E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Fuhrmann / Weber Open the bottle - Die Flasche der Pandora
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7546-0992-7
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-7546-0992-7
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Halloween 2020, Lockdown, Kontaktverbot. Zwei Freundinnen sitzen vor ihren Laptops und vertreiben sich per Videochat die einsame Zeit. Es wird getrunken, gelacht und gelästert, und plötzlich geschieht das Unfassbare ... Davon erzählen mal blutig, mal mystisch, mal schreiend komisch, aber immer einzigartig die 29 Geschichten dieser Anthologie. Süßes oder Saures - was wird den Heldinnen wohl blühen?
29 begabte Autor:innen aus Deutschland und Österreich zwischen 12 und ... (etwas älter) haben sich hier zusammengefunden, um uns zur lauschigen Gruselzeit zu unterhalten.
Autoren/Hrsg.
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Malum ante portas
Geschockt blickte Lucy ihre Freundin Alexa über den Bildschirm an. Ein kalter Luftzug erfasste die Flammen der Kerzen neben ihr, die allesamt erloschen. Im Kamin hinter Alexa loderten plötzlich wilde Feuerzungen, was diese aber offenbar nicht wahrnahm. Sie starrte Lucy mit aufgerissenen Augen an. Für einen Moment schien die Verbindung abzubrechen, das Bild war gestört und teils eingefroren, dann jedoch entfachte der Bildschirm ein grell leuchtendes Licht. Geblendet schloss Lucy die Augen und wurde mit heftiger Wucht zurückgeworfen. Sie schrie entsetzt auf, als sie von einer mächtigen Energie erfasst wurde, die ihr den Boden unter den Füßen wegriss. Einen Augenblick später wurde sie regelrecht durch die Luft gewirbelt. Alles um sie herum drehte sich. Es war, als wäre sie in einen Sturm geraten, dessen tosende Böen jegliche Regeln der Schwerkraft herausforderten und sie dabei durch Zeit und Raum katapultierten. Einen Augenblick lang musste sie an die Bestimmung der Karten denken, dann jedoch wurde sie von tiefster Dunkelheit umhüllt, welche ihr jegliche Sinne raubte. Ein Ruf durchdrang die Stille und ließ sie erneut zu sich kommen. Stöhnend richtete sich Lucy auf. Ihr Kopf dröhnte, und ein ungutes Gefühl quälte sie, während die Erinnerungen bruchstückhaft zurückkehrten. Verdammt, was war geschehen? Und wo um alles in der Welt befand sie sich? Sie schaute sich um, doch die Dunkelheit erschwerte ihr die Orientierung. Erneut hörte sie den Ruf einer vertrauten Stimme, dieses Mal jedoch eindringlicher. Sie kannte diese Stimme, wenngleich sie auf eine seltsame Weise verzerrt klang. »Alexa, bist du das?«, rief sie verängstigt nach ihrer Freundin. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und sie erkannte nun ein geräumiges Felsengewölbe, welches von spärlichem Fackellicht erhellt wurde. Die Wände waren mit sonderbaren Zeichen und Symbolen versehen, die ihr fremd waren. Auch erblickte sie verschiedene Zugänge, welche sich von dem Gewölbe abspalteten und ins tiefdunkle Ungewisse führten. Ihr schauderte beim Anblick dieses düsteren Ortes. Kälte und Feuchtigkeit drangen ihr bis ins Mark, die Luft roch modrig, während es von irgendwoher tropfte. Unwillkürlich musste sie an eine Gruft denken, und bei der Vorstellung, dass plötzlich ein Vampir auftauchen würde, lief es ihr kalt über den Rücken. »Lucy?«, hörte sie jetzt deutlich eine bekannte Stimme rufen. »Alexa?« Erleichtert atmete sie auf. »Wo bist du?« »Hier draußen. Komm, da drinnen ist es nicht sicher. Hier draußen wird es dir gefallen, jetzt mach schon!« Erst jetzt fiel Lucy die Lichtquelle auf, die unscheinbar aus einer Nische des Gewölbes drang. Rasch setzte sie sich in Bewegung. Vor einer massiven Rundbogentür, die einen Spaltbreit offen stand, blieb Lucy abrupt stehen und umklammerte unwillkürlich das Schutzamulett an ihrer Halskette, welches ihr Alexa geschenkt hatte. Beunruhigt musterte sie das unbekannte Symbol direkt über dem Durchgang, das aus runenartigen Zeichen zusammengesetzt war. Handelte es sich um ein Schutzsymbol? Aber was sollte es schützen und vor wem? Zwar war Lucy spirituell veranlagt und interessierte sich für Esoterik, weshalb sie oft liebevoll als kleine Hexe betitelt wurde, doch war Alexa die Expertin für alte Runen und antike Sprachen. Ob ihre Freundin das Symbol bemerkt hatte, als sie hinausgegangen war? Sie musste Alexa unbedingt danach fragen. Einen Moment lang zögerte Lucy, bevor sie die schwere Tür aufstieß. Sogleich wurde sie von grellem Tageslicht geblendet, das unangenehm in den Augen schmerzte. Daher nahm sie die Spitzen der schwarzen Dolche erst im Nachhinein wahr, welche aus der Innenmauer des Durchgangs ragten. Sie waren nicht sonderlich lang, jedoch erschienen sie äußerst scharfkantig und waren von einer kaum sichtbaren rötlichen Musterung durchzogen. Sollten sie nur abschrecken, oder hatten sie vielleicht noch eine weitere Funktion? Ein ungutes Gefühl breitete sich in Lucy aus, und sie meinte, dass ihr Schutzamulett, welches sie immer noch fest in ihrer Hand hielt, regelrecht zu glühen begann. Etwas in ihr schrie, nicht durch diese Tür zu gehen, doch die vertraute Stimme ihrer Freundin, die erneut nach ihr rief, gab Lucy den nötigen Mut, den Schritt hinaus zu wagen. Sie verwarf den Gedanken, dass die Dolche ebenso dazu gedacht sein konnten, jene zurückzuschrecken, die sich außerhalb des Höhlengewölbes befanden. Als Lucy hinaustrat, betrachtete sie überwältigt die Umgebung. Eine zauberhafte Landschaft bestehend aus Wiesen und blühenden Bäumen erstreckte sich vor ihr, verschiedene Schlösser waren zu erkennen und in der Ferne glitzerte das Meer. Genau so wurde doch die Anderswelt beschrieben! Die warme Luft war von Musik und heiterem Lachen erfüllt, wenngleich Lucy niemanden entdecken konnte. Niemanden, außer … »Alexa?« Mit dem Rücken zu ihr gekehrt stand die schwarzhaarige wenige Meter entfernt am Fuße der steinernen Stufen, die von dem Ausgang hinab in diese surreale Welt führten. »Ist es nicht wunderschön?«, hörte Lucy ihre Freundin fragen. »Ja, das ist es«, antwortete Lucy zögerlich. In ihrem Magen bildete sich ein ungutes Gefühl. So schön dies alles wirkte, irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Doch sie verdrängte ihre Bedenken und fragte: »Ist das wirklich die …?« »Anderswelt«, beendete Alexa den Satz. »Komm, lass sie uns erkunden!« Bevor Lucy protestieren konnte, rannte die Schwarzhaarige auch schon los. »Alexa, jetzt warte doch! Vielleicht sollten wir erst einmal über das, was passiert ist, reden und vorsichtig sein.« Doch ihr Einwand blieb zwecklos, denn die andere Frau entfernte sich schnellen Schrittes, ohne auf Lucys Worte zu reagieren. Lucy schnaubte, setzte sich dann aber ebenfalls in Bewegung, wenngleich sie sich ein wenig über das Verhalten ihrer Freundin wunderte. Alexa war doch sonst nicht so übermütig, ganz im Gegenteil. Aber gut, vermutlich lag es an diesem Ort, der womöglich ihre Sinne beeinflusste, sodass Lucy dieses Mal den Part der Misstrauischen übernahm und Augen und Ohren offen halten würde. * Mit einem Stöhnen kam Alexa wieder zu sich und richtete sich auf. Sie blinzelte und erschrak, als sie den Ort erkannte. Nein, das durfte nicht sein! SIE durfte nicht hier sein! Man hatte sie ausgetrickst, aber wie? Allmählich wurden ihre Gedanken klarer, und dann dämmerte es ihr: Die Fruchtsektflasche! Sie war keine gewöhnliche Flasche gewesen, sondern ein Transferobjekt, welches an besonderen Tagen wie Samhain sämtliche Barrieren aufhob. Dadurch konnte Lucy mit dem Flaschenöffner durch den Laptop-Bildschirm zu ihr dringen, und als sie die Flasche geöffnet hatte, waren sie in diesen Vorhof zur Hölle katapultiert worden. Eigentlich kam nur einer infrage, der ihr die Fruchtsektflasche untergejubelt haben konnte. Solch eine teuflische Aktion war nur Iblis zuzutrauen. Nur er war dazu imstande, Objekte wie die Sektflasche mit seiner dunklen Macht zu beeinflussen. Er stammte vom Teufel persönlich ab, welcher seine Mutter einst verführte. Sie schenkte dem Teufel ihre Seele und im Gegenzug erhielt sie besondere Fähigkeiten. Sie verwandelte sich daraufhin in ein seelenloses Monster, das nach Blut gierte und schließlich in die Hölle verbannt wurde. Iblis würde alles dafür tun, um seine Mutter und ihre netten Freunde zu befreien. Iblis, der sich unter den Menschen versteckte und dessen Ziel es war, die Höllentore zu öffnen. Alexa seufzte verärgert. Sie durften auf keinen Fall diesen Vorhof verlassen – da draußen war es nicht sicher! Und wo steckte Lucy überhaupt? Auch sie war mit der Flasche in Berührung gekommen, folglich musste sie hier sein. Besorgt blickte Alexa auf die Tür, welche sperrangelweit offen stand. War Lucy etwa durchs Portal gegangen? Dort draußen hatten alle Schutzmaßnahmen keine Wirkung mehr! Alexas Puls beschleunigte sich bei diesem Gedanken, während ihr Blick sich auf das Symbol über dem Torbogen richtete. Ein Symbol, welches vor dem, was hinter der Tür lauerte, warnte und dafür sorgte, dass nichts entkommen würde – zumindest nicht so lange, bis jemand den Schutzschild deaktivierte. Verflucht! Ob sie wollte oder nicht, sie musste sich den Gefahren dort draußen stellen und Lucy finden, bevor es jemand anders tun würde. * »Nun komm schon, beeil dich!«, drängte die Schwarzhaarige. Immer noch lief sie vorneweg und gab Lucy nicht die Möglichkeit, aufzuholen. Lucys innere Unruhe hatte stetig zugenommen. Die idyllische Landschaft schien auf eine beunruhigende Weise zu verblassen, der Himmel hatte sich mittlerweile blutrot gefärbt und erschien wie ein schlechtes Omen. Die Musik war verstummt, genauso wie die heiteren Stimmen. Eine unangenehme, ja beinahe bedrohliche Stille war dafür eingetreten. Dort, wo bis vor Kurzem noch saftiges Gras gewachsen war, war der Boden nun kahl, verkohlt und mit einer grauen Rußschicht überzogen. An manchen Stellen drangen heiße, schweflige Gase empor, und unter der Erde schien etwas zu brodeln. Und diese unheimliche Veränderung setzte sich fort. Wo zuvor noch blühende Bäume gestanden hatten, ragten nun schwarze Baumskelette gespenstisch in den Himmel. Auch von den glänzenden Palästen war nichts mehr zu erkennen. Hatte es all dies überhaupt gegeben? War dies wirklich die Anderswelt? Alarmiert warf Lucy einen Blick zurück, doch eine hohe, dunkle Nebelmauer, die sich ringsherum zu verdichten schien, nahm ihr komplett die Sicht. Und da war noch etwas: huschende, raschelnde Bewegungen in unmittelbarer Nähe. Etwas war dort, verborgen im Nebel, etwas, das sich...