Gleitzman | Einmal | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Gleitzman Einmal

Beeindruckend und preisgekrönt: Der Schrecken des Holocaust aus der Sicht eines Kindes
10001. Auflage 2010
ISBN: 978-3-646-92174-8
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Beeindruckend und preisgekrönt: Der Schrecken des Holocaust aus der Sicht eines Kindes

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-646-92174-8
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine berührende Geschichte von Mut, vom Überleben und von der Freundschaft.    Der 9-jährige Felix lebt seit über drei Jahren in einem Waisenhaus. Dabei sind seine Eltern gar nicht tot. Sie müssen nur die Probleme mit ihrem Laden lösen. Denn für jüdische Buchhändler ist es 1942 in Polen sehr schwierig. Wie schwierig, das begreift Felix erst, als Männer mit Armbinden im Waisenhaus jüdische Bücher verbrennen. Felix reißt aus, um seine Eltern zu warnen. Unterwegs rettet er die kleine Zelda, deren Familie ermordet wurde - und er beginnt zu ahnen, was die Nazis wirklich vorhaben. --- Ausgezeichnet mt dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2011, nominiert für den Gustav-Heinemann-Friedenspreis 2010 und den Deutschen Jugendliteraturpreis 2010 (Jugendjury) ---

Morris Gleitzman wurde 1953 in England geboren, 1969 wanderte seine Familie nach Australien aus. Er arbeitete als Drehbuchautor für Film und Fernsehen, bevor er 1985 sein erstes Kinderbuch schrieb. Heute ist er einer der erfolgreichsten Autoren Australiens und seine Bücher wurden vielfach ausgezeichnet.
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lebte ich in einem Waisenhaus in den Bergen, da hätte ich überhaupt nicht sein dürfen, und ich habe fast einen Aufruhr erzeugt.

Es ging um eine Möhre.

Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn eine Nonne dir aus einem großen Blechtopf ganz heiße Suppe schöpft und du dich extra weit vorbeugen musst, damit auch ja nichts danebengeht, so weit, dass dir der Dampf aus dem Topf die Brille beschlägt, aber du kannst die Gläser nicht abwischen, weil du ja deine Essschüssel hältst, und der Nebel lichtet sich nicht, selbst wenn du sie alle anflehst, Gott, Jesus, die Jungfrau Maria, den Papst und Adolf Hitler?

Genau das passiert mir.

Irgendwie finde ich trotzdem den Weg an meinen Tisch. Zur Orientierung benutze ich meine Ohren.

Dodie, der immer neben mir sitzt, ist ein lauter Schlürfer, was von seinen schiefen Zähnen kommt. Ich halte meine Schüssel über den Kopf, damit kein anderes Kind meine Suppe klauen kann, solange ich eingenebelt bin, und ich lasse mich von Dodies Schlürfen zu meinem Platz leiten.

Ich taste nach der Tischkante, stelle meine Schüssel ab und wische die Brille sauber.

Und genau in dem Moment sehe ich die Möhre.

Sie schwimmt in meiner Suppe, riesig zwischen den Kohlfitzeln, den winzigen Klümpchen Schweinefett, den paar verlorenen Linsen und den grauen Stücken Putz von der Küchendecke.

Eine ganze Möhre.

Ich kann es nicht fassen. Drei Jahre und acht Monate bin ich schon in dem Waisenhaus und ich habe noch nie eine ganze Möhre in meiner Essschüssel gehabt. Von den anderen auch keiner. Nicht mal die Nonnen kriegen ganze Möhren, und die bekommen mehr als wir Kinder, denn sie brauchen ja extra Kraft fürs Heiligsein.

Hier oben in den Bergen können wir kein Gemüse ziehen. Nicht mal, wenn wir ganz viel beten. Das liegt am Frost. Deshalb wird eine ganze Möhre, wenn sie hier oben auftaucht, zuerst bewundert und dann in ausreichend viele Stücke gehackt, dass alle zweiundsechzig Kinder, elf Nonnen und ein Priester etwas abbekommen.

Ich starre die Möhre an.

In dem Moment bin ich wahrscheinlich das einzige Kind in Polen mit einer ganzen Möhre in seiner Essschüssel. Ein paar Sekunden lang glaube ich an ein Wunder. Aber das kann nicht sein, denn Wunder hat es nur in längst vergangenen Zeiten gegeben und wir haben das Jahr 1942.

Dann kapiere ich, was die Möhre bedeutet, und ich muss mich schnell hinsetzen, bevor meine Beine nachgeben.

Ich kann es nicht glauben.

Endlich. Danke, Gott, Jesus, Maria, der Papst und Adolf Hitler, ich habe so lange darauf gewartet.

Es ist ein Zeichen.

Diese Möhre ist ein Zeichen von Mama und Papa. Sie haben mir mein Lieblingsgemüse geschickt, um mir zu sagen, dass ihre Probleme endlich vorbei sind. Um mir zu sagen, dass sich nach drei langen Jahren und acht langen Monaten die Lage für jüdische Buchhändler endlich verbessert hat. Um mir zu sagen, dass sie kommen, um mich nach Hause zu holen.

Ja.

Ganz schwindelig vor Aufregung tauche ich meine Finger in die Suppe und greife nach der Möhre.

Zum Glück konzentrieren sich die anderen Kinder auf ihr eigenes Essen, löffeln ihre Suppe hungrig in sich hinein und starren in ihre Schüssel, ob da nicht irgendwo ein Fitzelchen Fleisch ist oder ein Fitzelchen Rattenschiss.

Ich muss mich beeilen.

Wenn die anderen meine Möhre sehen, dann gibt es einen Eifersuchtsaufstand.

Das ist ein Waisenhaus. Jeder hier muss Eltern haben, die tot sind. Wenn die anderen herausfinden, dass meine Eltern nicht tot sind, werden sie richtig wütend werden und die Nonnen könnten Ärger bekommen mit der katholischen Zentrale in Warschau, weil sie die Regeln gebrochen haben.

»Felix Sankt Stanislaus.«

Ich lasse beinahe die Möhre fallen. Es ist Mutter Minkas Stimme, die vom erhöhten Tisch aus zu mir herüberdröhnt.

Alle schauen auf.

»Spiel nicht mit deinem Essen, Felix«, sagt Mutter Minka. »Wenn du eine Fliege in deiner Schüssel gefunden hast, iss sie einfach und sei dankbar.«

Die anderen Kinder starren mich alle an. Einige grinsen. Andere schauen finster und überlegen, was los ist. Ich versuche, nicht wie ein Kind auszusehen, das sich gerade eine Möhre in die Tasche geschoben hat. Ich bin so glücklich, dass es mir nichts ausmacht, ob meine Finger von der heißen Suppe brennen.

Mama und Papa kommen endlich.

Sie müssen unten im Dorf sein. Sie müssen die Möhre mit Vater Ludvik heraufgeschickt haben, um mich zu überraschen.

Als sich alle wieder ihrem Essen zugewandt haben, werfe ich Mutter Minka ein dankbares Lächeln zu. Es war gut von ihr, dass sie einen Witz gemacht hat, um die Aufmerksamkeit von meiner Möhre zu lenken.

Es gab zwei Gründe, warum Mama und Papa dieses Waisenhaus gewählt haben: weil es das nächste war und wegen Mutter Minkas Güte. Als sie mich herbrachten, erzählten sie mir, dass Mutter Minka die ganzen Jahre lang Kundin in ihrem Buchladen war, damals, bevor es schwierig für jüdische Buchhändler wurde. Und sie hat nicht ein einziges Mal ein Buch beanstandet.

Mutter Minka sieht mein Lächeln nicht, sie ist zu beschäftigt damit, zu dem Tisch des heiligen Kasimierz hinüberzustarren, deshalb schicke ich noch Schwester Elwira ein dankbares Lächeln. Auch sie bemerkt es nicht, denn sie ist viel zu sehr damit beschäftigt, den letzten Kindern ihr Essen auszugeben und mit einem Mädchen Mitleid zu haben, das wegen der Menge an Deckenputz in ihrer Suppe weint.

Sie sind so nett, diese Nonnen. Ich werde sie vermissen, wenn Mama und Papa mich nach Hause holen und ich nicht mehr katholisch bin, sondern wieder jüdisch werde.

»Willst du sie nicht?«, sagt eine Stimme neben mir.

Dodie starrt auf meine Schüssel. Seine ist leer. Er saugt an seinen Zähnen und ich sehe, wie er darauf hofft, dass meine Suppe zu haben ist.

Über seine Schulter hinweg lachen Marek und Telek höhnisch.

»Werd endlich erwachsen, Dodek«, sagt Marek, doch in seinen Augen flackert die Hoffnung, dass er vielleicht auch etwas abkriegt.

Irgendwie möchte ich Dodie die Suppe ja gern geben, weil seine Mama und sein Papa an einer Krankheit gestorben sind, als er drei war. Aber es sind schwere Zeiten, Essen ist rar. Selbst wenn dein Magen randvoll ist vor Freude, musst du es runterzwingen.

Ich zwinge es runter.

Dodie grinst. Er hat gewusst, dass ich die Suppe will. Die Vorstellung, dass ich sie nicht wollen könnte, ist so verrückt, dass wir beide kichern müssen.

Dann höre ich auf. Ich werde mich bald von allen hier verabschieden müssen. Das macht mich traurig. Und wenn die anderen Kinder sehen, dass Mama und Papa leben, werden sie wissen, dass ich nicht ehrlich zu ihnen war. Das macht mich noch trauriger.

Ich sage mir, sei nicht albern. Es ist ja nicht so, dass sie deine Freunde sind, nicht wirklich. Man kann keine Freunde haben, wenn man ein geheimes Leben führt. Unter Freunden könnte man sich zu wohl fühlen und Dinge ausplaudern, und auf einmal wissen alle, dass du ihnen nur eine Geschichte aufgetischt hast.

Aber Dodie ist trotzdem so was wie mein Freund.

Während ich meine Suppe zu Ende esse, versuche ich mir etwas Schönes auszudenken, das ich für ihn tun könnte. Etwas, um ihm zu zeigen, dass ich froh bin ihn zu kennen. Etwas, um ihm das Leben hier ein bisschen zu erleichtern, wenn ich fort bin. Wenn ich wieder zu Hause bin bei meinen Büchern und bei Mama und Papa.

Ich weiß genau, was ich für Dodie tun kann.

Jetzt ist der Moment gekommen. Die Auslese fürs Baden hat gerade begonnen.

Mutter Minka steht vorn und untersucht Jozef überall auf Schmutz. Er zittert. Wir alle zittern. Der Baderaum ist eiskalt, selbst jetzt im Sommer. Wahrscheinlich, weil er so groß ist und unter der Erde liegt. In alten Zeiten, als das Kloster gebaut wurde, hat man den Baderaum wahrscheinlich zum Schlittschuhlaufen benutzt.

Mutter Minka schwenkt ihre Quaste Richtung Schlafsaal. Jozef schnappt sich seine Anziehsachen und eilt erleichtert davon.

»Schwein gehabt«, sagt Dodie zitternd.

Ich trete aus der Schlange und gehe nach vorn zu Mutter Minka.

»Entschuldigung, Mutter«, sage ich.

Es scheint, als ob sie mich gar nicht bemerkt. Sie wirft einen scharfen Blick auf Borys, der den halben Sportplatz unter seinen Finger- und Zehennägeln hat. Und ordentlich was davon auch in den Achselhöhlen. Ich sehe, wie Mutter Minka gerade ihre Quaste in Richtung Baderaum schwenken will.

O nein, es ist schon fast zu spät.

Dann dreht sich Mutter Minka zu mir um.

»Was willst du?«, fragt sie.

»Bitte, Mutter«, sage ich schnell. »Kann Dodek als Erster in die Wanne?«

Die Jungen hinter mir in der Schlange beginnen zu tuscheln. Ich schaue nicht zu Dodie zurück. Ich weiß, er wird verstehen, was ich gerade versuche.

»Warum?«, fragt Mutter Minka.

Ich trete näher. Das ist nur etwas zwischen mir und Mutter Minka.

»Sie wissen doch, dass Dodeks Eltern wegen einer Krankheit gestorben sind«, sage ich. »Na ja, und deshalb hat sich Dodek entschlossen Arzt zu werden und sein Leben der Bekämpfung sämtlicher Krankheiten auf der Welt zu widmen. Es ist nur so, als künftiger Arzt muss er sich dran gewöhnen, wirklich hygienisch zu sein und sich in richtig heißem und sauberem Wasser zu waschen.«

Ich halte die Luft an und hoffe, dass Dodie mich nicht gehört hat. In Wirklichkeit will er Schweinemetzger werden und ich habe Angst, er könnte etwas...


Morris Gleitzman wurde 1953 in England geboren, 1969 wanderte seine Familie nach Australien aus. Er arbeitete als Drehbuchautor für Film und Fernsehen, bevor er 1985 sein erstes Kinderbuch schrieb. Heute ist er einer der erfolgreichsten Autoren Australiens und seine Bücher wurden vielfach ausgezeichnet.



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