E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten
Reihe: Samantha Spinner
Ginns Samantha Spinner (1). Mit Schirm, Charme und Karacho
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-401-80831-4
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten
Reihe: Samantha Spinner
ISBN: 978-3-401-80831-4
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Russell Ginns ist Schriftsteller und Spieledesigner, der sich auf Rätsel, Lieder und kluge Unterhaltung spezialisiert hat. Er hat an Projekten für die Sesamstraße, Nintendo, NASA, UNICEF und Hooked on Phonics gearbeitet. Einmal hat er sogar ein Gedicht auf der Rückseite einer Alpha-Bits-Cornflakes-Packung veröffentlicht. Russell lebt und schreibt in Washington, DC.
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ERSTES KAPITEL
Unerklärlich
verschwundene Person
Samantha machte sich auf die Suche nach Onkel Paul.
Seit Tagen hatte ihn niemand gesehen.
Am Freitagmorgen hatte er Erdbeerwaffeln gemacht und allen geholfen, in den Tag zu starten. Er erinnerte Buffy daran, ihre Bücher und Stifte in die riesige Handtasche zu stecken, die sie immer mit in die Schule schleppte. Dann wartete er mit Samantha und Nipper auf den Bus und führte anschließend ihren Mops Dennis spazieren, bis zum Park und zurück. Nachdem er Dennis nach Hause gebracht hatte, schlurfte er in seinen knallorangen Flipflops zu seiner Einzimmerwohnung über der Garage.
Das war das letzte Mal, dass ihn jemand gehört oder gesehen hatte.
Als sie am Samstag nach ihm Ausschau hielt und ihn nicht finden konnte, vermutete Samantha, dass er auf dem Flohmarkt war, wo er jedes Wochenende mit Schneekugeln und Reiseandenken handelte. Aber auch am Sonntag ließ er sich nicht blicken. Also stieg sie Sonntagabend die Treppe hinauf und spähte durch seine Wohnungstür. Seine Kisten mit Büchern, Magneten, Aufklebern und Landkarten waren ordentlich an der Wand aufgestapelt, aber von ihm selbst fehlte jede Spur.
Am Montagmorgen tauchte er nicht zum Frühstück auf. Und da war sich die gesamte Spinner-Familie einig, dass Onkel Paul offiziell verschwunden war.
Zwei Polizeibeamte kamen vorbei, um der Sache auf den Grund zu gehen, und Samanthas Dad lieh ihnen eine besonders leistungsstarke Taschenlampe. Die hohe Lichtstärke der experimentellen Glühbirne schien die Polizisten mehr zu interessieren als alles in Onkel Pauls Wohnung, auf das sie den Schein der Taschenlampe richteten.
Nach einer fünfminütigen Suche kehrten sie in die Küche der Spinners zurück.
»Wir haben nichts Außergewöhnliches gesehen«, sagte einer der Beamten zu ihnen. »Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass er tot ist.«
»Tot?«, fragten alle fünf Mitglieder der Spinner-Familie zugleich.
»Na ja, es gibt immerhin noch eine Chance, dass er irgendwo da draußen am Leben ist«, sagte der andere Polizist.
Dabei nahm er gedankenverloren zwei Äpfel von der Küchentheke und jonglierte sie mit einer Hand.
»Manchmal verschwinden Onkel einfach, ohne irgendwem Bescheid zu sagen«, sagte er und legte die Äpfel zurück in die Obstschale.
Die Polizisten versprachen, ein Unerklärlich-verschwundene-Person-Formular auszufüllen, und gingen wieder.
Bald darauf machte Mrs Spinner sich auf den Weg zur North-Seattle-Tierklinik, wo sie die Abteilung für Nagetier- und Echsenpflege leitete. Mr Spinner fuhr zum Amerikanischen Lampeninstitut, wo er als führender Glühbirnentester arbeitete. Und Buffy schnappte sich ihre riesige Handtasche, ohne daran zu denken, ihre Bücher und Stifte einzustecken, und ging zur Schule.
Zum ersten Mal seit Jahren warteten Samantha und ihr Bruder Nipper ganz allein auf den Bus.
Natürlich wusste Samantha, dass Onkel Paul niemals einfach so verschwinden würde, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Zumindest ihr hätte er es gesagt. Sie wusste, dass da etwas ganz und gar nicht stimmte, aber sie hatte keine Ahnung, was man bei einem verschwundenen Onkel unternehmen konnte. Deshalb stieg sie in den Bus, als er vor ihnen hielt, und fuhr erst einmal zur Schule.
Am Nachmittag versammelten sich alle drei Kinder unter dem Basketballkorb an der Außenwand von Onkel Pauls Wohnung.
»Letzte Woche habe ich Onkel Paul diesen neuen Hut und diese neue Handtasche gezeigt«, sagte Buffy. Sie streckte Samantha und Nipper beides entgegen, als wären es Beweisstücke.
»Normalerweise scherzt er immer, dass ich eine Villa mit hundertfünfzig Zimmern bräuchte, um all meine Hüte und Taschen unterzubringen«, erinnerte sie sich mit einem Seufzer. »Aber diesmal hat er mich kein bisschen aufgezogen. Vielleicht wusste er schon, dass ihm etwas zustoßen würde.«
»Vielleicht ist er entführt worden«, sagte Nipper. »Oder vielleicht ist er explodiert.«
Buffy dachte darüber nach und sah sich um.
»Wenn er explodiert ist, wo sind dann die zersprengten Fetzen seiner grässlichen orangefarbenen Latschen?«, fragte sie.
Samantha war sich ziemlich sicher, dass Onkel Paul nicht explodiert war. Ihre Geschwister waren genau so hilfreich, wie sie es von ihnen erwartet hatte – nämlich überhaupt nicht. Sie ließ sie unter dem Basketballkorb stehen und ging die Straße hinunter, Richtung Volunteer Park.
Mitten auf einem Hügel im Park stand ein Kunstmuseum mit Aussicht auf das Zentrum von Seattle und die Olympic Mountains in der Ferne. Onkel Paul verbrachte eine Menge Zeit in diesem Museum, deshalb hoffte Samantha, die Chefin der Museumsaufsicht, Olivia Turtle, könne ihr helfen.
Als Samantha ihr von Onkel Pauls Verschwinden erzählte, schien Olivia ebenfalls besorgt zu sein. Leider nicht aus denselben Gründen wie Samantha.
»Dann ist er also einfach … verschwunden?«, fragte Olivia langsam.
Samantha nickte.
»Na, ich hoffe, du spürst ihn wieder auf, junge Dame«, sagte sie. »Nächsten Monat findet hier nämlich ein großes Treffen statt, bei dem Museumswärter aus aller Welt zusammenkommen. Ich wollte deinen Onkel fragen, ob er beim Quiz in meiner Mannschaft mitspielt.«
Sie rückte ihr Namensschildchen zurecht.
»Niemand weiß so viel über Kunst und Architektur wie Pyjama-Paul«, sagte sie.
Es ärgerte Samantha immer, wenn andere ihren Onkel Pyjama-Paul nannten. Zugegeben, er lief den ganzen Tag in einem karierten grünen Schlafanzug und einem Paar knalloranger Flipflops herum. Sie hatte ihn noch nie etwas anderes tragen sehen.
Aber es gab so viel mehr, was Paul Spinner ausmachte, als einen grünen Pyjama.
Jeden Abend saß er mit Samantha und Nipper auf der Treppe neben der Garage und erzählte ihnen Geschichten von den erstaunlichsten Orten auf der ganzen Welt. Er redete über die Chinesische Mauer und eine Ruinenstadt in den Anden, die Machu Picchu genannt wurde. Er sprach darüber, wie es wohl gewesen wäre, mit der Titanic zu reisen.
Er wusste unheimlich viel über Kathedralen und Springbrunnen und weit entfernte Länder, besonders für jemanden, der den ganzen Tag einen karierten grünen Schlafanzug und knallorange Flipflops trug.
Er hatte Samantha beigebracht, wie man in elf verschiedenen Sprachen »Bitte«, »Wo ist das höchste Gebäude der Stadt?« und »Danke« sagte.
Hin und wieder brachte er etwas Interessantes vom Flohmarkt mit und schenkte es Nipper. Letztes Jahr hatte er Nipper eine alte Briefmarke vermacht, auf der ein auf dem Kopf fliegendes Flugzeug abgebildet war. Nipper hatte sie an einem windigen Tag mit in die Schule genommen und sie war in der Pause davongeweht.
Buffy hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nichts vom Flohmarkt haben wollte. In ihrem Leben gab es keinen Platz für Dinge, die irgendetwas mit Flöhen zu tun hatten.
Auch für Samantha brachte Paul keine Gegenstände mit. Stattdessen schenkte er ihr immer neue Geschichten oder ein Rätsel oder erstaunliche Fakten über die Welt.
Manchmal half sie ihm sogar, Dinge zu finden, die er sammeln und weitertauschen konnte.
Die nächsten paar Tage verbrachte Samantha damit, nach geheimen Magneten oder Aufklebern zu suchen, die ihr Onkel zurückgelassen haben mochte, um ihr mitzuteilen, dass es ihm gut ging oder dass er an sie dachte. Sie suchte überall im Haus und in der Nachbarschaft. Sie fand nichts.
Nach einer Woche erlaubten Samanthas Eltern ihr schließlich, die Wohnung über der Garage zu erkunden. Sie führte Nipper und Dennis die Treppe hinauf und dann schnüffelten die drei dort herum.
Das Schlafsofa war ordentlich zusammengeklappt. Dutzende Bücher über alles Mögliche, von antiken Waffen bis Sporttauchen, füllten ein hohes Bücherregal. Es gab auch viele Bücher über Reisen und Fremdsprachen. Die zwei Holzkisten, die Onkel Paul jeden Samstag mit auf den Flohmarkt nahm, enthielten seine üblichen Sammlungen.
Samantha und Nipper gingen die Stapel mit Autokennzeichen und Broschüren durch. Das meiste davon erkannten sie wieder. Onkel Paul hatte es ihnen schon viele Male gezeigt.
Samantha nahm den hochgeschätzten Pokal ihres Onkels unter die Lupe, der in der Mitte des Raumes auf dem Sofatisch stand. Zwei Jahre zuvor hatte Onkel Paul einen Ausflug in die Hauptstadt Washington unternommen und dort bei einem Hula-Hoop-Wettbewerb den zweiten Platz belegt, weil er seinen Hula-Hoop-Reifen zweiundzwanzig Stunden lang in Bewegung gehalten hatte. Der Gewinner war ein dressierter Affe gewesen, der seine Hüften zweiundzwanzig Stunden und fünf Minuten geschwungen hatte. Manche fanden, Onkel Paul hätte den Sieg für sich beanspruchen und den Pokal für den ersten Platz einfordern sollen. Der Wettbewerb war nämlich eigentlich nur für Menschen gedacht. Aber Onkel Paul schien mit seinem zweiten Platz ziemlich glücklich zu sein – als ob er es sich genau so gewünscht hätte.
Dennis schnupperte an dem Zweiter-Platz-Pokal. Er leckte ihn ein paarmal ab und trottete dann davon.
Samantha und Nipper fiel ein Stück Papier auf, das gegenüber von den Fenstern an die Wand geheftet war.
ICH HOFFE
EUER LIEBER DAD
STEHT IN DER FRÜHE AUF
UND BEREITET EUCH WAFFELN ZU
Samantha sah sich den Zettel aus der Nähe an.
»Was könnte das denn heißen?«, fragte sie.
»Das heißt wohl, dass es von jetzt an Dad übernehmen muss, das Frühstück zuzubereiten«, sagte Nipper.
Beide Kinder starrten auf den Zettel. Sie lasen den ersten Buchstaben von jedem Wort. Sie lasen den Text...