Geda | Ein Sonntag mit Elena | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Geda Ein Sonntag mit Elena

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-446-26879-1
Verlag: hanserblau in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-446-26879-1
Verlag: hanserblau in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Elena prostete ihm zu: 'Danke', sagte sie, 'Heute Morgen beim Aufwachen hatte ich den Kopf voller Schatten. Alle haben Sie nicht verjagt, aber ein paar schon. Danke dafür, wirklich.'"

Einst reiste er als Ingenieur um die Welt und baute riesige Brücken. Nach dem Tod seiner Frau aber ist es still geworden in der Turiner Wohnung am Fluss. Sein Sohn lebt in Finnland, mit der jüngeren Tochter hat er keinen Kontakt, nur die älteste sieht er ab und zu mit ihrer Familie. An einem Sonntag kocht der ältere Mann ein traditionelles Mittagessen für sie. Doch sie sagt kurzfristig ab. Im Park lernt er Elena und ihren Sohn kennen und lädt sie spontan zum Essen zu sich ein. Diese zufällige Begegnung wird alle drei für immer verändern.
Eine Geschichte voller Zuversicht und Wärme, die ein stilles Glück in den Herzen zurücklässt.

"Wie die Brücken, die der Protagonist baute, scheint der Roman komplex und zugleich mühelos. Fabio Geda weckt tiefe Empathie für seine Charaktere und beschwört eine durchdringende Sehnsucht nach dem Glück." – La Lettura

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Weitere Infos & Material


Vierzig Jahre lang war Papa durch die Welt gereist, um Brücken und Überführungen zu bauen. Seine Familie stammte aus Como. In Mailand hatte er seinen Abschluss in Ingenieurwesen gemacht. Durch einen Freund der Familie war er von einer seinerzeit namhaften Firma angestellt worden, die einen guten Draht in die Politik hatte und in rund fünfzehn Ländern tätig war: Dämme, Wasserkraftanlagen, Bahnlinien. Und Brücken — Brücken, Brücken, Brücken, die er mehr als alles andere liebte und denen er sich verschrieben hatte. Er hatte rasch Karriere gemacht und dies weniger mit Verwunderung, denn als Folgerichtigkeit zur Kenntnis genommen: Er wusste, dass er gut war, und fand es selbstverständlich, dass die Welt seinem Können Rechnung trug. Wenn er nicht auf Reisen war, erzählte er uns von seiner Arbeit, von den Orten, an denen er gewesen war, den Menschen, die er getroffen hatte, dem Leben auf dem Bau — einem Teil des Lebens auf dem Bau — und den Widrigkeiten, die er in spannende Abenteuer verwandelte — damals, als das Gewitter gekommen war, oder nein, wartet, ein Orkan, und damals, als die Heuschrecken eingefallen waren, eingefallen, ich schwör’s euch, wie eine biblische Plage. Er erzählte uns von den für ihn legendären Zeiten, in denen man zum Brückenbau ganze Flüsse umleitete und das Flussbett trockenlegte, um die Lehrgerüste zu bauen, auf denen die Quader bis zur endgültigen Schließung der Brückenbögen auflagen. Irgendwann während seiner mit Fachbegriffen und technischen Details gespickten Erzählungen gab es einen Moment — den gab es immer —, in dem er plötzlich verstummte und mit hin und her, her und hin haschenden Augen unseren Blick suchte, weil er annahm, wir hätten unterwegs den Faden verloren. Er wartete auf eine Frage. Fragen waren für ihn ein Zeichen von Klugheit, und wir spielten mit: Wir fragten ihn, was Lehrgerüste und Quader seien, ließen uns die Aufgaben der Gewerke erklären und entlockten ihm die kuriosesten Details. Währenddessen aß Mama weiter, räumte ab, brachte den Nachtisch und lächelte vielsagend, als säße sie in einem Theaterstück, das sie schon kannte, und wartete auf den nächsten Gag. Papa malte mit den Fingern in die Luft, ihr müsst euch das so vorstellen, die Lehrgerüste sind Hilfskonstruktionen, die das gemauerte Bauwerk bis zur Fertigstellung tragen, und die Quader sind die Steinblöcke zum Bau der Bögen, und diese Quader können je nach Verwendung unterschiedlich geformt sein, und wenn sie anständig gemacht sind, dann halten sie auch ohne Mörtel, und, und, und. Er erzählte, wie Brücken sich in Monolithen verwandeln konnten, war das Lehrgerüst erst einmal fort, und sich wie von Wind und Eis geformt in die Landschaften einfügten. Wenn Alessandro — er war es meistens — seine Erbsen und Karotten mit der Gabel traktierte und dagegenhielt, Brücken könnten auch einstürzen, Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen könnten sie einfach wegfegen, wedelte Papa mit den Händen und antwortete, sicher, genauso wie Klippen einstürzten und Berge verflachten. Menschliche Nachlässigkeit, Oberflächlichkeit und Unfähigkeit zählten für meinen Vater nicht. Er zog sie nicht in Betracht. Nicht, wenn es um Brücken ging. Er und Mama hatten sich während einer Silvesterparty bei gemeinsamen Freunden kennengelernt. Sie war achtundzwanzig, er zwei Jahre jünger. Am Dreikönigswochenende war er ihr nach Nizza nachgereist, wo sie mit ihrer Familie Verwandte besuchte. Als sie ihn während eines Spazierganges mit den Eltern und zwei Tanten an der Promenade des Anglais aus dem Auto steigen sah, hatte sie ihm die kalte Schulter gezeigt und auf sein plötzliches Auftauchen reichlich verärgert reagiert — und überhaupt, wie hießen Sie noch gleich? —, doch nach ihrer Rückkehr hatte sie sich von den Freunden, bei denen sie sich begegnet waren, seine Nummer geben lassen und ihn angerufen. Zwei Jahre später hatten sie geheiratet. Da Mamas Familie in Turin lebte und er häufig fort und mitunter sehr weit weg war und diese Dienstreisen Wochen oder Monate dauern konnten — als ich in der Zehnten war, blieb er von Ende August bis kurz vor Weihnachten ununterbrochen in Venezuela —, beschlossen sie, in die Nähe der Großeltern zu ziehen, und kauften mit Unterstützung beider Familien die Wohnung am Lungo Po Antonelli. Sonia kam sofort. Dann ich. Alessandro vier Jahre nach mir. Damals arbeitete Mama in einem Notariat. Als Sonia geboren wurde, beantragte sie Teilzeit. Als ich kam, gab sie die Stelle auf. Papa verdiente sehr anständig, sie musste nicht arbeiten, konnte zu Hause bleiben, Mutter sein und auf seine Rückkehr warten. War es ihr schwergefallen, ihre Karriere aufzugeben? Hatte sie sich herabgesetzt und zu kurz gekommen gefühlt? Ich weiß nur, dass Mama den Dingen nicht nachweinte und sich nur selten umentschied. Wäre ich damals so weit gewesen wie heute, hätte ich sie danach gefragt, ich hätte gründlich nachgehakt; jedenfalls war es bestimmt nicht einfach, sie hätte alles erreichen können, einfach alles, sie war eine brillante, fröhliche Frau mit beißendem Humor, den sie an der kurzen Leine hielt, um ihr Gegenüber nicht dumm dastehen zu lassen, doch bei passender Gelegenheit machte sie davon Gebrauch, wie um zu sagen: Komm mir bloß nicht so, Schätzchen! Sie hatte ihren Abschluss in Jura gemacht. Sie liebte das gesetzliche Räderwerk, das das gemeinschaftliche Miteinander am Laufen hält, das empfindliche Zusammenspiel aus Rechten und Pflichten, zu dem sie uns beharrlich erzog. Fast die gesamte Schulzeit hindurch ist sie bei jedem von uns einmal Elternvertreterin gewesen. Im September half sie uns, die Schulbücher in Folie einzuschlagen, damit sie nicht zerfledderten, und bat uns, nur mit Bleistift hineinzuschreiben und anzustreichen, damit man sie im nächsten Jahr noch verkaufen konnte. Wenn ich an die Selbstverständlichkeit denke, mit der sie den Haushalt führte, und dann an die Unbedarftheit, die ich dabei an den Tag lege … Sie hörte gern Radio, wenn sie in der Wohnung zugange war, stellte gern Gegenstände um, damit sie besser miteinander harmonierten, und hatte eine Schwäche für Origamis, die sie aus jedem rechteckigen Papier faltete, das sie in die Finger bekam, selbst aus Kassenbons; sie hatte einen Kurs bei einer Japanerin gemacht, die mit einem Professor an der Technischen Hochschule verheiratet war und auf der anderen Flussseite wohnte. Mama freute sich, wenn wir Freunde zum Spielen oder Lernen einluden, und waren sie gegen sechs Uhr noch immer da, versäumte sie es nie, sie zum Abendessen einzuladen. Nur einmal habe ich sie in Panik erlebt. Es war an einem Aprilnachmittag. Ich war neun Jahre alt. Alessandro fünf. Wir waren auf dem Spielplatz, und während sie mit einer anderen Mutter plauderte, hatte Ale ein Klettergerüst erklommen, das Gleichgewicht verloren und war auf das Pflaster gestürzt. Damals gab es noch keine Fallschutzbeläge wie heute. Als Mama ihn unter den Achseln packte und hochzog, war das Gesicht meines Bruders ein roher Klumpen aus Blut und Splitt; sein Kinn unterhalb der Lippe war aufgeplatzt wie ein zweiter Mund, aus dem die noch im Zahnfleisch versteckten zweiten Zähne hervorschimmerten. Wir waren nicht weit vom Gradenigo-Krankenhaus. Das Logischste wäre gewesen, mit Vollgas in die Notaufnahme zu fahren. Doch stattdessen beschloss sie aus unerfindlichen Gründen, Alessandro und mich ins Auto zu bugsieren und uns, weil Papa nicht da war und sie so heftig zitterte, dass sie kaum sprechen konnte, zu den Großeltern nach Borgo Vittoria zu bringen. Als mein Opa Ale in diesem Zustand sah, war er außer sich. Er fragte meine Mutter, was zum Teufel sie bei ihnen zu suchen hätte — glaubte sie etwa, es wäre mit einem Pflaster getan? Ohne ein weiteres Wort ließ er mich bei Oma, setzte Ale und Mama in seinen Renault und raste ins Krankenhaus. Ich weiß noch, wie sie sich irgendwann Jahre später — ich muss siebzehn oder achtzehn gewesen sein — beim mittäglichen Abwasch plötzlich mit der schaumbedeckten Hand gegen die Stirn schlug, ein, zwei, drei Mal, und kopfschüttelnd »So blöd so blöd so blöd« in sich hineinmurmelte. Ich ging zu ihr und fragte, was los sei. Sie sah mich mit tränenfeuchten Augen an, eine Schaumflocke im Haar, sie sah mich an und sagte: »Ich bin so blöd gewesen …« Sie war fassungslos. »Wie konnte ich nur …« Ich sagte, ich wisse nicht, was sie meine. »Alessandro … als er von dem Klettergerüst gefallen ist. Wieso habe ich ihn nicht sofort ins Krankenhaus gebracht?« Ich musste lächeln. Ich sagte: »He, was hast du denn? Das ist Jahre her. Mal überlegen, wie lang ist das her? Neun Jahre vielleicht. Oder zehn.« Ich sah, wie sich ihre Brust unter der Bluse hob. Sie war völlig außer sich vor Reue. »Wie konnte ich nur? Ich war so...


Geda, Fabio
Fabio Geda, 1972 geboren, arbeitete viele Jahre mit Jugendlichen und schrieb für Zeitungen. Seine Romane "Im Meer schwimmen Krokodile" und "Ein Sonntag mit Elena" (hanserblau, 2020) brachten ihm international den Durchbruch und standen auch in Deutschland auf der Bestsellerliste. Fabio Geda lebt in Turin.

Koskull, Verena von
Verena von Koskull hat Italienisch und Englisch in Berlin und Bologna studiert. Sie übertrug unter anderem Matthew Sharpe, Curtis Sittenfeld, Tom McNab, Carlo Levi, Simona Vinci und Claudio Paglieri ins Deutsche.



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