Gottschalk | Frida | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Gottschalk Frida

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-25580-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-641-25580-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein mitreißender Roman über einen Wendepunkt in Frida Kahlos Leben - ihre Zeit in New York und Paris.
Schillernd, charismatisch, spektakulär: So präsentiert sich Frida Kahlo, als sie 1938 in New York ankommt. Ihre Ehe mit Diego Rivera ist an einem Tiefpunkt, doch sie ist fest entschlossen, ihren Lebenshunger in der Metropole zu stillen. Und es scheint ihr alles zu gelingen: Die erste Einzelausstellung ihres Lebens wird ein Triumph, sie schart Freunde und Bewunderer um sich und genießt es, Affären einzugehen - so auch mit dem Fotografen Nickolas Muray, für den sie schon seit langem tiefe Gefühle hegt. In diesen Monaten, die Frida Kahlo nach New York, Paris und schließlich zurück in ihre Heimat Mexiko führen, erobert sie Neuland und folgt unbeirrbar ihrem Weg - als Künstlerin und als Liebende.

Frida Kahlo - Ikone und Kultfigur mit einer riesigen Fangemeinde!

Maren Gottschalk wurde 1962 in Leverkusen geboren. Sie studierte in München Geschichte und Politik und promovierte über Geschichtsschreibung. Seit 1991 schreibt sie Beiträge für die WDR-Radiosendung ZeitZeichen und verfasst daneben Biographien und Romane. Sie lebt in Leverkusen und arbeitet in Köln.

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TEIL EINS


New York, 31. Oktober 1938


Als Frida an diesem Morgen aufwacht, fällt ihr Blick sofort auf den roten Rock, der neben dem Bett auf dem Boden liegt. Und sie sieht auch gleich den Riss. Zuerst denkt sie, es sei nur eine Falte, die einen Schatten wirft. Wie ein zerklüftetes Gebirge liegt ihr Tehuana-Rock auf dem Boden, der steife Baumwollstoff zu wild gezackten roten Felsen aufgetürmt. Als Julien gestern Nacht die Bänder an der Taille gelöst und ihr den Rock abgestreift hatte, war das Kleidungsstück in sich zusammengesunken, und Frida hatte es dort einfach liegen lassen. Ein schmaler blauer Streifen zieht sich durch das Stoffgebirge. Das Samtband stammt aus dem Lädchen von Señora Martínez in Coyoacán, und Frida hatte es an der Stelle aufgenäht, wo der Volant beginnt. Vom Bett aus wirkt die blaue Linie wie ein Fluss, der sich durch rote Täler und Schluchten windet und wieder auf die Anhöhe klettert, als brauche er die Gesetze der Schwerkraft nicht zu beachten.

Wenn das Wasser bergauf strömen kann, denkt Frida, dann kann sie heute ohne Schmerzen aufstehen. Sie wird sich waschen, ankleiden, frisieren und ohne Anstrengung die kleine Treppe hinter der Rezeption zum Frühstückssalon hinabsteigen. Über das Getuschel der Ladys mit ihren tristen Frisuren und den engen Kostümjacken wird sie ein strahlendes Lächeln breiten. Der nette Kellner mit der schiefen Nase wird ihr Toast und frisches Obst bringen und sie wie jeden Morgen freundlich anstarren. Sie wird den Toast buttern, solange er heiß ist, und beim Hineinbeißen wird ihr ein goldgelber Tropfen aus dem Mundwinkel zum Kinn laufen.

Sie wird … nein, sie wird nichts von allem tun. Sie weiß es, bevor sie die geringste Bewegung gemacht hat. Der Schmerz in ihrem Fuß ist eine Schlange. Jetzt schläft sie noch, aber sie wird erwachen, sobald sie auch nur einen Muskel anspannt. An manchen Tagen ist das so, sie spürt es gleich beim Aufwachen. Gestern fühlte sie sich gut, aber heute ist die Schlange da. Angelockt von der ungewöhnlichen Wärme, die seit Tagen auf Manhattan drückt. Die Vögel im Central Park spielen verrückt, weil sie sich nicht mehr auskennen. Ihre innere Uhr sagt ihnen, sie sollten sich vollstopfen, um den Winter zu überstehen, aber in der warmen Mittagssonne fangen manche von ihnen an, nach Nistplätzen Ausschau zu halten.

Frida will die Spanne ausdehnen, in der sie den Schmerz noch nicht spürt. Sie liegt auf dem Bauch und atmet flach, damit sie die Schlange nicht weckt. Die Bettdecke ist zu den Hüften heruntergerutscht, Gänsehaut kriecht über ihren Rücken. Mit den Augen tastet sie den Rand der Matratze ab, ihr Blick wandert wieder zum Boden, zum roten Gebirge mit dem blauen Fluss. Ein schöner Rock. Weit wie ein Zelt verbirgt er ihr verkürztes, dünnes Bein und den verdammten Fuß. Wenn sie den Rock auf die Wäscheleine hängt, knattert er wie ein Segel. Niemand weiß, dass sie eine geheime Botschaft in den Saum gestickt hat. Es ist ihr kleines Credo, eine Lebensversicherung für schlechte Tage.

Besser wäre es, wenn sie jetzt nicht zu den Zigaretten auf ihrem Nachtschrank greift, obwohl sie sich nach einem tiefen Zug sehnt. Aber wenn sie den Arm hebt, leiten ihre Muskeln diesen Impuls sofort an die Schulter und den Rücken weiter, von dort geht die Information an die Nerven in der Hüfte, weiter Richtung Oberschenkel, Knie, Waden. Und dann wird der Fuß wach, und die Schlange beißt zu.

Also bleibt sie liegen und horcht. Julien ist nicht mehr da. Es hatte nicht Julien sein sollen, letzte Nacht. Aber der andere war nicht gekommen. Wieder nicht. Seit einer Woche nichts von ihm, keine Zeile, kein Anruf, kein Besuch, obwohl er weiß, dass sie in New York ist und ihre Ausstellung morgen eröffnet wird. Er hatte die Bilder, die sie präsentieren wird, für sie fotografiert, damit sie die Aufnahmen nach Paris schicken kann, wo ebenfalls eine Ausstellung geplant ist. Aber aus irgendeinem Grund entzieht er sich ihr, und sie weiß nicht, warum. Also nahm sie gestern doch wieder Julien mit. Weil er es so sehr wollte und sie nicht allein sein kann an manchen Abenden. Gut, dass er jetzt weg ist, denn niemand sollte bei ihr sein, kurz bevor die Schlange aufwacht. Einzig den Koloss kann sie in diesen Momenten ertragen. Diego, Ehemann und Scheißkerl. Sie schlafen schon lange nicht mehr im selben Bett. Wenn er sich im Schlaf bewegte, geriet Frida wie ein Boot auf hoher See ins Schaukeln. Diego, das Monster, das sie zum Wahnsinn treibt. nennt sie ihn, Froschgesicht. Aber es ist auch Diego, der sie so zart in seinen Armen halten kann, dass sie sich in einen Schmetterling verwandelt.

Aber das ist lange her. Sie sind schon lange kein glückliches Paar mehr. Und doch halten sie aneinander fest, weil sie etwas anderes verbindet als eine Heiratsurkunde.

Das Gebirge auf dem Boden verschwimmt vor ihren Augen, es sieht jetzt aus wie ein Stück Fleisch. Die Schlange ist wach. Frida stöhnt und dreht sich auf den Rücken. Jetzt ist es sowieso egal, ihr Fuß und das ganze rechte Bein brennen.

Sie setzt sich auf, lehnt sich an die Kissen, lässt den Kopf nach hinten sinken und seufzt. Immerhin das: Die Amerikaner bestücken ihre Hotelbetten mit dicken, weichen Kissen.

Sie nimmt das Röhrchen vom Nachttisch, schiebt sich zwei weiße Tabletten in den Mund, greift nach dem Wasserglas, es ist leer. Das Glas fliegt auf den Boden, zerstört das Gebirge. Sie beugt sich hinab, wühlt in dem roten Stoff, findet darunter eine Flasche mit einem Rest Tequila. Die Schmerzen sind jetzt so stark, dass sie aufheulen möchte, sie spült die Tabletten runter, zündet sich eine Zigarette an, lehnt sich zurück, wartet, dass die Chemie in ihrem Blut die Schlange bändigt. Ein Bild flackert hinter ihren Augen. Sie sieht sich selbst auf der Erde liegen, aus ihrem Inneren wachsen Blätterranken, mit denen sie den Boden vergiftet.

Als die Schlange nach einer Weile betäubt ist, kehrt die Freude zurück. Der schwere Vorhang zwischen Schmerz und Welt hat sich gehoben, die Bühne ist hell erleuchtet, sie ist wieder im Spiel, verspürt Hunger und Durst. Erst jetzt dringen die Geräusche der Straße zu ihr, das Rauschen des Verkehrs, das Hupen der Busse, die Stimmen der Zeitungsverkäufer. Kisten werden abgeladen, Autotüren geschlossen, Kinder ausgeschimpft, Fahrräder gebremst. Frida atmet tief durch. Sie drückt die Zigarette aus und greift mit den Händen nach dem roten Rock auf dem Boden. Sie legt ihn sich aufs Gesicht, er riecht nach Heimat, nach Staub und nach der Würze des Marktes von Coyoacán. Sie schnuppert sich am Samtband entlang, hier riecht es nach Schnaps, dort nach Melone. Und da wie nasser Hund, vielleicht hat ihr kleiner Nackthund Herr Xolotl vor Kurzem noch seine dreckige Pfote daraufgelegt?

»Bist du wach?«

»Komm rein.«

In der Hotelzimmertür erscheint eine junge Frau. Vivian sieht aus wie ein Werbemodel aus einer Zeitschrift. Ein gleichmäßiges hübsches Gesicht, kurze gewellte hellblonde Haare mit einem tiefen Seitenscheitel. Sie hat schöne Zähne, die sie bei jedem Lachen ganz ungeniert zeigt, worum Frida sie beneidet. Vivian trägt gut sitzende Kostüme, und bevor sie das Hotel verlässt, holt sie ein Paar Lederhandschuhe aus der Manteltasche, das zu ihrem Halstuch passt. Die Familie hat lange versucht, ihr den Schauspielberuf auszureden, aber Vivian setzte sich durch und versucht nun, sich mit Jobs durchzuschlagen, abgesehen von gelegentlichen Schecks, die ihre Mutter heimlich schickt. Im Moment hat sie keine Proben und spielt daher Fridas »Hofdame«, wie sie es nennt. Dass Julien eigens jemanden engagiert, der sich um die Künstlerin kümmert, die er ausstellt, ist eine ungewöhnliche und großzügige Geste.

»Wie viel zahlt Julien dir dafür, dass du mich jeden Tag aus dem Bett wirfst?«

»Nicht viel, das meiste Geld bekomme ich, weil ich ihm erzähle, mit wem du ins Bett gehst … Darling, was für ein Chaos ist das hier?« Sie hebt Kleidungsstücke vom Boden auf, dann sieht sie Frida genauer an.

»Schmerzen? Hast du noch genug Tabletten? Im Schrank ist mehr, habe ich gestern geholt.« Sie schaut kurz nach, die Schachtel mit dem Nachschub ist noch da.

»Kannst du aufstehen? Da sind zwei Leute von der in der Lobby, was soll ich ihnen sagen?«

»Sie sollen warten. Ich brauch noch was.«

»Geh erst mal ins Bad, ich räume so lange auf. Und dann ziehen wir los.«

Vivian eilt geschäftig hin und her, während Frida sich vorsichtig dehnt und streckt, um herauszufinden, ob die Schmerzen wirklich verschwunden sind. Sie beneidet Vivian auch um die Mühelosigkeit, mit der diese sich nach ihrem bückt, dem sonnengelben Umhang mit den blauen Fransen. Sie faltet ihn, aber bevor sie ihn in den Schrank legt, fragt sie Frida: »Hast du eigentlich mitbekommen, was gestern hier los war? Die Sache mit ?«

Frida nickt. »Julien wusste davon und dass es nur ein Hörspiel war. Wir sind ganz gemütlich im Restaurant sitzen geblieben. Dort hat sowieso niemand Radio gehört. Gib mir den mal rüber, ich glaube, da haben sich ein paar Fransen verknotet.«

»Dann hattet ihr Glück! Ich war in der U-Bahn, als die Sendung lief, und als ich die Treppen zum Ausgang hochstieg, hätten mich ein paar Verrückte fast umgerannt. Die Leute sind in Panik in die U-Bahn geflohen, um Schutz zu suchen.«

»Vor Marsmenschen. Hahaha.« Frida gähnt.

Vivian faltet ein paar Oberteile von Frida und legt sie in den Schrank.

»Es klang wohl ziemlich echt. Viele haben tatsächlich geglaubt, dass wir angegriffen werden. Dieser Orson Welles ist offenbar...


Gottschalk, Maren
Maren Gottschalk wurde 1962 in Leverkusen geboren. Sie studierte in München Geschichte und Politik und promovierte über Geschichtsschreibung. Seit 1991 schreibt sie Beiträge für die WDR-Radiosendung ZeitZeichen und verfasst daneben Biographien und Romane. Sie lebt in Leverkusen und arbeitet in Köln.



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