Fuller | Eine englische Ehe | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Fuller Eine englische Ehe

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-97613-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-492-97613-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eigentlich hatte sie andere Pläne. Ein selbstbestimmtes Leben, Reisen, vielleicht eine Karriere als Schriftstellerin. Doch als sich Ingrid in ihren Literaturprofessor Gil Coleman verliebt und von ihm schwanger wird, wirft sie für ihn all dies über Bord. Gil liebt seine junge Frau, und dennoch betrügt er sie, lässt sie viel zu oft mit den Kindern allein. In ihren schlaflosen Nächten beginnt sie, Gil heimlich Briefe zu schreiben. Statt ihm ihre innersten Gedanken anzuvertrauen, steckt sie ihre Briefe in die Bücher seiner Bibliothek und verschwindet schließlich auf rätselhafte Weise. Zwölf Jahre späterglaubt Gil, seine Frau in dem kleinen Ort an der englischen Küste wieder gesehen zu haben - und ihre gemeinsame Tochter Flora, hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, beginnt nach Antworten zu suchen, ohne zu ahnen, dass sie nur die Bücher ihres Vaters aufschlagen müsste, um sie zu erhalten ...

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1 Das Klingeln weckte Flora aus tiefem Schlaf. Neben ihr lag Richard mit einem Kissen auf dem Kopf, und sie kletterte über ihn hinweg in das kalte, düstere Zimmer. Sie stieg über das Durcheinander von Klamotten, leeren Flaschen und schmutzigen Tellern auf dem Fußboden, nahm eine alte Tischdecke vom Sofa, mit der sie die Fettflecken darauf abdeckte, die vom vorigen Mieter stammten, und warf sie sich über die Schultern. Das Klingeln hörte auf. Flora seufzte, und als sie ausgeatmet hatte, fing es wieder an. Sie ortete das Klingeln und wühlte in dem Kleiderberg, bis sie ihre Jeans fand, in der ihr Mobiltelefon steckte. Nan, stand auf dem Display. Richard drehte sich mit einem Stöhnen um, und Flora ging ins Bad. »Nan?«, sagte sie. Sie zog an der Schnur für das Licht und zuckte bei dem hellen Schein zusammen. »Hallo? Flora!« »Oh, entschuldige bitte«, sagte Flora. »Ich hätte anrufen sollen. Herzlichen Glückwunsch nachträglich.« »Danke«, sagte Nan, »aber das ist nicht der Grund, warum ich anrufe.« Ihre Stimme klang angespannt, besorgt, und in Floras Magen regte sich ein Tier. »Ist was passiert?« Floras Stimme war ein Flüstern. Sie hockte sich auf den Fußboden und schob sich zwischen Badewanne und Waschbeckenfuß an die Wand. Aus der Nähe betrachtet, verwandelten sich die gestickten Kringel und Strudel auf der Tischdecke in silberblaue Fische, die über ihre Knie schwammen. »Was?«, sagte Nan. »Ich kann dich nicht richtig verstehen. Der Empfang ist furchtbar. Flora? Hallo?« Nans Stimme war zu laut. »Es ist wegen Dad«, rief sie. »Wegen Daddy?«, sagte Flora, und sofort entstanden in ihrem Kopf verschiedene Schreckensbilder. »Es gibt keinen unmittelbaren Grund zur Sorge, aber …« »Was?« »Er hatte einen Unfall.« »Was für einen Unfall? Wo? Wann?« »Ich kann dich nicht hören«, sagte Nan. Flora stand auf, stieg in die Badewanne und öffnete das Fenster zu dem Schacht unterhalb des Gehwegs. Draußen war es dunkel, was Flora verwirrend fand. Ein Windstoß fuhr durchs Fenster, über ihr schwankten die Formen der Bäume und Büsche. »Ist es besser so?« »Ja, besser«, sagte Nan immer noch mit lauter Stimme. »Dad ist von der Promenade in Hadleigh auf die Felsen gefallen. Platzwunden, blaue Flecke, vielleicht eine Gehirnerschütterung, Handgelenk verstaucht. Nichts Ernstes …« »Nichts Ernstes – meinst du wirklich? Soll ich besser kommen?« »… vielleicht ist er auch gesprungen«, sagte Nan weiter. »Gesprungen?« »Nein, jetzt nicht.« »Von der Promenade?« »Flora, musst du alles, was ich sage, wiederholen?« »Dann erzähl mir doch, was passiert ist.« »Bist du betrunken?« »Natürlich nicht«, sagte sie, aber möglicherweise war sie es noch. »Oder bekifft? Bist du bekifft?« Flora musste lachen. »Heute sagt niemand mehr bekifft, Nan. Man sagt high.« »Also – bist du high?« »Ich habe geschlafen«, sagte Flora. »Erzähl! Was ist passiert?« »Habe ich dich geweckt? Es ist Abend, halb zehn am Abend, meine Güte.« Nan klang entrüstet. »Am Abend?«, sagte Flora. »Es ist nicht Morgen?« Nan machte ein missbilligendes Geräusch, und Flora sah vor sich, wie ihre Schwester den Kopf schüttelte. »Ich war die ganze Nacht auf«, sagte Flora. Sie würde Nan ganz sicher nicht erzählen, dass sie und Richard die letzten zwei Tage im Bett verbracht hatten. Dass sie sich zweimal Jeans und Pullover angezogen hatte, zu dem Laden in der Stockbridge Road gelaufen war und zwei Flaschen Wein, ein Stück blassen Cheddar, eine Tüte geschnittenes Weißbrot, Bohnen in Tomatensoße und Schokolade gekauft hatte. Richard hatte angeboten zu gehen, aber Flora hatte ein paar Minuten ohne ihn sein wollen. Sobald sie zurück war und die Tür zu der Wohnung im Souterrain hinter sich geschlossen hatte, legte sie den Beutel hin, zog die Jeans aus und kroch wieder zu ihm ins Bett. »Und was hast du gemacht?«, sagte Nan. »Oh Flora, bist du spät dran für einen Abgabetermin?« »Bist du im Krankenhaus? Kann ich mit ihm sprechen?« »Er schläft. Aber ich wollte noch etwas sagen.« Ihre Schwester schniefte und schien sich die Nase zu putzen, dann atmete sie tief ein. »Er hat mir erzählt, er habe Mum vor der Buchhandlung in Hadleigh gesehen, in seinem alten Militärmantel, der, in dem du früher Verkleiden gespielt hast, und dass er bis zur Mole hinter ihr hergegangen sei.« Adrenalin rauschte wie eine Welle durch Flora hindurch, von ihrer Körpermitte in alle Glieder, die Fingerspitzen, den Kopf. »Mum? In Hadleigh?« Plötzlich konnte sie Kokosnuss riechen, einen Geruch, der für sie mit der Farbe goldgelben Honigs verbunden war, süß und sauber zwischen den Dornen und den welken Blüten des Ginsters. »Er hat sie natürlich nicht gesehen«, sagte Nan. »Er glaubt, er hat sie gesehen. Wahrscheinlich hat es mit seinem Alter zu tun oder mit der Gehirnerschütterung.« »Ja«, flüsterte Flora. Der Wind sprühte Regentropfen über sie, und sie duckte sich und lehnte sich gleichzeitig zum Fenster hin, um die Verbindung nicht zu verlieren. »Flora? Bist du noch da?«, sagte Nan an ihrem Ohr. »Noch da«, sagte Flora. »Ich komme zum Krankenhaus. Ich packe meine Tasche und nehme den nächsten Zug.« »Nein, tu das lieber nicht. Dad schläft gerade. Ich hatte gehofft, sie würden ihn heute Abend noch entlassen, aber dafür ist es jetzt zu spät. Er wird erst morgen entlassen, wenn jemand von der psychologischen Abteilung bei ihm gewesen ist.« »Von der psychologischen Abteilung? Was hat er denn?« »Flora, beruhige dich. Sie wollen einfach ein paar Dinge ausschließen können. Wahrscheinlich ist es ein Harnwegsinfekt. Komm lieber morgen. Wir treffen uns zu Hause, dann können wir alles bereden.« Der Swimming Pavilion: ihr Zuhause. Sie beide nannten es noch so, obwohl sie dort nicht mehr wohnten. »Ich will ihn sehen.« »Das kannst du auch, morgen. Denk dran, dass du die Zeiten für die Fähre nachguckst. Nicht, dass du wieder nicht rüberkommst, wie letztes Mal.« Flora hatte vergessen, dass ihre Schwester die irritierende Angewohnheit hatte, an alles zu denken, was nötig war. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, legte Flora ihr Mobiltelefon auf den Rand des Waschbeckens und putzte sich die Zähne. Als sie sich umdrehte, gab sie ihm versehentlich einen Stoß, und es fiel mit einem Plumps in die Toilette. Im Zimmer – Küche, Schlafzimmer und Wohnzimmer in einem – brannte Licht, aber Richard, der zwischendurch aufgestanden sein musste, lag wieder im Bett und hatte die Augen geschlossen. Die schmutzigen Teller, die auf dem Boden gestanden hatten, waren jetzt auf dem Tisch gestapelt, und die Essensreste waren in den Mülleimer gekratzt worden. Flora fand im Küchenschrank eine Packung Curryreis, in die sie ihr Mobiltelefon legte. Sie setzte sich aufs Sofa und versuchte sich ihren Vater vorzustellen, wie er verletzt und zerschunden in einem Bett im Krankenhaus lag. Aber sie konnte ihn nur drahtig und braun gebrannt sehen, wie er neben ihr durch die Heide lief oder wenn er ihr ein Buch zeigte, das er gefunden hatte. Sie dachte an ihre Mutter, die in diesem Moment durch Hadleigh streifte oder in einem Laden, einem Pub oder einem Café saß. Ihre Hände begannen zu zittern, und das Tier in ihrem Magen machte einen Satz. Doch dann wurde ihr bewusst, dass ihre Mutter nicht in Hadleigh wäre – sie würde zu Hause auf sie warten. Flora betrachtete den schlafenden Richard. Im Zimmer war von dem Wind und dem Regen nichts zu hören. Das Licht der Glühbirne schien ihm ins Gesicht, und er sah ohne Brille anders aus, nicht nur jünger, sondern auch ausdrucksloser, weniger geformt. Sie kniete sich neben ihn und tastete unter dem Bett nach ihrem Koffer. »Wer war das?«, fragte Richard und öffnete ein Auge. »Niemand«, sagte Flora und zog an etwas, das, so hoffte sie, der Griff war. »Warum hast du das da an? Ist das nicht eine Tischdecke? Du musst halb erfroren sein. Komm wieder ins Bett.« Er hob die Bettdecke, sodass sein Körper zu sehen war. »Ach«, sagte sie. »Das hatte ich ganz vergessen.« »Was?« Richard verdrehte den Kopf und starrte auf seinen Körper. Mit der freien Hand tastete er in dem offenen Fach des Nachttischs nach seiner Brille. Als er sie aufsetzte, machte er ein gespielt überraschtes Geräusch. Zwischen den braunen Haaren, die auf seiner Brust wuchsen und sich zu seinem Bauchnabel hinunterzogen, war eine anatomische Zeichnung seines Skeletts und seiner inneren Organe – Rippen, Brustbein, Schlüsselbein und der Anfang der Hüftknochen, die aufgerollte Schlange seines Darms – zu sehen, alles mit wasserfestem schwarzen Filzstift gezeichnet. »Du musst wieder ins Bett kommen.« Er lehnte sich vor und zog sie zu sich. »Ich habe weder Arme noch Beine. Du musst die Zeichnung fertig machen, sonst kann ich nicht zur Arbeit gehen.« Er lächelte. »Weißt du eigentlich, dass es halb zehn ist?«, fragte Flora. Sie zog wieder an dem Koffergriff und fiel rückwärts auf den Teppich. »Halb zehn? Morgens?« Richard deckte sich wieder zu. »Nein, abends«, sagte Flora. Richard tastete wieder im Fach des Nachttischs. Diesmal fand er sein Mobiltelefon, das ins Ladegerät eingestöpselt war, und Flora ärgerte sich einen Moment lang, denn nicht nur hatte Richard daran gedacht, sein Telefon aufzuladen, er hatte es vernünftigerweise auch an einen sicheren Ort gelegt. Er stieß einen langen Pfiff aus. »Halb zehn. Vielleicht ist es halb zehn einen Tag später, und wir haben den ganzen Samstag...


Höbel, Susanne
Susanne Höbel übersetzt seit gut fünfundzwanzig Jahren aus dem Englischen, darunter Werke von Nadine Gordimer, John Updike, Thomas Wolfe, Claire Fuller und Graham Swift. Sie lebt in Südengland.

Fuller, Claire
Claire Fuller lebt mit ihrem Mann in Winchester, England, und hat zwei erwachsene Kinder. Für ihren späten Debütroman »Our Endless Numbered Days« erhielt sie viel Kritikerlob und wurde mit dem Desmond Elliot Award ausgezeichnet. Nach »Eine englische Ehe« erscheint mit »Bittere Orangen« ihr zweiter Roman auf deutsch.

Claire Fuller lebt mit ihrem Mann in Winchester, England, und hat zwei erwachsene Kinder. Für ihren späten Debütroman "Our Endless Numbered Days" wurde sie mit Kritikerlob überschüttet und dem Desmond Elliot Award ausgezeichnet sowie als "Richard & Judy Book Club"-Empfehlung ausgewählt. "Eine englische Ehe" ist ihr zweiter Roman und wurde wie schon ihr Debüt in mehr als 10 Sprachen lizensiert.



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