E-Book, Deutsch, 112 Seiten
Reihe: Deuticke im Zsolnay
Glattauer Die Wunderübung
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-552-06274-0
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Komödie
E-Book, Deutsch, 112 Seiten
Reihe: Deuticke im Zsolnay
ISBN: 978-3-552-06274-0
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Beziehung von Joana und Valentin ist am Tiefpunkt angelangt, und die Versuche, die der Paartherapeut anstellt, um die beiden Streithähne in den Griff zu kriegen, sind ganz und gar nicht erfolgreich. Joana weiß immer schon vorher, was ihr Ehemann sagen will, und sorgt mit ihrem Redeschwall dafür, dass er oft gar nicht zu Wort kommt. Valentin straft sie dafür mit Gefühlskälte. Er nimmt jeden Missstand als gegeben hin und sieht keinen Grund für Veränderung. Doch nicht nur das Paar hat Probleme – auch der Therapeut scheint in Schwierigkeiten zu stecken. In "Die Wunderübung" erweist sich Daniel Glattauer als ein Meister darin, die feinen Zwischentöne im Dschungel unserer Gefühle darzustellen.
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Wir befinden uns im Arbeitsraum eines Paartherapeuten, der hier seine Klienten betreut. Der Raum sollte nicht nach »Arbeit« riechen, sondern entspannte Atmosphäre vermitteln. Dieser Zwang zur Ungezwungenheit scheint sich gleichmäßig auf das gesamte Mobiliar zu verteilen. Wir blenden uns in den offensichtlichen Beginn eines Beratungsgesprächs ein. Die beiden Klienten, Joana, eine Frau um die 40, und Valentin, ein unwesentlich älterer Mann, haben soeben Platz genommen. Sie sitzen gut getrennt voneinander, zwischen ihnen stehen zwei leere Stühle. Nichts deutet darauf hin, dass einer den anderen kennt oder etwas von ihm wissen will. Der Berater, ein Mann zwischen 40 und 45, sitzt den beiden Personen gegenüber – im je gleichen Zuneigungswinkel, der geschulte Ausgewogenheit zwischen Nähe und Distanz signalisiert. Er wirkt teilnahmefreudig und, im Gegensatz zu den Klienten, prächtig gelaunt. Seine interessierten Blicke schweifen von einer Person zur anderen. Im Raum herrscht absolute Stille. Die beiden Besucher konzentrieren sich auf den Berater und scheinen mit Anspannung und Nervosität auf seine einleitenden Worte zu warten. Allein diese Worte fallen nicht. Je länger die unerklärliche Schweigepause andauert, desto peinlicher fühlen sich die beiden davon berührt. Bis es Valentin schließlich nicht mehr aushält. VALENTIN Also, Verzeihung, ich will wirklich nicht ungeduldig sein, aber können wir dann … langsam … beginnen? BERATER (hocherfreut) Jaja, aber sicher, natürlich! Sehr gerne! Der Berater mustert die Klienten erwartungsvoll. Schweigepause. JOANA Sie meinen vielleicht, dass einer von uns beiden … VALENTIN Entschuldigung, Herr … äh … Magister, aber wir würden uns etwas leichter … oder sogar deutlich leichter … jedenfalls würden wir uns leichter tun, wenn Sie selbst … vielleicht, wenn es Ihnen keine allzu großen Umstände macht … BERATER Bei mir müssen Sie sich wirklich nicht entschuldigen. Schweigepause. BERATER Ich dachte nur, Sie kommen vielleicht mit einem Anliegen zu mir. VALENTIN (zögerlich) Doch. BERATER Aber Sie wollen nicht darüber reden. JOANA (bestimmt) Doch, doch. BERATER Was hindert Sie daran? Schweigepause. VALENTIN Sie müssen wissen, Herr äh Magister, ich bin in solchen Dingen … noch eher unerfahren. BERATER In welchen Dingen, Herr Dorek? JOANA Im »darüber Reden«, meint er. Im Reden überhaupt. BERATER Und Sie, Frau Dorek? JOANA Ich? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo ich anfangen soll. VALENTIN Meine Frau weiß nicht, wo sie beginnen soll, mir … sozusagen … den Kopf zu waschen. Das ist nämlich ihr Hauptanliegen. JOANA Mein Mann kennt alle meine Anliegen, meine Hauptanliegen, meine Nebenanliegen, alle meine Anliegen. Und er kennt sie immer schon vor mir. Der Berater lächelt vergnügt, als wären charmante Komplimente gefallen. BERATER (an Joana gerichtet) Und was, denken Sie, ist das Hauptanliegen Ihres Mannes? JOANA Ich schätze einmal, die nächsten eineinhalb Stunden zu überstehen. Kann ich mir vorstellen. VALENTIN Wie Sie sehen, gibt meine Frau bereits ihr Bestes, also sie bemüht sich redlich, mir behilflich zu sein. BERATER (lachend, amüsiert an beide gerichtet) Kurze Zwischenfrage: Sind Sie sicher, dass Sie zu mir wollen? VALENTIN Es tut mir leid, Herr äh Magister. Sie müssen wissen, wir hatten auf dem Weg hierher leider einen … JOANA … heftigen … VALENTIN … kleinen … JOANA … Streit … VALENTIN … Disput. Das ist der Grund für die etwas … äh … angespannte Verfassung meiner Frau. JOANA Es war ein Fehler, dass wir gemeinsam gekommen sind. Normalerweise haben wir getrennte Anfahrtswege. Normalerweise gehen wir überhaupt getrennte Wege. Bei getrennten Wegen tun wir uns leichter, darin sind wir geübter. Nicht wahr, Valentin? BERATER (freundlich) Ich frage Sie ganz offen: Wollen Sie bleiben, oder haben Sie sich’s anders überlegt? Es ist keine Schande, Sie wären nicht die Ersten, und ich bin Ihnen auch keineswegs böse, wenn Sie auf dem Weg hierher vielleicht zur Einsicht gelangt sind … JOANA Natürlich bleiben wir, jetzt, wo wir schon einmal hier sind. Der Berater mustert den Ehemann, der eine passive Haltung eingenommen hat. VALENTIN Tja. BERATER »Tja«, im Sinne von? JOANA »Tja« im Sinne meines Mannes. »Tja« heißt bei ihm: »Ja, aber ich übernehme keine Verantwortung.« »Tja« ist quasi seine Lebensphilosophie. VALENTIN Also ich denke … wir bleiben. Meine Frau wird sich schon wieder … beruhigen … ein bisschen … wenigstens … vielleicht. Der Berater amüsiert sich kurz und klatscht dann einmal in die Hände, als ob er sich selbst ein Startzeichen geben würde. BERATER (langsam, feierlich, im Ton einer Wahlrede) Liebe Frau Dorek, lieber Herr Dorek, Sie haben also gemeinsam, ich betone, »gemeinsam« beschlossen, bei mir in Paarberatung zu gehen. Wir haben telefonisch vereinbart, dass Sie am Ende der heutigen Sitzung entscheiden, ob Sie meine Dienste weiter in Anspruch nehmen wollen oder nicht. Ich freu mich jedenfalls, dass Sie zu mir gefunden haben. Wie problematisch auch immer Ihre gemeinsame Anreise war, und wie auch immer es um Ihre Beziehung bestellt sein mag – allein, dass Sie hier zu zweit sitzen, beweist mir, dass es eine Verbundenheit zwischen Ihnen gibt. Wie stark diese Verbundenheit ist, und wofür sie ausreicht, kann, will und werde ich nicht beurteilen. Bitte erwarten Sie also nicht, dass ich hier den Schiedsrichter spiele und dass ich Ihnen Vorschriften mache oder auch nur Ratschläge erteile, was Sie zu tun oder zu unterlassen haben. Wenn Sie sich hier einfach nur etwas von der Seele reden wollen, dann liegt das ganz allein an Ihnen beiden. Wenn Sie etwas retten, bewahren oder festigen wollen, dann liegt das ganz allein an Ihnen beiden. Wenn Sie etwas verändern oder verbessern wollen, dann liegt das ganz allein … JOANA (unterbricht) An uns beiden! An beiden! BERATER Ja, richtig. Wenn Sie etwas beenden oder neu beginnen wollen, dann liegt auch das natürlich ganz allein an Ihnen beiden. Ich werde mein Möglichstes tun, Ihnen zu helfen, klarer zu erkennen, was es ist, das Sie wollen – was jeder Einzelne für sich will, aber vor allem, was Sie gemeinsam wollen. Und wie es mit Ihnen weitergehen kann. JOANA Ja, fein, das wäre interessant. BERATER Ich werde versuchen, das Sie Verbindende ins Auge zu fassen und hervorzustreichen, die Übereinstimmung, nicht die Diskrepanz, das Licht und nicht den Schatten. Aber zunächst möchte ich Sie gerne fragen, was Sie sich selbst von der Beratung im Idealfall erhoffen. Darf ich mit Ihnen beginnen, Frau Dorek: Was, glauben Sie, wäre wohl das perfekte Ergebnis der Beratung für Ihren Mann, sodass er sagen würde: »Das hat sich wirklich ausgezahlt«? JOANA Ich glaube, es ist für die Stimmung hier im Raum besser, Sie fragen ihn selbst. Er ist ja ausnahmsweise anwesend. BERATER Das werde ich tun, aber zunächst möchte ich Sie um Ihre Einschätzung bitten, Frau Dorek, was, denken Sie, wäre das perfekte Beratungsergebnis für Ihren Mann? JOANA Das perfekte Ergebnis? – Wenn sich seine Annahme bestätigt, dass er, dass er … fehlerlos, ja, dass er unfehlbar ist. VALENTIN Ich bin nicht unfehlbar, das weißt du ganz genau. JOANA Ja, ganz genau, das weiß ich. Aber du weißt es nicht. Er weiß es nicht. Er geht davon aus, dass er unfehlbar ist, und deshalb glaubt er, dass er einfach weiterleben kann wie bisher. Ja, weiterleben wie bisher, das wäre hier das perfekte Ergebnis für meinen Mann, wo er sagen würde: Die Beratung hat sich für mich wirklich ausgezahlt. VALENTIN Aber das stimmt doch nicht. JOANA Doch, er darf weiterleben wie bisher, und ich ergehe mich in Demut und Dankbarkeit, seine geliebte Frau zu sein. Seine ehemals geliebte Frau. Und heute wenigstens noch Vollzeit-Mutter seiner Kinder. So sieht er es nämlich. So sieht er mich nämlich. Wenn er mich überhaupt noch sieht. VALENTIN Stimmt doch gar nicht. JOANA Doch, du lebst weiter wie bisher. Er lebt also weiter wie bisher. Und ich übernehme...