Göritz | Parker | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 299 Seiten

Göritz Parker

Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-406-70064-4
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 299 Seiten

ISBN: 978-3-406-70064-4
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Parker hat nur eine Woche Zeit. Ein Freund, politisches Urgestein in Schleswig-Holstein, hat ihn nach Kiel eingeladen, damit er dem jungen, vielversprechenden Politiker Mahler als Medienberater und Redenschreiber zur Seite steht. Parker braucht den Erfolg, einen Vertrag, das Geld. Und er braucht einen Neuanfang. Dank eines Bestsellers zum Thema Coaching wurde Parker zu einem international renommierten Rhetorikexperten, der sogar in Obamas Präsidentschaftswahlkampf mitwirken durfte. Aber das ist lange her. Auch privat ist Parker an einem Wendepunkt angelangt. Floh er schon als Student vor seiner Herkunft und Vergangenheit aus Hamburg in die USA, so flieht er, der global vernetzte Arbeitsnomade, auch in seinem Privatleben immerfort vor allzu großer Nähe. Seine letzte Freundin setzte ihn deshalb vor die Tür. Und jetzt in Kiel stellt Anneli Schneider, die ehrgeizige und kampferprobte Mitarbeiterin seines Auftraggebers Mahler, ihn vor eine Herausforderung nach deranderen. Spannend und abgründig erzählt Matthias Göritz in seinem neuen Roman von einer perfiden Intrige, von Macht und Liebe, von der unwiderstehlichen Verlockung des Aufstiegs und seinem Preis.

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Kapitel 1 Sonntag, London
Es war schon die dritte Bombendrohung in Heathrow in diesem Jahr, dabei war es erst Januar. Das nächste Mal würde er über Frankfurt fliegen, vermutlich nicht Business. Sein Flug war verspätet gewesen, und er hatte sich gleich in den Abflugbereich begeben müssen. Seit Stunden saß er nun vor dem Kaffeekiosk auf einem der lilafarbenen Hartschalensitze, die, schaute er sie lang genug an, über dem gefleckten hellbraunen Terrazzoboden zu schweben schienen. Auf die Terrace Lounge der BA, wo es frische Räucherlachsschnitten und Champagner vorm Kaffee gab, hatte er sich gefreut. Trotz der überhitzten Abflughalle war ihm kalt. Er überlegte, ob er sich in einem der Shops einen Pullover kaufen sollte, entschied sich aber dagegen. Keine unnötigen Ausgaben. Er klappte den Laptop auf und schrieb an Herrn Hwang, um ihn daran zu erinnern, dass sie doch nun bald einen festen Termin für seine Gastprofessur in Korea vereinbaren könnten. Die Frau fiel ihm erst auf, als Parker seine Suche nach Informationen über die Klettenberg-Bank, die ihn im nächsten Monat buchen wollte, beendete und die Maske schloss. Sie hatte sich ihm schräg gegenüber gesetzt, wippte ungeduldig mit ihren spitzen, am Schaft mit falschem Fell besetzten Stiefeln. Er lächelte, sie nahm ihr Handy vom Ohr und lächelte zurück. Ihr Haar hatte die gleiche, zwischen Braun, Blond und Dunkel changierende Farbe wie das Kunstfell an den Stiefeln. Er stand auf, ließ seinen Cappuccino stehen, packte den Laptop in die Tasche und folgte dem Schild Richtung Herrentoilette. Vor einer der Kabinen hatte sich eine Pfütze gebildet, die er weiträumig umkurvte, bevor er sich an das Urinal in der Ecke stellte. Automatisch sprang die Spülung an. Wie tief die Urinale aus der Wand ragten, aufgerissene weiße Fischmäuler, als hielten sie geheime Verbindungen zu einer glucksenden Welt, in der ein Jonas, vom Himmel träumend, direkt in den Röhren unter dem Sieb mit dem Pinkelstein hauste. Parker ging den Gang am Kondomautomaten vorbei, stoppte am Waschbecken, entlockte dem Seifenspender flaumfederartigen Schaum, dann wandte er sich dem Trockner zu, der einen heißen Wind über die immer noch seifenbeschichteten Lebenslinien seiner Hand blies, ihn an Wüste und Gerbereien denken ließ. Parker war müde. Als er wieder in die Halle trat, war die Frau verschwunden. Auf dem Tablet schob er sein geplantes Seminarprogramm hin und her. Wie er anfangen würde, wusste er. Die Teilnehmer waren zum Großteil Juristen. Wenn ein schwacher, aber tapferer Mann einen kräftigen, aber feigen Mann zusammengeschlagen und ihm seinen Mantel
oder sonst etwas geraubt hat, und er wird deswegen vor Gericht gebracht, dann dürfen beide Parteien nicht die Wahrheit sagen. Vielmehr muss der Feige behaupten, der Tapfere habe ihn nicht allein, sondern ihn
mit anderen zusammen verprügelt, der Tapfere aber muss seinerseits nachweisen,
dass sie beide allein waren; ansonsten muss er folgendes Argument verwenden: Wie hätte ich, so, wie ich bin, es wagen können,
einen Mann, wie er es ist, anzugreifen? Platon hatte dieses Gerichtsszenario in seinen Phaidros-Dialog aufgenommen, als Kritik an den Sophisten, als Persiflage auf die unlauteren Mittel der Rhetorik. Parker musste lächeln. Wenn plötzlich alles gleich plausibel war, hatte die Wahrheit keine Chance mehr. «Last call for passengers departing to Hamburg, please proceed to gate B16 immediately.» Er stieg in den Zubringerbus, holte den Laptop heraus und schaute noch einmal durch seine Mails. Seine Augen brannten. Mr Zongo Maurice aus Nigeria schickte Grüße und bot die unfassbare Summe von zehneinhalb Millionen US-Dollar an, wenn, ja wenn. Parker stellte den Flugmodus ein, verließ den Bus, stieg die Gangway empor und ließ sich neben einer älteren Dame im Pelz in die Polster sinken. Die Frau räusperte sich, ließ ihr Reisenecessaire aufschnappen und feilte sich die Nägel. Sie hörte auf und sah Parker unter ihrem grünen Lidschatten heraus an. Die leise Stimme der Flugbegleitung weckte ihn. Die Boeing befand sich im Sinkflug. Es begann schon wieder zu dämmern. Er hatte fast den ganzen Tag lang nur künstliche Nacht gehabt, endlose Stunden erst halb im Liegen, dann im Sitzen. Links blinkten die Lichter der Villen von Blankenese auf. Die Maschine neigte sich in die Landeschleife, auf der rechten Seite erhaschte Parker einen Blick auf den Hafen. Er hievte den großen Rollkoffer und die Kabinentasche ins Taxi. «Hauptbahnhof», war seine kurze Ansage gewesen. Die Lederbezüge der S-Klasse waren eiskalt. Parker fragte sich, wie sich Kleinunternehmer so teure Schlitten leisten konnten, der Wertverlust musste riesig sein. Der Fahrer, stilecht mit Elbsegler in schwarzer Cabanjacke und grauem Backenbart, tippte die Klimafunktion auf seinem Kontrollschirm an. «Büschen kalt heute, nech.» Ihre Blicke begegneten sich kurz im Rückspiegel. Parker schauderte. Hoffentlich wurde er nicht krank. Er zog den Mantel enger, mongolisches Kaschmir, aber sehr leicht. Und sein Reiseanzug war auch zu dünn für das Wetter. Aus den Kopfstützen vor ihm traf ihn ein Schwall warmer Luft. Der Taxifahrer lächelte. Dann konzentrierte er sich auf die Fahrt. Rübenkamp, am Gewerbemischgebiet vorbei, durch den Stadtpark. In Harvestehude sah Parker Eis auf der Alster. Es kam ihm so vor, als hätte der Mann zu ihm gesagt: «Sie hat man ja lang nicht gesehen.» Mit einem zeitverzögerten «Wo warn Sie denn?» hinterhergeschoben. Und irgendwie hörte er ihn ‹Meista› sagen. ‹Meista› oder ‹Digga›. Er schüttelte den Gedanken schnell ab. Das hatte man davon, wenn man im Flugzeug nicht schlief. Beim Ausladen des Gepäcks half ihm der Fahrer nicht, zündete sich eine Zigarette an, während Parker die Taschenschlaufen über die Teleskopstange des Koffergriffs zog und das schwere Gepäck vorsichtig kippte. Er gab kein Trinkgeld. Im Abteil saßen Parker ab Neumünster zwei Männer gegenüber, vielleicht Versicherungsvertreter oder mittlere Bankangestellte. Graue Konfektionsanzüge mit Bundfalten und Umschlag, ein Schnitt, der eigentlich dazu gemacht war, den Blick auf schmale Taillen und gutes Schuhwerk zu lenken, beides hier fehl am Platz, stattdessen Hüftspeckwülste und kurze stämmige Beine über Kaufhaustretern; die beiden trugen gemusterte Krawatten, mit Rennwagen und Kornblumen, der Verkäufer ihres Herrenmodenhauses hatte ihnen womöglich gesagt, sie würden das Erscheinungsbild «auflockern». Vielleicht war das sogar jeweils an «die Gattin» gerichtet gewesen, die ihre Männer beraten musste, da sie nicht in der Lage waren, selbst für sich zu entscheiden. Auch jetzt saßen sie nicht einfach nur still und für sich da. Sie sahen nicht dem Tag zu, wie er Abend wurde, die langsam vom Dunkel verschluckte Landschaft, die Sterne oder auch nur die mintfarbenen Sitze des ehemaligen Interregios. Sie redeten miteinander, als hielten sie sich für die Dauer der Zugfahrt aneinander fest. Der Ältere fuhr sich mit der linken Hand in Abständen immer wieder in die Jacketttasche. Wahrscheinlich ein Raucher. «Weißt du», begann er, «Hallmann hat Leukämie.» Parker stutzte, das hätte er nicht erwartet. «Nein!» «Hja.» Beide pressten die Lippen zusammen und nickten sich zu, wobei ihre Seehundschnauzer leicht zitterten. «Besser als Aids», antwortete der Jüngere nach einer Pause. Wieder nickten sie, strichen sich Hosenbeine und Hemden glatt, lockerten die Krawatten. Parker war irritiert. «War ein guter Mann.» «Hat er nicht die Einspielergebnisse vorausgesagt?» «Ja, hat er. Ist fast befördert worden dafür.» «Stimmt, ich erinnere mich. War er danach nicht bei den Risikofonds?» «Ja, in Wegeners Gruppe!» «Ziemliche Karriere.» «Ziemlich.» «Hat aber auch gearbeitet wie ein Affe.» «Tja, kann man so sagen.» «Hat zweimal den Osterbonus...


Matthias Göritz, geboren 1969, ist vielfach ausgezeichneter Lyriker, Theaterautor, Übersetzer und Romancier und lebt in Offenbach. Er veröffentlichte u. a. die Romane „Der kurze Traum des Jakob Voss“ (2005), für den er den Mara-Cassens-Preis erhielt, und „Träumer und Sünder“ (C.H.Beck, 2013), der mit dem Robert- Gernhardt-Preis ausgezeichnet wurde. Sein jüngster Gedichtband „Tools“ erschien 2012. 2014 erhielt Göritz den William H. Gass Award und lehrt derzeit an der Washington University in St. Louis, USA.



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