E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Gerstenberg Das Kreuz von Krähnack
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95958-727-3
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Berlin-Brandenburg-Krimi
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-95958-727-3
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Krähnack, einem Nest in der Uckermark, wird die Leiche eines buddhistischen Mönchs im Teich gefunden. So etwas hätte der Berliner Hauptkommissar Oeser in der brandenburgischen Provinz nicht erwartet. Als Teilnehmer eines Wochenendseminars aus ganz anderen Gründen in der Gegend, stellt er lieber Ermittlungen über das Dorf und seine Bewohner an. Wie so viele ostdeutsche Ortschaften hat auch Krähnack in den letzten Jahren einige Veränderungen hinnehmen müssen: Viele jungen Leute sind weggezogen, dafür haben sich ausgeflippte Großstädter dort niedergelassen. Vor allem der Künstler und Schlossbesitzer Carlos Roda beansprucht eine wichtige Rolle in der Dorfgemeinschaft. Doch nur einen Tag nach dem Mönch wird auch er in dem Teich tot aufgefunden. Liegt den Morden ein religiöses Motiv zu Grunde? Oder stört sich jemand an den schillernden Zugezogenen in Krähnack? Fragen, die Oeser keine Ruhe lassen. Und dann muss er sich auch noch mit der lästigen Journalistin Monika Abendroth herumschlagen …
Die Kulisse, vor der gemordet wird, ist beschaulich, aber dahinter lauern menschliche Dramen. Ralph Gerstenberg versteht es, mit feiner Ironie vom prallen Leben zu erzählen!
Autoren/Hrsg.
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Der Tod im Teich Heiß wird’s, dachte Mayerhoffer, als er am Morgen aus der Tür trat. Die ersten Sonnenstrahlen überzogen die Ähren des Weizenfeldes, das an den Garten grenzte, mit einem rötlichen Schimmer. Kein Tau im Gras. Die Quecksilbersäule des Thermometers, dessen Markierungen kaum noch zu erkennen waren, hatte sich bereits über die Hälfte der Skala ausgedehnt. Kein Wölkchen am Himmel – dabei war für heute Regen angesagt worden. Mayerhoffer schlüpfte in seine Gummistiefel, wie er es jeden Morgen tat, und ging in den Garten, um den Rasensprenger und die Bewässerungsanlage für die Gemüsebeete anzustellen. Als er sich bückte, spürte er wieder diesen Schmerz im Rücken – ein Messer, das ihm in die Schulter gerammt wurde. Wie damals bei dieser Tennisspielerin. Den Namen hatte er vergessen. Aber an das Gefühl konnte er sich noch gut erinnern, als er die Bilder zum ersten Mal im Fernsehen gesehen hatte. Damals hatte es angefangen. »Die Bandscheiben«, sagte der Arzt. »Kein Wunder, bei Ihrem Beruf!« Nein, dachte Mayerhoffer, kein Wunder, und drehte den Hahn auf. Seit fast fünfzig Jahren bepflanzte und bewirtschaftete er diesen Flecken Erde. Anderthalb Hektar. Immer gebückt und nach vorn gebeugt, hatte er mit krummem Rücken gegraben im märkischen Sand. Früher hatte ihm auch noch ein Stück von dem Feld gehört. Aber das hatten sie ihm wieder weggenommen. Ebenso wie die Kühe und das Pferd. Zwangskollektivierung! Aber nicht mit Mayerhoffer. Er war nicht den weiten Weg aus der Bukowina hierher gekommen, um für die Kommunisten zu schuften. Krähnack – dieses gottverlassene Nest im Brandenburgischen, fast an der Grenze zu Polen. Da hätte er seiner Heimat nicht den Rücken kehren müssen, dem schönen Buchenland! Hier hatten die Kommunisten ihm zwar nicht verboten, Deutsch zu sprechen, aber sie wollten ihn um den Lohn seiner Arbeit bringen. Er sollte für andere mitarbeiten. Für das Kollektiv! Für den Rosinski zum Beispiel, der sich niemals die Finger schmutzig gemacht hat mit märkischem Sand, dessen Bandscheiben noch kein bisschen abgenutzt waren, der als Erster im Dorf einen Mercedes, silbermetallic, fuhr, einen gebrauchten zwar, aber immerhin. Für Rosinski hätte er sich seine Bandscheiben ruinieren sollen? Auf keinen Fall! Da hatte er lieber seine eigene kleine Gärtnerei aufgemacht und sich mit dem begnügt, was sie ihm einbrachte. Viel war’s nicht. Kein Mercedes, silbermetallic, stand nun in seiner Garage, aber immerhin ein Renault Rapid, mit dem er seine Blumen, Pflanzen und Früchte zwei Mal pro Woche zum Markt fuhr. Nachdem Mayerhoffer sich davon überzeugt hatte, dass alle Beete genügend Wasser abbekamen, schlurfte er gemächlich den Weg an den Tomatensträuchern vorbei zum Gewächshaus. Er roch, wie die Erde feucht wurde. Ein guter Geruch. Frisch und würzig. Der Geruch seines Lebens. Mayerhoffer liebte diese Stunde des Tages. Selbst am Sonntag stand er mit der Sonne auf. Sogar im Urlaub, den er nirgendwo anders verbrachte als in seinem Garten. Wer sollte sich auch, wenn er nicht da war, um die Pflanzen kümmern, wer um die Sittiche, die er hinter dem Gewächshaus in der Voliere züchtete, und wer um die Karpfen im Teich, die er jeden Morgen fütterte? Seine Söhne? Die lebten ihr eigenes Leben. Wenn sie von ihren Berufen sprachen, verstand Mayerhoffer kein Wort. Sie machten nichts, was man sehen konnte, schmecken, riechen. Saßen nur vor ihren Bildschirmen und reihten Wörter, Zeichen und Zahlen aneinander. Mayerhoffer hatte keine Ahnung wozu, wollte nichts wissen. Niemand würde seine Gärtnerei übernehmen, weder der Große noch der Jockel. Das hatte er verstanden, das reichte. Mittlerweile hatte er sich damit abgefunden. Wenn er starb, dann war Sense, ein für allemal. Nichts würde bleiben außer der Buche, die er gepflanzt hatte, als er hier angekommen war. Jetzt war sie vierzig Meter hoch und ihre Krone ragte weit in den Brandenburger Himmel hinein. Manchmal schien es ihm, als würde sie die Wolken berühren. Und jeden Sommer feierten sie darunter das Dorffest. Unter seiner Prachtbuche! Im vergangenen Jahr hatte sie zum ersten Mal geblüht. Da hatte Mayerhoffer geweint wie ein Kind. Er wusste ja, dass manche Buchen erst nach achtzig Jahren blühreif waren. Aber seine Buche blühte schon nach fünfzig. Als ahnte sie, dass er nicht so lange warten konnte, als hätte sie das nur für ihn getan. Mayerhoffer schmunzelte, als er hinter dem Haus entlanglief und durch das geöffnete Fenster das kleine Kofferradio hörte, das auf dem Kühlschrank stand. Senta stellte es jeden Morgen an, wenn sie die Küche betrat, und schaltete es erst aus, wenn sie am Abend ins Wohnzimmer ging, um gemeinsam mit ihm fernzusehen. Sie stand noch immer mit ihm auf, obwohl sie es nicht brauchte. Mayerhoffer hatte schon oft zu ihr gesagt, sie solle doch liegen bleiben. Was wollte sie denn so früh auf den Beinen? Sie hatte nie etwas erwidert, war einfach weiter mit ihm aufgestanden. Und Mayerhoffer hätte es sich auch gar nicht anders vorstellen können. Seine größte Angst war, dass sie vor ihm starb. Während er im Morgengrauen die Pflanzen goss, brühte sie Kaffee auf, holte Wurst, Käse, Butter, selbst gemachte Konfitüre aus dem Kühlschrank und schnitt ein paar Scheiben Schinken von dem Stück in der Speisekammer ab – mit dem Messer, das so ähnlich aussah wie das, mit dem der Tennisspielerin vor Jahren in den Rücken gestochen worden war – krumm und spitz. Sofort spürte Mayerhoffer wieder den Schmerz in der Schulter. Doch dann wurde er abgelenkt von einem roten Punkt, den er auf dem Boden vor dem Gewächshaus entdeckte. Feuerkäfer! Wütend trat er mit dem Stiefel darauf. Die Biester waren eine Plage – vor allem seitdem er kein Insektengift mehr sprühen durfte, weil sie ihm sonst auf dem Markt nichts mehr abnahmen. Tomaten aus Holland und Spanien waren billiger. Also musste er sein Gemüse neuerdings »Bio-« nennen, dann akzeptierten die Kunden den höheren Preis. Bio! Mayerhoffer schniefte verächtlich. Er erinnerte sich noch gut an den Tag, als ihn zum ersten Mal einer an seinem Marktstand gefragt hatte, ob die Tomaten auch bio seien. Mayerhoffer hatte ihn angestarrt und nicht gewusst, was der Mann von ihm wollte. »Bio?« »Ja, rein biologisch eben.« »Natürlich sind meine Tomaten biologisch. Oder denken Sie, die sind aus Plastik? Fassen Sie doch mal an!« Mayerhoffer hatte dem Mann eine von seinen Tomaten hingehalten, aber der hatte sich geweigert, sie in die Hand zu nehmen. So ein Neunmalkluger mit Zopf und intelligenter Brille! Zuerst müsse er wissen, ob die Tomate bio sei und nicht vergiftet. Die meisten Schadstoffe säßen nämlich an der Oberfläche und davon bekäme man Hautreizungen. Vergiftet? Da wurde es dem Mayerhoffer aber zu bunt. Erst behauptete dieser Heini, seine Tomaten seien aus Plastik, dann waren sie auf einmal sogar vergiftet! Er solle verschwinden, hatte Mayerhoffer gesagt und die Tomate zurück zu den anderen gelegt. Am besten dorthin, wo er hergekommen sei. Denn längst war Mayerhoffer klargewesen, dass der Mann aus dem Westen stammte. Diesen Dialekt gab es nicht in Ostdeutschland und so ein Leinensakko, das aussah, als wäre es aus einem alten Mehlsack geschneidert worden, hatte er hier auch noch nicht gesehen. Eigentlich hatte Mayerhoffer keine Vorurteile gegen Einwanderer. Er war ja selbst einer. Aber seit der Begegnung mit dem Bio-Mann schimpfte er auf die Wessis wie all die andern im Dorf. Mittlerweile wusste Mayerhoffer, was bio war. Und alles in seinem Garten war nun bio. Dafür musste er jetzt die Feuerkäfer und die anderen Mistviecher mit dem Staubsauger von den Blättern saugen. Das war bio! Und jedes Mal, wenn er im Garten saugte, fluchte er auf die verdammten Wessis. Im Gewächshaus, das inzwischen vom Morgenrot durchstrahlt wurde, schnitt Mayerhoffer die Blumen ab, die er heute auf dem Markt verkaufen wollte, und stellte sie anschließend, nach Sorten geordnet, in verschiedene Plastikeimer, die er zuvor mit lauwarmem Wasser gefüllt hatte. Dann schaltete er auch hier die Bewässerungsanlage an, wobei er wieder einen Stich im Rücken spürte. Kurz hielt er inne und bewegte sich nicht. Stand nach vorn gebeugt und starrte mit verzerrtem Gesicht in die gleißende Röte. Bis der Schmerz nachließ. Mayerhoffer war damals dagegen gewesen, dass seine Frau das Messer kaufte, das aussah wie das von dem Attentat auf die Tennisspielerin. Wie hieß sie doch gleich? Aber seine Senta hatte ihren eigenen Kopf, besonders wenn es um ihre Küche ging. Er konnte ja auch schlecht zugeben, woran es ihn erinnerte. Dafür hätte die Senta kein Verständnis gehabt. Sie brauchte ein Messer zum Schinkenschneiden und dieses war gerade gut dafür. Basta! Die Sittiche begrüßten Mayerhoffer krächzend in der Voliere. Sie stritten sich um die Hirsekolben, die er ihnen hinhängte. Mayerhoffer schaute nach dem Nymphensittichnachwuchs im Brutkasten, füllte frisches Wasser in die Trinkgefäße und kraulte kurz seinen Lieblingswellensittich am Bauch, bis dieser ihn in den Finger biss. Mayerhoffer schimpfte wie jeden Morgen und der Vogel plusterte sich zufrieden. Mit einer Plastiktüte in der Hand verließ Mayerhoffer sein Grundstück. Er lief die Dorfstraße entlang, die jetzt Marcel-Duchamp-Straße hieß, woran er sich niemals gewöhnen würde. Auf seine Briefe schrieb er weiterhin als Absender: Mayerhoffer, Dorfstraße 2. Das war seine Adresse seit fast fünfzig Jahren. Und daran würde sich nichts ändern. Wer war überhaupt dieser Düschamp? Das hatte er den Carlos Roda gefragt, dem jetzt das Schloss gehörte. Der war es ja schließlich gewesen, der die Umbenennung beantragt hatte....