E-Book, Deutsch, 412 Seiten
Gaiman Zerbrechliche Dinge
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7325-7189-5
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Geschichten und Wunder
E-Book, Deutsch, 412 Seiten
ISBN: 978-3-7325-7189-5
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Magie von Geschichten zieht sich wie ein roter Faden durch Neil Gaimans Werk. So auch durch diese Kollektion von Erzählungen und Gedichten, in der ein mysteriöser Zirkus sein Publikum in Angst und Schrecken versetzt, Sherlock Holmes in einem seltsam verzerrten viktorianischen England einen royalen Mord aufklären muss oder eine Gruppe von Feinschmeckern nach der letzten ungekosteten Gaumenfreude forscht. Neil Gaimans erzählerisches Genie und sein beängstigend unterhaltsamer Sinn für schwarzen Humor machen diese Sammlung zu einer Geschenkbox voller Zauber.
Neil Gaiman hat über 40 Bücher geschrieben, darunter Romane, Drehbücher und Comics, und ist mit fast jedem namhaften Preis ausgezeichnet worden, der in der englischen und amerikanischen Literatur- und Comicszene existiert. Geboren und aufgewachsen ist er in England. Inzwischen lebt er in Cambridge, Massachusetts, und träumt von einer unendlichen Bibliothek.
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EINE EINFÜHRUNG
Ins Deutsche übertragen von Ruggero Leò »Ich glaube … ich würde mich lieber an ein Leben erinnern, das ich mit zerbrechlichen Dingen vergeudet habe, statt damit, moralische Verpflichtungen zu meiden.« Diese Worte kamen mir in einem Traum, und nach dem Aufwachen schrieb ich sie auf, ohne zu wissen, was sie bedeuteten oder auf wen sie zutrafen. Vor etwa acht Jahren wollte ich die in diesem Buch vereinten Erzählungen und Fantasien eigentlich als Kurzgeschichtensammlung herausgeben. Sie sollte den Titel Diese Leute sollten doch wissen, wer wir sind, und merken, dass wir hier sind! tragen, nach der Sprechblase eines Little-Nemo-Comicstrips aus einer Sonntagszeitung (es gibt eine wunderschöne nachkolorierte Fassung der Seite in Art Spiegelmans Buch Im Schatten keiner Türme). Jede Geschichte sollte ihren eigenen zwielichtigen, unzuverlässigen Erzähler haben, der uns seinen Lebensweg schildert, uns mitteilt, wer er ist und dass er in vergangenen Tagen ebenfalls hier war. Ein Dutzend Menschen, ein Dutzend Geschichten. Das war die Idee. Dann kam mir das Leben dazwischen und machte sie zunichte, denn ich schrieb die Kurzgeschichten, die in dieser Ausgabe vereint sind und von denen jede ihre passende Erzählform erhielt. Manche beleuchten Lebensgeschichten aus der Ich-Perspektive, andere hingegen tun das nicht. Eine Geschichte weigerte sich, Gestalt anzunehmen, bis ich beschloss, die Monate des Jahres zum Erzähler zu küren, andere wiederum nahmen kleine, effiziente Eingriffe an der Identität des Erzählers vor, sodass ich sie schließlich in der dritten Person verfassen musste. Am Ende vereinte ich das Material für die vorliegende Ausgabe und rätselte darüber, wie ich das Werk nennen sollte, nun, da der ursprüngliche Titel nicht mehr passend erschien. Zu diesem Zeitpunkt kam die CD As Smart As We Are von One Ring Zero heraus, auf der die Band die Zeilen singt, die ich aus meinem Traum mitgebracht hatte, und ich fragte mich, was ich wohl mit »zerbrechlichen Dingen« gemeint hatte. Und dann kam es mir wie ein toller Titel für ein Buch mit Kurzgeschichten vor. Immerhin gibt es so viele zerbrechliche Dinge. Menschen zerbrechen nur allzu leicht, und das gilt auch für Träume und Herzen. EINE STUDIE IN SMARAGDGRÜN
Diese Erzählung schrieb ich für die Anthologie Schatten über Baker Street, die mein Freund Michael Reaves mit John Pelan herausgab. Michaels Anweisung lautete: »Ich will eine Geschichte, in der Sherlock Holmes in die Welt von H. P. Lovecraft eintaucht.« Ich willigte zwar ein, ein Abenteuer beizusteuern, hegte jedoch den Verdacht, dass das Setting wenig verheißungsvoll war: Immerhin ist die Welt von Sherlock Holmes höchst rational und ergötzt sich am Lösen von Rätseln, wohingegen Lovecrafts literarische Schöpfung das gänzlich Irrationale in den Vordergrund rückt, eine Welt, in der Geheimnisse zwingend nötig sind, damit die Menschheit nicht den Verstand verliert. Wenn ich eine Geschichte schreiben wollte, die diese beiden Elemente vereint, musste ich einen spannenden Ansatz finden, der sowohl Lovecraft als auch Sir Arthur Conan Doyle gerecht würde. Als Junge begeisterten mich die Wold-Newton-Geschichten von Philip José Farmer, in denen er Dutzende verschiedene Romanfiguren in eine stimmige Welt setzt. Mit großem Vergnügen beobachtete ich, wie meine Freunde Kim Newman und Alan Moore ihre eigenen Welten in der Tradition von Wold Newton schufen, der eine in den Anno-Dracula-Romanen, der andere mit seiner Liga der außergewöhnlichen Gentlemen. Es sah aus, als würde es Spaß machen. Ich fragte mich, ob ich mich an so etwas versuchen sollte. Als ich die ersten Zeilen schrieb, hatte ich die Zutaten der Geschichte im Hinterkopf bereits auf eine Weise kombiniert, die mir besser gefiel als zunächst erhofft. (Ein Buch zu schreiben lässt sich in vielerlei Hinsicht mit Backen vergleichen. Manchmal geht der Kuchen nicht auf, ganz gleich was du tust, und ab und zu ist er viel köstlicher als in deinen kühnsten Träumen.) Eine Studie in Smaragdgrün gewann im August 2004 den Hugo Award in der Kategorie »Beste Kurzgeschichte«, worauf ich bis heute sehr stolz bin. Zudem spielte die Geschichte eine tragende Rolle dabei, dass ich mich im Jahr darauf auf geheimnisvolle Weise in der Literaturgesellschaft der Baker Street Irregulars wiederfand. DER FEENTANZ
Kein bemerkenswertes Gedicht, wirklich nicht, aber es macht großen Spaß, es laut vorzulesen. OKTOBER HAT DEN VORSITZ
Geschrieben für Peter Straub, Mitherausgeber der bemerkenswerten Conjunctions-Ausgabe. Das Ganze nahm einige Jahre zuvor seinen Anfang, auf einer Convention in Madison, Wisconsin, auf der Harlan Ellison mich bat, mit ihm eine Kurzgeschichte zu schreiben. Wir saßen hinter einer Seilabsperrung, Harlan an seiner Schreibmaschine, ich an meinem Laptop. Ehe wir uns ans Werk machten, musste Harlan ein Vorwort vollenden, und während er dies tat, verfasste ich die ersten Zeilen für Oktober hat den Vorsitz und zeigte sie ihm. »Nö. Liest sich wie eine Neil-Gaiman-Story«, sagte er. (Also legte ich sie beiseite und schrieb eine neue Geschichte, an der Harlan und ich seither immer wieder arbeiten. Jedes Mal, wenn wir uns treffen und daran feilen, wird sie bizarrerweise kürzer.) So hatte ich also einen unvollendeten Text auf der Festplatte. Einige Jahre später lud mich Peter ein, für Conjunctions zu schreiben. Ich wollte eine Geschichte über einen toten und einen lebenden Jungen erzählen, als eine Art Trockenübung für ein Kinderbuch, das mir vorschwebte (es heißt Das Graveyard-Buch, und ich arbeite gerade daran). Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, wie die Geschichte funktionierte, und als sie fertig war, widmete ich sie Ray Bradbury, der sie viel besser hinbekommen hätte als ich. 2003 gewann sie den Locus Award in der Kategorie »Beste Kurzgeschichte«. DIE VERBORGENE KAMMER
Nahm ihren Anfang mit der Anfrage zweier Herausgeberinnen – den beiden Nancys Kilpatrick und Holder –, die etwas im »Gothic«-Stil für ihre Anthologie Outsiders haben wollten. Die Geschichte von Blaubart in all seinen Varianten ist für mich das, was »Gothic« am nächsten kommt, daher schrieb ich ein Blaubart-Gedicht, das in dem fast leeren Haus spielte, in dem ich gerade wohnte. Grausfährlich ist das, was Humpty Dumpty ein »Kofferwort« nannte, denn es umfasst die Bedeutungsebenen von grausig bis gefährlich. VERBOTENE BRÄUTE GESICHTSLOSER SKLAVEN IM GEHEIMEN HAUS DER NACHT GRAUSIGER GELÜSTE
Ich begann diese Geschichte mit Bleistift zu schreiben, in einer windigen Winternacht im Warteraum zwischen den Gleisen fünf und sechs am Bahnhof East Croydon, kurz vor meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag. Als sie fertig war, tippte ich sie ab und zeigte sie einigen Redakteuren, die ich kannte. Einer davon schnaubte und meinte, das sei nicht sein Ding, und er glaube auch nicht, dass es überhaupt jemandes Ding wäre. Ein anderer las sie, sah mich mitleidig an und sagte, sie würde wohl niemals gedruckt werden, und zwar weil sie drolliger Unfug sei. Ich legte sie beiseite und war froh, dass mir die öffentliche Blamage erspart blieb und nicht noch mehr Leute sie lesen und scheußlich finden würden. Die Geschichte blieb ungelesen, wanderte im Laufe von zwanzig Jahren vom Ordner in einen Karton, in eine Lagerkiste, vom Büro zum Keller und schließlich auf den Dachboden, und immer, wenn ich an sie dachte, war ich erleichtert, dass sie nie gedruckt worden war. Eines Tages bat man mich um einen Beitrag für eine Anthologie namens Gothic!, und mir fiel das Manuskript auf dem Dachboden ein. Ich ging hoch und suchte es. Vielleicht enthielt es ja etwas, was ich retten könnte. Ich las die Verbotenen Bräute und musste lächeln. Ich kam zu dem Schluss, dass die Geschichte wirklich ziemlich lustig war – und auch klug. Eine hübsche kleine Erzählung. Bei den meisten holprigen Stellen handelte es sich um typische Anfängerfehler, die sich allesamt leicht beheben ließen. Ich packte den Computer aus und schrieb eine zweite Fassung der Geschichte, zwanzig Jahre nach der ersten, kürzte den Titel auf seine gegenwärtige Form und schickte sie an den Herausgeber. Ein Rezensent hielt sie für drolligen Unfug, doch das war anscheinend eine Einzelmeinung, denn Verbotene Bräute erschien in einigen Anthologien, die die besten Geschichten des Jahres enthielten, und wurde 2005 bei den Locus Awards zur besten Kurzgeschichte gewählt. Ich weiß nicht genau, was wir daraus lernen können. Vielleicht zeigst du manchmal deine Geschichten einfach den falschen Leuten, und vielleicht sind Geschmäcker einfach verschieden. Von Zeit zu Zeit frage ich mich, was sonst noch in den Kisten auf dem Speicher schlummert. GUSTAV HAT DEN FRACK AN /
KIES AUF DER STRASSE DER ERINNERUNG
Zu der einen Geschichte hat mich eine Statue von Lisa Snellings-Clark inspiriert: Sie stellt einen Mann dar, der einen Kontrabass hält, genau wie ich als Kind; die andere verfasste ich für eine Anthologie mit wahren Geistergeschichten. Die meisten Autoren schrieben erfreulichere Geschichten als ich, obwohl meine den unerfreulichen Vorteil hat, absolut wahr zu sein. Beide Geschichten wurden erstmals 2002 von NESFA Press veröffentlicht, in Adventurers in the Dream Trade, einem Sammelsurium von Vorworten, Kurztexten und dergleichen. ZUR SPERRSTUNDE
Michael...