Girod | Manchmal will man eben Meer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Girod Manchmal will man eben Meer

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-17233-6
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-641-17233-6
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Manchmal braucht man im Leben einfach ein bisschen frischen Wind!

Für ihre vierjährige Tochter würde die Journalistin Yola Wolkenstein alles tun – eine Mutter-Kind-Kur in Cuxhaven stand allerdings nie auf ihrer Liste von Dingen, die man im Leben unbedingt mal gemacht haben muss … In der Kurklinik an der Nordsee trifft Yola andere Mütter, bei denen auch nicht immer alles rosig läuft. Aber davon muss man sich ja nicht gleich unterkriegen lassen! Gemeinsam stellen sich die Frauen ihren Problemen und finden unkonventionelle Lösungen. Als sie beschließen, es auf einem Rockkonzert mal wieder richtig krachen zu lassen, nimmt der Abend jedoch einen ungeahnten Lauf …
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1

Meine Nerven lagen blank.

Google Maps hatte die voraussichtliche Fahrtzeit von Hamburg nach Cuxhaven mit drei Stunden und 19 Minuten berechnet. Google Maps hatte gewusst, dass sich an diesem Vormittag die Autos auf zehn Kilometer vorm Elbtunnel stauten und mir deshalb die Route über die Fähre in Glückshafen empfohlen. Allerdings hatte das unheimlich schlaue Google Maps nicht vorhergesehen, dass an einer roten Ampel kurz vor Pinneberg ein Lkw mit zwei Anhängern auf mich wartete. In drei Stunden musste ich in Cuxhaven sein. Und jetzt zottelte ich seit einer Ewigkeit mit Tempo 60 hinter einem Rapsöl-Laster der Raiffeisen Weser-Elbe eG her. Sein Fahrer war bei der Arbeit, nicht auf der Flucht.

Es regnete. Ein gleichförmiger, beständiger, unaufhörlicher, sanfter Landregen. Die Windschutzscheibe meines VW-Bullis war beschlagen. Die Scheibenwischer quietschten. Die Autos vor und hinter mir verfügten vermutlich serienmäßig über stufenlos regulierbare Klimaanlagen. Mein 20 Jahre altes Hippie-Mobil nicht. In meinem Bulli gab es nur einen Hebel, der neben dem mühlsteingroßen Lenkrad angebracht war. Legte man ihn nach oben, wurde es im Wagen kochend heiß. Legte man ihn nach unten, schweinekalt. Aus Gründen der Mischung schob ich ihn abwechselnd nach unten und oben.

»Die gute Nachricht: Bodenfrost ist heute nicht zu erwarten. Die schlechte: Der Sommer lässt sich weder heute noch morgen bei uns blicken«, sagte der Mann im Autoradio.

»Ist das noch weit?«, fragte mich meine Tochter Janelle zum zehnten Mal, seit wir die Stadtgrenzen Hamburgs hinter uns gelassen hatten.

»Nicht so weit wie nach Südfrankreich. Aber ein bisschen weiter als zu Oma und Opa«, antwortete ich.

»Es ist so langweilig«, schimpfte mein kleines Mädchen.

»Ach, Wölkchen«, sagte ich. »Ich kann es doch gerade nicht ändern. Möchtest du vielleicht einen Keks?« Ich zog den Picknickkorb aus dem Fußraum zu mir heran und kramte beim Fahren neben den Dinkel-Plätzchen noch eine Rolle mit Haushaltspapier heraus.

»Bäh! Die mag ich nicht«, maulte meine Tochter.

Ich wühlte im Korb nach der Prinzenrolle, öffnete sie mit den Zähnen, weil das Aufreißbändchen abgerissen war, und reichte ihr einen Keks.

»Wenn es regnet im Julei, ist der Juni vorbei«, sagte der Mann im Radio und lachte. »Und einen hab ich noch: Sind die Hühner platt wie Teller, war der Traktor wieder schneller.« Er suchte mit seinen Hörern nach den besten Bauernregeln. Reim dich, oder ich hau dich.

»Sind da auch Kinder?«, fragte Wölkchen mit vollem Mund. »Und finde ich da auch Freunde? Mama! Und warum hast du jetzt Scheiße gesagt? Mama, das darf man doch nur in Notfällen sagen, oder?«

»Das stimmt«, sagte ich. Vor dem Rapsöl-Laster war eben ein Trecker eingeschert, der einen Güllewagen hinter sich herzog. Vor mir Kurven. Gegenverkehr. Und Schilder: Fahrbahnmarkierung fehlt. Rollsplitt. Überholverbot. Ich wischte mit einem Stück Haushaltstuch an der beschlagenen Scheibe herum. Ein drängelnder Mercedesfahrer raste an unserer Kolonne vorbei, obwohl es verboten war. So ein Idiot.

»Mach mal lauter«, sagte meine Tochter, weil im Radio die Kindergartenhymne »Nossa« gespielt wurde. »Das mag ich.«

Mein kleines Mädchen klatschte mit den Händen und sang: »Nossa, nossa, assim você me mata, ai se eu te pego, ai ai se eu te pego …«

Ich schüttelte verwundert den Kopf. Nach der U 8 für die Vierjährigen hatte uns der Kinderarzt zum Logopäden geschickt, weil Wölkchen noch nicht fehlerfrei mit der Aussprache des Deutschen jonglierte; dafür sang sie offenbar schon fließend Portugiesisch.

»Die schöne Mitteilung für alle verheirateten Autofahrer: Heute erlebt ihr endlich mal wieder länger Verkehr«, freute sich der Komiker im Radio, der dann vermeldete, dass sich die Autos mittlerweile auf zwanzig Kilometern vorm Elbtunnel stauten. »Dadurch bedingt kommt es zu Wartezeiten von bis zu einer Stunde an der Elbfähre von Glückstadt nach Wischhafen. Aber einen Trost habe ich für euch: Euer Auto muss stehen, ihr dürft sitzen.«

»Der Radioonkel hat wohl einen Clown gefrühstückt«, sagte ich mit zusammengepressten Lippen.

»Wieso hast du gesagt, dass der Mann einen Clown gegesst hat?«, fragte Wölkchen.

»Mama ist ein bisschen im Stress«, sagte ich und legte den dritten Gang ein. Im Getriebe knirschte es. Im Getriebe knirschte es immer, wenn ich in den dritten Gang schaltete.

»Mama, was ist Stress?«, fragte Wölkchen.

»Möchtest du gleich eine Milch?«, fragte ich zurück, während ich mit heulendem Motor den Rapsöl-Laster und den stinkenden Trecker auf einer Fahrbahn überholte, auf der die Fahrbahnmarkierung fehlte. Geschafft. Noch zwei Stunden und 45 Minuten.

Durch den Regen sah ich auf Wegweiser, die nach Horst, Strohdeich und in die Engelbrechtsche Wildnis führten. Vor der Blomeschen Wildnis bog ich ab und gab wieder Gas.

Die Landstraße führte jetzt schnurgerade an die Elbe. Ich blickte auf den mächtigen Strom, der an dieser Stelle von ausgedehnten Salzwiesenfeldern umgeben war. Windkrafträder drehten sich am Horizont. Ein gigantisches Containerschiff fuhr elbabwärts. Eigentlich ein Bild von nordherber Schönheit – wenn der kilometerlange Weg bis zum Fähranleger nicht von einer Blechlawine verstopft gewesen wäre. Ich ließ den Bulli bis an das Stauende rollen, stellte den Motor ab und senkte meinen Kopf ermattet, bis die Stirn auf dem Lenkrad lag. Ausgebremst. Was für eine bescheuerte Strecke. Ich fühlte mich unendlich müde.

»Heiß! Kaffee und Würstchen«, versprach eine Werbetafel in Schreibschrift, als ich nach einer Stunde Wartezeit meinen Wagen endlich auf der Elbfähre MS Ernst Sturm geparkt hatte. Janelle war in der Zwischenzeit eingeschlafen – ein Mal am Tag musste man Glück haben. Ich pflückte die Milchtüte vorsichtig aus ihren Händen, deponierte sie im Fußraum und stieg aus dem Bulli, um beim Fährmann das Ticket zu bezahlen. Dann kaufte ich mir einen Kaffee, stellte mich neben meinen Wagen und schaute auf den braunen Strom. Die ganze verdammte Fähre war vollgepropft mit Lkw. Die Fahrer hießen »Manfred«, »Arnold«, »Dankward« und »Barny-Bär«. Ein Spaßvogel hatte seine Windschutzscheibe mit den Schildern »Fahrer« und »Beifahrer« dekoriert.

Sie alle würden nachher wieder vor mir auf die Landstraße kriechen; dass ich es bis 15 Uhr nach Cuxhaven schaffen würde, war so gut wie ausgeschlossen. Wie andere Menschen es mit der Pünktlichkeit hielten, war ihre Sache. Für mich selbst war Unpünktlichkeit Ausdruck mangelnder Disziplin.

Ich checkte auf meinem Smartphone kurz die E-Mails. Meine Kollegin Margret, die mich vertreten sollte, konnte das Horoskop für die nächste Ausgabe unserer Frauenzeitschrift Shangri-La nicht finden. Das ging ja gut los, dachte ich finster, schmiss den leeren Kaffeebecher in einen Mülleimer und tippte als Antwort ein: Frag bitte die Praktikantin, sie weiß Bescheid. Dann betrachtete ich durch das Autofenster meine kleine Tochter, die mit offenem Mund friedlich in ihrem Kindersitz schlummerte.

Alles würde wieder gut.

Der Schreck von heute Morgen saß mir noch immer in den Knochen. Um vier Uhr war ich von einer SMS geweckt worden:

Es ist etwas Grauenhaftes passiert! Rufen Sie sofort an! Panisch war ich aus dem Ehebett aufgesprungen und zunächst ins Kinderzimmer gerannt, wo meine Tochter quer über der Decke lag und leise schnarchte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich die Handynummer meines Mannes antippte und es klingeln ließ, bis sich die Mailbox einschaltete. Normalerweise pflegte Daniel eine geradezu symbiotische Verbindung zu seinem Handy. Ich hatte mich zur Ruhe ermahnt und in der Küche an den Tisch gesetzt. In London, wo Daniel sich auf einer Dienstreise befand, war es erst drei Uhr. Als wir gegen Mitternacht telefoniert hatten, war es ihm in seinem First-Class-Hotel mit Blick auf die Themse noch prächtig gegangen. Ich las die SMS noch einmal. Bei dem ominösen Absender handelte es sich um die »Notruf AG« und die Telefonnummer, die ich anrufen sollte, begann mit 0190. Also ein Callcenter. Schweinepriester, dachte ich. Verdammte Schweinepriester. Das waren ganz miese Kriminelle, die einen mitten in der Nacht überrumpelten und dann abzuzocken versuchten.

An Schlaf war nach diesem Adrenalinschub nicht mehr zu denken gewesen. Also hatte ich geduscht, mich geschminkt und angezogen. Bis Wölkchen das erste Mal aus dem Kinderzimmer nach mir rief, hatte ich bereits unser Gepäck in den Bulli verfrachtet, Frühstück gemacht, den Picknickkorb gepackt, die Tageszeitung gelesen, aufgeräumt und in der Redaktion meiner Frauenzeitschrift angerufen. Auf der Verbraucherseite sollte unsere Leserin unbedingt vor dieser SMS-Betrugsmasche gewarnt werden.

Und jetzt war ich auf halbem Weg nach Cuxhaven, und meine Augen brannten vor Müdigkeit. Der Halunder-Jet, ein Katamaran, der täglich zwischen Hamburg und Helgoland pendelte, raste an unserer betulichen Elbfähre vorbei.

»Na, ich bitte dich – das ist doch etwas Feines. Drei Wochen Nordseeurlaub mit Tochter. Und die Kasse zahlt auch noch«, hatte Margret an meinem vorerst letzten Arbeitstag gesagt, weil ich zu behaupten gewagt hatte, dass eine Mutter-Kind-Kur kein reines Zuckerschlecken werden würde. Margret hatte stumme Blicke mit unserer obersten Chefin ausgetauscht, und ich hatte es mir geschenkt, mich weiter zu rechtfertigen. Ich wusste: Meine Kollegin würde während meiner Abwesenheit keine Gelegenheit auslassen, jeden...


Girod, Sandra
Sandra Girod, geboren 1963 und aufgewachsen in Schleswig-Holstein, ist Journalistin und arbeitete unter anderem für die BZ, Petra, Für Sie und als Leitende Redakteurin bei Laura. Nenn mich nicht Hasi! ist ihr erster Roman. Sandra Girod lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Hamburg.



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