Gaitskill | Bad Behavior. Schlechter Umgang | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Gaitskill Bad Behavior. Schlechter Umgang

Storys
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8412-1947-3
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Storys

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-8412-1947-3
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Eigensinnig und höchst originell, mit diesem Rhythmus und den besonderen Wendungen, die einen umhauen, wenn man es am wenigsten erwartet - reines Lesevergnügen!« Alice Munro. Endlich wieder auf Deutsch - das Kultbuch, das heute Vorbild für eine neue Generation von Autorinnen ist: Mary Gaitskills Storys sorgten in den achtziger Jahren für eine Sensation. Wie ein Komet schlug ihr Debüt in der New Yorker Literaturszene ein, so schonungslos ehrlich sind ihre Geschichten über die geheimsten Wünsche und Sehnsüchte ihrer Figuren. Ein faszinierender Einblick in die wahren Nachtseiten der Großstadt. Mit einem Nachwort von Kristen Roupenian, Autorin von »Cat Person«. »Mary Gaitskill bleibt das Maß aller Dinge.« The Guardian.



Mary Gaitskill, geboren 1955 in Detroit, verdiente ihr Geld als Stripteasetänzerin, Blumenverkäuferin, Sekretärin, Model und Buchhändlerin. Während des Studiums schrieb sie ihre ersten Erzählungen. Ihr Debüt »Bad Behavior« (1988) hat im englischsprachigen Raum Kultstatus. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und lebt in Brooklyn, New York. Nikolaus Hansen, geboren 1951 in Hamburg, studierte Philosophie, Anglistik und Geschichte. Er war Verleger und ist heute einer der Leiter des Harbour Front Literaturfestivals. Er übersetzte u. a. Joseph Conrad, Edward St Aubyn und Greil Marcus.
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Ein romantisches Wochenende


Sie wollte einen Mann treffen, in den sie sich kurz zuvor Hals über Kopf verliebt hatte. Sie befand sich in einem Zustand entsetzlicher Angst. Zum einen war er mit einer Koreanerin verheiratet, die er als Inbegriff von Weiblichkeit und Eleganz beschrieb. Aber damit nicht genug, eine Wahrsagerin hatte ihr prophezeit, dass eine Beziehung mit ihm sie für den Rest ihres Lebens emotional zum Krüppel machen könnte. Und schließlich quälte sie die Vorstellung, sie würde einen unvollkommenen Eindruck machen. Vielleicht ging sie zu weit vornübergebeugt, vielleicht wirkte in dieser Jacke ihr Oberkörper zu mächtig im Verhältnis zu ihren Waden und Fesseln, die möglicherweise zu mager waren. Sie fühlte sich wie ein Gegenstand, der sich an allen Ecken und Enden in seine Einzelteile aufzulösen beginnt. In Erwartung ihres bevorstehenden Treffens hatte sie in der Nacht zuvor nicht schlafen können; darum hatte sie ein paar Amphetamintabletten geschluckt, die nur mehr das Gefühl der Auflösung verstärkten.

Als sie an die Ecke kam, war er noch nicht da. Sie lehnte sich an ein Gebäude und versuchte ihren Körper in eine möglichst vorteilhafte Haltung zu bringen. Ihr Unbehagen wuchs. Sie ging über die Straße und stellte sich an die gegenüberliegende Ecke. Alle, die an ihr vorbeiliefen, aßen gerade etwas. Ein großer, zerstreuter Geschäftsmann hielt ein angebissenes Würstchen in der Hand. Zwei Mädchen futterten Cashewkerne aus einer weißen Tüte. Das Essen der anderen verstärkte in ihr das Gefühl, die Welt sei in Unordnung und überhaupt nicht schön. Der Abfall auf der Straße zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Er wurde vom Wind durcheinandergewirbelt; ein Bonbonpapier befreite sich aus dem Gewühl eines vollgestopften Straßenpapierkorbs. Alles war verkehrt, war schrecklich. Ihr Treffen mit ihm hatte vollendet und frei von Müll sein sollen. Sie konnte die Vorstellung von herumflatterndem Abfall nicht ertragen. Warum war er nicht da wie verabredet? Minuten vergingen. Ihre Schultern verspannten sich.

Sie betrat einen Blumenladen. Der Laden war, abgesehen von ein paar schmierigen Flecken auf dem Linoleumboden, sauber und weiß. Homosexuelle mit leisen Stimmen standen hinter dem Tresen. Gebinde mit bizarren Blumen ragten aus langweiligen runden Vasen und reckten sich in die Gänge. Ein Traumbild stieg in ihr auf: Er hielt sie, hilflos und ohnmächtig, in den Armen. Sie wurden getragen von einer weichen Kugel aus flauschigem blauem Zeug. Rosen ohne Dornen umschwebten ihre Köpfe. Sein Blick durchdrang sie mit einer Intensität, als habe er eine Hand in ihre Brust gesteckt und begonnen, ihre Rippen eine nach der anderen zu betasten. Sie wehrte sich nicht. »Ich bin noch nie jemandem begegnet, für den ich Vergleichbares empfunden hätte«, sagte er. »Ich liebe dich.« Er ließ sie Dinge tun, die sie noch nie zuvor getan hatte, und dann machten sie einen Spaziergang und betrachteten die Tulpen, die inzwischen irgendwo gewachsen waren. Nichts von alldem erschien ihr albern oder kitschig, obwohl sie wusste, dass es genau das war. Sie fühlte sich elend und versuchte, wieder ein Gefühl für die wahren Gegebenheiten zu entwickeln. Sie starrte auf die Blumen. Sie waren ein Ausdruck leuchtender, wohlgeordneter Schönheit. Sie konnte nicht anders. Sie wollte ihm Blumen schenken. Sie wollte in einem Raum voller Blumen mit ihm zusammen sein. Sie stellte sich vor, wie sie vor ihm stand, in der Hand einen Strauß makelloser Blumen, gehüllt in jenes hässliche pastellfarbene Papier, in das die Blumenfrau sie wickeln würde. Die Vorstellung war auf grausame Weise peinlich, so dass sie sie nur wenige Sekunden zu ertragen vermochte.

Sie verließ den Laden. Er war nicht da. Ihre Angst steigerte sich zur Verzweiflung. Sie wollten das Wochenende zusammen verbringen.

Er stand in einer billigen Pizzabude auf der anderen Straßenseite, aß ein fettiges Stück Pizza und beobachtete, wie sie an der Ecke wartete. Ihre Angst war für ihn deutlich sichtbar und wirkte beunruhigend und zugleich auf sonderbare Weise anziehend auf ihn. Ansonsten strahlte ihre Erscheinung wenig Verlockendes aus. Er wusste nicht genau, woran das lag. Vielleicht war es der Anflug von Bescheidenheit in ihrer Kleidung, der Wunsch, nicht aufzufallen, oder, schlimmer noch, sie legte gar keinen Wert auf die Wirkung ihrer Kleidung.

Er hatte sie vergangene Woche auf einer Party kennengelernt. Sie hatte ihn sofort an ein Mädchen erinnert, mit dem er vor Jahren zusammen gewesen war, Sharon, eine unerträglich ernsthafte Person mit einem blassen, angenehmen Gesicht, die er zwei Jahre lang mit Trennungen und Neuanfängen gequält hatte, bis er sie seiner Frau wegen endgültig verließ. Obwohl es ihn ungeheuer befriedigt hatte, sie zu verlassen, litt er seit Jahren darunter, sie nicht mehr verletzen zu können, und halb bewusst hatte er nach einer anderen Frau Ausschau gehalten, die eine ähnlich fatale Mischung aus Stolz, Schwäche und einer absurden Lust an so etwas wie Leidenschaft in sich vereinigte. Als er Beth begegnete, war er verblüfft, wie sehr sie in Aussehen, Sprache und Bewegungen seinem früheren Opfer glich. All ihren Gesten wohnte eine zarte Morbidität inne, sie war feinfühlig, arrogant, empfänglich für Schmeicheleien. Sie schwankte zwischen extravaganten Ausbrüchen von Meinungsäußerung und plötzlichen unsicheren Pausen, während deren sie ihn, um Beifall flehend, anzusehen schien. Sie war verliebt in das Prinzip der Intelligenz, und sie überschätzte ihre eigene. Obwohl sie ihre Weltsicht aggressiv vertrat, würde sie sich, das spürte er, diese ohne oder mit nur wenig Mühe rauben lassen. Sie sagte: »Ich hoffe, du bist ein Wüstling.«

An jenem Abend ging er mit zu ihr nach Hause. Er lag neben ihr auf der durchgelegenen klumpigen, schmalen Matratze und nickte mit dem Kopf, während er Rauch in das Zimmer blies. Sie stupste ihre Stirn gegen seine Brust. Die Matratze ächzte bei jeder Bewegung. Er erzählte ihr von Sharon. »Ich hatte eine ähnliche Beziehung, als ich auf dem College war«, sagte sie. »Da hat mich einer auf eine Weise aufgemacht, dass ich keinerlei Kontrolle mehr hatte. Er hat mir wehgetan. Er hat mich vollkommen verändert. Seitdem bin ich unfähig zu normalem Sex.«

Das Zimmer war rührend dekoriert mit Postkarten, Bildern von japanischen Comicfiguren mit riesigen Augen und einer Ansammlung von winzigem, rasend machendem Spielzeug, das zu finden ihr nicht leichtgefallen sein durfte und das sie in einem wohlgeordneten Durcheinander auf ihrer Kommode aufgebaut hatte. Über der Kommode an der Lampe hing ein zerbrechliches Flugzeugmodell. Daneben an der Wand klebte ein Cartoon von einem Mädchen mit pinkfarbenem Haar, das mit offenem Mund vor einem strohblonden Bengel in kurzen Hosen am Boden kroch. Allein die Kraft seines drohenden Ausdrucks genügte, um ihren kurzen Rock in die Höhe zu wehen, so dass man ihr Höschen sehen konnte. Wer hängte sich solchen Mist an die Wand?

»Ich habe Angst vor dir«, murmelte sie.

»Warum?«

»Einfach so.«

»Keine Sorge. Ich bereite dir nicht mehr Schmerzen, als du aushalten kannst.«

Sie kuschelte sich an ihn und presste wie eine sich rekelnde Katze die Füße zusammen. Ihre Socken waren dick und hässlich, und sie hatte riesige Füße im Verhältnis zu ihrer Körpergröße. Solche Einzelheiten konnten abstoßend auf ihn wirken, aber er empfand ein zärtliches Gefühl für die langen, schmuddeligen zusammengepressten Füße. Er sagte: »Ich will eine Sklavin.«

Sie sagte: »Ich weiß nicht. Mal sehen.«

Drei Tage später lud er sie ein, das Wochenende mit ihm zu verbringen.

In jenem Moment schien das eine gute Idee gewesen zu sein, aber jetzt empfand er eine irritierende Mischung aus Schuldgefühl und Furcht. Er dachte an seine Frau, wie sie mit ihren zarten, überlegten Bewegungen das Frühstück bereitete oder im Badezimmer sorgfältig einen schwarzen Lidstrich unter ihre riesigen Augen zog und mit hübschen vogelgleichen Bewegungen der Finger überflüssige Schminkkrümel wegschnippte, die schmalen Ellenbogen angewinkelt, die Augen in konzentrierter Leere erstarrt. Er dachte an Beth, wie sie nackt und gefesselt, mit verbundenen Augen und wie ein Wappenadler auf dem Boden ihrer unordentlichen Wohnung lag. Ihre Comicfiguren grinsten, während er sie mit der Peitsche schlug. Auf Brüsten, Schenkeln, Bauch und Armen wurden Striemen sichtbar. Sie kreischte und wand sich, warf den Kopf von einer Seite auf die andere. Sie würde Narben fürs Leben davontragen. Ein anderes Bild von ihr kam ihm in den Sinn, wie sie ihm im Restaurant gegenübersaß, sehr aufrecht, einen Arm auf dem Tisch, das Gesicht ernst und aufmerksam. Die große Brille zog das Gesicht herunter, gab ihr ein schwermütiges, elegantes Aussehen. Sie rauchte langsam und traurig eine Zigarette. Diese Bilder überlagerten sich, bildeten ein grässlich verwirrendes Geflecht. Wie sollte er sie auseinanderhalten? Es gelang ihm, das Bild seiner Frau von dem ursprünglichen Bild der Beth mit verbundenen Augen zu trennen und getrennt zu halten. Er stellte sich vor, zwischen den beiden fröhlich hin und her zu wechseln. Im Laufe der Zeit würde er vielleicht Beth mit nach Hause bringen und seine Frau veranlassen können, sie ebenfalls zu schlagen. Sie würde den Abwasch erledigen und ihnen das Essen servieren. Wieder schloss sich das Geflecht, und in seinem Bauch rumorte es. Die Sache war kompliziert und möglicherweise sehr kräftezehrend. Er sah zu dem ängstlichen Mädchen an der Ecke hinüber. Sie hatte gesagt, sie wolle, dass man ihr wehtat, aber er hatte den Verdacht, dass sie nicht wusste, wovon sie redete.

...



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