E-Book, Deutsch, 100 Seiten
Gehrke Erotische Kulturen von Frauen
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-88769-836-2
Verlag: konkursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Texte über Porno, PorNO, Frauen, Erotik & Kunst
E-Book, Deutsch, 100 Seiten
ISBN: 978-3-88769-836-2
Verlag: konkursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Zum Buch und zur Autorin
Claudia Gehrke, Verlegerin und Publizistin. Als Studentin gestaltete sie viele Jahre lang in Tübingen einen „Mittwochssalon“, aus dem heraus 1978 der konkursbuch-Verlag gegründet wurde. Eins der wichtigen Themen des Verlags wurde die Erotik. Seit 1982 erscheint das berühmte „multisexuelle“ Jahrbuch der Erotik, Mein heimliches Auge (hier finden Sie einige Pressestimmen zu „Mein heimliches Auge“), seit 1998 auch das Jahrbuch „Mein lesbisches Auge“, und seit 2003 „Mein schwules Auge“. Außerdem erotische Romane und Erzählungen (vor allem von Frauen) und Foto-/Kunstbücher.
Weitere ebenso wichtige Themen des Verlags: Literatur zwischen den Kulturen, Reiselesebücher (u.a. zu Japan und den kanarischen Inseln), Thriller und alltagsnahe Theorie: Essays und Geschichten zu unterschiedlichen Themen in der Reihe „konkursbuch“.
Die in diesem ebook versammelten Texte von Claudia Gehrke sind eine kleine Auswahl ihrer Vorträge und Beiträge von den 1980er Jahren an bis heute. Manches hat sich im Lauf der Zeit geändert, und sie würde es genau so heute nicht mehr formulieren, anderes ist gleich geblieben, manche Gedanken zum Thema tauchen immer wieder neu auf, verändern sich nur in Nuancen, manche tauchten jeweils viel später auch bei anderen AutorInnen auf …
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Plädoyer für scharfe Schamlippen
Frauen-Geheimnisse Zur Frage nach der Scham werde ich mit der Scham der anderen beginnen: Auf den Bildern nackter Frauen erscheint gerade das Unsichtbare ihrer Sexualität … Der Männerschwanz aber, das nach außen gekehrte Geschlecht, ist erschreckend sichtbar. Und das verträgt sich nicht mit seiner gesellschaftlichen Bedeutung. Die Darstellung der Nacktheit des Mannes zählt zu den Heimlichkeiten … Das Vorzeigen des kleinen schlappen Schläuchleins zeigt: Dies ist kein Machtorgan. Die Darstellung des steifen Schwanzes aber hat es noch schwerer: Dieser erigierte Pimmel, so imposant er sein mag, soll das Gesetz sein, die Macht. Das ist ein Witz. Die Macht ist darauf angewiesen, sich darzustellen, aber nicht in ihrer eigenen lächerlichen Gestalt (Theweleit/Langbein, Heimlichkeiten der Männer). Schämen tut sich zuerst der Mann. Im 19. Jahrhundert schlug man im Vatikan all den weißen Marmormännern die kleinen Teile ab, und all diese weißen Schwänzchen liegen nun, so wird erzählt, ein jedes wohlbezeichnet nach seiner Herkunft in einem Keller des Vatikan aufgehäuft. Als ich das erste Mal, vielleicht war ich fünf, das Geschlecht eines Jungen sah, war ich amüsiert: Wie ein kleiner bleicher Daumen lag es in der Hand des Knaben. Mich hat es trotzdem aufgeregt, weil es verboten war zu gucken und er es nicht ahnte. Als ich ihm erzählte, dass ich ihn beim Pinkeln gesehen hätte, wurde er knallrot. Er schämte sich. Die Macht will sich nicht zeigen, wenn die Heimlichkeiten zutagetreten. Was sich preisgibt, ist angreifbar und schutzlos. Mit einem schnellen Griff ließe sich gewaltiger Schmerz zufügen. Zu jener Zeit streckte ich meine großen Mädchenlippen noch ungeniert in die Welt und die der Schwester sah ich lieber als diesen lächerlichen Zipfel. Naiv gefragt, was heißt hier Penisneid? Der Mann ist sich – auf der Ebene der Scham betrachtet – kein Geheimnis. Er sieht, wenn er sich berührt. Er sieht sein Geschlecht beim Pinkeln. Und auch die Frau sieht sein Geschlecht, wenn sie hinschaut, bevor es sie berührt. Der Mann sieht – bleiben wir auf der Oberfläche – bei der Frau das Unsichtbare, etwas, was er nicht sieht, wenn es ihn berührt. Das Geheimnis. Um die Scham von sich abzuwenden, erfindet er die Scham der Frau. Doch kann er seine je verlieren? Seine Heimlichkeit wird zur Unheimlichkeit. Wenn er seine Scham nicht veröffentlicht, sie verheimlicht, wird die Macht erst möglich. Die Frau verklärt er in seinen Mythen zum Urgrund, zum Bösen oder zum Reinen und Heiligen – und in der Theorie zum Mangelwesen. Ihre Sexualität wird zur verkleinert männlichen, und ihr Körper ihm am liebsten gleich zum ganzen Phallus. Dann ist dieses Unsichtbare, was ihn so beunruhigt – denn sie hat nicht etwas nicht, sondern sie hat es als Geheimnis – in einem Teil von ihm, und dieses Teil, das er nicht zeigen darf, dieses Teil, das ihm peinlich, da allzu sichtbar ist, hat endlich auch etwas Geheimnisvolles. Er hat Teil an jenem Rätsel, aus dem er kam. Er baut die Regeln der Ehe aus, um zu sichern, dass ihm dieses Teil tatsächlich gehört, er ist abhängig von der Liebe. Dazu kommt das Bild des Bösen, Unergründlichen, der Hure, die von ihm als Phalluserweiterung einverleibt wird. Das Dunkle, diese unheimliche Quelle von Blut und anderen Säften, soll klar werden und sauber. Doch das Geheimnis bleibt ihm, aller wissenschaftlichen Ergründungsversuche zum Trotz. Was man(n) nicht sieht, ist immer böse und gespenstisch und gefährlich und entzieht sich.
Um es an sich zu reißen, verkehrt er das Geheimnis zum Prinzip. In der abendländischen Kunst stehen Frauen vorwiegend für etwas, was auf dem Bild nicht zu sehen ist, für die Schönheit, die Erotik, für das Böse. Das „Geheimnis“ wird am deutlichsten inszeniert zwischen den Beinen. Von Bronzino und Ingres zu Balthus bis hin zu modernen Künstlerinnen und Künstlern: Die Frauen sind zum „Geheimnis“ kastriert. Es fehlt: der Schlitz. Die Lippen (in vorabendländischen Kulturen selbstverständlich).
Noch heute, 1984, schreibt der Jugendschutz der BRD vor, dass – da man(n) ja nicht erkennen könne, wann sie sexuell erregt seien – Schamlippen in erotischen Zusammenhängen nicht deutlich erkennbar sein dürfen. Denn „Jugend“ darf keine sexuelle Erregung sehen, da diese ja dazu dienen könne „ausschließlich sexuelle Erregung zu erzeugen“ und so die Entwicklung zu beeinträchtigen. Daher dieser unscharfe Fleck auf den entsprechenden Mädchenfotos in den entsprechenden Herrenmagazinen, die vor dem Vorhang verkauft werden können. Neben den ewig dummen Gesichtern, eine Kastration der weiblichen Intelligenz, ist auch die Retusche des Geschlechts Kastration. Wo nichts zu sehen ist, ist auch NICHTS. Nicht das Unsichtbare, nicht das Geheimnis, einfach NICHTS. Psychoanalytikerinnen berichten von den Problemen, die viele Frauen auch heute noch damit haben, dass sie ihr Geschlecht nicht besetzen können – aller feministischen Specula der 1970er Jahre zum Widerspruch. Diese weibliche „Schamlosigkeit“ zeigt sich durch die gesamten kulturell akzeptierten Bilder bis in Kinderaufklärungsbücher: Wenn Mami und Papi alleine sind, und es ihnen gut geht, dann wird der Penis von Papi groß und dringt in Mami ein. Dass zur sexuellen Erregung auch dazugehört, dass die Schamlippen von Mami schwellen, dass die Möse nass wird, dass sich die Clit aufrichtet, wird schamhaft verschwiegen. Wo kommen die kleinen Kinder her. Aus Mami. Und wie kommen sie da hinein. Papi steckt seinen Penis …, also kommen die eigentlich aus Papi. Der Mann, der Zeuger, die Mami, das Gefäß … Der Mann hat keine „Innenausstattung“, die Frau ist gefüllt mit „Geheimnissen“. In der Trivialpornografie versucht man(n), dem Innengeheimnis der Frau auf die Spur zu kommen. Doch die größte Großaufnahme sieht niemals alles, dahinter ist immer noch mehr. Er beweist seine Lust jedes Mal sichtbar, sie ist unendlich unersättlich. Ich plädiere in der gesamten Bildkultur für die Abbildung vollständiger Frauen. Was nicht heißt, dass ich dem Spiel von Verhüllung und Enthüllung keine Reize abgewänne. Verhüllte Frauen mit sichtbarer Scham, die durch die bizarren Städte schreiten und ihr Gesicht und ihre Scham offen tragen. Wenn sie auf den Bänken sitzen, zeigen sie vielfach geformte Dreiecke. Und dazwischen auch mal Lippen. Da sitzen mir doch drei dieser Damen in der Bahn gegenüber. Aus der Frau am Fenster schwellen dicke Lippen, von schwarzem Haar umrahmt, und zwei kleine Lippen schauen aus den dicken heraus. Die zweite eher Dünengras, durchsichtig hell, und dazwischen rosa Zauber, die dritte braun und sehr verschlossen. Ein glänzender Punkt. Sie hat zwei so niedliche Eckzähne, sagt sie. Vampir, sagt die am Fenster, wickle sie nicht ein mit deinen Komplimenten, zurück zum Thema. Sie schlägt die Beine andersherum übereinander. Da erhasche ich einen Einblick. Dunkelrot. Und goldene Kronen. Die verschlossene Braune grinst und wendet sich wieder der süßen rosa Lippe zu. Die Vampireckzähne sind tatsächlich bezaubernd. Worüber reden sie doch gleich. Ach ja, Sex und Gewalt. Was unterscheidet so eine Damenpornoshow mit Sadomaso von einem Gewaltfilm, wolltest du wissen, nun, es geht ums Einverständnis, sie sprechen miteinander, sind zärtlich, küssen sich – und dieses Einverständnis fehlt in besagtem Männerschund, wo die Frauen mit den dummen Gesichtern dümmliche dickbäuchige Männer bedienen … Die Gesichter dieser Damenshowdamen sind so selbstbewusst und stark, das ist gerade das Gegenteil. Der Eckzahn schiebt sich ein wenig verlegen auf die rosa Lippe, die kleine. Ja aber, wenn wir Frauen das zeigen, meinen die Männer doch gleich wieder, aha, wir wollen’s ja so. Die verschlossene Braune öffnet kurz ihre Lippen und grinst. Sie hat keine Zähne, oder irre ich. Den Unterschied zu zeigen ist wichtig, den Unterschied zwischen Übergriff und Lust. Wenn ich dir jetzt, obwohl du nicht willst …‚ die Eckzähne schieben sich auf der rosa Lippe hin and her. Ein Tropfen kann sich nicht zurückhalten. Ja, aber wenn ich will … Ich kann mich nicht zurückhalten und schiebe einen Finger in die verlegene rosa Scham. Da beißt sie zu. Die hat doch tatsächlich … Der Schmerz öffnet mir die Lippen, und ich ziehe meinen schmerzenden Finger aus ihrem Schlund und stecke ihn in meine Lippen zu meinem anständig kühlen Nass. Ach sie schmeckt so süß, so süß … Meine Herren, und sie beißen doch. Die Sehnsucht richtet sich aufs Verborgene, die Sehnsucht treibt die Sprache, die Erfindung voran. Sie aufzulösen mit Gewalt, sie zu stillen, ist des Mannes Wunsch, und da er den geheimen Ort im Weiblichen vermutet, bleibt sie sein Sehnsuchtsbild. An ihm selbst ist nichts Geheimnisvolles. Ort der Sehnsucht wird sein eigener Körper nicht. Doch in jedem Versuch der Erfüllung, in jedem weiblichen Akt, in jedem Bild steckt neben aller äußerlichen Befriedigung eine Enttäuschung. Die Sehnsucht ist nie gestillt, das Rätsel nie gelöst. Die Scham der Frau dagegen, das „Geschlecht, das nicht Eins ist“, erfordert eine Syntax, in der es „keinen Eigennamen mehr gäbe, so dass jegliche Diskriminierung, jegliche Form der Aneignung unmöglich wäre“ (Irigaray). Eine Geheimsprache, Abschweifung, dem viellippigen Geschlecht entsprechend. Weibliche Kunst der Abschweifung. Es bleibt ein Geheimnis. Aller Forschung, Betastung, Besichtigung zum Trotz, wir sehen sie nicht, die Vagina, wie sie sich bewegt, zuckt, tanzt. Eine Sehnsucht liegt in uns selbst. Sie erfüllt sich nicht. Doch wir spüren sie, wir spüren das Geheimnis. Unser Geschlecht „ist in sich...