Ghosh | Rauch und Asche | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Ghosh Rauch und Asche

Die geheime Geschichte des Opiums
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7518-2057-8
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die geheime Geschichte des Opiums

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-7518-2057-8
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In einer mitreißenden Mischung aus Reisebericht, Memoir und historischem Essay zeichnet der indische Autor die Anfänge des weltweiten Opiumhandels ab dem 19. Jahrhundert nach und macht deutlich, dass dessen Auswirkungen bis in die heutige Zeit reichen: von den mächtigsten Familien und prestigeträchtigsten Institutionen, deren Reichtum sich den Einnahmen aus dem Opiumgeschäft verdankt, bis hin zur amerikanischen Opioid-Epidemie und dem Oxycontin-Skandal. Während der jahrzehntelangen Archivrecherche für seine Ibis-Romantrilogie stellte Amitav Ghosh mit Erstaunen fest, dass die Lebenswege und Handelsrouten zahlreicher Menschen, auch seiner eigenen Vorfahren, im 19. Jahrhundert mit einer einzigen Pflanze verwoben waren: der Mohnblume. Das Britische Weltreich sicherte sich durch ihren Anbau in den indischen Kolonien die Handelsfähigkeit mit China, indische Bauern wurden über Jahrhunderte hinweg in prekärer Abhängigkeit gehalten, und die chinesische Bevölkerung wurde von einer unaufhaltsamen Drogenepidemie überspült. Währenddessen hofften internationale Handelsleute stets auf Reichtum durch die Beteiligung am Opiumhandel.

Amitav Ghosh, 1956 in Kolkata geboren, lebt heute als Autor und Essayist in New York. Seine Romane wurden in über dreißig Sprachen übersetzt und zahlreich ausgezeichnet, unter anderem gewann Der Glaspalast 2001 den Frankfurt eBook Award und Das mohnrote Meer stand 2008 auf der Shortlist für den Man Booker Prize, 2018 war er der erste Autor, der mit einem englischsprachigen Werk mit dem höchsten indischen Literaturpreis, dem Jnanpith Award, ausgezeichnet wurde. Der Fluch der Muskatnuss ist sein zweites Sachbuch, in dem er die Klimakrise thematisiert.

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1
HIER SIND DRACHEN
Aus heutiger Sicht finde ich es verblüffend, dass China für mich die meiste Zeit meines Lebens nicht mehr war, als die riesige leere Fläche, die auf der Landkarte über Indien schwebte. Es fehlte wirklich nur noch die Inschrift »Hier sind Drachen«. Wie es der Zufall wollte, wurde ich in Westbengalen geboren, einem indischen Bundesstaat, der an China grenzt. Aufgewachsen bin ich in Kalkutta (heute Kolkata), wo es eine kleine, aber bedeutende chinesische Gemeinde gibt. Dennoch hatte ich keinerlei Interesse an der chinesischen Geschichte, Geografie oder Kultur. Und obwohl ich schon immer gerne gereist bin, wäre es mir lange Zeit nicht in den Sinn gekommen, sagen wir, in die Provinz Yunnan zu fahren – und das, obwohl deren Hauptstadt Kunming per Luftlinie kaum weiter von Kalkutta entfernt ist als Neu-Delhi. Irgendwie schien Kunming einer anderen Welt anzugehören, die von meiner eigenen abgeschnitten war – nicht nur durch eine ganz reale, hoch in den Himmel ragende Gebirgskette, sondern gewissermaßen auch durch einen geistigen Himalaya. Erst als ich im Jahr 2004 anfing, meinen Roman Das mohnrote Meer zu schreiben, kam ich auf die Idee, nach China zu reisen. Meine beiden Hauptfiguren Diti und Kalua machen sich im Jahr 1838 auf den Weg nach Mauritius, um sich dort als Vertragsarbeiter zu verdingen. Da dies der Hauptbogen der Geschichte werden sollte, war mir klar, dass mich die Recherche für das Buch nach Mauritius führen würde (was sie dann auch tat). Aber ich wurde auch noch in eine andere, völlig unerwartete Richtung gelenkt: Als ich nämlich tiefer in die Recherche einstieg, begriff ich, dass nicht nur Indien und Mauritius den Hintergrund meiner Geschichte bilden würden, sondern auch die Wasserfläche, die diese beiden Länder voneinander trennt (und sie verbindet): der Indische Ozean. Das Schreiben über das Meer ist völlig anders als über das Land zu schreiben. Der Horizont ist viel weiter, und den Schauplätzen fehlt jene Beständigkeit, die es Romanautoren überhaupt erst ermöglicht, ein »Gefühl für den Ort« zu vermitteln. Wenn der Hauptschauplatz ein Schiff ist, wie der Schoner Ibis in Das mohnrote Meer, dann wird man sich der Strömungen, der Winde und der Verkehrsflüsse extrem bewusst. Und je mehr ich über diese Hintergründe herausfand, desto klarer wurde mir, dass die Seefahrt in der Zeit, über die ich schrieb, nämlich die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, nicht (wie ich gedacht hatte) in erster Linie zwischen Indien und dem Westen stattfand, sondern zwischen Indien und China – oder besser gesagt einem bestimmten Ort in China, einer Stadt namens »Kanton«. Der Name war mir schon oft begegnet, ohne dass ich genau wusste, wo sich diese Stadt befand. Aber als ich nun anfing, mich in die Schriften über die Seefahrerei des 19. Jahrhunderts zu vertiefen, wurde ich immer neugieriger: Was war so besonders an Kanton, dass allein der Gedanke, dorthin in See zu stechen, Seefahrer und Reisende des 19. Jahrhunderts in Verzückung geraten ließ? Wäre ich auch nur annähernd über China und die chinesische Geschichte informiert gewesen, hätte ich gewusst, dass »Kanton« ein Wort ist, das die Europäer einst ganz unbefangen der Provinz Guangdong im Allgemeinen und der Stadt Guangzhou im Besonderen übergestülpt hatten.1 Aber damals waren meine Kenntnisse über China und seine Geografie so lückenhaft, dass ich wie gesagt nur eine vage Ahnung davon hatte, wo Guangzhou überhaupt lag. Wenn ich zurückdenke, war wohl meine Ahnungslosigkeit in Bezug auf China weder ein Mangel an Neugierde oder Gelegenheit noch überhaupt auf äußere Umstände zurückzuführen, sondern vielmehr, so bin ich überzeugt, das Ergebnis einer inneren Schranke, die nicht nur uns Indern, sondern auch Amerikanern, Europäern und vielen anderen Menschen auf der ganzen Welt durch bestimmte wiederkehrende weltgeschichtliche Erzählmuster eingepflanzt wurde. Und während die Jahre vergehen und der Schatten, den China auf die Welt wirft, immer länger wird, werden diese Schranken, insbesondere in Indien und den Vereinigten Staaten, immer unüberwindlicher. Meines Erachtens kann man aus der genauen Betrachtung dieser Umstände etwas Wichtiges lernen – nicht nur wegen ihrer Bedeutung für China, sondern auch, weil sie uns etwas über die verschiedenen Arten und Weisen sagen, die Welt wahrzunehmen und zu verstehen. Auf indischer Seite ist es der chinesisch-indische Krieg von 1962, in dem Indien eine vernichtende Niederlage erlitt und der alle mit China verbundenen Erinnerungen dominiert, ja erschlägt.2 Ich war damals erst sechs Jahre alt, aber meine Erinnerungen an diese Zeit sind immer noch lebendig. Ich weiß noch, wie meine Mutter unter Tränen goldene Armreifen heraussuchte, um sie für den Krieg zu spenden; ich erinnere mich, wie mein Vater Decken und Wollsachen sammelte, die er an die Front schicken wollte; ich erinnere mich auch, wie meine Eltern mit Freunden endlos über die Ursachen des Krieges stritten und darüber, wer die Schuld an dem Debakel trug. Über diese Fragen besteht bis heute keine Einigkeit. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2021 von Avtar Singh Bhasin, dem ehemaligen Leiter der historischen Abteilung des indischen Außenministeriums, legt nahe, dass Missverständnisse sowie Fehler des damaligen Premierministers Jawaharlal Nehru zu den zentralen Auslösern des Krieges gehörten. »Die Freiheiten, die sich Neru an der Westgrenze herausnahm, forderten den Ärger geradezu heraus«, schreibt Bhasin: »Indien wurde zum Opfer seiner eigenen falschen Annahmen.«3 Zwar war Nehru in vielerlei Hinsicht ein bewundernswerter Mensch und visionärer Staatsmann, doch bei der Bewältigung dieser Krise scheint er sich merkwürdig ungeschickt verhalten zu haben. Die ganze Wahrheit wird man wahrscheinlich ohnehin nie herausfinden, da einige der wichtigsten historischen Materialien noch nicht ans Licht gekommen sind. Sicher ist jedoch, dass der Krieg von 1962 bis zu einem gewissen Grad eine Folge des kulturellen und politischen Schattens war, den der Himalaya warf – Fehlinterpretationen, Missverständnisse und falsche Vorstellungen spielten als Auslöser des Konflikts jedenfalls eine große Rolle.4 Die Probleme, die für den Krieg von 1962 verantwortlich sind, wurden keineswegs gelöst, im Gegenteil: Der Konflikt, der sich nun schon seit Jahrzehnten hinzieht, dauert bis heute an. Entlang der Grenze kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen chinesischen und indischen Truppen, und ein Ende ist nicht in Sicht. Gegenüber seinem zunehmend selbstbewussten und kriegerischen Nachbarn China hat Indien wohl im Moment keine andere Wahl, als sich so gut es geht zu behaupten.5 Zweifellos hat diese anhaltende Konfrontation die Angst, das Ressentiment und die Feindseligkeit der Inder verstärkt, aber den ausgeprägten Hass gegenüber China, der heute in den USA immer deutlicher zutage tritt, gibt es in Indien schon seit ich denken kann. Aber auch zwischen Indien und Pakistan herrschen extreme Spannungen: Sie haben mehrmals Krieg gegeneinander geführt, und in beiden Ländern gibt es zahlreiche Menschen, die die Bewohner des jeweils anderen Landes erbittert hassen. Dennoch mangelt es auf beiden Seiten der Grenze nicht an Interesse und Neugierde. Ganz im Gegenteil: Indien und Pakistan haben ein obsessives Interesse an der Politik, der Kultur, der Geschichte, den aktuellen Ereignissen, dem Sport und so weiter des jeweils anderen Landes. Das ist keineswegs ungewöhnlich: Konflikte dieser Art führen oft zu einer Vertiefung des Engagements im kulturellen und ideellen Bereich. So gab es in den Vereinigten Staaten nach den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahr 2001 eine Welle von Anmeldungen für Arabischkurse. Die Zahl der Bücher, Artikel und Filme über den Irak und Afghanistan hat seither stetig zugenommen. Nichts dergleichen geschah in Indien nach 1962. Anstatt, dass das Interesse aneinander sprunghaft anstieg, wich man ruckartig und voller Scham, Misstrauen und Angst voreinander zurück, und nach dem nur wenige Wochen dauernden Krieg begannen die Inder, die chinesischstämmigen Migranten in ihren kleinen verstreuten Gemeinden zu Sündenböcken für die Katastrophe zu machen. Die chinesischen Gemeinschaften in Indien gehen bis auf das 18. Jahrhundert zurück, als sich die ersten Hakka in der Nähe von Kalkutta niederließen.6 Im Laufe der Zeit florierte die Gemeinde immer mehr; sie betrieb diverse Schulen, Tempel und Zeitungen, und viele ihrer Mitglieder wurden erfolgreiche Fachkräfte oder Unternehmer.7 Viele chinesische Inder waren noch nie in China gewesen und hatten keinerlei Verbindungen zu diesem Land; nicht wenige von ihnen waren Antikommunisten. Doch ein Gesetz, das die indische Regierung erließ, kaum, dass der Krieg von 1962 beendet war, erlaubte von nun an die »Festnahme und Inhaftierung von Personen, die einer feindlichen Herkunft verdächtigt werden«. Man zwang Tausende von ethnischen Chinesen, Indien zu verlassen; so wurden viele zu staatenlosen Flüchtlingen. Tausende weitere wurden in Indien in Gewahrsam genommen und verblieben jahrelang ohne Gerichtsverfahren in Internierungslagern. Als man sie freiließ, kehrten viele von ihnen zurück und mussten feststellen, dass ihre Häuser und Geschäfte beschlagnahmt oder verkauft worden waren. Noch jahrelang mussten sie sich jeden Monat auf einer Polizeistation melden. Auch die wenigen...


Lutosch, Heide
Heide Lutosch, 1972 in Niedersachsen geboren, lebt in Leipzig und hat bisher zahlreiche Sachbücher zu so diversen Themen wie Selbstmitgefühl, Thomas Mann oder Elefanten aus dem Englischen übersetzt.

Ghosh, Amitav
Amitav Ghosh, 1956 in Kolkata geboren, lebt heute als Autor und Essayist in New York. Seine Romane wurden in über dreißig Sprachen übersetzt und zahlreich ausgezeichnet, unter anderem gewann Der Glaspalast 2001 den Frankfurt eBook Award und Das mohnrote Meer stand 2008 auf der Shortlist für den Man Booker Prize, 2018 war er der erste Autor, der mit einem englischsprachigen Werk mit dem höchsten indischen Literaturpreis, dem Jnanpith Award, ausgezeichnet wurde. Der Fluch der Muskatnuss ist sein zweites Sachbuch, in dem er die Klimakrise thematisiert.

Amitav Ghosh, 1956 in Kolkata geboren, lebt heute als Autor und Essayist in New York. Seine Romane wurden in über dreißig Sprachen übersetzt und zahlreich ausgezeichnet, unter anderem gewann Der Glaspalast 2001 den Frankfurt eBook Award und Das mohnrote Meer stand 2008 auf der Shortlist für den Man Booker Prize, 2018 war er der erste Autor, der mit einem englischsprachigen Werk mit dem höchsten indischen Literaturpreis, dem Jnanpith Award, ausgezeichnet wurde. Der Fluch der Muskatnuss ist sein zweites Sachbuch, in dem er die Klimakrise thematisiert.Heide Lutosch, 1972 in Niedersachsen geboren, lebt in Leipzig und hat bisher zahlreiche Sachbücher zu so diversen Themen wie Selbstmitgefühl, Thomas Mann oder Elefanten aus dem Englischen übersetzt.



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