Futscher | Statt einer Mütze trug ich eine Wolke | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Futscher Statt einer Mütze trug ich eine Wolke

Roman
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7076-0757-4
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-7076-0757-4
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit feinem Humor, aber auch mit einem melancholischen Blick erkundet Christian Futscher einmal mehr die Absurditäten des Lebens. In seinem neuen Buch erzählt der Autor Episoden aus dem Leben einer kleinen, bunt zusammengewu?rfelten Freundesgruppe. Gemeinsam reisen sie nach Tunesien, Paris oder England und durchleben so manche Höhen und Tiefen des Lebens. Einprägsame Ereignisse reihen sich an komische Augenblicke, Abstu?rze an Höhenflu?ge und Vergangenes an Zuku?nftiges. In einer Mischung aus lyrischen Passagen und kurzen Geschichten fu?gen sich die Episoden zu einem stimmigen Gesamtbild. Und so stolpert man beim Lesen von einer Erzählung in die nächste, bis die Grenzen zwischen Wahrheit und Fantasie verschwimmen. »Statt einer Mu?tze trug ich eine Wolke« gibt zwischen all den Tiefen aber auch immer wieder Hoffnung auf einen neuen Höhenflug im Leben.

Christian Futscher, geboren 1960 in Feldkirch, Studium der Germanistik, lebt seit 1986 in Wien, wo er u. a. Pächter eines Stadtheurigen war. 1998 erfolglose Teilnahme beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, dafu?r 2006 Publikumspreis bei der »Nacht der schlechten Texte« in Villach. 2008 Gewinner des Dresdner Lyrikpreises. 2014 österr.-ungarisches Austauschstipendium. Seit 2010 Verfassen von Schulhausromanen mit Schulklassen. 2015 Aufenthaltsstipendium in Schloss Wartholz und 2016 in Winterthur.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Das Lied


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HENRY MILLER

Ich war also in Tunesien … Ich weiß nicht, wie oft ich diese Geschichte schon erzählt habe, meist mit großem Erfolg. Der Urlaub in Tunesien, sage ich gern, war der schlimmste Urlaub meines Lebens. Er fand vor langer Zeit statt, einer Zeit, in der ich noch unangekündigte Besuche bekam.

Meine Auslandsaufenthalte außerhalb Europas halten sich in Grenzen. Ich gehöre nicht zu den Weltenbummlern, die die Kontinente unsicher machen, eher zu den Stubenhockern, die mit dem berühmten Finger auf der Landkarte verreisen. Es hat sich nicht ergeben, könnte ich sagen. Wahrscheinlich war ich einfach zu träge und zu feige, zu wenig neugierig und abenteuerlustig. Aber ein Hauptgrund, warum ich nicht gern verreise, ist wahrscheinlich das Trauma, das ich in England erlebte, als ich 15 Jahre alt war.

Meine Eltern schickten mich auf Sprachferien, mein Englisch sollte verbessert werden. Ich war in der südenglischen Stadt Worthing in Sussex bei einem jungen Ehepaar untergebracht, die beiden waren gerade Eltern geworden. Er war ein sportlicher Typ, sie ein biederes Hausmütterchen. Bei ihrem Anblick war ich schwer enttäuscht, hatte ich doch von einer Gastmutter mit dem Aussehen eines britischen Popstars geträumt, sie hätte mindestens so aussehen sollen wie Suzi Quatro, die ich für eine Britin hielt, die sie nicht war.

Am Vormittag gab es Sprachunterricht in der Gruppe, an den Nachmittagen hatte ich meistens frei, außer wir machten Ausflüge oder unternahmen sonst etwas gemeinsam. Ich wäre damals gern nach Weston Supermare gefahren, einem Ort in der Nähe, von dem ich wusste, dass Ritchie Blackmore dort aufgewachsen war. Ritchie Blackmore war der Gitarrist der Band Deep Purple, meiner damaligen Idole. Ich habe ihn verehrt, was ich heute kaum mehr nachvollziehen kann. Ich wollte Ritchie Blackmores Elternhaus finden, die Straßen abgehen, in denen er als Kind und Jugendlicher herumgestreunt war, aber ich schaffte es nicht einmal bis Weston Supermare. Heute nimmt Herr Blackmore im Knappenkostüm an kitschigen Ritterspielen teil, die er mit melodiösem Gitarrenspiel untermalt. Seine junge blonde Frau, als Burgfräulein verkleidet, trällert süße Liedchen dazu. Im Nachhinein gesehen war es gut, dass ich es nicht bis Weston Supermare geschafft habe.

Ich war immer gut im Träumen, der Traum genügte mir, die Verwirklichung war letztlich nicht mehr wichtig. Ein paar Jahre war ich mit einer Frau zusammen, die mir in dieser Hinsicht ähnlich war. Sie nahm sich immer wieder vor, größere Reisen zu unternehmen – ich erinnere mich an Ghana, Alaska und Island –, schaffte es aber nur, sich Reiseführer für die entsprechenden Länder zu kaufen. Für Ghana sogar zwei Mal den gleichen. Sie las in den Büchern über ihre Reiseziele, die Vorfreude war groß, und irgendwann hatte sie das Gefühl, schon dort gewesen zu sein. Unsere Beziehung ging in die Brüche, nachdem mir klar geworden war, dass sie mir meinen größten Wunsch nie erfüllen würde. Sie hieß Lisa und war mit von der Partie bei dieser unseligen Geschichte in Tunesien, von der ich erzählen will.

Ich hatte einen Freund, bei dem lagen zu Hause auf dem WC Atlanten und Reisebücher. Seine Sitzungen dauerten oft lange. Im Gegensatz zu mir unternahm er immer wieder größere Reisen, oft in den asiatischen Raum, wo ihm das Essen besonders gut schmeckte und er es deshalb gern fotografierte. Mir war Asien immer ein Rätsel, das wird es auch bleiben, ebenso wie Nordamerika, Südamerika, Australien, Afrika, Ozeanien, Antarktika und große Teile Europas. Der Freund ist inzwischen gestorben. Er krachte in einer schwarzen Nacht im Vollrausch durch eine Glasscheibe, was ihm schwere Kopf- und Halsverletzungen zufügte. Am Morgen alarmierten Nachbarn wegen der Blutspuren im Stiegenhaus, die zu seiner Wohnungstür führten, Polizei und Rettung, aber die konnten nur noch seinen Tod feststellen, das Ende vom Lied. Er war ein liebenswürdiger, blitzgescheiter Mann, hatte aber wie so viele ein Alkoholproblem. Er behauptete immer, er trinke aus Lebensfreude. Bei seiner Verbrennung im Krematorium wurde ein Lied gespielt, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob er damit einverstanden gewesen wäre, eine Schnulze, gesungen von einem Mann, der über 300 kg wog. Gewisse Dinge sollte man vor seinem Tod erledigen, sonst eben Schnulze. Ich habe den Freund übrigens nie ein Lied singen hören. Vielleicht frage ich in Zukunft alle nach einem Lied, das sie singen würden, falls man im Ausland von ihnen verlangt, ein Lied aus ihrer Heimat zu singen.

Wenn ich die Tunesien-Geschichte erzähle, muss ich auch die Tunesien-Vorgeschichte erzählen, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass ich nach Tunesien kam. Und wenn ich diese Tunesien-Vorgeschichte erzähle, in der eine Frau eine wichtige Rolle spielt, erzähle ich auch meistens eine andere Geschichte, die sich Jahre vorher zugetragen hat.

Ich war also in Tunesien. Nicht, dass ich mir dieses Reiseziel selbst ausgesucht hätte, sondern ich kam dazu, weil die Mutter meines damals besten Freundes einmal zusammen mit ihrem Sohn Urlaub machen wollte.

Die Frau, eine alleinerziehende Mutter, wollte mit ihrem Sohn eine Reise unternehmen, aber der Sohn weigerte sich. Sie hatte nur diesen einen Sohn, er war ein Einzelkind, vom Vater weiß ich nichts. Er trat jedenfalls nie in Erscheinung, hat meines Wissens nie mit der Mutter zusammengelebt. Der Sohn wollte partout nicht mit seiner Mutter verreisen, also überlegte sie sich Folgendes: Wenn ich nicht nur meinen Sohn zu der Reise einlade, sondern auch seine Freundin, fährt er eventuell mit mir auf Urlaub. Sie unterbreitete ihrem Sohn diesen Vorschlag, doch der Sohn blieb hart. Nein, keine Chance, er denke nicht daran, mit ihr wegzufahren. Da überlegte sie weiter: Was ist, wenn ich auch seinen besten Freund einlade? Und wenn ich den einlade, muss ich auch dessen Freundin einladen. Also schlug sie vor: Fährst du mit mir auf Urlaub, wenn ich dich, deine Freundin, deinen besten Freund und dessen Freundin einlade? Jetzt wurde der Sohn schwach und stimmte der Reise zu. So kam ich nach Tunesien.

Ich habe damals viel gearbeitet, zeitweise von morgens bis Mitternacht, in drei verschiedenen Berufen: in einer Tischlerei, im Gastgewerbe und im Lager eines großen Betriebes. Untertags war ich als Lagerarbeiter tätig, ab dem späten Nachmittag entweder als Kellner im Lokal oder als Hilfsarbeiter in der Tischlerei.

Der Urlaub in Tunesien kam mir jedenfalls gerade recht. Die Flüge und die erste Woche bezahlte die Mutter meines Freundes, die zweite Woche mussten wir selber bezahlen, eine lächerliche Summe. In der ersten Woche war eine Rundreise angesagt, die zweite Woche verbrachten wir in einem Hotel am Meer. hieß es, den Namen werde ich nie vergessen.

In der zweiten Woche wollte die Mutter des Freundes, der Karl hieß, von uns aber nur Carlo genannt wurde, nicht mehr dabei sein, was uns nicht traurig machte. Sie war eine liebenswürdige und gebildete Frau, die aber auch recht anstrengend werden konnte. Sie hatte eine andere Vorstellung davon, wie man leben und sich benehmen sollte, als ein lebenshungriger, junger Mensch, und ihr zuzuhören, wenn sie einmal ins Philosophieren gekommen war, tat manchmal richtig weh, nicht nur in den Ohren. Sie hat ihren Karl um viele Jahre überlebt und ist im Gegensatz zu ihm eines natürlichen Todes gestorben.

Carlos Mutter, Maria hieß sie, lebte allein in einem Einfamilienhaus, das nach ihren Vorstellungen gebaut worden war. Sie hatte eine Zugehfrau, die fünf Mal die Woche kam, um aufzuräumen, zu putzen, zu waschen und das Mittagessen zu kochen.

Sie hieß Frau Nowatschek, war eine einfache Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden stand und sich kein Blatt vor den Mund nahm. Sie hatte Knieprobleme, extreme O-Beine, Schmerzen im Rücken, Kopfweh, Schlafstörungen, aber sonst war sie von unerschütterlicher Gesundheit trotz hohen Alters. Sie war vielleicht Mitte 60, was damals für mich ein hohes Alter war. Ihre Frisur ist mir auch noch in Erinnerung: Sie hatte einen geflochtenen Haarkranz auf ihrem breiten, massigen Kopf, einen kreisförmig auf den Schädel gedrückten Zopf. Die gute Frau Nowatschek! Fleißig, tüchtig, aber mit einem dunklen Geheimnis, das sie mir einmal verriet. Statt sollte ich vielleicht lieber sagen, das trifft es besser. Ich habe ihr versprochen, das Geheimnis niemandem zu verraten, aber da auch sie schon lange tot ist …

Es stimmt nicht ganz, dass die Mutter von Carlo allein in ihrem Haus lebte, denn sie vermietete immer wieder ein Zimmer an Studentinnen und Studenten, am liebsten an solche aus der Verwandtschaft, aber auch an Freunde ihres Sohnes. Ich wohnte ebenfalls einige Monate in dem Haus, so habe ich auch Frau Nowatschek näher kennengelernt. Die Miete für den besten Freund ihres Sohnes war lächerlich gering, eher eine Formsache. Frau Maria war froh, dass sie nicht...



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