Göllnitz / Millan | Geschichte und Region 28/1 (2019) | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Italienisch, 184 Seiten

Reihe: Geschichte und Region/Storia e regione 1/2019

Göllnitz / Millan Geschichte und Region 28/1 (2019)

Studentische Gewalt/Violenza studentesca (1914–1945)
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7065-6003-0
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Studentische Gewalt/Violenza studentesca (1914–1945)

E-Book, Deutsch, Italienisch, 184 Seiten

Reihe: Geschichte und Region/Storia e regione 1/2019

ISBN: 978-3-7065-6003-0
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Weiten Teilen Europas gelang es nach dem Ersten Weltkrieg nicht, den Zustand einer post-war-society zu überwinden, in der die öffentliche Teilhabe an Politik zuweilen mit einem hohen Maß an innenpolitischer Gewalt einherging. Insbesondere für die sich neu formierende Rechte und die paramilitärischen Verbände spielte militantes Verhalten in der Zwischenkriegszeit eine Schlüsselrolle. Jugendliche im Allgemeinen und Studierende im Besonderen waren oftmals wichtige Multiplikatoren in solchen Bewegungen, da sie diese als Experimentierfelder für gewalttätige Erfahrungen betrachteten, wobei sie ihren Mangel an Kriegserfahrung oft durch zunehmende Militanz und Brutalität gegen innere und äußere Feinde kaschierten.

Trotz zum Teil erheblicher nationaler Unterschiede kann die jugendliche Militanz als ein weitgehend transnationales Phänomen paramilitärischer Organisationen nach 1918/19 betrachtet werden, das enormen Einfluss auf das politische Leben mehrerer europäischer – siegreicher wie besiegter – Länder in den 1920er und 1930er Jahren nahm. Eine nicht unbeträchtliche Zahl von Studierenden organisierte sich zwischen 1918/19 und 1939 in paramilitärischen Einwohner- und Bürgerwehren, politischen Kampfverbänden oder konspirativen Gruppierungen, um gegen Feinde im Inneren bzw. an den diversen Landesgrenzen vorzugehen. In den Bünden, Freikorps und Grenzschutzformationen suchte diese Generation der meist nach 1900 Geborenen – die sogenannte Kriegsjugendgeneration – das eigene Kriegserlebnis nachzuholen, welches ihnen durch ihr junges Alter im Ersten Weltkrieg verwehrt worden war.

In den hier versammelten Beiträgen untersuchen die Autorinnen und Autoren die regionalen Dimensionen studentischer Gewalträume und -kulturen. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie die regionalen Verhältnisse und Besonderheiten einen Radikalisierungsprozess beschleunigen bzw. bremsen konnten und welche spezifischen Gewaltkulturen sich in den diversen regionalen Gewalträumen entfalteten.

AUS DEM INHALT
Dmitar Tasic
The Macedonian Youth Secret Revolutionary Organization (MYSRO) 1922–1927: A New Moment in Macedonian Struggle

Florian J. Schreiner
Die „Ausgelesenen". Akademische Netzwerke und die Niederschlagung der Münchener Räterepublik 1919

Juliane Deinert
Studierende im Ausnahmezustand. Ausschreitungen an der Rostocker Universität vor und während der Machtergreifung der Nationalsozialisten

Irene Bolzon
La lunga durata dello squadrismo di confine. Comunità studentesche, società e pratiche della violenza a Trieste (1900–1945)

Simone Duranti
"Basta la sola camicia nera". Propaganda e attività politica dei fascisti universitari trentini

FORUM
Flaminia Bartolini
Dealing with contested heritage. Contemporary art and the Fascist monument debate

REZENSIONEN / RECENSIONI

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Editorial
In der internationalen Forschung ist häufig betont worden, dass es weiten Teilen Europas nach dem Ersten Weltkrieg nicht gelang, den Zustand einer post-war-society zu überwinden, in der die öffentliche Teilhabe an Politik zuweilen mit einem hohen Maß an innenpolitischer Gewalt einherging.1 Insbesondere für die sich neu formierende Rechte und die paramilitärischen Verbände, die als transnationale Phänomene zu verstehen sind, spielte militantes Verhalten in der Zwischenkriegszeit (1918/19–1939) eine Schlüsselrolle.2 Jugendliche im Allgemeinen und Studierende im Besonderen waren oftmals wichtige Multiplikatoren in solchen Bewegungen, da sie diese als Experimentierfelder für gewalttätige Erfahrungen betrachteten, wobei sie ihren Mangel an Kriegserfahrung oft durch zunehmende Militanz und Brutalität gegen innere und äußere Feinde kaschierten. Wie sich zeitgenössischen Veröffentlichungen entnehmen lässt, überwog speziell unter den mittel- und osteuropäischen Studierenden eine gewisse ready-to-battle-Mentalität gegenüber jenen vermeintlichen Feinden, die im Weltbild vieler Akademiker die „Ruhe und Ordnung“ der eigenen Nation gefährdeten.3 Trotz zum Teil erheblicher nationaler Unterschiede kann die jugendliche Militanz als ein weitgehend transnationales Phänomen paramilitärischer Organisationen nach 1918/19 betrachtet werden, das enormen Einfluss auf das politische Leben mehrerer europäischer – siegreicher wie besiegter – Länder in den 1920er und 1930er Jahren nahm. Eine nicht unbeträchtliche Zahl von Studenten organisierte sich zwischen 1918/19 und 1939 in paramilitärischen Einwohnerund Bürgerwehren, politischen Kampfverbänden oder konspirativen Gruppierungen, um gegen diese Feinde im Inneren bzw. an den diversen Landesgrenzen vorzugehen. In den Bünden, Freikorps und Grenzschutzformationen suchte diese Generation der meist nach 1900 Geborenen – die sogenannte Kriegsjugendgeneration – das eigene Kriegserlebnis nachzuholen, welches ihnen durch ihr junges Alter im Ersten Weltkrieg verwehrt worden war.4 Obwohl oder gerade weil diese junge Elite die Schützengräben, Materialschlachten und Kriegsgräuel nicht aus eigener Erfahrung kannte, konnte sie den Krieg als heroisches Erlebnis stilisieren und das Soldatische zu ihren Tugenden erheben.5 Bislang ist nicht ohne Weiteres zu erkennen, welche Rolle die regionalen Gewalträume und -kulturen im Radikalisierungsprozess studentischer Gewalttäter einnahmen, zumal eine sozialgeschichtlich fundierte Studie, die sich vergleichend mit dem militanten Verhalten akademischer Akteure in der Zwischenkriegszeit befasst, ein Desiderat der Forschung ist.6 Diesem Forschungsdesiderat nimmt sich das vorliegende Themenheft an, wobei davon ausgegangen wird, dass der Erste Weltkrieg und dessen gravierende Folgen in weiten Teilen Europas eine ganze Generation vornehmlich mittel- und osteuropäischer Studierender prägte und ihre Gewissheiten, Vorstellungen und Zukunftspläne zerstörte.7 Kriegsbegeisterung, Hunger und Not, Zusammenbruch der Ordnung 1918/19, Umsturz und Umwandlung der Wertehierarchie, soziale Unruhen, Wirtschaftskrise, die vermeintliche Bedrohung des Bolschewismus und ein zunehmender Antisemitismus sowie die Angst vor einer ungewissen Zukunft gelten als Stichworte für das Ermessen des Erfahrungshorizonts der Studierenden in der Zwischenkriegszeit. Der überregional zu beobachtende Aufstieg faschistischer und national-völkischer Parteien oder Bewegungen verdankte sich nicht zuletzt jenen Studierenden, die bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in den völkischen oder faschistischen Oppositionsmilieus Europas verkehrten. Auf der einen Seite war dies zum Teil das Ergebnis eines langen Militarisierungsprozesses innerhalb der europäischen Jugend, der dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorausging.8 Auf der anderen Seite waren jedoch die Ebenen der Radikalisierung und die substanzielle Bereitschaft zur politischen Militanz, insbesondere im Kontext einer derart extremen Unbedingtheit, nach 1918 gewalttätige Mittel als politische Ausdrucksformen einzusetzen, weitgehend beispiellos. Die (Selbst-) Mobilisierung der akademischen Jugend Europas nahm augenscheinlich einen immer radikaleren, mitunter gewalttätigen Ton an und trug erheblich dazu bei, diese Kriegsjugendgeneration zu definieren. 9 Die hier versammelten Beiträge greifen dieses Forschungsdesiderat auf, indem die Autorinnen und Autoren in kritisch-analytischer Perspektive die regionalen Dimensionen studentischer Gewalträume und -kulturen untersuchen.10 Das Themenheft nimmt somit nicht nur eine regionale Perspektive ein, indem es speziell nach dem Raum fragt, in dem Gewalt stattfindet, sondern untersucht erstmalig auch eine bislang von der Forschung vernachlässigte Personengruppe, die, so der Konsens neuerer Studien, einen wesentlichen Bestandteil radikaler Personenkollektive ausmachte und daher als ein „Motor der Gewalt“ verstanden werden muss. Zugleich werden auf diese Weise die bisherigen Arbeiten zu den in Polen und im Baltikum operierenden Freikorps, zum italienischen Squadrismus, zur Sturmabteilung der Nationalsozialisten oder zur „Eisernen Garde“ in Rumänien um den gewichtigen Faktor der jungakademischen Militanz und Radikalität ergänzt. Darüber hinaus bedingt eine solche Perspektive natürlich auch die Zuhilfenahme bislang gar nicht oder nur unzureichend gesichteter Quellenbestände, womit letztlich neue Fragestellungen im Rahmen universitärer beziehungsweise politischer Gewalt verbunden sein können. Folglich liegt der regionale Blickwinkel der Autorinnen und Autoren auf jenen europäischen Studierenden der Zwischenkriegszeit, die ihre Bedürfnisse, Sorgen oder politischen Vorstellungen nicht ausschließlich durch mündlichen oder schriftlichen Protest zum Ausdruck brachten, sondern auf jenen, die zur Durchsetzung ihrer nationalen oder politischen Ziele bewusst auf Gewalt als Mittel zum Zweck zurückgriffen.11 Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie die regionalen Verhältnisse und Besonderheiten einen Radikalisierungsprozess beschleunigen bzw. bremsen konnten und welche spezifischen Gewaltkulturen sich in den diversen regionalen Gewalträumen entfalteten. Zu diesem Zweck wird auf den Terminus der „politischen Gewalt“ zurückgegriffen, der im Folgenden alle, zumeist kollektiv durchgeführten Formen der physischen Gewalt umfasst, die gegen politische Gegner gerichtet waren (etwa gegen Einzelpersonen, Gruppen, den Staat) oder die in einem Prozess der Kommunikation als politisch bezeichnet wurden. Ein solches Definitionskriterium bietet sich aus zweierlei Gründen an: Zum einen ist physische Gewalt leicht zu identifizieren, zum anderen eröffnen sich dadurch auch synchrone und diachrone Vergleichsmöglichkeiten.12 Mit Heinrich Popitz und Randall Collins wird ferner davon ausgegangen, dass grundsätzlich alle Menschen das Potenzial zum gewaltsamen Agieren besitzen und dass Gewalt immer auch Ordnung stiften bzw. ausdrücken kann und mit kulturellen Deutungen und Imaginationen verbunden ist – sie ist somit zielgerichtet und situationsspezifisch codiert.13 So verstanden handelt es sich bei Gewalt stets um einen Kommunikationsakt, der wiederum Anschlusskommunikationen mit verschiedenen Akteuren evozieren kann. Oder anders gesagt: Die im vorliegenden Heft thematisierte studentische Gewalt ist eine vernetzende bzw. vernetzte soziale Praxis, die kommunikations- und raumbasiert ist, die Ordnungen und Sinnsysteme stiftet, die in ein hochschulinternes wie auch hochschulöffentliches Setting eingebunden ist und die sich zudem vielfältiger akademischer und gesellschaftlicher Kommunikationsnetzwerke bedient.14 Den Anfang macht Dmitar Tasic, der in seinem Beitrag die Rolle radikalisierter Studenten auf dem Balkan analysiert, wobei er zahlreiche Prozesse der gewaltsamen politischen Mobilisierung und des Paramilitarismus bereits für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg aufzeigt.15 Die zunehmende Verbreitung von Bildungseinrichtungen im neu gegründeten Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen sowie die verbesserten Möglichkeiten, im Ausland zu studieren, trugen nach 1918 dazu bei, junge Studenten für den Unabhängigkeitskampf Mazedoniens zu mobilisieren und sogar zu radikalisieren. In Wien studierten zwei mazedonische Studenten, Georgi Bazhdarov und Nikola Velev, die zunächst die Gründung der Macedonian Youth Secret Revolutionary Organization (MYSRO) forcierten. Interessanterweise wurde der Kern der neuen Jugendorganisation im Ausland etabliert, während Verbindungen auf dem gesamten Balkan aufrechterhalten wurden: Das Ergebnis war ein gut organisiertes, klandestin operierendes Netzwerk von „Fünflingen“ – allesamt äußerst entschlossene und überdies radikalisierte mazedonische Studentinnen und Studenten. Das von Tasic analysierte Fallbeispiel der MYSRO ist für die Forschung insbesondere deshalb von hoher Relevanz, da hier die enge Verknüpfung von tradierten Formen der bewaffneten bzw. terroristischen Militanz mit den neuen Aspekten der Geselligkeit und politischen Mobilisierung in der Nachkriegszeit am Beispiel des Balkans deutlich sichtbar wird. Als verbindendes Element der einzelnen Mitglieder und Zellen, die in verschiedenen europäischen...


Seit mehr als 20 Jahren stellt die Zeitschrift „Geschichte und Region/Storia e regione“ einen kritischen und originellen Orientierungs- und Bezugspunkt in der regionalgeschichtlichen Literatur Tirols dar. Mit ihrer thematisch breiten, interdisziplinären Ausrichtung und methodisch innovativen Ansätzen ist sie eine etablierte Alternative und Ergänzung zur klassischen Landesgeschichte. Eine Besonderheit ist die Zweisprachigkeit der Zeitschrift (deutsch-italienisch), die sich als Kontaktstelle und Scharnier zwischen der italienischen und österreichisch-deutschen Forschungslandschaft begreift.
Mit einem neuen, erweiterten Konzept versteht sich die Zeitschrift verstärkt als Forum für vergleichende Regionalgeschichte des mittleren Alpenraumes und versucht, das oft geforderte Desiderat eines Vergleichs neuer regionalgeschichtlicher Studien ein Stück weit umzusetzen.

Seit mehr als zwanzig Jahren stellt die Zeitschrift "Geschichte und Region/Storia e regione" einen kritischen und originellen Orientierungs- und Bezugspunkt in der regionalgeschichtlichen Literatur Tirols dar. Mit ihrer thematisch breiten, interdisziplinären Ausrichtung und methodisch innovativen Ansätzen ist sie eine etablierte Alternative und Ergänzung zur klassischen Landesgeschichte. Als Forum für vergleichende Regionalgeschichte des mittleren Alpenraumes versucht die Zeitschrift, das oft geforderte Desiderat eines Vergleichs neuer regionalgeschichtlicher Studien ein Stück weit umzusetzen. Eine Besonderheit ist die Zweisprachigkeit der Zeitschrift (deutsch-italienisch), die sich als Kontaktstelle und Scharnier zwischen der italienischen und österreichisch-deutschen Forschungslandschaft begreift.



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