Grän | Sternstraße 24 | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 213 Seiten

Grän Sternstraße 24

Weihnachtsgeschichten vom Parterre bis unters Dach
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-86913-604-2
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Weihnachtsgeschichten vom Parterre bis unters Dach

E-Book, Deutsch, 213 Seiten

ISBN: 978-3-86913-604-2
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Fest der Liebe hat einen kleinen Haken: die Liebe.
Advent - das ist in der Sternstraße 24 in München Schwabing der saisonale Höhepunkt von familiären Komödien und Tragödien, von Erwartungen und Enttäuschungen, erfüllten und unerfüllten Wünschen. Ob die Ökofamilie Kleist, das alternde Künstlerpaar Anna und Peter Hammer, die verblühende Schönheit Valentina Blum oder der trauernde Musiker Johnny Januschek - sie alle treffen sich in Maries Deli, einem kleinen Bistro im Parterre, wo gegessen, getrunken, geflunkert und gelacht wird. 24 Geschichten um ein Haus voller Leben, über Menschlichkeit, Aufmerksamkeit, Zuneigung, Leidenschaft und Zärtlichkeit, die wir mehr oder weniger großzügig schenken und uns doch so sehnsüchtig wünschen. Nicht nur zur Weihnachtszeit.
Mit klarem Blick, spitzer Feder und feinem Humor erzählt.
Ein Mietshaus voller Geschichten: 24 Bewohner und 24 Storys, die in ihren Verknüpfungen zum Roman werden.
Der perfekte literarische Begleiter durch den Advent.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


    1 Der Weihnachtsdeal Maries Deli ist ein Raum in Esszimmergröße. Strenge, hohe Regale an den Wänden, gefüllt mit Weinen und Säften, Delikatessen und Gewürzen, Patisserien und feinem Konfekt. Ein großer Holztisch mit zehn Stühlen drängt Stehpult und Kühlschrank in die Ecken. Kein Ort für Supermarktfreaks, doch wer ihn aufsucht, kann lange bleiben. Mittwoch bis Sonntag von zwölf bis zweiundzwanzig Uhr bietet Maries Deli ein Tagesmenü, Mehlspeisen, Snacks sowie Getränke aller Art.   Marie ist vor vier Jahren in die Sternstraße gezogen, sie hat das kleine Ladenlokal und die angeschlossene Wohnung im Parterre gemietet, einen Kredit aufgenommen und Möbel bei eBay gekauft. Eine Existenzgründung scharf am Rande des Scheiterns. Viel Arbeit für wenig Geld, doch Geld immerhin, das ein kleines Leben ermöglicht. Für Personal reicht es nicht, manchmal springt eine Freundin oder eine Nachbarin für ein paar Stunden ein.   Die Sternstraße 24 ist ein Haus, in dem die Bewohner sich kennen und aufmerksam miteinander umgehen. Immer neugierig und gelegentlich boshaft, doch zumeist im Rahmen des nachbarschaftlichen Klatschgefälles. Wenn hässliche Worte fallen, dann hinter verschlossenen Türen. Nicht dort, wo sich die Hausbewohner, aber auch Leute aus der Straße oder dem Viertel treffen: in Maries Deli. Sie alle wohnen in jenem Teil Schwabings, der in diesen zinslosen Zeiten vergoldet wird: Hausbesitzer stocken auf, um Dach­terrassenwohnungen teuer zu vermieten. Innenhöfe und Gärten werden zu Spekulationsobjekten für Neubauten. Baustellen an jeder Ecke nerven die Anwohner. Das alte Schwabing ist dabei, sein Gesicht zu verlieren. Zur Betonwüste zu verkommen. Doch noch ist es nicht so weit, und Marie kann von ihrer Küche auf einen Garten mit Kastanienbäumen schauen, der von den Mietern gemeinsam genutzt wird.   Ihr Wohnhaus ist ein Bau aus der Jahrhundertwende mit Stuckdecken und Jugendstiltüren, knarzenden Parkettböden und langen, schmalen Fluren und Toiletten. Ein Teil der Wohnungen ist vermietet, andere wurden verkauft. Der Hausbesitzer ist ein Weltreisender, der im sechsten Stock logiert. Seine Wohnung ist überwiegend verwaist. Wenn überhaupt, kommt er im Sommer nach München, sobald die Sonne auf seine Dachterrasse scheint. Albian Fehrendonk hat das Haus von seinen Eltern geerbt, er war ein Einzelkind, was er im Erbfall zu schätzen wusste. Er besitzt noch fünf weitere Mietshäuser, und er lässt sie alle von einem Verwalter betreuen, während er auf Reisen ist. Auf der Suche nach – ja, was?   Abenteuer ist ein großes Wort mit vielen Deutungsmöglichkeiten. Doch weil er nicht gern über sich spricht, sich aber zu einer höflichen Antwort verpflichtet fühlt, sagt er eben das. Es bringt die Leute meist zum Schweigen, jeder hat eine eigene Vorstellung von Abenteuer. Albian ist Jahrgang ’75, er war ein stilles Kind und ein ziemlich verzweifelter Jugendlicher. Abgebrochenes Philosophiestudium, bindungsscheu, von Beruf Erbe. Seine Eltern ließen zu Lebzeiten nichts unversucht, ihn mit ihrer Meinung nach passenden Mädchen zu verkuppeln. Lauter Fehlschläge. Albian flüchtete in ferne Länder, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und kehrte erst wieder zurück, um seine Eltern zu begraben und die Erbschaft zu regeln.   Marie hat Albian Fehrendonk dreimal getroffen. Beim ersten Mal kam er ins Deli, um nach einem Tee zu fragen, den sie nicht führte (inzwischen hat sie eine kleine Menge auf Lager). Die zweite Begegnung fand an einem Sommerabend statt, als die Leute draußen vor der Tür standen, Wein oder Bier tranken, redeten, lachten und rauchten. Er trank badischen Grauburgunder und unterhielt sich mit Mietern, die ihn noch aus seiner Kindheit kannten. Henriette aus dem vierten Stock mit ihrem Sohn Bernhard, der wieder bei ihr eingezogen ist. Valentina Blum, siebzig, ehemaliges Fotomodel und Eigentümerin der Wohnung mit Südbalkon im zweiten Stock. Anna und Peter Hammer, seit über fünfzig Jahren verheiratet und ebenso lange in der Sternstraße 24 zu Hause. Peter ist Maler und Anna seine Muse, daran hat die Zeit nichts geändert. Die beiden kommen häufig ins Deli, weil sie Geselligkeit mögen, Wein und Mehlspeisen. Peter Hammer, der die Wohnung neben Sissy von Kuehnen kaufte, als er mit seiner Kunst noch gut im Geschäft war, hat inzwischen Schwierigkeiten, die Treppen zu steigen. Das Hüftgelenk. Die Knie. Das verdammte Alter. Doch Anna, die sich mit Gymnastik fit hält, stützt ihn, und manchmal sieht es sogar aus, als ob sie ihn trägt.   Valentina, verblühte Schönheit mit zunehmender Gedächtnisschwäche, flirtete an jenem Abend mit Albian Fehrendonk, nicht zielgerichtet, es war einfach ihre Art, mit Männern umzugehen. Dass er sich auf das eher seltsame denn frivole Spiel einließ, fand Marie damals einen netten Zug. Doch dann gab es eine dritte Begegnung, nach der sie ihre Meinung über ihn revidierte. Marie hatte ihr Auto vor seiner Einfahrt geparkt, weil sie in Eile war und annahm, dass er ohnehin nicht in München sei. Als er dann im Deli aufkreuzte, gab er ihr eine Minute, ihre »Schrottkarre« zu entfernen. Eisiger Ton und eine völlig überzogene Reaktion auf eine Lappalie. Sie schluckte Zorn und fuhr den Van um die Ecke. Als sie zurückkam, war Albian Fehrendonk verschwunden, und kurze Zeit später hörte sie das Dröhnen seines alten Porsche. Danach sah sie ihn monatelang nicht mehr.   Weshalb sie erschrickt, als er nun am Fenster des Deli steht. An einem 1. Dezember hätte Marie ihn nicht erwartet. Ein Wintertag der übelsten Art: kalt, nass und grau. Sie sitzt am Tisch und befestigt nachtblaue Kerzen am Adventskranz. Dieser ist groß und mit Federn in Blautönen geschmückt. Sie hat ein Talent zur Dekoration, eine von vielen Begabungen, die zu nichts führten. Fehrendonk starrt sie durchs Fenster an. Was will er von ihr? Die Miete hat sie bezahlt, und die »Schrottkarre« ist ordentlich geparkt. Marie hat den Vorfall nicht vergessen. Sie ist nachtragend. Kann schwer verzeihen. Auch sich selbst.   Als er die Tür öffnet, ertönt die Internationale, ein akustischer Gag, der in Berlin besser ankommen würde als in München. Das Einzugsgeschenk einer Freundin, die es auch gleich installierte.   Fehrendonk ist braun gebrannt, trägt einen Dreitagebart, mindestens, und seine dunklen Haare sind zu lang. Marie findet, dass er trotz der Bräune schlecht aussieht, müde und ausgebrannt. Wovon eigentlich, wenn er für sein Geld nie arbeiten musste?   »Schöne Deko«, sagt er anstelle einer Begrüßung, und sie weiß nicht, ob er die Lebkuchenkrippe im Schaufenster meint, das Gesteck aus Baumwollzweigen oder den federgeschmückten Adventskranz.   »Danke.« Sie steht auf und stellt zum ersten Mal fest, dass sie um ein paar Zentimeter größer ist als er. Ein ziemlich kleiner Mann, obwohl er nicht so wirkt. Klein und kräftig, aber nicht fett. Sie findet, dass er Ähnlichkeit mit einem Schauspieler hat, dessen Name ihr gerade nicht einfällt. »Kann ich was für Sie tun? Kaffee? Tee? Wein? Bier?«   Fehrendonk setzt sich auf einen der Stühle, keiner gleicht dem anderen, weil Einzelstücke leichter zu ersteigern waren. Er reibt sich mit den Händen die geröteten Augen. »Ein doppelter Espresso wäre nett. Ich bin erst seit Kurzem zurück, und der Jetlag ist grauenhaft.«   Marie bringt Espresso aus der Küche. Auch die Espressomaschine hat sie gebraucht gekauft und hofft, dass diese noch eine Weile durchhält. So gut wie alles im Laden und in der Wohnung ist secondhand. Gebrauchte Möbel und Elektrogeräte waren billig zu haben, und ihr Bruder half ihr beim Transport. Sie hatte Glück, ein Wort, das sie in den letzten Jahren eher selten strapazierte.   »Hühnersuppe«, sagt Marie. »Ich habe frisch gekochte Hühnersuppe, die gegen nahezu alles hilft.« Sie zeigt auf die Tafel mit den Tagesgerichten. »Es gibt auch Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat und Topfenpalatschinken.«   »Hühnersuppe.«   »Was zu trinken dazu?«   Er überlegt, als ob das eine Gewissensfrage sei, und schüttelt dann den Kopf. »Nein, danke. Meinen Sie, dass Sie meine Wohnung dekorieren könnten? Jahreszeitgemäß. Und dann brauche ich noch Weihnachtsgebäck. Und einen Baum, wenn es so weit ist. Geschmackvoll geschmückt. Den Punsch. Die Gans. Das ganze Brimborium …«   Sie hat ihr Gesicht unter Kontrolle. Keine Überraschung, keine Gier. Keine Neugierde vor allem. Er war seit dem Tod seiner Eltern noch nie zu dieser Zeit in München, das weiß sie von anderen Hausbewohnern. Wieso kann der Erbe seinen Weihnachtskram nicht selbst erledigen? Welche Gutsherrenart ist das denn? Einerseits würde sie gern Nein sagen, andererseits kann sie Geld gebrauchen. Was die Untertreibung des Jahres ist. »Weihnachten ist im Deli viel los, aber ich könnte vielleicht … es ist eine Preisfrage, denke ich.«   »Wie fast alles im Leben«, sagt Fehrendonk und sieht sie an, als wäre ihm egal, was sie fordert.   Du hast leicht reden, denkt Marie und geht in die Küche, um zu überlegen, welcher Betrag fair wäre. Kommt zurück mit einem Teller Hühnersuppe und Baguette und stellt sie vor ihn hin. Ihre Suppen sind im Winter gefragt: Hühnersuppe, Bohnensuppe, Linsensuppe,...


Christine Grän wurde in Graz geboren, lebte in Berlin, Bonn, Botswana und Hongkong und ist heute in München zu Hause. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-Marx-Krimis bekannt, sie veröffentlichte unter anderem die Romane Die Hochstaplerin, Hurenkind und Heldensterben. Bei ars vivendi erschien ihr erfolgreicher Kurzgeschichtenband 'Amerikaner schießen nicht auf Golfer' mit 18 Storys - eine literarische Golfrunde um den Globus.



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