E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Gigerenzer / Luan / Reb Smart Management
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-593-46104-5
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit einfachen Heuristiken gute Entscheidungen treffen
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-593-46104-5
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gerd Gigerenzer, Psychologe, ist Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz, Universität Potsdam, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und Bestsellerautor.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Was Sie (wahrscheinlich) nicht an der Business School gelernt haben
Erinnern Sie sich an die Coronapandemie, die damit einhergehenden Einschnitte bei den globalen Vertriebsketten und die resultierende Warenverknappung? Vor der Pandemie hatten viele Institutionen die – die Überzeugung, dass die Welt sicherer sei, als sie tatsächlich ist. Nach jahrzehntelangem Festhalten an der Annahme, dass alle Risiken vorausgesehen, quantitativ gemessen und kontrolliert werden können, wird die Realität der Ungewissheit in Unternehmen und Verwaltungen wieder stärker anerkannt. Das Unterscheiden zwischen Risiko und Ungewissheit ist maßgeblich für erfolgreiche Entscheidungen mithilfe von smarten Heuristiken.
An Business Schools werden viele Fähigkeiten vermittelt, aber was das Entscheiden angeht, so werden die nützlichsten leider oft ausgelassen. Dieses Versäumnis ist kein Zufall. Management-, Führungs- und Finanzseminare lehren, dass eine rationale Entscheidungsfindung darin bestehe, die Alternative mit dem höchsten zu erwartenden Nutzen zu wählen, was impliziert, dass alle denkbaren Folgen jeder möglichen Option vorhergesehen werden müssen. Gute Manager, so heißt es, suchen nach allen relevanten Optionen und analysieren sorgfältig die möglichen Konsequenzen, wägen Nutzen gegen Wahrscheinlichkeiten ab und berechnen, welche Option den erwarteten Nutzen maximiert. Auf der ganzen Welt bringen Business Schools diesen Ablauf unzähligen Studierenden bei. »Mehr ist besser« ist zu einem Glaubenssatz geworden: mehr Zahlen, mehr Datenverarbeitung und mehr Analyse gelten als Voraussetzungen besserer Entscheidungen.
Vor langer Zeit erteilte Benjamin Franklin seinem Neffen einen Rat: Wenn du im Zweifel bist, schreibe das Für und Wider all deiner Optionen auf, wäge sie gegeneinander ab und berechne die beste Option; anderenfalls wirst du niemals heiraten.1 Doch nur wenige Menschen wählen ihren Partner tatsächlich aufgrund von Berechnungen – und das zu Recht. Einen passenden Partner zu finden, enthält ein hohes Maß an Ungewissheit, wie die Scheidungsquoten zeigen. Wenn es ums Heiraten geht, kann man nicht möglichen Konsequenzen vorhersagen, ganz zu schweigen von ihrer exakten Wahrscheinlichkeit. Dasselbe gilt auch für das Geschäftsleben: Es ist unmöglich, alle möglichen Folgen vorauszusehen, wenn man einen ausländischen Markt erschließt, ein Unternehmen aufkauft oder einen neuen CEO einstellt.
Für gewöhnlich ist die Maximierung des erwarteten Nutzens, die an Wirtschaftshochschulen unterrichtet wird und von Benjamin Franklin empfohlen wurde, hilfreich in stabilen, klar definierten Situationen, in denen niemals etwas Unerwartetes geschieht. Allerdings agieren Führungskräfte in einer zunehmend Welt (engl. = VUCA). Da ist der Rat, alle Informationen einzuholen, alle Optionen zu bedenken und alle möglichen Konsequenzen und die damit verbundenen Wahrscheinlichkeiten vorauszusagen, wenig hilfreich. Er schafft eine Illusion der Gewissheit.
Nichtsdestotrotz entscheiden Führungskräfte regelmäßig, wen sie einstellen, wann sie ein Projekt terminieren und ob sie ein weiteres Unternehmen aufkaufen. Um diese Entscheidungen zu treffen, stützen sie sich auf eine Reihe von Tools, die als Heuristiken bezeichnet werden. Leider leiten Business Schools ihre Studierenden nur selten darin an, diese machtvollen Instrumente zum Treffen intelligenter Entscheidungen einzusetzen. Vielmehr werden Heuristiken, wenn sie überhaupt Erwähnung finden, eher als etwas dargestellt, das es zugunsten komplexerer Entscheidungsstrategien zu vermeiden gilt. Populärwissenschaftliche Bücher geben diese negative Sichtweise wieder und weisen (rückblickend) gern alle möglichen Katastrophen, von Übergewicht bis Finanzkrise, den »Heuristiken und Bias (Verzerrungen)« zu.2 In diesem Buch wollen wir Ihnen eine positivere, realistischere und praktischere Sichtweise vermitteln und Ihnen eine systematische Einführung in die Wissenschaft und Kunst der heuristischen Entscheidungsfindung geben.
Eine ist eine einfache Regel, die es ermöglicht, Entscheidungen schnell, sparsam und genau zu treffen. Heuristiken sind notwendig in ungewissen Situationen, wenn die für eine Maximierung des Nutzens erforderlichen Bedingungen nicht existieren. Die Unterscheidung zwischen Situationen des Risikos, in denen eine Maximierung möglich ist, und ungewissen Situationen, in denen das nicht der Fall ist, geht zurück auf den Wirtschaftswissenschaftler Frank Knight.3 Sie wurde seither in praktisch jedem Lehrbuch der Ökonomie erwähnt, nur um im Folgenden ignoriert zu werden. Hier geben wir der Ungewissheit die Aufmerksamkeit, die sie verdient, und nehmen Heuristiken ernst.
Als nächstes stellen wir drei Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften vor. Was haben sie über Entscheidungsfindung gedacht? Und wie haben sie ihre eigenen Entscheidungen getroffen?
Herbert Simon und Satisficing
Herbert A. Simon erhielt 1978 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften »für seine bahnbrechende Forschung zum Entscheidungsfindungsprozess in Unternehmen«.4 Der der Entscheidungsfindung kann über den Erfolg oder Misserfolg einer Organisation entscheiden. Verblüffenderweise wird jedoch eben dieser Prozess in Organisations- und Wirtschaftstheorien nur selten für relevant erachtet. Vielmehr postuliert die ökonomische Theorie, dass Manager sich so verhalten, als würden sie ihren erwarteten Nutzen maximieren, egal wie sie zu Entscheidungen gelangen. Simon widersprach der in der klassischen Theorie aufgestellten Annahme, dass Führungskräfte allwissende Profit- oder Nutzenmaximierende sind, und hob das völlige Fehlen von Beweisen hervor, dass die Theorie beschreibt, wie Entscheidungen tatsächlich getroffen werden. Als Reaktion auf diese Form der Kritik erwiderte Milton Friedman 1953 bekanntlich, es sei unwesentlich, ob die Maximierung des erwarteten Nutzens den Prozess der Entscheidungsfindung beschreibe oder nicht; es handele sich lediglich um ein Instrument zur Verhaltensprognose, und nur seine Vorhersagegenauigkeit zähle.
Allerdings kam eine kritische Betrachtung von fünfzig Jahren Forschung zu Nutzenfunktionen – darunter zum Nutzen von Ertragsfunktionen, zum Nutzen von Vermögensfunktionen und zur Wertfunktion in der Prospekttheorie – zu dem Schluss, dass die Fähigkeit der Nutzenfunktionen, »Out-of-Sample-Voraussagen zu treffen, sich im Bereich von mager bis nicht existent bewegt«.5 Diese Ergebnisse stützen Simons Kritik, dass die Theorie des erwarteten Nutzens nicht nur kaum fähig ist, zu beschreiben, wie Entscheidungen getroffen werden, sondern auch zu unbestimmt und zu flexibel ist, um gute Voraussagen zu treffen.
bedeutet, dass Daten vorhergesagt werden, die nicht bereits zur Erstellung des Vorhersage-Modells verwendet wurden. Im Gegensatz dazu werden Nutzensfunktionen und andere komplexe Modelle häufig »überprüft«, indem ihre Parameter einfach an bereits bekannte Daten angepasst werden. Es ist daher irreführend, zu behaupten, dass diese Modelle Entscheidungen »vorhersagen«, wenn sie tatsächlich lediglich die Anpassung an schon bekannte Daten optimieren. ist ein mathematisches Konzept, das bedeutet, das Maximum oder Minimum einer Kurve zu bestimmen, zum Beispiel einer Nutzensfunktion. Der Unterschied zwischen Anpassung (»data fitting«) und Vorhersage ist entscheidend. Ein komplexeres Modell mit mehr freien Parametern kann natürlich besser an bereits bekannte Daten angepasst werden. Doch ist das resultierende Modell häufig überangepasst und weniger in der Lage, eine Vorhersage zu treffen – zum Beispiel wenn die Zukunft nicht so ist wie die Vergangenheit.6 Selbst wenn man also Friedmans fragwürdiges Argument akzeptiert, dass Theorien lediglich Ergebnisse voraussagen und nicht den Prozess der Entscheidung beschreiben sollen, ...