E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Piper Taschenbuch
Gerwens / Schröger Anpfiff in Kleinöd
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-98065-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Niederbayern-Krimi
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Piper Taschenbuch
ISBN: 978-3-492-98065-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katharina Gerwens wuchs in einem Dorf im Münsterland auf. Nach ihrer Ausbildung zur Journalistin arbeitete sie in verschiedenen Verlagen und ist heute als freie Autorin tätig. Sie lebt mit Mann und Katze in Niederbayern. Gemeinsam mit Herbert Schröger verfasste sie eine Reihe von Niederbayern-Krimis, die im fiktiven Ort Kleinöd spielen. Allein veröffentlichte sie bereits mehrere Krimis, unter anderem die Reihe um Franziska Hausmann, die im Bayerischen Wald spielt.
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ZWEITES KAPITEL
Rückpass
An einem Maitag, ein halbes Jahr vor dem grausigen Fund im Sumpfgebiet von Kleinöd, schoss ein roter BMW mit einem Affenzahn an einer jungen Frau vorbei, bremste dann mit quietschenden Reifen und kam etwa hundert Meter weiter zum Stehen. Walburga Donaubauer grinste. Sie hatte es gewusst. Gerade solche Typen fuhren an ihr nicht vorbei. Es hatte schon fast etwas Lächerliches, dass Männer so berechenbar waren. Andererseits – so kam sie wenigstens rechtzeitig nach München.
Der BMW-Fahrer mit dem Allerweltsnamen Peter Huber hatte sich umgedreht und den Rückwärtsgang eingelegt. Er trug eine auffällige Sonnenbrille, und sein blondes Haar hatte lichte Stellen, durch die die Kopfhaut mit einem errötenden Sonnenbrand aufschimmerte. Sollte besser einen Hut tragen, dachte Walburga. Beispielsweise eine dieser unsäglichen Schirmmützen. Am besten in Rot. Passend zu seinem Auto und garantiert auch zu seinem Lieblingsverein.
Wenn sie am Straßenrand stand und darauf wartete, mitgenommen zu werden, verlor sie sich oft in derart despektierlichen Gedanken. Aber die behielt sie fast immer für sich.
Geschmeidig schnurrte das Cabrio zurück zu der Stelle, an der Walburga stand. Sie trug Jeans und Turnschuhe, ein weißes T-Shirt, eine ärmellose Jeansjacke mit zahlreichen Aufnähern sowie einen weiß-blauen Schal mit dem schwarzen, doppelschwänzigen Löwen darauf. Aber deswegen hatte der Cabrio-Fahrer nicht gehalten. Es war ihr Haar – kupferrot, lang und lockig –, das ihn auf die Bremse hatte treten lassen. Hier in Niederbayern und direkt an der B20 waren derart attraktive Frauen eine ausgesprochene Rarität, und Peter Huber sah sich schon mit ihr über die Autobahn brausen – die rote Mähne seiner Beifahrerin fahnengleich im Winde flatternd, beneidet von all den ordentlich gekämmten Spießern in ihren säuberlich polierten Familienkutschen, die er auf seiner rasenden Reise nach München überholen würde.
Er hielt neben der der jungen Frau und öffnete galant die Beifahrertür. Sie beugte sich lächelnd vor und blitzte ihn mit smaragdgrünen Augen an. Ihr Gesicht war übersät mit Sommersprossen, sie rümpfte ihre lustige Stupsnase und sah aus wie eine, mit der man Pferde stehlen könnte. Sie sah genauso aus wie die Frau seiner Träume.
Was für ein Tag!
Der Huber Peter lächelte verhalten und fuhr sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen. Auch ihre Figur war nicht schlecht, alles in den richtigen Proportionen und alles am richtigen Platz. Zuvorkommend fragte er: »Wo tätst nachad du heut noch hinmögen um die Zeit? Ihr spielts doch eh erst morgen?«
Ihr Schal outete sie als eine Anhängerin des Fußballvereins TSV 1860 München, der berühmt-berüchtigten Münchner Löwen. Der erfolgreiche Kiesgrubenbesitzer Huber dagegen war, wie Walburga vermutet hatte, eher dem FC Bayern zugeneigt.
»Nach München ins Stadion«, sagte sie und bedachte ihn mit einem Blick, der nicht gerade schmeichelhaft war. »Du wirst ja wohl ned behaupten wollen, dass man mir das ned ansehn tät?«
»Doch doch, logisch. Grad da fahr ich ja auch hin! So ein Spiel wie heut kann man sich doch ned entgehen lassen!« Seine Stimme klang übereifrig. »Da könnt ich dich schon mit hinnehmen. Steig ein. Wie heißt denn?«
»Walburga«, murmelte die Rothaarige und nahm ihren Rucksack ab.
»Da hast aber ein Glück! Ein G’schäftsfreund leiht mir heut nämlich seine Nobeleintrittskarten. Und du bist hiermit von mir dazu eing’laden! Business-Sitzplatz mit Puderzuckergebläse unterm Hintern, in der Halbzeitpause leckere Hummerschwänze, russische Fischeier und französisches Bitzelwasser satt. Und ganz nebenbei spielt auch noch der sagenhaft ruhmreiche Weltrekordmeister! Meinst wirklich, dass du da auch richtig anzog’n bist, so rein outfitmäßig? Deinen Schal solltest du derweil im Auto lassen. Am besten im Kofferraum. Rot wär da schon eher die Farbe der Wahl.«
»Nix gibt’s mit Kofferraum und schon gar nix mit Rot!«, dröhnte ihm eine Stimme von links hinten ins Ohr. Und eine zweite ergänzte von rechts: »Superschnellen Kübel hast da. Kommst uns ja grad recht. Da sind mir nämlich heut einmal schnell wie der Blitz daheim in Giesing!«
Der BMW-Fahrer fühlte sich überrumpelt und blickte sich um.
»Die da sind quasi meine Leibwächter«, sagte Walburga und grinste. »Ohne die geht gar nix. Steigts ein, Burschen.«
Fassungslos starrte der Cabriofahrer die beiden Mitreisenden an, die mit einem Schwung die Rückbank des BMW enterten und es sich dort augenblicklich gemütlich machten. Hätte er gewusst, dass es sich um drei Mitreisende handelte, hätte er niemals gehalten. Er war wütend und fühlte sich ausgetrickst.
Der kompaktere der jungen Männer öffnete seinen Rucksack und zauberte drei Flaschen Bier hervor, die sein Freund mit einem Feuerzeug öffnete; eine der Flaschen reichte er vor zu Walburga und stellte dabei fest: »Da ham mir aber heut einmal einen echt vornehmen Lift erwischt. Sauber, sag ich!«
»So b’sonders sauber find ich das fei ned«, widersprach Peter Huber. »Was ihr da macht, ist in meinen Augen eher eine arglistige Täuschung, wenn ned gar ein vollendeter Betrug.«
»Ach, geh weiter, ham mir am End Jura studiert?«, lästerte der eine vom Rücksitz.
»Enzo, Frank, lassts ihn jetzt in Ruh«, sagte Walburga. »Immerhin ist der Mann doch so nett und fahrt uns.«
»Okay, wie du meinst.« Der Typ, der auf den Namen Frank hörte, nahm einen tiefen Schluck aus seiner Pulle und beugte sich so weit nach vorn, dass seine Nasenspitze fast die des überrumpelten Chauffeurs berührte. »Ich tät dann aber vorschlag’n, dass du jetzt auch einmal zufahrst! Auf geht’s, gib Gas, mir woll’n Spaß, haha! Sonst wird das nämlich heut nix mehr.« Er rülpste lautstark und schob eine präzisere Zielbestimmung nach: »Und ned vergessen: Mir müssen fei nach Giesing und ned in eure komische Arena da neben der Kläranlage! Und wenn du willst, dass deine schöne Bonzenschleuder heut auf d’Nacht noch genauso schön dasteht wie jetzt – mit Spiegel dran und Luft in die Reifen und ohne Kratzer –, dann ist’s fei besser, wenn du dich keinesfalls verfahrst! Ham mir uns verstanden, mir zwei?«
Der Taxifahrer wider Willen war jetzt fast so rot im Gesicht wie der Lack seines Autos. Er schien noch etwas sagen zu wollen, biss sich dann aber auf die Lippen, rückte die Sonnenbrille zurecht und fuhr los.
Seine Beifahrer prosteten sich lachend zu und begannen zu singen, während der BMW die A92 erreichte und mit Höchstgeschwindigkeit auf die Landeshauptstadt zubretterte. Eine schöne Stimme hat sie ja, diese Löwenmaus, dachte Peter Huber und konzentrierte sich auf den grauen Asphalt und immer abenteuerlichere Überholmanöver, um nicht den Text des Liedes hören zu müssen, mit dem die drei ihn offensichtlich provozieren wollten. Zur Melodie von Bonnie Tylers unvergessenem Song »It’s a heartache…« sangen sie einstimmig: »Mir sind Löwen, asoziale Löwen, schlafen unter Brücken oder in der Bahnhofsmission…«
Da hatte er sich ja was Schönes eingebrockt. Mit dieser kichernden und feixenden Meute in seinem schönen Wagen fuhr er am Münchner Vorort Fröttmaning vorbei, an dem von innen heraus rot leuchtenden und wabenartigen Ufo, von dem ein Spaßvogel einmal behauptet hatte, es sehe aus wie Ottfried Fischer in Netzstrümpfen. Hier würden seine Roten heute spielen, und natürlich wäre es schön gewesen, mit der rothaarigen Superfrau auf der Promibank zu glänzen – aber sie gehörte nun mal zum feindlichen Lager, war bekennende 1860-Anhängerin und somit Angehörige einer fremden Welt. Nein, er musste sie und die beiden Jungs so schnell wie möglich loswerden, wobei ihm klar war, dass das Risiko, die lautstarken drei einfach an der nächsten U-Bahn abzusetzen, ein bisschen zu groß war.
Nun, sobald er die Bande los war, würde er endlich wieder seine Ruhe haben. In diesem Augenblick schwor er sich, niemals wieder eine Anhalterin an der B20 in seinen Wagen steigen zu lassen. Schon sein Mitarbeiter Holger pflegte zu sagen: »Die B20 ist ein gefährliches Pflaster.« Endlich wusste er, was damit gemeint war.
Huber fuhr quer durch die Stadt an der Isar entlang und fürchtete die ganze Zeit, jemand aus seinem Bekannten- oder Kundenkreis könne ihn sehen und ihn in seiner Eigenschaft als Chauffeur für Sechzigerfans identifizieren. Damit wäre seine Autorität ein für alle Mal untergraben. Und das, wo er es doch eh schon so schwer hatte, sich durchzusetzen, und sich extra diesen Flitzer gekauft hatte, um ein wenig mehr herzumachen. Diese abgerissenen Sechzigerbürscherl von kaum mal zwanzig Jahren hatten das tollste Mädel der Welt an ihrer Seite, und er ging mit seinen knapp dreißig wieder mal leer aus.
Das Leben war ungerecht. So viel hatte er schon versucht, um bei den Frauen anzukommen: schicke Klamotten, modische Frisuren, luxuriöse Urlaube – und dass er geizig sei, konnte ihm wirklich keine vorwerfen. Aber alle hatten sie ihn nach kurzer Zeit mit einem hilflosen Achselzucken stehen lassen, und eine ganz Ausgeschamte hatte ihm doch tatsächlich auf seiner Frage nach dem Warum gnadenlos ins Gesicht gesagt: »Du bist mir zu langweilig.« Ja, was wollten sie denn noch, die Weiber? Für Unterhaltung waren doch Fernsehen, Radio und Zeitschriften zuständig. Nicht er! Er schaffte Geld ran. Darin war er gut. Das lag in seiner Familie. Und angeblich waren die Frauen gut darin, es auszugeben. Aber Peter Huber hatte bislang noch keine gefunden, die sein Geld ausgeben wollte. Er verstand es nicht.
Sein jüngster Versuch war dieser rote BMW. Er besaß ihn seit drei Wochen und wollte damit auffallen. »Wer gelten will, dem wird’s...