E-Book, Deutsch, Band 1, 314 Seiten
Reihe: Köchin Doro Ritter
Grägel Proseccolügen
2022
ISBN: 978-3-8392-5922-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Krimi aus dem Veneto
E-Book, Deutsch, Band 1, 314 Seiten
Reihe: Köchin Doro Ritter
ISBN: 978-3-8392-5922-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mit der Idylle ist es vorbei, als im La Quercia nahe der Proseccostraße mysteriöse Unfälle geschehen. Doro Ritter, Tochter von Sternekoch Sascha Ritter und selbst leidenschaftliche Köchin, ist viel zu neugierig, um ihre Nase nur in Kochtöpfe zu stecken. Stattdessen wühlt sie in einer tragischen Familiengeschichte, die bald mörderische Blüten treibt. Verdächtige gibt es genug und auch für Doro wird es gefährlich. Aber das hält sie nicht auf - sie will die Wahrheit wissen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 4
La festa (Das Fest)
Venerdi (Freitag) – 1. August Die illustren Gäste trudeln nach und nach ein. Emilio Zarbos Familie. Bin gespannt, Emilio offensichtlich auch. Er tigert im Foyer auf und ab, ohne Knopf im Ohr und ohne die gute Laune vom Vortag. Was ist los? Freut er sich nicht? Ist er nicht deshalb aus Australien angereist? Wegen der Familie? Wahrscheinlich ist er nur nervös. Klappt schon alles. Zumindest in der Küche … aber auch nur, wenn ich mich wieder auf meine Aufgaben konzentriere und nicht ständig meine neugierige Nase aus der Küche stecke. »Ich habe alles im Griff, du kannst Pause machen«, gibt mir Maria ein paar Minuten frei. Gut. Ich knülle die Schürze zusammen, schnappe mir Vincent, der in der schwarzen Hose und dem blütenweißen Hemd fast italienisch aussieht – auf jeden Fall sehr sexy –, um mit ihm draußen eine Zigarette zu rauchen. Kein schlechter Platz. Jeder der Gäste muss an uns vorbei, und anhand der Tischordnung, die Emilio akribisch aufgestellt hat, wird uns das Who’s who nicht schwerfallen. Zwölf Personen. Es sitzen im Uhrzeigersinn an der Längsseite Eve und Emilio Zarbo, daneben Salvatore Zarbo, Emilios Bruder, mit Ehefrau Antonietta. An der Stirnseite Rebecca Colucci, Enkeltochter von Salvatore und Antonietta, mit ihrem Verlobten, Tommaso Biasini. Gegenüber von Emilio sitzen Paolo Colucci, Rebeccas Vater, Maria Favelli, 90 Jahre alt, gehört quasi zur Familie Zarbo. Andrea Favelli, Marias Sohn, arbeitet schon seit seiner Jugend ebenfalls auf dem Zarboschen Weingut und denkt mit 65 noch nicht an Ruhestand. Neben ihm soll sich Mario Biasini, Tommasos Bruder, platzieren, Margaret und Hannah Rodari um die Ecke schließen den Kreis. Durch die Glastür beobachten wir, wie Emilio jeden neuen Gast begrüßt und ihm ein Glas Prosecco in die Hand drückt. Alle stehen ein wenig verloren in der Halle herum, als der letzte Gast eintrifft. Emilios Ebenbild. Salvatore, sein Bruder. Ein Handschlag, taxierende Blicke, keine Umarmung, wie ich es von zwei Brüdern erwartet hätte, die sich so lange Zeit und durch die gesamte Erdkugel getrennt nicht gesehen haben. Ich drücke die Zigarette aus. »Komm, gehen wir wieder rein. Ich denke, das Fest beginnt.« Einen sanften Klaps auf Vincents knackigen Hintern kann ich mir nicht verkneifen. »Hey! Nur weil ich Kellner bin, bin ich kein Freiwild für lüsterne Frauen«, protestiert er empört – und grinst nicht unlüstern. »Genau. Du bist Kellner, und du kriegst heute bestimmt einiges aus der Familiengeschichte mit. Da liegen Spannungen in der Luft. Ich spüre das.« »Meine neugierige Doro mit ihren Verschwörungsantennen. Keine Sorge, ich serviere dir alles Wesentliche sozusagen als Betthupferl.« »Brav.« Ich nicke zufrieden. Vincent kennt mich schon ganz gut. Jetzt aber ab in die Küche. Maria schwenkt gerade die Krabben für den Salat in ein wenig Butter, ich gebe einen Hauch von Dressing über die Salatvariation. Die Krabben darauf verteilt, jetzt ist Vincent dran. Das Risotto dünstet verführerisch duftend vor sich hin. Ich gebe immer im rechten Augenblick Brühe dazu und rühre regelmäßig um. Einen Schuss Weißwein für den Geschmack darf ich nicht vergessen. Und eine Prise Muskat. Sektempfang und Aperitif haben die Stimmung gelockert. Es ist eine rege Unterhaltung im Gange. Vincent bestätigt, was ich bei gelegentlichen Blicken aus der Küche erhasche. Alle reden und gestikulieren und freuen sich sichtlich über diesen Familienabend. Nur Emilio und Salvatore sitzen nebeneinander, wechseln aber kaum ein Wort miteinander. Salvatores Frau, an dessen linker Seite, sitzt da, stumm und steif wie ein Spargel, Güteklasse 1A. Was ist da los? Geht’s wie so oft im Leben um Geld? Ist Emilio gar nicht wegen der lieben Familie zurückgekommen, sondern geht’s um den Familienbesitz? Vincent hat alle Hände voll damit zu tun, gebrauchte Gläser, Teller und Besteck einzusammeln. Das Risotto will auf den Tisch. Ich nutze die Chance und helfe ihm, den Gang zu servieren. Kurze Verschnaufpause. Vincent und ich verdrücken uns auf eine Zigarettenlänge. Ein Schlückchen Rotwein wäre jetzt nicht schlecht, aber damit warte ich besser, bis das Gröbste in der Küche vorbei ist. Will lieber nicht Salz mit Zucker verwechseln! Antonietta rauscht an uns vorbei. Sie hat uns nicht gesehen. Sie geht zu der Piniengruppe, vielleicht 50 Meter vom Hotel entfernt. »Kommst du?« Vincent hält die automatische Schiebeglastür einladend für mich offen. »Geh ruhig schon vor, ich brauche noch ein bisschen frische Luft. Bei uns in der Küche ist es so heiß …« Die Tür gleitet zu. Ich schlendere auf den dunklen Parkplatz hinaus. Das Schrappen der Tür dringt in meine Gedanken. Ich drehe mich um. Emilio Zarbo, mein singender Australier. Er schaut sich kurz um, sieht mich nicht, geht dann zu den Pinien. Weiß er, dass seine Schwägerin dort ist? Ich bleibe im Schatten der Nacht, höre Stimmen, verstehe aber nicht, was sie sagen. Zu weit weg. Dazu meine lückenhaften Italienischkenntnisse. Leider. Die Silhouetten der beiden heben sich im schwachen Mondlicht ab. Ich will zu gerne wissen, was sie zu bereden haben! Hinter den parkenden Autos kann ich mich näher schleichen. »Warum hast du nicht mit mir geredet?« Der traurige Unterton in Emilios Stimme überrascht mich. »Warum bist du einfach gegangen?« Die verbitterte Gegenfrage Antoniettas. »Ich war so allein, so verzweifelt … und du bist gegangen …« »Du warst schwanger.« Ich kann seine Verwirrung spüren. Wie er die Hände hebt. Die Unsicherheit in seiner Stimme. Eine Grille zirpt ihre endlose Melodie. Antoniettas Lachen mutiert zu einem schrillen Crescendo. »Ja, ich war schwanger. Umso mehr hätte ich dich gebraucht. Du hättest zu mir stehen müssen. Stattdessen bist du abgehauen.« »Aber es war Salvatores Kind! Warum, glaubst du, bin ich gegangen? Weil ich dich nicht geliebt habe? Nein! Ich habe dich zu sehr geliebt. Und ich habe den Gedanken nicht ertragen, dass du mich mit meinem eigenen Bruder hintergangen hast, während ich versucht habe, aus seinen Klauen zu entkommen und eine Existenz für uns aufzubauen.« Jetzt ist Emilio auch laut geworden. Hoffentlich kann Maria mich noch in der Küche entbehren. Ich kann meinen Lauschposten hier unmöglich verlassen. »Du hast dich aus seinen Klauen befreit, ja …«, der Hass ist aus ihrer Stimme verschwunden, ist der Resignation gewichen, »… und mich hat er gefressen. Mit Haut und Haaren. Mit Gewalt.« »Heißt das …?« Emilio ist anscheinend genauso unsicher wie ich, ob er die Aussage Antoniettas richtig verstanden hat. »Ja, das heißt es. Dein Bruder hat mich vergewaltigt. Und mich mit meiner Scham erpresst. Er hat dir immer alles missgönnt. Sogar mich.« Stille. Sogar die Grille schweigt für einen Moment. Emilios Tränen machen seine Worte für mich fast unverständlich. »Antonietta! Das habe ich nicht gewusst. Ich habe gedacht, nachdem Salvatore mich beim Vater angeschwärzt hatte und ich enterbt worden bin, hättest du dich dem wohlhabenderen Bruder zugewandt. So hat Salvatore es mir nahegebracht.« Emilio verstummt. »Das war leicht zu glauben, was? Du hättest mir vertrauen müssen!« Whamm! Hat sich wie eine Ohrfeige angehört. »Rühr mich nicht an. Kein Zarbo wird mich je wieder anrühren. Ich weiß, wie es für dich ausgesehen haben muss, aber ich hatte so auf dich gehofft.« Ihr Tonfall ist hart. »Warum hast du es nicht richtiggestellt?« »Ich habe mich geschämt. Und du warst so gemein.« »Antonietta, was habe ich dir nur angetan! Aber ich war verletzt. Gedemütigt. Zu jung, zu verstehen.« Sein Flüstern klingt so gequält, dass es mir in der Seele wehtut. Vorsichtig trete ich den Rückzug an. Ich will nicht als Spionin einer so delikaten Situation entlarvt werden. Und Maria wird sich schon wundern, wo ich bleibe. Vincent schickt mir einen fragenden Blick zu, Salvatore rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Jetzt steht er auf und geht Richtung Ausgang. Muss ich die beiden da draußen warnen? Aber wie? Was soll’s! In Familiengeschichten mischt man sich am besten nicht ein – würde jedenfalls mein Vater empfehlen. Schnell schlüpfe ich in die Küche, wo mich sofort Marias allumfassend beschützende Aura umgibt. Auch sie schaut mich fragend an. Sie braucht dringend Hilfe beim Anrichten des Fleisches. Das muss schnell gehen. Raus aus der Pfanne, rauf auf die vorgewärmten Teller und dann auf den Tisch. Heiß und saftig. Ich zucke entschuldigend die Schultern. »Mir war nicht gut«, schwindle ich mit schlechtem Gewissen, »aber jetzt ist alles okay.« Maria nickt sichtlich erleichtert. Klar könnte sie den Rest auch alleine stemmen, aber sie fühlt sich für mich verantwortlich. Dieser mütterliche Blick spricht Bände. Hallo, ich bin 25! Ich grinse – und lasse mich eigentlich ganz gerne umsorgen. Schnell umarme ich Maria und stibitze dann einen Streifen des gegrillten Rindfleisches aus der Pfanne. »Doro!« Marias Augen blitzen gefährlich. Dann schüttelt sie den Kopf und lacht. »Wie dein Papa.« Stimmt. Ich lache auch. Was mir aber schnell vergeht. Ein schriller Schrei hallt durchs Haus. Wir rennen hinaus. Maria voraus, ich hinterher. Schade um das Fleisch, denke ich noch unpassenderweise. Die Tür...