Gottschalk | Jenseits der Ngong Berge | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Gottschalk Jenseits der Ngong Berge

TANIA BLIXEN - die Romanbiographie über ihr außergewöhnliches Leben
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-30612-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

TANIA BLIXEN - die Romanbiographie über ihr außergewöhnliches Leben

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-641-30612-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es ist ein strahlend klarer Morgen, als die 28jährige Tania Blixen im Januar 1914 in Mombasa zum ersten Mal afrikanischen Boden betritt. Sie ist überwältigt von dem märchenhaften Anblick der Stadt, vor allem aber ist sie aufgeregt, denn am Kai erwartet sie ihr künftiger Ehemann Baron Bror Blixen. Hier in Kenia soll ihr neues Leben beginnen, das voller Verheißung vor ihnen liegt. Sie kaufen eine Kaffeefarm, malerisch gelegen unterhalb der Ngong Berge, und Tania taucht ein in diese für sie so fremde, exotische Welt, die ihr zur geliebten Heimat wird. Als sie 17 schicksalsträchtige Jahre später in ihr Geburtshaus in Dänemark zurückkehrt, hat sie alles verloren: Ihre Ehe ist gescheitert, die Farm bankrott und die himmelstürmende Liebe ihres Lebens tödlich verunglückt. Aber ein Teil von Karens Seele bleibt für immer zurück in den Weiten Afrikas - und findet Trost in der Erinnerung an ein Leben aus dem Stoff, aus dem Romane sind.

Maren Gottschalk wurde 1962 in Leverkusen geboren. Sie studierte in München Geschichte und Politik und promovierte über Geschichtsschreibung. Seit 1991 schreibt sie Beiträge für die WDR-Radiosendung ZeitZeichen und verfasst daneben Biographien und Romane. Sie lebt in Leverkusen und arbeitet in Köln.
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Perlenarmband, 1959


Der morgendliche Blick in den Spiegel beweist es: Ihre Augen sind noch immer tiefschwarz. Wie die Kiesel im Mara-Fluss, hatte Denys einmal gesagt. Diese Augen sind ihr Stolz. Mit ihnen hat sie die Welt bezwungen. Nicht nur, weil sie so viel mehr gesehen haben, als den meisten Frauen ihrer Generation vergönnt war. Sie hat mit ihrem Blick auch Menschen an sich gebunden, Prinzen und Jäger, Politiker und Schriftsteller, Journalisten und Freunde. Und nicht zuletzt ihre Leute auf der Farm, die Einzigen, die in ihren Augen lesen konnten wie in einem Buch.

Auch Tiere hat sie bezirzt. Ihren geliebten Hund Dusk konnte sie mit einem Blick dazu bringen, mitten in der Bewegung stocksteif stehen zu bleiben. Lullu, das Antilopenkalb, ließ sich zähmen, weil es ihren Augen vertraute. Und seit ihrer Rückkehr aus Ostafrika flattern die Vögel im Park von Rungstedlund unbekümmert um sie herum, wenn sie sich auf die Bank am Waldrand setzt. Solange sie jeden Morgen ihre Augen öffnen und die Welt in ihren Bann ziehen, solange sie ihr Gegenüber noch mit Geschichten fesseln kann, fühlt es sich richtig an weiterzuleben.

Sie fährt mit der Bürste ein paarmal über die dünnen Strähnen und bindet sich ein Seidentuch um den Kopf. Schon vor Jahren hat sie sich angewöhnt, auffallende Hüte oder Mützen zu tragen. Oder eben ein Tuch. Es gibt ihr einen mondänen, eleganten Anstrich, und auf den legt sie auch mit vierundsiebzig Jahren noch Wert. Warum auch nicht? Alles ist erlaubt, was ihr dabei hilft, sich besser zu fühlen. Aus demselben Grund erlaubt sie es sich, mit ihren Namen zu spielen. Denys hatte sie Tania genannt, und sie hatte es geliebt. Jetzt, wo sie sich dem Ende ihres Lebens nähert, freundet sie sich wieder mit ihrem Geburtsnamen Karen an.

Sie greift nach der Glasplatte auf dem Frisiertisch und zieht sich daran hoch. Die nächste Aufgabe wartet. Zur Kommode gehen und nach ihrer Sekretärin läuten. Karen Blixen will die Treppe heute nicht allein heruntersteigen. Ein andermal wird es wieder besser gehen. Vielleicht schon morgen.

Als Ruth Jacobsen sich dem Strandvej nähert, wo Karen Blixens Haus steht, bleibt sie vor der Bank stehen, die dem Wasser zugewandt ist. Wie oft hat sie in den letzten Tagen hier gehockt und die Situation verflucht? Mit der Hand wischt sie über das Holz, setzt sich und stellt die Füße in den braunen Halbschuhen ordentlich nebeneinander. Ihre Zehen sind kalt, obwohl es Frühling ist und die Sonne scheint. Aber ihr Mantel ist zu dünn für einen frischen dänischen Morgen, und die Kälte kriecht ihr unter den Rock. Sie hat eine Hose im Koffer, traute sich aber bisher nicht, sie zu tragen. Wer weiß, wie man das im Haus von Karen Blixen aufnehmen würde, sie ist eine Baronin, wenn auch eine geschiedene. Ruth stemmt die Ellbogen auf die Knie, legt die Hände vors Gesicht und reibt sich die Augen. Worauf wartet sie noch? Es kann kaum schlimmer werden, als es schon ist. Sie werden sie abwimmeln. Wie gestern, vorgestern und alle vier Tage davor. Und dann war es das eben. Jeremy, ihr Redakteur, hatte gleich seine Zweifel. Aber sie hatte sich vorgedrängt. »Ich fliege doch sowieso nach Dänemark, lass mich das machen. Ich krieg das hin, glaub mir! Ich klopfe einfach an ihre Tür, jeden Tag, wenn es sein muss. Bis ich das Interview bekomme.«

Und jetzt? Gar nichts. Nicht einen Blick hat sie bisher auf Karen Blixen werfen können. Nur weil sie dänische Vorfahren hat, ist sie eben noch lange nicht die Richtige, um eine Festung zu stürmen, in der eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Welt sich verschanzt hat. Eine Frau, die sogar als Kandidatin für den Nobelpreis gilt. Das hatte Jeremy ihr auch auf den Kopf zugesagt: »Du, Ruth? Du hast doch überhaupt keine Erfahrung mit solchen Leuten. Die Blixen ist eine Berühmtheit, da brauchst du eine Strategie, um zu ihr vorzudringen.«

»Na und? Dann lerne ich es eben«, hatte ihre Antwort gelautet. Er hatte sie zweifelnd angeschaut und sich dann seufzend auf die Ecke seines Schreibtischs gesetzt, während sie auf dem Besucherstuhl vor ihm hockte.

»Also gut. Jack hat einen großen Fehler gemacht, und du bekommst die Chance, ihn für uns alle auszubügeln. Aber wenn die Blixen noch immer krank ist, wird’s schwierig. Was willst du dann tun?« Er hatte sich zu ihr hinabgebeugt und hinzugefügt: »Wenn du das vermasselst, brauchst du nicht zurückzukommen.«

Dieses Szenario steht ihr seitdem drohend vor Augen. So schnell findet man keine festen Jobs bei Zeitungen in New York. Und auch wenn die nur eine kleine Literaturzeitung ist, hat sie einen guten Ruf und finanziert Ruths Studium. Ohne den Job müsste sie wieder kellnern oder – das wäre die völlige Niederlage – zu ihren Eltern nach Boston zurückkehren.

Eigentlich war es Jacks Auftrag gewesen, Karen Blixen während ihres Aufenthalts in New York zu interviewen. Jeremy hatte von einer Schlagzeile geträumt wie »Karen Blixen – was sie heute über den Kolonialismus denkt. Exklusiv in der «. Aber Jack hatte das Interview nicht bekommen. Schuld daran war eine Mischung aus Arroganz, Unaufmerksamkeit und Pech: Zuerst hatte er sich nicht für die Pressekonferenzen akkreditiert, weil er auf einen eigenen Termin spekulierte. Dann war er nicht einmal in die Nähe der Blixen gekommen, obwohl diese in den ersten drei Monaten des Jahres 1959 fröhlich durch die USA reiste und davon mehrere Wochen in New York logierte. Als dann fast alle Zeitungen und Radiosender ihre Interviews hatten, als die Vorträge und Dinners und Signierstunden vorbei waren, entschied Jack, jetzt sei die Stunde für sein Exklusivinterview gekommen. Doch dann war die Blixen von einem auf den anderen Tag schwer erkrankt, hatte ihre Reise abgebrochen und war vom Krankenhaus in Manhattan direkt zum Flughafen gebracht worden, um zurück nach Dänemark zu fliegen.

Jack war zwar nicht der Einzige, der nicht zum Zug gekommen war, aber das hatte Jeremy nicht interessiert. Er hatte so getobt wie nie zuvor.

Und hier in Rungstedlund, eine halbe Zugstunde nördlich von Kopenhagen, heißt es seit fast einer Woche, Karen Blixen empfange noch keinen Besuch. Sie sei krank. Ruth gräbt das Gesicht tiefer in die Hände und massiert ihre Stirn mit den Fingerspitzen.

Ein leises Hecheln neben ihr lässt sie auffahren. Im selben Moment legt sich eine warme Hundeschnauze auf ihr Knie. Ruth schaut das Tier überrascht an, Angst hat sie nicht. Sie kommt vom Land, ist mit Hunden aufgewachsen und weiß, dass auch fremde Tiere schnell Zutrauen zu ihr fassen. Ihr Vater sagt immer, sie habe den richtigen Geruch an sich. Oder ist es ihr Mantel, den sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr ausgebürstet hat? Sicher ist er voller Haare ihres Labradors Flint. Sie betrachtet den alten Schäferhund, der jetzt an ihren Händen schnuppert. Sein Fell ist struppig, und aus den Augenbrauen wachsen ihm ein paar sehr lange Haare. Er schaut zu ihr hoch, wie das nur Hunde können, freundlich, mitfühlend, aufmunternd.

»Wer bist du denn?«, fragt Ruth und streichelt ihn zerstreut.

»Wollen wir eine Runde durch den Park gehen?«, fragt Clara Svendsen. Die Sekretärin, Anfang vierzig, mit weichen, freundlichen Zügen, ist eher praktisch als modisch gekleidet und steht seit fünfzehn Jahren in den Diensten der Baronin. Zu ihren Aufgaben gehören nicht nur die gesamte Korrespondenz und das Abtippen der Texte, vom Entwurf bis zur letzten Korrektur. Karen Blixen schätzt ihre Meinung bei der Auswahl der Texte für neue Bücher, und sind die Frauen unter sich, vertritt Clara mutig ihre Ansichten. In Gesellschaft hält sie sich bereitwillig im Hintergrund und hat keinen Ehrgeiz, zu glänzen. Sie schaut die Baronin aufmunternd an. »Oder wenigstens einmal um den Teich? Es ist gerade so schön draußen, das wird uns guttun.«

»Uns? Warum redest du wie eine Krankenschwester mit mir? Willst du einen Spaziergang machen? Dann sag das doch.«

Clara verzieht kaum merklich den Mund und nickt. Sie kennt diesen Ton seit fünfundzwanzig Jahren, seit sie als Sekretärin für Karen Blixen arbeitet. Wenn sie das Gefühl hat, jemand wolle sie manipulieren, wird sie störrisch. »Ja, Baronin«, sagt Clara, um sie milde zu stimmen. »Du hast recht, eigentlich bin ich es, die einen Spaziergang machen will. Kommst du mit?«

Will Clara sich dienstbar zeigen, spricht sie ihre Chefin mit Baronin an. Ist sie wütend, sagt sie Frau Blixen. In den letzten Monaten hat sie sich angewöhnt, sie ab und zu Tania zu nennen, so wie Denys Finch Hatton es getan hatte.

Karen Blixen legt den Kopf schräg, als müsse sie nachdenken. Dann nickt sie gnädig. »Nun, vielleicht komme ich wirklich mit.«

Clara lässt sich ihre Genugtuung nicht anmerken. Soll sie doch ihre Spielchen haben, denkt sie, darüber wird sie sich nicht mehr ärgern. Und eigentlich scheint die Baronin heute Vormittag ganz gut beisammen zu sein. Als sie morgens gemeinsam die Treppe vom Schlafzimmer herabstiegen, musste sie sie noch stützen, aber die Arbeit hat sie offensichtlich erfrischt. Fünf lange Briefe hat sie heute diktiert. Sie war so in Schwung, dass kaum etwas korrigiert werden musste. Jetzt liegen die Umschläge fertig adressiert auf dem Tisch, einer für ihren Verleger von Random House in New York, einer für den »lieben, hochgeschätzten« Truman Capote und die anderen sind für die Bank, einen Cousin auf Schloss Wedellsborg und der letzte für ihren Bruder Thomas Dinesen. Als die Briefe fertig waren, hat Karen Blixen sich noch einmal die ersten Seiten des neuen Buchs vorlesen lassen und ein paar Verbesserungsvorschläge gemacht. Jetzt haben sie sich eine Pause verdient.

»Wo ist Pasop?«,...


Gottschalk, Maren
Maren Gottschalk wurde 1962 in Leverkusen geboren. Sie studierte in München Geschichte und Politik und promovierte über Geschichtsschreibung. Seit 1991 schreibt sie Beiträge für die WDR-Radiosendung ZeitZeichen und verfasst daneben Biographien und Romane. Sie lebt in Leverkusen und arbeitet in Köln.



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