E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Gonzales Nur fast am Boden zerstört
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-26999-9
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine authentische queere Romance mit Tiefgang
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-641-26999-9
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Will Tavares ist der perfekte Sommerflirt – witzig, attraktiv und liebevoll – aber gerade als Ollie denkt, er hätte sein Happy End gefunden, enden die Sommerferien und Will antwortet nicht mehr auf seine Nachrichten. Um die Sache noch schwieriger zu machen, muss Ollie wegen eines Familiennotfalls ans andere Ende der USA ziehen. Was ihm deutlich weniger ausmacht, als er herausfindet, dass er von jetzt an auf dieselbe Schule wie Will geht – nur dass dieser Will nichts mit dem Jungen zu tun hat, mit dem Ollie seinen Sommer verbracht hat. Dieser Will ist ein Basketball-Crack, bekennt sich nicht zu seiner Sexualität und ist obendrein ein ziemlicher Idiot. Ollie denkt nicht daran, Will hinterherzutrauern. Doch dann taucht Will „zufällig“ ständig in Ollies Nähe auf: vom Cafeteria-Tisch bis hin zu Ollies Musikkurs. Und Ollies Entschluss gerät gehörig ins Wanken …
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1
Es war später Nachmittag, am letzten Mittwoch im August, als mir klar wurde, dass Disney mir mit seinem »glücklich bis an ihr Lebensende« schon seit Ewigkeiten Lügen auftischte.
Soll heißen: Meine ganz persönliche Version dieses Märchens war gerade mal vier Tage alt und mein Prinz hatte sich in Luft aufgelöst.
Weg. Verschwunden.
»Ich werde dich ganz bestimmt niemals vergessen«, hatte er gesagt.
»Ich glaube nicht, dass ich schon jemals so glücklich war«, hatte er gesagt.
»Bitte, melde dich mal. Ich muss dich unbedingt wiedersehen«, hatte er gesagt.
Warum also saß ich nun hier an unserer Küchentheke, hämmerte mit dem Kopf gegen die sprichwörtliche Wand und wägte die Pros und Kontras ab, ihm noch eine Nachricht zu schreiben?
Okay, sicher. Wenn ich ihm noch mal eine schickte, dann wären es drei direkt nacheinander. Und ja, damit ging man schon fast als Stalker durch. Aber ich konnte diese Entscheidung auch durchaus rational rechtfertigen. Die erste Nachricht, die er ignorierte hatte, hatte ich ihm als Antwort auf seine eigene Nachricht von Samstagabend geschickt. Er hatte mir gute Nacht gewünscht, ich hatte ihm gute Nacht gewünscht. Ende der Unterhaltung. Darauf hatte er überhaupt nicht antworten müssen. Deshalb zählte es eigentlich auch gar nicht.
Und auch die zweite Nachricht, die ich ihm geschickt hatte, erforderte nicht wirklich eine Antwort.
Sonntag, 11:59
Hab beim Reinschleichen total versagt.
Mom war stinksauer.
#wardiesachewert. Und verurteile mich
bitte nicht, weil ich nen Hashtag verwende.
Ich bin eben einfach zu cool, um mich deinen sozialen Konventionen zu unterwerfen.
Gelesen Sonntag, 14:13
Ich meine, es konnte doch sein, dass er die Nachricht auf der Fahrt nach Hause gelesen hatte, mit einem Lächeln auf den Lippen, und gar nicht daran gedacht hatte, dass er vielleicht darauf antworten sollte, richtig? Streng genommen hatte ich ihm schließlich keine Frage gestellt, war also durchaus möglich. Oder vielleicht hatte er sie auch gesehen, sofort eine Antwort getippt und war mittendrin durch irgendetwas abgelenkt worden.
Weil es bei ihm zu Hause gebrannt hatte oder so. Oder weil er von Außerirdischen entführt worden war.
Für vier ganze Tage.
Also, mal ernsthaft, wenn man wirklich darüber nachdachte, musste ich ihm noch mal schreiben. Eine coole, total beiläufige und in keiner Weise verzweifelte Nachricht, natürlich. Aber diesmal mit einer Frage. Und wenn er sie dann las und mir nicht antwortete, wusste ich mit Sicherheit, dass er mich ignorierte.
Okay. Kein Problem. Das kriegte ich hin. Keine große Sache. Nur ein Typ, der einem anderen Typen eine Nachricht schickt. Einem Typen, der all meine tiefsten Geheimnisse kannte, der die letzten gut sieben Wochen mit mir rumgeknutscht und MICH NACKT GESEHEN hatte.
Einem Typen, der mir glaubhaft versichert hatte, dass er mich wirklich, wirklich mochte.
Einem Typen, der besser tatsächlich von gottverdammten Außerirdischen entführt worden war.
Es war also durchaus gerechtfertigt, wenn ich ein klitzekleines bisschen klettete. Solange es nicht wie kletten rüberkam, natürlich.
Easy.
Okay. Dann mal los.
Hi Will! Also, ich
Nein. Streich das wieder. Klingt zu gestelzt.
Hey, du errätst nie, was ich
Was ich was? Diesen Satz konnte ich unmöglich vernünftig zu Ende bringen.
Okay, ich nehme an, dass du von Außerirdischen entführt wurdest, aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass dem nicht so ist
»Ollie, hast du mal kurz Zeit?«
Ich erschrak so sehr, dass ich beinahe auf Senden geklickt hätte. Und seien wir mal ehrlich: Wenn ich es getan hätte, hätte ich mich auch gleich in den See stürzen können. Ich versuchte, nicht zu verwirrt auszusehen, als Mom sich auf dem Holzhocker neben mir niederließ. Zur Sicherheit löschte ich die angefangene Nachricht jedoch. Nur für den Fall. »Äh, klar. Was gibt’s?«
O-oh. Sie hatte diesen Ausdruck im Gesicht.
Mein erster Gedanke: Es war passiert. Tante Linda war gestorben. Ich hielt den Atem an. Im wahrsten Sinne des Wortes. So, als würde ich es erst wirklich wahr machen, wenn man mich beim Atmen ertappte, und dann würde meine komplette Familie, die gefährlich nahe an diesem Abgrund wankte, über dem das Wort »Krebs« prangte, ohne Netz und doppelten Boden in die Tiefe stürzen.
Es war der Grund, warum wir überhaupt nach North Carolina gekommen waren. Tante Linda war es gesundheitlich seit einiger Zeit immer schlechter gegangen, und sie musste einfach mal raus, um sich zu erholen, Zeit mit der Familie zu verbringen und ihr Leben zur Abwechslung mal ein bisschen zu genießen. Natürlich hatten wir sie auch sehen wollen, deshalb hatten wir den Sommer alle gemeinsam hier am See verbracht. Eine weitere Reise hätte Tante Linda nicht geschafft, sie wäre zu riskant für sie gewesen. Und da ich selbst auch seit Jahren nicht mehr aus Kalifornien rausgekommen war, hatte ich nicht das Geringste dagegen einzuwenden gehabt. Mir war ziemlich schnell die Rolle des inoffiziellen, unbezahlten und sich trotzdem nie beschwerenden – aber nur, weil sie so verdammt süß waren – Kindermädchens für Tante Lindas Rasselbande übertragen worden, nachdem wir uns zwei Nachbarhäuschen am See gemietet hatten. Alles war ziemlich gut gelaufen. Großartig, sogar. Der beste Sommer meines Lebens, würde ich sagen.
Aber jetzt war er beinahe vorbei und er durfte einfach nicht so enden. Das konnte er nicht.
»Hör mal, Schatz …«, begann Mom.
Tot. Tot. Tot.
»Tante Linda ist …«
Tot.
»Na ja, du weißt ja, dass es ihr nicht gut geht. Und du warst den beiden in diesem Sommer so eine große Hilfe. Onkel Roy war schon fast am Ende seiner Kräfte, weil er sich ganz allein um Linda und die Kinder kümmern musste … Wegen der Krankenhausrechnungen könnten sie sich ein Kindermädchen niemals leisten. Von all den anderen Dingen, bei denen sie im Moment Hilfe gebrauchen könnten, ganz zu schweigen. Jedenfalls … Linda ist meine Schwester, und deshalb möchte ich für sie da sein, so gut ich kann.«
Moment mal. Dann war Tante Linda gar nicht gestorben? Ich war vor Erleichterung so überwältigt, dass ich Moms nächste Worte gar nicht richtig mitbekam. Vor Glück war mir ganz schwindlig.
»Dein Vater und ich haben beschlossen, das Haus für eine Weile unterzuvermieten. Vielleicht für ein Jahr oder so. Wir haben in Collinswood was gefunden und das Haus ist praktischerweise nur ein paar Straßen von Roy und Linda entfernt. Wir fahren nächste Woche zurück nach San José, um unsere Sachen zu holen und uns von allen für eine Weile zu verabschieden. Dann bist du rechtzeitig wieder hier, bevor das neue Schuljahr anfängt.«
Moment mal, was? Was, was und was, bitte?
»Wir bleiben … hier? Ziehen hierher? Nach North Carolina?«
Aber wir wollten doch nächste Woche zurück nach Hause fahren. Wieso kamen wir denn jetzt wieder hierher?
Mom zuckte mit den Schultern. Unter ihren blauen, tief liegenden Augen waren dunkle Ringe zu erkennen und sie hatte ihre dünne schwarze Strickjacke linksherum an. Das Etikett, das schlaff am Saum an der Seite herunterbaumelte, knisterte leise, als sie die Arme sinken ließ. »Ollie, wir haben keine andere Wahl.«
»Aber … Habt ihr …? Könnte ich nicht zu Hause wohnen bleiben und ihr zwei zieht allein hierher?«
Hey, je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es. Nur weil es mir Spaß gemacht hatte, in diesem Sommer den Babysitter zu spielen, bedeutete das nicht, dass ich alles stehen und liegen lassen und diese Rolle dauerhaft übernehmen wollte. »Ich meine, mal ehrlich, das könnte doch echt gut funktionieren. Ich kann mich ums Haus kümmern und selbst chauffieren kann ich mich schließlich auch. Und die Rechnungen bezahlen. Ich könnte ein paar Schichten zusätzlich im Laden schieben. Und falls es so aussieht, als ob ihr länger bleibt, kann ich zwischendurch ja mal herkommen, aber … ich meine, Mom: die Band! Und die Jungs. Ich kann nicht …«
Mom stützte sich mit den Ellenbogen auf der Theke ab und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ollie. Bitte. Mach es nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist.«
Ich lehnte mich zurück und starrte auf mein Handy. Was sollte ich bitte dazu sagen? Ich wollte bestimmt nicht den schwierigen Teenager geben oder so, aber das war einfach ein bisschen viel auf einmal. In meinem Kopf drehte sich alles, während ich versuchte, die immense Tragweite dieser Entscheidung zu begreifen. Mein Abschlussjahr ohne all meine Freunde? An einer mir vollkommen unvertrauten Schule, mit lauter Lehrern, die mich nicht kannten? Und das ausgerechnet, wenn Noten wirklich eine Rolle spielten? Ich würde meinen Job aufgeben müssen, und meine Band, und ich würde den Abschlussball verpassen …
Dann schaute ich Mom wieder an, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht genügte, um mir begreiflich zu machen, dass diese Sache nicht verhandelbar war. Widerwillig verdrängte ich sämtliche Gründe, warum mir diese Entscheidung alles kaputtmachen würde, in die hinterste Ecke meines Verstands. Ich würde...