvoll in die Reihen grüßte. Insgesamt war man froh, dass sich ihre Verachtung der modernen Medizin offenbar lediglich auf Lässlichkeiten ihrer Nieren, oder, wie sie es formulierte: nephrologische Fragestellungen bezog, denn ihre Herzmedikamente nahm sie treu und brav. Sonst wäre es wohl auch nie zur Renovierung der Enningerlohschen Stammkirche gekommen, und der Pfarrer von Tambach-Dietharz hätte schon seit Jahren erhebliche Einbußen in seinem Klingelbeutel zu verzeichnen gehabt. Fritz setzte sich auf die rötliche Steineinfassung des Wunderwasserbrunnens. Sein Lächeln verrutschte etwas, als er bemerkte, wie die Nässe durch den Stoff seiner Jeans drang, aber darauf war nun keine Rücksicht zu nehmen. Er hielt einen dunklen Kanister unter das Stahlrohr, aus dem Tante Willies Nierenallheilmittel plätscherte. Als der Kanister gefüllt war, sah Fritz sich um und stellte fest, dass weit und breit kein neugieriger Wanderer ein Auge auf den Brunnen und Fritzens Aktivitäten warf. Natürlich nicht, dachte Fritz, wer würde schon bei dem Dreckswetter zum Brunnen latschen, außer natürlich Friedrich Martin Johann Carl zu Hengstbergshausen-Enningerloh! Zu gleichen Teilen amüsiert über die in seiner Familie grassierende Vorliebe für bombastische Namensvergaben und erleichtert darüber, den Brunnen ganz für sich zu haben, machte er sich ans Werk. Natürlich hatte er die ganze Sache von langer Hand geplant und vorbereitet. Bei solchen Dingen durfte man nichts dem Zufall überlassen! „Ach, Tantchen, wenn du wüsstest!“, murmelte er, nun mit sehr breitem Lächeln. Aus den Taschen seiner Lederjacke zog er zwei braune Fläschchen. In einem befand sich ein weißes Pulver, zu dem er die Tabletten, die es ursprünglich enthalten, zermörsert hatte, und in der zweiten eine farb- und geruchlose Flüssigkeit. Beides schüttete er in den dunklen Kanister, den er darauf sorgfältig verschloss und gründlich schüttelte. „Das gibt dem Wort ‚Wunderwasser‘ eine gänzlich neue Bedeutung!“, feixte er, verstaute die braunen Fläschchen wieder in seinen Jackentaschen und packte den Kanister in die Reisetasche. „Hätt’ gerade noch gefehlt, dass ich mit dem ollen Plastikding an der Hand hier durch’s Dorf marschiere“, brummte er dabei, warf noch einen letzten Blick in die Runde und brach dann auf. Das Augenpaar, das, geschützt durch einen ziemlich großen und dichten Brombeerstrauch, seine Manipulationen verfolgt hatte, war ihm komplett entgangen. Er ging die Tammichstraße entlang und steckte sich eine Gitanes ohne Filter an. Wäre Tante Willie, wie in früheren Jahren üblich, mit zum Brunnen gekommen, hätte er sich in diesem Moment zweifellos einen ihrer gefürchteten Vorträge über das Laster des Rauchens im Allgemeinen und die Entweihung der herrlichen Atmosphäre in einem Luftkurort im Besonderen anhören können. Aber das alte Freifräulein ist ja nicht mehr so gut zu Fuß, was vieles erleichtert, dachte er, nahm einen letzten, tiefen Zug und warf die Kippe achtlos in den Rinnstein. An der Kreuzung zur Schmalkalder Straße befand sich ein Gasthaus, und Fritz machte auf zwei Bier halt. Seine Hoffnung, der Nieselregen würde sich während seiner Rast verziehen, wurde enttäuscht, und so war es ihm reichlich klamm, als er einige Zeit später am Landhaus in der Bahnhofstraße anlangte. Zuvor hatte er noch im Gasthaus zum Bären zwei weitere Bierchen erlegt, so dass es ihm ganz recht war, als man ihm an der Rezeption mitteilte, die Frau Baronin ruhe und wünsche nicht gestört zu werden. Na, wenn man hoch in den Achtzigern ist, darf man schließlich pennen, wann und wo man will, dachte Fritz, nahm auf seinem Zimmer eine heiße Dusche und legte sich seinerseits zu einem etwas verfrühten Mittagsschlaf hin. Nach einer guten Stunde wurde er durch das Erscheinen eines Zimmermädchens geweckt, das ihm mitteilte, „die Frau Baronin lasse nunmehr bitten“. Fritz begab sich zum Zimmer der alten Dame, ausgestattet mit seiner Reisetasche und einem kleinen, frechen Grinsen, das der Weigerung der Adligen galt, sich des Haustelefons zu bedienen und stattdessen „eine Domestikin“ zu schicken, wie sie wohl gesagt hätte, wäre man entre nous gewesen … „Herein, mein Junge!“, hörte er auf sein Klopfen und verfügte sich in der Tante Zimmer. „Der Jahresvorrat an Luthers Wunderwasser, Tante Willie!“, verkündete er fröhlich und stellte den Kanister auf einen Eichentisch. Man war rustikal eingerichtet im Landhaus. „Ich danke dir, mein Lieber“, entgegnete die greise Adlige, lud ihn mit anmutiger Geste zum Platznehmen ein und stellte eine Schale mit in Puderzucker gewälzten Schokoladenmandeln vor ihn hin. Den Dingern hatte Fritz lebenslang nicht widerstehen können, und da das Frühstück nun schon eine geraume Weile hinter ihm lag, warf er sich trotz der Tante hochgezogenen Augenbrauen sogleich eine ganze Handvoll in den Rachen und spülte sie mit einem ordentlich Schluck des Kaffees hinunter, auf dessen reichlichem und jederzeitigem Vorhandensein die alte Dame gegenüber der Geschäftsleitung unnachgiebig bestand. Während des folgenden Gesprächs ließ sie Fritzens Hand, die beständig zum Mandeltopf wanderte und das Gefäß in Rekordzeit leerte, kaum je aus den Augen. „Weißt du, Fritz“, sagte sie, als er eine der letzten Mandeln aus der Schale fischte, „ihr jungen Leute habt so allerlei Probleme mit der Wahrnehmung der Welt, die Euch umgibt!“ Der junge Mann schaute sie verständnislos an, und Tante Willie fuhr fort: „Zum einen hört ihr allesamt nichts mehr, weil ihr ja beständig diese Dinger in den Ohren stecken habt!“ Unbewusst tastete Fritz nach den kleinen Kopfhörern seines iPhones, die ihm wie Schmuckstücke um den Hals hingen. „Und deshalb bekommt ihr nicht einmal mit, wenn euch jemand durch den Wald folgt und dabei auf den einen oder anderen morschen Ast tritt.“ Nun wurde es Fritz ungemütlich und auch ein wenig schlecht. Seine Tante ließ sich davon allerdings nicht beirren. „Darüber hinaus“, fuhr sie fort, „traut ihr uns Alten ja grundsätzlich überhaupt nichts zu, nicht einmal einen Viertelstundenspaziergang von hier zum Lutherbrunnen …“ Fritz brach der Schweiß aus, und er hatte plötzlich Ohrensausen. „Weißt du, eine alte Frau ist ja einiges an Kummer gewohnt, aber dass der eigene Großneffe einen vergiften will! Ich habe kürzlich...