E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Garschagen True Story? Good Question!
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-417-27084-6
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die 10 größten Fragen über Gott und die Welt
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-417-27084-6
Verlag: R. Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Julia Garschagen (Jg. 1983) ist Theologin und wohnt in Köln. Sie leitet das 'Pontes Institut für Wissenschaft, Kultur und Glaube' und 'truestory' (JESUSHOUSE). Julia liebt es, mit kritischen Menschen, Skeptikerinnen und Zweiflern über tiefe Fragen zu diskutieren. Glaube und Denken gehören für sie zusammen. Darum hält sie Vorträge zu den großen Anfragen an Gott in Pubs, Schulen, Gemeinden und an Universitäten. Mit einigen Freunden hat Julia die Hilfsorganisation 'Dios te ve' gegründet, die sich für Jugendliche in Peru einsetzt. Julia wohnt in Köln.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2 AUS-GRENZUNG, MISSBRAUCH, MACHT
IST GOTT SO SCHRECKLICH WIE DIE KIRCHE?
„Wo soll ich bei meiner Gott-Entdeckungsreise weitermachen?“, habe ich mich damals gefragt.
In dieser Zeit lernte ich eine Freundin kennen, die Christin war. Sie war begeistert von Jesus, davon, wie er gelebt hat und wie er war. Der Glaube hatte viel mit ihrem Alltag zu tun – ich hab ihr abgespürt, dass dieser Jesus sie verändert.
Das fand ich spannend und dachte: Vielleicht schaue ich mir den mal genauer an.
Mein Problem war nur: Ich hatte sehr viele große Anfragen an das Christentum. Und an seine Vertreter und Vertreterinnen. Jesus fand ich zwar interessant, aber ich wollte wissen: Was hat er zu den Themen, die mich beschäftigen, zu sagen? Lohnt es sich überhaupt, mich mit ihm auseinanderzusetzen? Was habe ich davon?
Wer in dem Punkt ähnlich tickt wie ich, kann einfach weiterlesen. Darum geht es in den nächsten vier Kapiteln. Für die, die lieber direkt weiter eher intellektuelle Fragen wälzen wollen, hier ein Lifehack: Springt zu Kapitel 6 und kommt nachher wieder hierhin zurück. Bis gleich!
Mehr dazu gibt’s in Kapitel 6
PROBLEM KIRCHE
Eines meiner größten Probleme war eigentlich gar nicht Jesus selbst, sondern der Verein, der sich auf ihn beruft: die Kirche. Die ist ja sozusagen die Community von Leuten, die an Gott glauben, und angeblich ein Ort, wo man ihn treffen kann.
Warum wurden dann so viele Menschen, die ich kenne, von Kirchenleuten enttäuscht oder verletzt? Leute werden schief angeschaut oder sogar ausgeschlossen, weil sie sich nicht an einen Moralkatalog halten, der ziemlich aus der Zeit gefallen scheint. Und immer wieder hört man, dass in der Kirche Geld veruntreut und Frauen wenig zugetraut wird. Am schlimmsten: Kinder werden von Amtsträgern missbraucht und Autoritäten nutzen ihre Macht, um das zu verschleiern.
Wenn ich von diesen Dingen in den Nachrichten höre, wird mir echt schlecht. Das ist grausam und absolut heuchlerisch – vor allem, wenn mir dann auch noch Kirchenmenschen sonntags sagen wollen, wie ich zu leben habe.
Was sagt es über Jesus aus, dass das sein Verein ist? Und selbst wenn die Sache mit Jesus und Gott stimmen sollte, ist es dann nicht irgendwie moralisch verwerflich, sich diesem Klub anzuschließen?
DISCLAIMER
Wichtig ist: Missbrauch verursacht unfassbares Leid. Nichts, wirklich gar nichts kann solche Taten rechtfertigen. Ich möchte und werde darum hier niemanden verteidigen. Nicht Gott, nicht die Kirche und schon gar nicht Machtmenschen in der Kirche. Und wenn eine dieser (drei!) Personengruppen diesen Text liest, dann bitte ich sie, schleunigst etwas an der Lage zu ändern.
Falls du in einer Kirche oder Gemeinde so etwas erlebt hast, mach ich dir Mut: Rede darüber! Hol dir Hilfe! Überlege, an wen du dich wenden möchtest. Hier sind einige Webseiten und Telefonnummern, bei denen du dich auch melden kannst.
Hier gibt es Hilfe per Telefon oder per Chat: www.nina-info.de / www.wildwasser.de
Hilfetelefon bei sexuellem Missbrauch: 0800 22 55 530
Nummer gegen Kummer: 116 111
Jetzt bin ich gerade ziemlich emotional. Du vielleicht auch. Verständlicherweise.
Darum würde ich gerne innehalten und gemeinsam einen Schritt zurückgehen. Dann können wir versuchen, uns die Fragen von eben mal ganz grundsätzlich anzuschauen.
DIE KIRCHE UND JESUS
Die Kirche sagt, dass Jesus ihre Grundlage ist. Damit legt sie selbst den Maßstab fest, anhand dessen sie bewertet werden will. Diesen Maßstab kann ich untersuchen. Wenn es Jesus wirklich gab, ist er eine historische Person. Dann kann ich mir anschauen, wie er gelebt und was er gesagt hat.
Praktischerweise gibt es vier biografische Erzählungen von Jesus aus der Antike, die sehr gut überliefert sind. Die Christen und Christinnen nennen diese Bücher Evangelien. Da kann ich nachforschen: Passt die Kirche zu Jesus, ihrem Gründer? Es gibt dann ein klares Entweder-oder: Entweder Jesus war tolerant oder eben nicht. Entweder hat er Frauen etwas zugetraut oder nicht. Entweder war er authentisch und integer oder ein Machtmensch. Entweder die Kirche passt also zu ihrer Grundlage oder nicht.
Mehr zu dem Thema in Kapitel 7
Los geht’s! Wir schauen uns das Leben von Jesus an und gucken: Was ist der Maßstab für die Kirche?
Hier sind einige Punkte, die mir bei meiner Suche aufgefallen sind:
WIE JESUS GEGEN RELIGIÖSE HEUCHELEI KÄMPFT
Als Jesus ungefähr 30 Jahre alt war, hat er angefangen, mit einigen seiner Freunde und Freundinnen (!) umherzuziehen. Er ist vielen Menschen begegnet, hat zugehört, war auf Partys, Beerdigungen und Festessen und hat spannende Sachen gesagt und getan.
Die Kirche gab es damals natürlich noch nicht.
Es gab aber eine religiöse Elite. Der war es besonders wichtig, dass alle Regeln genau eingehalten werden. Sie waren so was wie die Religionspolizei und haben sich dabei oft ziemlich aufgespielt – also echte religiöse Machtmenschen. Gleichzeitig waren viele von ihnen (bestimmt nicht alle!) nicht besonders liebevoll und haben auf andere herabgesehen, die kein so „heiliges“ Leben lebten.
Immer wieder lesen wir in den Lebensberichten von Jesus, wie er sich über diese Männer und ihre Heuchelei ärgerte. Ihm war völlig egal, wie laut sie sagten: „Wir tun nur Gottes Willen.“ Denn sie missbrauchten ihre Macht. Um selber groß dazustehen, machten sie andere klein.
Das hat Jesus ganz offen kritisiert, auch wenn er damit aneckte. Einmal hat er sich sogar so aufgeregt über die religiöse Heuchelei, dass er im Tempel Tische und Stühle umgeschmissen und all die, die mit dem Glauben Geld machen wollten, vertrieben hat.
Diese Aktion war, gelinde gesagt … unangebracht. Das ist ungefähr so, als würde ich sonntags morgens in den Kölner Dom spazieren, eine Sitzbank nach der anderen umschmeißen, die alten Liederbücher aus den Regalen reißen und all die verzierten Teppiche raus auf den Domplatz werfen – nicht gerade etwas, was man von einem religiösen Oberguru erwartet.
Am Ende war Jesus für diese religiöse Elite deshalb so unbequem, dass sie ihn loswerden wollte und schließlich tötete. Aber Jesus war so wichtig, mit der religiösen Heuchelei aufzuräumen und für Gerechtigkeit zu sorgen, dass er dieses Risiko eingegangen ist.
Das passt auch zum Alten Testament, also der Buchsammlung im ersten Teil der Bibel. Gott schickt den religiösen Anführern dieser Zeit immer wieder seine Boten mit Messages wie: „Lasst mich in Ruhe mit dem Lärm eurer Lieder! Auch euer Harfenspiel mag ich nicht hören! Vielmehr soll das Recht wie Wasser strömen und Gerechtigkeit wie ein Bach, der nie versiegt“ (Amos 5,23-24).
Wer sich also über religiöse Heuchelei ärgert, hat Jesus eindeutig auf seiner Seite. Und wenn das bedeutet, dass all die Tische mit den schönen Gegenständen umgeschmissen werden müssen, dann ist er der Erste, der bei dieser Aufräumaktion mit anpackt.
WIE JESUS MACHT ENTMACHTET
Das Gleiche gilt, wenn es um die Umkehr von Machtverhältnissen geht. Dabei finde ich wichtig: Macht ist nicht in jedem Fall etwas Schlechtes. Wir haben auf die eine oder andere Weise alle Macht, weil wir Einfluss auf andere Menschen haben. Aber die Frage ist immer: Wie setzen wir unsere Macht ein? Für oder gegen andere? Die Frage muss man sich ganz besonders dann stellen, wenn es um Religion geht. Weil da die Gefahr von Machtmissbrauch noch höher ist.
Hier ein – zugegebenermaßen etwas unwahrscheinliches – Beispiel. Stellt euch vor, ihr schreibt eine Bio-Klausur. Ihr seid etwas nervös, aber ihr habt euch einigermaßen gut vorbereitet. Dann schlagt ihr die erste Seite auf und lest: „Nenne die Tonart von Beethovens Neunter Symphonie.“ Die zweite Aufgabe lautet: „Male einen A-Dur-Akkord auf.“ Als ihr die Lehrerin etwas irritiert fragt, ob sie den Bio- mit dem Musikkurs verwechselt habe, verkündigt sie mit einem seligen Lächeln: „Gott selbst hat mir heute Morgen gesagt, ich soll euch in Musik prüfen und nicht in Biologie.“
Dumm gelaufen! Selbst, wenn ihr der Lehrerin zeigt, dass auf dem Stundenplan Biologie und nicht Musik steht, bringt das nichts. Denn wenn persönlich Gott ihr das gesagt hat …
Das wird hoffentlich so nie passieren. Aber was ich sagen will, ist: Dass die Lehrerin behauptet, Gottes Willen zu kennen, gibt ihr in dieser Situation eine Extraportion Macht. Die Macht, eine offensichtliche Ungerechtigkeit für legitim zu erklären. Weil Gott es ja angeblich so will. Zu behaupten „Wir tun das im Namen Gottes“ kann also für Menschen, die Macht wollen, praktisch sein: Gegen Gottes Willen kann ein „normaler“ Mensch quasi nichts sagen.
Diese Macht in Form eines „göttlichen Zusatzbonus“ finden viele attraktiv. Sie kann andere zum Verstummen bringen und Unrecht durchsetzen. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum sich viele Machtmenschen gerne in der Kirche aufhalten. Sie benutzen Religion, um das durchzusetzen, was sie wollen. Und verkaufen es als Gottes Willen.
Ich denke: Nichts könnte weiter von Jesus entfernt sein.
Jesus hatte auch Macht – wenn es stimmt, dass er Gott ist, dann sogar mehr als jeder andere Mensch, der je gelebt...