E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Gmehling Freibad
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7795-0615-7
Verlag: Peter Hammer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein ganzer Sommer unter dem Himmel
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-7795-0615-7
Verlag: Peter Hammer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weil die Bukowski-Geschwister im Hallenbad ein Kleinkind vorm Ertrinken gerettet haben, sind sie ein paar Tage lang berühmt. Doch toller als der Ruhm ist die Karte fürs Freibad, die sie für ihre Heldentat bekommen: Freier Eintritt in einen langen Sommer, der für alle ein besonderer wird! Alf ist zehn, seine Gedanken kreisen um den Schulwechsel nach den Ferien, die schöne Tochter des Bademeisters und sein selbstgestecktes Ziel: der Sprung vom Zehnmeterturm. Seine 8-jährige Schwester Katinka, rotzig und unerschrocken, schwärmt für Paris, lernt auf der Wiese Französisch und trainiert für 20 Bahnen Kraul am Stück. Robbie, der Jüngste und Augenstern der Familie, ist anders als andere Kinder, er redet kaum und träumt viel. Er soll endlich richtig schwiimmen lernen, finden Alf uns Katinka. Wie der Sommer im Schwimmbad die Bukowski-Kinder wachsen lässt, wie sie - nicht nur im Schwimmbecken - kühn an ihre Grenzen gehen und tollkühn über diese hinaus, erzählt Will Gmehling mit Humor und viel Gefühl. Und immer durchweht seine Geschichte dieser beglückende Duft von Wasser auf heißen Steinen, Chlor und Pommes mit Mayo ...
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1 Wir waren im Hallenbad und standen im Nichtschwimmerbecken, Katinka, Robbie und ich. Robbie wollte richtig schwimmen lernen, und wir zeigten ihm, wie das geht. Aber er schluckte andauernd Wasser und hustete wie ein Verrückter. Katinka haute ihm auf den Rücken, das half. Robbie gab nicht auf. Wir erklärten ihm, was er mit den Beinen machen sollte, aber er strampelte bloß herum wie ein kranker Hund. Er hatte zwar schon Seepferdchen, trotzdem hatte er oft Angst allein im Wasser. Neben dem Becken standen Liegen zum Ausruhen. Auf einer lag eine Frau mit einem kleinen Kind und blätterte in einer Zeitschrift. Das Kleine hatte eine Windel um, sonst nichts. Wahrscheinlich langweilte es sich, auf jeden Fall fing es an zu quengeln. Doch die Frau guckte nur immer weiter in ihre Zeitschrift. Auf einmal klingelte ihr Handy, und sie ging ran. Sofort fing sie an zu quatschen, so laut, dass alle es mitbekamen. Erst lachte sie. Dann aber regte sie sich auf. Das Kind krabbelte von der Liege runter und wackelte in Richtung Wasser. Die Frau schimpfte in ihr Handy: „Du hast was mit dieser blöden Mona, das merk ich doch!“ Sie war so wütend, dass sie nichts anderes mehr mitbekam, zum Beispiel, dass ihr Kleines auf das Schwimmbecken zuwackelte. Wir dachten, na ja, sie wird schon wissen, was sie tut, und kümmerten uns weiter um Robbie. Da machte es plötzlich PLATSCH, und es spritzte. Wir drehten uns um, und da lag das Kleine im Wasser und strampelte mit Armen und Beinen, so ähnlich wie Robbie, und es schluckte Wasser und guckte ganz komisch. Wir sahen zu der Frau auf der Liege. Sie war voll weggetreten und telefonierte wild drauflos und bekam nichts mit. Der Bademeister war eine komplette Null: Er saß in seiner Glaskabine und starrte auf seinen Computer. Katinka und ich fackelten nicht lange, wir schwammen zum Beckenrand, wo das Kleine inzwischen untergegangen war, nur noch die Haare guckten raus. Ich tauchte unter, packte es an den Armen und zog es nach oben, es ging ganz einfach. Als das Kleine den Kopf über Wasser hatte, war es erst ganz still, und wir dachten, hoffentlich ist es nicht tot. Aber dann fing es an zu kreischen und lief rot an. Erst jetzt fiel der Frau auf, dass ihr Kind weg war. Wir winkten ihr zu und zeigten auf das Kleine. Die Frau schrie. Sie ließ ihr Handy fallen und rannte zum Becken, hielt sich die Nase zu und sprang ins Wasser. Sie riss mir das Kleine aus den Armen und fing an zu weinen. Dann schimpfte sie uns aus, das war so was von krass. Schließlich kam auch der Bademeister angerannt, und wir erzählten, was Sache war. Er rief den Krankenwagen, denn vielleicht hatte das Kleine schon zu viel Wasser geschluckt und bekam einen Gehirnschaden. Zum Glück war aber alles in Ordnung, und die Frau beruhigte sich und sagte zehntausend Mal Danke, und jemand von der Zeitung kam und machte Fotos von uns und dem Kind in seiner Windel. Wir wurden mit einem Schlag berühmt, in der Schule guckten uns alle an und waren stolz auf uns, obwohl uns sonst kaum jemand mochte. Ein paar Tage später kam der Chef vom Hallenbad zu uns nach Hause, schüttelte allen die Hand und lobte uns. Wir dachten, das reicht jetzt aber auch mal. „Und um euch dreien eine Freude zu machen“, sagte der Mann, „erlauben wir uns, euch diese Freikarte zu überreichen.“ Wir kapierten erst nicht. „Ihr dürft den ganzen Sommer lang umsonst ins Freibad. Wann immer ihr wollt!“ Wir waren natürlich einverstanden. Es war schon Ende April. Am 15. Mai machten sie auf. 2 Alle sagten, wir wären Helden. Waren wir aber nicht. Wir hatten nur zufällig in der Nähe gestanden. Ich hab das auch nur kurz erzählt, damit du verstehst, wie es kam, dass wir ab jetzt jeden Tag im Freibad verbrachten. Jeden einzelnen Tag. Den ganzen Sommer lang. Vom 15. Mai bis zum 15. September. Über einhundert Tage. Auch wenn es regnete. Wir hatten ja sonst keine Möglichkeit, ich meine, unsere Eltern. Es war einfach nie genug Geld da für Ferien woandershin oder so. Und Robbie musste ins Wasser. 3 Robbie heißt eigentlich Robert. Ich heiße Alfred, aber jeder sagt Alf zu mir, was mich lange geärgert hat. Jetzt nicht mehr. Jetzt finde ich das gut. Katinka heißt ganz einfach Katinka. Wir sind die Bukowskis aus dem Wohnblock hinter den Gleisen. Ich bin zehn Jahre alt, Katinka ist acht, Robbie sieben. Mama arbeitet in der Bahnhofsbäckerei. Papa fährt Taxi. Wir wohnen in der Georg-Elser-Straße. Wir haben drei Zimmer. Das Wohnzimmer, das Schlafzimmer von Mama und Papa und unser Zimmer. Dazu eine Küche und ein Bad. Keinen Balkon. Doch wer braucht schon einen Balkon, wenn er einen ganzen Sommer im Freibad verbringen kann, immer unter dem Himmel? Wo es einen Zehnmeterturm gibt. Und neben dem Volleyballfeld einen Kiosk, wo sie alles haben, was du brauchst. Falls du Geld hast. Unser Freibad. Wo du mal eben rausgehen und beim Fußballtraining einer Bundesligamannschaft zugucken kannst, gleich nebenan auf dem Trainingsplatz. Und wo du denkst, so ein Sommer, der hört nie auf. 4 Am 15. Mai war es schön warm. Kaum war die Schule vorbei, holten wir Robbie im Hort ab. Er saß wütend in der Ecke, als wir kamen. Jemand hatte ihm sein Lieblingsauto weggenommen, ein Junge, der viel stärker war als er. Katinka wollte gleich auf den Jungen los, aber ich fand das nicht gut, nicht jetzt. Wir wollten doch ins Freibad. Also zeigte Katinka dem Jungen nur die Faust. Der Junge grinste. Er war schon acht und hatte keine Angst vor meiner Schwester. Wir hatten kein Geld für den Bus, also gingen wir den ganzen Weg zu Fuß. Daran würden wir uns jetzt gewöhnen müssen, denn Geld würde auch morgen keins da sein. Auch nicht übermorgen. Wir gingen über den Fluss und kamen in das Viertel mit den vielen Kneipen. Die Leute saßen draußen und tranken alle möglichen Sachen. Als wir an einem Café vorbeikamen, zeigte Robbie auf einen Mann mit einer Flasche Limonade vor sich. „Will ich auch“, sagte Robbie. „Geht nicht“, sagte ich. „Ist zu teuer.“ Mama hatte uns drei Euro mitgegeben, das musste für alle reichen. Robbie machte eine wütende Grimasse, und wir gingen weiter. Wir kamen an allen möglichen Leuten vorbei, die Kuchen aßen oder Eis, und ich nahm mir vor, nie mehr durch dieses Viertel zu gehen. Nicht mit so wenig Geld in der Tasche. Nicht mit Robbie an der Hand. Dann überquerten wir eine breite Straße. Und da sahen wir es: das Stadion. Dahinter war das Freibad. Robbie machte sich von mir los und fing an zu rennen. Katinka rannte ihm hinterher. Ich lachte. 5 Am Eingang zeigten wir unsere Freikarten. Die Frau an der Kasse guckte uns misstrauisch an und fragte einen Kollegen. Sie riefen irgendwo an, wahrscheinlich beim Chef vom Hallenbad. Als alles in Ordnung war, durften wir rein. Wir waren hier schon manchmal gewesen, mit unseren Eltern. Wenn man reinkommt, ist da zuerst die große Wiese. Dahinter sind die Becken. Eins für die ganz Kleinen, dann das Nichtschwimmerbecken mit den Rutschen. Daneben ist das Sprungbecken. Und dahinter sind die 50-Meter-Bahnen. Die Sonne schien – und ich hatte gedacht, es wären bestimmt viele Leute da. Aber das war nicht so. Ich verstand bald, warum. Wir suchten uns einen Platz für unsere Decke und zogen unsere Badesachen an. Dann liefen wir zu dem Becken mit den Rutschen und sprangen direkt ins Wasser. Es war höllekalt. Im Hallenbad ist das Wasser immer schön warm, besonders im Nichtschwimmerbecken. Hier nicht. Hier war es, als hätte jemand Eiswürfel reingetan, mindestens zehn Tonnen. Katinka rannte gleich wieder raus, ich auch. Robbie aber blieb im Wasser und freute sich. Wir behielten ihn genau im Auge. Die Kälte machte ihm null was aus, er sprang im Wasser herum und war glücklich. Da kam ein Bademeister und stellte sich breit neben uns hin. Er hatte einen dicken Bauch, als hätte er einen Riesenball verschluckt. Außerdem hatte er einen Riesenschnauzbart und sah aus wie ein Walross. Nur ohne Stoßzähne. „Das Wasser ist saukalt“, sagte Katinka zu ihm. „Das ist bescheuert.“ „Beschwer dich bei der Stadt“, sagte er. „Hier wird nicht geheizt.“ „Wieso nicht?“, fragte sie. „Sparmaßnahmen“, brummte er. „Ihr seid die mit dem Gutschein, oder? Mein Kollege vom Hallenbad hat mich informiert. Wo sind eigentlich eure Eltern?“ „Bei der Arbeit.“ „Passt auf den Kleinen auf. Ihr bleibt mit ihm im Nichtschwimmerbereich, verstanden? Ich hab ein Auge auf euch.“ „Klar“, sagte ich. „Und ich hab ja auch schon Silber und meine Schwester Bronze.“ Das beeindruckte ihn nicht. Er machte einen auf hart und guckte irgendwohin. Schließlich ließ er uns einfach stehen und ging zu seinen Kollegen, um Kaffee zu trinken. Robbie winkte uns zu, wir sollten ins Wasser kommen. Er sah so glücklich aus in dem großen Becken, wo sonst kaum jemand war. Aber auch ein bisschen allein. Er patschte aufs Wasser und rief unsere Namen. „Okay“, sagte Katinka. „Lass uns reingehen.“ 6 Wenn du erst mal eine Weile im kalten Wasser bist, gewöhnst du dich daran. Hauptsache, du bewegst dich. Dann merkst du überhaupt nicht mehr, wie kalt es ist. Wir spielten alles Mögliche, zum...