Gräfen | Freiraum | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Gräfen Freiraum

Roman
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8437-2043-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-2043-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Vela und Maren führen eine glückliche Beziehung und leben einen modernen Großstadtalltag, sie hegen einen gemeinsamen Kinderwunsch. Dann will Maren ausbrechen und ein anderes Leben führen; am Rande der Stadt, in einem Haus mit vielen anderen. Hier gibt es keine Mietanpassungen und keine Preiserhöhungen auf Milch und Käse. Hier ist auch Theo, um den in der Gemeinschaft alles kreist. So wie er versuchen auch Vela und Maren ihren neuen Platz zwischen Hoffnung, Zukunftsangst und dem Gefühl von Erwachsenwerden zu finden. Svenja Gräfen zeichnet mit großem Einfühlungsvermögen und einer scharfen Beobachtungsgabe ein neuartiges Bild unseres modernen Welt.

Svenja Gräfen, geboren 1990 und aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, ist Schriftstellerin und feministische Aktivistin. Sie steht mit Texten auf der Bühne, hält Vorträge und leitet Workshops. 2018 wurde sie zum Klagenfurter Literaturkurs eingeladen und ist Alfred-Döblin-Stipendiatin der Akademie der Künste Berlin. Sie lebt in Leipzig und Berlin. »Freiraum« ist nach »Das Rauschen in unseren Köpfen« ihr zweiter Roman.
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Kapitel 1


Auf dem Bahnsteig im Ort sind Vela und Maren die einzigen Menschen. Der Himmel über ihnen leuchtet stahlblau. Sie gehen durch die Unterführung, über eine Straße und dann bergauf. Da lang, erklärt Maren, geht’s rein in den Ort. Da gibt’s alles, was man so braucht. Sie kennt sich aus. Maren ist hier schon öfter gewesen. Sie greift nach Velas Hand, Vela, die ein paar Schritte hinter ihr geht.

Das Haus steht auf einem Hügel. Von der Straße aus ist es nicht gleich zu sehen. Es ist verdeckt von Bäumen und Sträuchern. Davor eine überwucherte niedrige Mauer aus Stein und ein Tor, das quietscht beim Öffnen. Dahinter ein Weg aus quadratischen Platten, zu den Seiten Gras, platt gedrücktes Grün, das sich noch vom Winter erholt. Vorbei an Büschen und Bäumchen geht es, an Mülltonnen und ein paar Rädern, und dann wird der Blick frei auf ein Gebäude.

Die Tür sieht aus wie die einer Terrasse. Ein dunkler Holzrahmen fasst Glas, und die Hand an der schmalen Klinke hat ein Mann. Er trägt Bart, er trägt einen blauen Rollkragenpullover, und er sagt: Hey! Er sagt: Hallo. Und grinst dabei. Das Grinsen wird ein Lächeln, ganz warm, und er hebt die Hand, breitet dann beide Arme aus und legt sie um Marens Körper. Als sie sich aus der Umarmung zu lösen beginnt, sagt sie: Wie absurd, dass ihr euch noch nicht kennt! Das ist Vela.

Wie schön, ruft der Mann, er ruft es ernsthaft begeistert. Und umarmt dann auch Vela, ganz herzlich, als würde es gar nicht stimmen, was Maren da gerade gesagt hat, und er riecht auch irgendwie vertraut, denkt Vela. Nicht wie eine fremde Person. Er ist ihr auf Anhieb sympathisch. Er sagt: Ich bin Theo. Kommt rein!

Und sie gehen rein, alle drei, sie gehen ins Haus, und die Tür, Glas in Holz gefasst, fällt zu.

Es ist ein Beschnuppern, eine Art Casting. Kann man das so nennen? Ein Kennenlernen. Das Haus ist ein Projekt, ein Hausprojekt, in dem Marens Schwester wohnt, zusammen mit Freund und mit Kind. Und von Jo, der Schwester, kam auch der Vorschlag, sie sagte: Es ist jemand ausgezogen bei uns, es ist was frei im Haus, ihr solltet euch das anschauen. Deswegen sind sie nun hier, in der Küche, zusammen mit Theo in einem riesigen Raum. Über den Schränken fällt Sonne durch Oberlichter, insgesamt ist es hier drin sehr hell. Es riecht nach Holz und nach Kaffee. Vela erhascht Blicke. Auf einem langen Tisch stehen Teller bereit, daneben ein Korb mit Brötchen. Geschnittenes Gemüse und Obst. Theo angelt Tassen aus einem Schrank, stellt sie auf die Kücheninsel in der Mitte, eine Platte aus Stein. Wollt ihr Kaffee, fragt er, aber jede mögliche Antwort wird übertönt von euphorischem Kreischen, weil soeben Jo den Raum betreten hat und auf Maren zufliegt. Sie fallen sich in die Arme, und im Anschluss hebt Maren ein skeptisch schauendes Kind vom Boden hoch, liebkost es, sie küsst es auf Wangen und Stirn, küsst nussbraune Löckchen, die das kleine Gesicht umrahmen. Jo begrüßt Vela, drückt sie fest an sich. Ihre Wangen berühren sich. Jo hat die gleiche weiche Haut wie ihre Schwester. Ein Duft von Lavendel und Sandelholz umgibt sie. Sie ist groß, größer als Maren. Dickes Haar in Dunkelblond reicht ihr bis knapp unters Kinn.

Wie schön, dass ihr da seid!, sagt sie.

Und Eli, Jos Kind, quietscht vergnügt auf Marens Arm.

Es wohnen mehrere Leute im Haus. Der Tisch ist eine lange Tafel, und daran ist Platz für sie alle. Für Karsten, Jos Freund, der sein Kind auf den Schoß nimmt. Für Ellen, die neben ihm sitzt und Kräutertee trinkt. Für Nat, die sich streckt, im Sitzen ihre Arme nach oben ausbreitet, und für Darek, der als Letzter dazukommt. Alle freuen sich über Vela und Maren, alle betonen, wie schön es ist, sie zu sehen, hierzuhaben an diesem Tag. Theo nähert sich mit einer Pfanne, er ruft: Achtung, das ist heiß!, dann steht eine große Menge Rührei auf dem Tisch bereit zum Verzehr.

Wir waren heut früh schon im Hofladen. Da kaufen wir immer die Eier, sagt Jo.

So, wer möchte?, fragt Theo, haben wir überhaupt genug Gabeln?

Ein paar Momente des chaotischen Organisierens, in denen Jo noch einmal aufsteht, es fehlt eine Gabel, und sie bringt auch noch eine Karaffe mit Wasser. Und will noch wer Kaffee? Es ist noch was da. Ellen ergänzt, dass es auch Kräutertee gibt, sie schaut Vela auffordernd an, die leicht den Kopf schüttelt, Danke, alles gut. Und Saft, ruft Nat, die zum Kühlschrank geht, es fehlen auch noch Gläser. Dann aber, zum Glück dampft das Ei noch auf ihren Tellern, geht’s los. Guten Appetit, lasst’s euch schmecken. Nat, Jo und Darek heben ehrfürchtig ihre Saftgläser. Kommt schon, sagt Nat. Wir stoßen an mit Multivitaminen! Dann halten sie alle, sie kauen zum Teil schon, ihre Gläser in die Höhe, außer Theo, der bloß zögernd seinen Emaillebecher hebt. Sie prosten einander zu.

Als vor ihnen bloß noch Krümel liegen auf bunten Tellern, in der Pfanne ein winziger Rühreirest längst kalt geworden ist, da tauscht Theo seinen Becher gegen ein Glas. Da entschließt er sich, einen Schluck Saft zu nehmen, und dann schlägt er die Beine übereinander. Er hält das Glas in der linken Hand, er räuspert sich und sagt dann: So, wir sind ja schließlich nicht zum Spaß hier. Er grinst. Er zwinkert Vela zu. Er sagt: Also, die Idee hier ist, tatsächlich eine Alternative zu schaffen. Freiraum. Einen Ort, an dem es um mehr geht als um so ein Nebeneinanderher. Das heißt sich umeinander zu kümmern, sich zu unterstützen. Und in erster Linie auch ein Ort, an dem man überhaupt wohnen kann.

Ellen unterbricht ihn: Vielleicht erzählst du, wie das alles hier angefangen hat? Das erklärt ja schon das meiste.

Ja, wollte ich gleich, sagt Theo. Danke, Ellen. Er fährt fort: Woanders, jedenfalls, ist das ja nicht mehr möglich. Ihr kennt das ja, in der Stadt. Wie lange sucht ihr jetzt nach einer Wohnung?

Puh, vielleicht anderthalb Jahre?, sagt Maren, sie sieht Vela an, und Vela nickt, sie fügt noch hinzu: Schon ein bisschen länger.

Theo nickt langsam. Bestätigend. Das ist alles kaputt, sagt er. Wohnen darf ja wohl keine Glückssache sein. Ist es aber inzwischen geworden. Man zahlt einen Arsch voll Miete, und am Ende wird man trotzdem rausgeworfen. Oder es wird immer teurer.

Ja, bei uns nämlich, sagt Maren.

Schon wieder?, fragt Jo.

Nicht so furchtbar viel, sagt Maren, vierzig Euro. Aber es ist jetzt das vierte Mal in drei Jahren.

Gott, wir haben einfach ein Riesenglück mit diesem Haus, sagt Ellen.

Wem gehört denn das Haus?, fragt Vela. Habt ihr das gekauft?

Das gehört zunächst mal denen, die es bewohnen, sagt Theo. Es gehört uns allen zusammen. Also, streng genommen hab ich es geerbt, aber wir haben zusammen renoviert. Wir haben Geld reingesteckt. Dieses ganze Materielle, dieses Gesülze von Besitz, und was ist jetzt mein Haus, dein Haus – das bringt uns ja einfach nicht weiter.

Darek breitet die Arme aus: Das ist hier nämlich eine Oase inmitten vom Kapitalismus, sagt er theatralisch. Theo schmunzelt, er lächelt matt: Natürlich nicht ganz. Ich meine, die meisten von uns haben Lohnarbeit. Karsten ist Lehrer. Nat ist Tischlerin, Ellen ist jetzt in dieser Gemeinschaftspraxis –

Ich bin Therapeutin, fügt Ellen hinzu.

Jo und ich sind selbstständig, sagt Theo. Jo macht jetzt bald diese Kurse, im Gemeindehaus unten im Ort.

Achtsamkeitskurse sind das, sagt Jo.

Und Darek arbeitet am Theater, in der Stadt.

Na ja, ich jobbe, sagt Darek.

Es spielt auf jeden Fall keine Rolle, wer jetzt wie viel verdient, sagt Jo. Das nimmt ganz schön den Druck. Deswegen hab ich mich überhaupt erst selbstständig gemacht.

Man weiß eben immer, die anderen sind auch noch da. Als Backup. Nat lehnt sich zurück, sie streicht sich über ihre kurzen Haare, sie lächelt. Sie lächelt Vela an.

Und, fährt Theo fort, er hebt einen Zeigefinger: Alle arbeiten ja auch hier. Im Haus. Im Haushalt. Kochen, einkaufen, putzen und so was. Wir kümmern uns alle auch mal um Eli.

Und das ist noch so ein springender Punkt, sagt Jo, mit Nachdruck, und als wäre es geplant, beginnt Eli ein Brabbeln, Eli wirft ein paar Silben, wirft Halbworte in den Raum.

Jo nimmt Eli auf den Arm. Ihr wollt doch auch Kinder, oder nicht?

Jetzt räuspert sich, Theo gegenüber, Karsten. Er richtet sich auf und trinkt rasch einen Schluck, um dann auch endlich etwas zu sagen: Für Kinder ist das perfekt. Ich bin so froh, dass Eli hier aufwächst und nicht in der Stadt.

Und die Sache mit der Betreuung, wirft Jo ein. So ist das viel einfacher. Hier ist ja immer irgendwer da.

Und dann natürlich die Langfristigkeit, sagt Karsten. Ich glaub – Theo, lass mich kurz ausreden, ich glaub, das ist ziemlich wichtig, dass schon so ein gewisses Commitment dabei ist.

Theo nickt, er nickt nachdenklich, und dann fragt er: Habt ihr da einen konkreten Plan?

Vela wird heiß im Gesicht, sie spürt das. Einen wellenartigen Anstieg der Temperatur. Marens Hand liegt auf ihrem Oberschenkel, und sie greift danach. Maren zögert einen kurzen Moment, aber sie ist keine, die herumdruckst, sie sagt dann: Also, tatsächlich ja.

Theos Lippen kräuseln sich zu einer Art Grinsen, und er sieht Maren an, Vela...


Gräfen, Svenja
Svenja Gräfen, geboren 1990 und aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, ist Schriftstellerin und feministische Aktivistin. Sie steht mit Texten auf der Bühne, hält Vorträge und leitet Workshops. 2018 wurde sie zum Klagenfurter Literaturkurs eingeladen und ist Alfred-Döblin-Stipendiatin der Akademie der Künste Berlin. Sie lebt in Leipzig und Berlin. 'Freiraum' ist nach 'Das Rauschen in unseren Köpfen' ihr zweiter Roman.



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