E-Book, Deutsch, 334 Seiten
Gardein Turul flieg
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-2613-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sisi, Königin von Ungarn
E-Book, Deutsch, 334 Seiten
ISBN: 978-3-7578-2613-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Elisabeth von Österreich-Ungarn besuchte Lady Rothschild am Genfer See und verbrachte die Nacht im Hotel Beau-Rivage. Ihre angeschlagene Gesundheit hielt sie wach. Um sich von diesen Problemen abzulenken, dachte sie über die schönsten Jahre ihres Lebens nach. Mystisch verklärt wird Kaiserin Elisabeth gerne gesehen und beschrieben. Es gibt aber noch ein anderes Bild von ihr, dass bisher weniger beachtet wurde. Ihr Wunsch nach einem eigenen Leben mit mehr Liberalität und eigener Verantwortung erfüllte sie sich für sie in Ungarn. Bereits als Kind kam sie durch ihren ungarischen Haushaltslehrer Johann von Maylath, ein Mann von liberaler Gesinnung, mit der ungarischen Geschichte in Berührung. Kurz nach der Hochzeit mit Franz-Joseph reiste sie erstmals nach Ungarn. Insgesamt fast sieben Jahre lebte sie in Budapest und auf Schloss Gödöllö. Dort konnte sie sich dem Druck und den Repressionen des Wiender Hof entziehen. Ihre Intelligenz, die Belesenheit und die Tatsache, dass sie die rückständigen Ansichten am Wiener Hof, hatten ihr viele Feinde gebracht. In Ungarn wurde sie dagegen verehrt.
Uwe Gardein ist Autor mehrerer Bücher, Drehbücher und Theaterstücke. Er wurde mit dem Förderstipendium für Literatur der Landeshauptstadt München ausgezeichnet und lebt in der Nähe Münchens.
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1. Buch
1.
Es war kühl und tiefste Nacht vom neunten auf den zehnten September 1898, dem Tag ihrer geplanten Abreise aus Genf. Am Vortag war Kaiserin Elisabeth in Genf angekommen und hatte sich im Hotel Beau Rivage eingemietet. Sie war einer Einladung der Baronin Rothschild gefolgt, obwohl ihre Kur in Caux bei Montreux noch nicht beendet war. Zunächst hatte sie die Fahrt über den See gar nicht antreten wollen, weil sie die Ruhe ihrer Kur genoss. Als man ihr aber aus Hofkreisen zu verstehen gab, dass die Offerte einer Jüdin momentan im antijüdischen Europa auf wenig Verständnis stoßen würde, hatte sie Julie Rothschild eine Zusage gegeben, um ihre Unabhängigkeit vom Zeitgeist am Wiener Hof zu zeigen. Wieder waren die Schmerzen im Körper da. Sie konnte sich nur schwerfällig erheben und sich neben das Bett stellen. Zu Weihnachten würde sie einundsechzig Jahre alt werden, aber daran wollte sie nun absolut gar nicht denken. Was war das nur für ein Traum, aus dem sie erwacht war? Von einer schwebenden Feder des mythischen Vogels Turul, die schwerelos am Fenster ihres Schlafzimmers im Schloss von Gödöllö vorbei zu Boden glitt, hatte Elisabeth wieder einmal geträumt. Schwerelos? Nein, so fühlte sie sich nicht und so lebte sie auch nicht. Der Vogel Turul soll die Herrschergattin Emese geschwängert haben, erzählte die ungarische Legende, damit es ein Sohn werde, der die ungarische Königsdynastie gründen sollte. Als Elisabeth von der Feder des Turul zum ersten Mal träumte, war sie in jenen längst vergangenen Tagen in Ungarn mit ihrem vierten Kind schwanger gewesen. Ihre Hoffnung war es, dass auch sie einen Sohn bekam, der einmal ein großer König für Ungarn werden sollte. Beim Anblick der herabschwebenden Feder in ihrem Traum war ihr das wieder einmal in den Sinn gekommen und sie hatte sich für einen Moment wie schwerelos empfunden. Flieg Turul! Aber sie war in Genf und nicht im Schloss von Gödöllö. Als Kaiserin von Österreich hatte sie nie ein eigenes Leben haben dürfen, ganz anders war es ihr als Königin von Ungarn ergangen. Ihre Gedanken purzelten durcheinander und sie wollte an nichts mehr denken, aber wie sollte sie sich ihre dunklen Erinnerungen verbieten? Nein, sie hatte keinen weiteren Sohn geboren und die herabfallende Feder symbolisierte für sie den Tod ihres kleinen Engels Sophie. Doch bevor Elisabeth an den Tod ihrer ersten Tochter dachte, kam ihr auch das Bild ihres einzigen Sohnes Rudolf wie einen Albtraum vor, deshalb war sie schnell erwacht. Genf galt als das Zentrum von Anarchisten und Attentätern aus ganz Europa. Obwohl sie von Amts wegen gewarnt worden war, sich öffentlich in der Stadt zu bewegen, war sie der Einladung gefolgt. Da sie nur ungarisch sprach und sich Gräfin Hohenembs nannte, glaubte Elisabeth unerkannt zu bleiben. Baronin Rothschild bot ihr ihre Jacht für die Überfahrt an, aber das hatte sie abgelehnt. Für sie war es interessant, die normalen Leute auf dem Dampfschiff zu beobachten. Außerdem mochte sie das Spiel ihrer Camouflage und Elisabeth reiste in kleiner Begleitung. Der Tag bei der Baronin erwies sich als sehr angenehm und das Anwesen der Rothschilds in Pregny hatte ihr zugesagt. Es war eine inspirierende Begegnung geworden, weil Julie Rothschild eine gebildete, eloquente und humorvolle Lady war. Nur selten kam Elisabeth in den Genuss einer niveauvollen Unterhaltung, die sie erfreute. Wieder auf dem Schiff hatte sie mit Irma über den Tod gesprochen und ihr gesagt, nur im Jenseits ist Friede und Glückseligkeit. Wie wird er werden, dieser Übergang, den ich fürchte und gleichzeitig ersehne? Wenn sie solche Gedanken bekam, dann berührte sie ihr bisheriges Leben und sie musste gezwungenermaßen darüber nachdenken, aber die Erinnerung tröstete nicht, eher war das Gegenteil der Fall. Sie hatte sich eine Zeile von Heinrich Heine notiert: Wo ich bin, mich rings umdunkelt Finsternis. Das war es, was sie häufig empfand. Sie hatte sich zum Abschluss des Tages in einem Café in Genf ein cremiges Eis gegönnt. Am Abend rief die Baronin Rothschild im Hotel an und sprach mit der Hofdame Irma Sztáray über ihre Jacht, die sie erneut als sicheres Reisegefährt anbot, aber Elisabeth lehnte das Angebot für die Rückfahrt über den See zum Kurort erneut ab. Sie fürchtete sich nicht. Elisabeth wusste, dass sie nun nicht mehr einschlafen würde und legte sich eine wärmende Stola über die Schultern, ohne das Licht anzumachen. Sie mochte die Dunkelheit und lauschte in sie hinein. Leider war es in einem Hotel nie wirklich still. Trotz der umgelegten Stola fröstelte es sie auf dem Bett, aber das passierte ihr auch, wenn die Sonne schien. Wieder regten sich Erinnerungen an ihr Leben in ihrem Kopf. Wie sollte sie reagieren, wenn sie die Blicke zurück nicht haben wollte, weil sie nur ihr Gemüt beschwerten? Sie konnte die Bilder nicht verhindern. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und um sich angenehm abzulenken, dachte sie an die lebhafte Zeit mit ihrer kleinen Tochter Marie Valerie, weil sie sich besonders gerne an die gemeinsamen Wochen mit ihren Kindern im Schloss Gödöllö in Ungarn erinnerte. Aber das blieb die Ausnahme, denn die Bilder von Rudolf und Gisela zeigten ihr auch die andere Seite des damaligen Lebens in Ungarn. Vielleicht war Marie Valerie, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, das schönste Geschenk in ihrem Leben gewesen. Doch Marie Valerie blieb nicht lange in ihrem Kopf, denn die im Traum schwebende Feder des Turul unter dem Fenster war für sie auch wie ein Ruf an die damit verbundenen Erinnerungen an ihr Leben als Ungarin. Damals in Ungarn war der Tod zu ihr gekommen und hatte sich ihre kleine Sophie genommen. Sie war eine todtraurige junge Mutter von neunzehn Jahren gewesen und niemand hatte ihr Trost geben können oder wollen. Wenn es für Menschen von Anfang an eine Bestimmung gab, welche war dann die meine, dachte sie. Elisabeth wollte sich selbst auf diese Frage keine Antwort geben. Sie war mit Franz-Joseph im Mai 1857 in Budapest gewesen, doch genau daran wollte und konnte sie sich nicht mehr erinnern, denn ihr kleiner Engel war mit nur zwei Jahren gestorben und man gab ihr die Schuld, weil das Kind in Buda tödlich erkrankt war. Doch die Schuldzuweisungen aus Wien hatten sie noch fester an das Land gebunden, denn in Ungarn hatte sie Anteilnahme an ihrer Tragödie gespürt. Konkret wurde ihre Erinnerungen das Jahr 1866. Wegen ihrer positiven Haltung gegenüber dem liberalen Ungarn und vorausgegangener Dispute wusste sie noch, wie sehr sie darunter gelitten hatte zur Faschingseröffnung zum Vigadó-Palast nach Pest mitfahren zu müssen. Sie mochte derlei Amüsement nicht und dieser Ball wäre eine perfekte Möglichkeit gewesen, ein Attentat auf Franz-Joseph zu verüben, denn niemand würde einen gewaltbereiten ungarischen Nationalisten unter einem Kostüm entdecken können. Elisabeth hatte ihren Gemahl angesehen und ihn gewarnt, dass er mit seiner Unterschrift unter das Todesurteil gegen den Ministerpräsidenten Lajos Batthyány ganz Ungarn gegen sich aufgebracht hatte. Dabei war das ein liberaler Mann und dir treu ergeben, hatte sie gesagt, weil Franz-Joseph stoisch hinter seinem Schreibtisch sitzen geblieben war. In diesen Dingen war er ein Fatalist. Ich verurteile niemanden zum Tode, ich unterschreibe, was man mir vorlegt, das wird erwartet und jeder weiß es. Und ich wünsche mit dir keine politischen Debatten zu führen, das schickt sich für meine Gemahlin nicht, hatte er geantwortet. Obwohl sie innerlich zitterte, blieb ihre Stimme ruhig, als sie auf seine Worte reagierte. Dort wo man Batthyány erschoss, legen die Ungarn regelmäßig Blumen nieder, antwortete sie laut und deutlich. Doch Franz-Joseph reagierte nicht mehr. Elisabeth wollte nicht denken, dass er glauben könnte, Ungarn hätte die vielen Todesurteile aus dem Jahr 1849 vergessen, die er unterschrieben hatte. Schließlich gab sie nach, um die ungarischen Menschen nicht unnötig zu düpieren, was geschehen würde, wenn sie die Einladung ignorierte. Sie stieg in die Kutsche, die sie auf die andere Seite der Donau bringen sollte. Auf der Fahrt konnte sie vom Budaer Ufer aus den hell erstrahlenden Vigadó-Palast leuchten sehen. Erst vor einem Jahr war das Gebäude in den neuen Zustand gebracht worden, um dort Bälle und andere Darbietungen zu feiern. Als sie die festlich illuminierte Treppe zum Ballsaal betreten hatte und die fröhlich gestimmten Menschen sah, die ihr mit ehrlicher Zuneigung begegneten, hatte sich ihre Stimmung verändert. Man trat ihr mit großer Begeisterung entgegen und Elisabeth wurde erneut bewusst, wie sehr sie in Budapest gemocht wurde. Wie angenehm war ihr das im Vergleich zu Wien. Budapest war das eine, aber lieber noch war sie stets auf dem Land gewesen. Sie stand in Genf neben dem Bett und war im Schloss Gödöllö, erholte sich dort, ohne dass sie dazu die Augen schließen musste. Elisabeth versuchte sich lautlos zu bewegen, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Es musste niemand wissen, dass sie wieder einmal schlaflos blieb. Sie setzte sich neben das Bett auf einen gepolsterten Stuhl und legte sich eine Decke über die Beine. Übermüdet fiel ihr Kopf nach vorne, aber sie schlief...