E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Graf Das bayrische Dekameron
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8437-0866-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0866-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oskar Maria Graf wurde 1894 in Berg am Starnberger See geboren. Von 1911 an lebte er als Schriftsteller in München. Von Wien aus, seiner ersten Exilstation, protestierte er 1933 mit seinem berühmten »Verbrennt mich!«-Aufruf gegen die Bücherverbrennung. Ab 1938 lebte er in New York, wo er am 28. Juni 1967 starb.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
DER ANBINDER
Jeder von uns kennt das große, weit auseinanderlaufende Anwesen in der Dorfmitte von Hammertshausen, das dem Ludwig Pichelsrieder – oder wie man ihn hierorts seit vaterszeiten heißt – dem »Schmaußbaurn« gehört. Bei uns nämlich werden die eingesessenen Leute nach den Häusern genannt. Dem Schmaußbaurn ist voriges Jahr seine Alte weggestorben. Der Ludwig, sein ältester Sohn, ist im Krieg gefallen; die zwei Töchter Leni und Margreth sind im schönsten Heiratsalter, und der Barthl, der jüngste, kriegt also einmal den Hof.
Von den Schmaußens sagt man in unserer Pfarrei: »Auf den Vorteil aus, wia der Teuf’l auf d’ Seel’, aber net recht pfiffig, dafür aber um so grober.« Das trifft ganz besonders auf den Barthl zu. Wie die männlichen Mitglieder der Schmaußfamilie hat er in seinem Aussehen, seiner Statur und in dem, wie er sich gibt, durchaus nichts Einnehmendes. Eckig und linkisch und jähzornig ist er, sein ungutes Gesicht mit den kleinen Augen, die immer herausfordernd drohend ausschaun, ist um und um mit Sommersprossen besät, und brandrot ist sein kleiner Bart und sein dichtes Haar. Stiermäßig gedrungen ist seine mittelgroße Figur. Dazu kommt noch, daß er, von einem Schuß durchs linke Knie vom Krieg her, ziemlich hinkt. Die Schmaußtöchter dagegen sind brünett und gelten weitum als bildsauber. Sie wissen das auch und sagen es bei jeder Gelegenheit grad heraus, ja, wie erzählt wird, haben sie sich schon als Schulkinder lebhaft für ihre Körperbeschaffenheit interessiert. Zur Margreth zum Beispiel hat der Schmauß einmal nebenher lustig gesagt: »Hm, jetzt bist schon ausg’wachsn und host noch net amal den eignen Orsch gsehng!« Was zur Folge hatte, daß die Margreth kurzerhand in die gute Stube ging, auf den Tisch hinaufstieg, den Rock aufhob und ihren hinteren Körperteil im Spiegel betrachtete. Den Vorwurf, hat sie auf das hin gemeint, könnte man ihr jetzt nicht mehr machen.
Kurz und gut also, so ungefähr sind die Schmaußens. Und damit ich bei der Sache bleibe: Der alte Schmauß ist auch arg ausgerackert und will schon lang übergeben. Der Barthl sucht sich schon eine Zeitlang eine Hochzeiterin. Nachdem ihn die Weblinger-Sephi von Fichtelberg ziemlich spöttisch und schroff abgewiesen hat, sagte die Ampletzer-Rosl, bei der er es alsdann versuchte: »Barthl, du muaßt schon z’erst schaugn, daß d’ deine vorlauten Schwestern o’bringst … I heirat’ bloß in a leers Haus ’nei!«
Das leuchtete dem Barthl auch ein. Er wurde von da ab zu seinen Schwestern recht ungemütlich, aber der Margreth war er da nicht gewachsen, die nämlich hat, wie man bei uns sagt, »a Maulwerk wie an Schwert«. Hingegen in bezug auf die Leni war alles viel leichter. Etliche Monate darauf verkündete der hochwürdige Herr Pfarrer Mayer von der Kanzel herab, daß »sich die ehrenwerte Jungfrau Magdalena Pichelsrieder, Bauerstochter von Hammertshausen, und der unbefleckte Jüngling Xaver Holzinger, Bauerssohn von Buchberg, die Ehe versprochen hätten«. Kurz nach Ostern gab es eine schöne Hochzeit. Der Barthl hockte mit der Ampletzer-Rosl am Brauttisch und zeigte eine recht zufriedene Fidelität, was natürlicherweise rundum so ausgelegt wurde, daß man bei ihm auch bald eine Hochzeit erhoffen könne. Wie aber das Tanzen angefangen hat, ist es dem Barthl arg schlecht gegangen. Mit zusammengebissenen Zähnen hat er mit der Rosl ein paarmal getanzt, nachher aber ist es einfach nicht mehr gegangen, weil ihm sein Fuß so weh getan hat. Die Rosl aber tanzt für ihr Leben gern, nicht mehr zum Halten ist sie gewesen. Mit aller Verbissenheit verfolgte der Barthl sie auf Schritt und Tritt, und wie sie gar auf einmal jeden Tanz mit dem Lemmlinger-Feschl tanzte und auffällig zutraulich zu ihm wurde, da ist dem Barthl die Hitze in den Kopf gestiegen.
»Jetzt hörst aber auf, gell!« hat er zu der Rosl gesagt, wie sie schwitzend und lustig auf den Platz zurückgekommen ist: »Lang schaug i nimmer zua, Rosl, wiast du mit dem Saukerl pussierst … I sog dir’s, i häng mi glatt auf, wennst du mir untrei werst!« Die Rosl – grad was Schönes ist sie nicht und geht auch schon ins dreißigste, aber resch und vorlaut ist sie wie alle beim Ampletzer – die Rosl hat zuerst bloß drauf gelacht. Keck, wie so Weibsbilder schon sind, hat ihr das vielleicht auch gefallen, daß sich der Barthl und der Feschl um sie gerissen haben.
»Ah du!« hat sie schnippisch zum Barthl gesagt, und gutmütig hat sie ihn einen »Stoffel« geheißen, der wo überhaupts nicht mit der Zeit geht. Heutzutag, hat sie gemeint, ist’s nimmer wie früherszeiten. Jetzt ist man nicht mehr so muffig, heutigerzeit ist ein Mannsbild sogar stolz darauf, wenn seine Hochzeiterin überall das »G’riß« hat. Zungenfertig ist der Barthl nicht, also hat er nicht gleich was darauf sagen können und es war auch schon zu spät, wiederum hat der Feschl die Rosl zum Tanz weggerissen. Grad geflogen sind die zwei. Im Barthl hat alles gekocht vor Wut.
»Rosl«, hat er gesagt, nachdem sie wiederum neben ihm gehockt ist: »Rosl, i mach koan G’spaß, i häng mi pfeilgrod auf! I derhäng’ mi!« Und seltsam, vielleicht war es das Bier oder weil er sich genierte, in seiner Eifersucht ist er gar nicht jähzornig geworden, im Gegenteil, zu wimmern hat er angefangt: »Mit’m Feschl tanzt du mir nimmer, Rosl … Ich sog’ dir’s, ich häng’ mi glatt auf, wennst net bei mir bleibst … Ich häng’ mi auf, nachher host du mi auf’m Gwiss’n!« Fest hat er sie am Arm gepackt und nicht mehr losgelassen, wie jetzt der freche Feschl wieder dahergekommen ist.
»Au! Grobian!« schrie die Rosl auf einmal: »Loß mi aus, sog i! Aus loß mi!« Und ganz und gar voller Wut ist sie aufgesprungen, hat sich losgerissen und ist mit den Worten aus der Bank: »Derhäng di, meinetwegen! Saugrober Siach! Mit uns zwoa is’s aus!« Weg ist sie mit dem Feschl, aber diesmal nicht mehr zum Tanz, einfach verschwunden waren die zwei. Mit einem fast weinerlichen Brüller ist der Barthl auf und hinum und herum geloffen, endlich aus dem Saal hinaus, und gesucht hat er wie ein Stier, in der ganzen Postwirtschaft, alsdann in der Nacht draußen, aber umsonst. Das hat ihn nach und nach ganz nüchtern gemacht. Fuchsteufelswild ist er schließlich heimgegangen. »Dö is mir auskemma«, hat er in bezug auf die Rosl vor sich hingebrümmelt: »Der Dreckfetzen konn bleib’n, wo er mog, aber wenn i mir an andere suach’, dö kimmt mir nimmer aus … Gor nimmer aa!«
Das war sein fester Entschluß, und diesmal ist er bedachtsamer vorgegangen mit seiner Heiraterei. Er hat sich die Weiberleute genauer angeschaut. Bei der Irlinger-Leni in Walchstadt ist es dann doch wieder was geworden, die Leni hat dem Barthl gegenüber eine viel geduldigere Zugänglichkeit gezeigt. Vielleicht, weil sie eine kleine Häuslerstochter gewesen ist und der Barthl ein Bauerssohn. Außerdem – beim Irlinger hat keiner die Gescheitheit mit dem Löffel gefressen, ganz im Gegenteil!
Aber trotz alledem haben die alten Irlingerleute und der Michl, der Sohn von ihnen, zum Barthl einmal gesagt:
»Ünser Leni hot nix gegen di, Barthl, aber, sogt s’, sie will doch wart’n mit’m Heiratn, bis dei Schwester Margreth soweit is …«
Ja, hat auf das hin der Barthl gemeint, so was wird er jetzt schon richten. Auch er hatte genug von dem Warten, auf der Stelle wollte er die Margreth verheiratet wissen. Er ging zu seinem Kriegskameraden, zum Lerminger-Wastl, und beredete sich mit ihm.
Zuerst, riet er dem, soll er’s von der guten Seite anpacken mit der Margreth, aber wenn das nichts hilft, nachher gewaltmäßig.
»Du verstehst mi scho, Wastl«, schloß er, zwinkerte mit dem einen Aug und setzte treukameradschaftlich dazu: »Auf a poor hundert Mark kimmt’s mir net o, wennst ös z’sammbringst.« Ausgemacht war’s. Sie gaben sich die Hand und gingen auseinander. Am andern Sonntag kam der Wastl zum erstenmal wie zufällig ins Schmaußhaus. Er redete hinum und herum, er wurde ein bißl deutlicher, aber die spöttische Margreth lachte ihn bloß aus. Hingegen er ließ nicht locker. Er kam am andern Sonntag wieder, er tauchte auch hie und da nach Feierabend auf und wurde zudringlicher, endlich fürs erste gemütlich handgreiflich. Da gab ihm die Margreth einfach eine Watschn, und wenn er so weitermache, meinte sie: »Nachher kannst noch ganz was anders derleb’n …«
Das war an einem Sonntag vor der Kornmahd. Der Barthl ist beim Unterwirt drunten gesessen und hat gewartet. Der Wastl ist gekommen und hat erzählt.
»Soso«, sagt der Barthl, »soso, sie mog also absolut net …?«
»Ja«, meint der Wastl drauf, »do bleibt nix anders mehr übrig als wia der Kornacker … Mei Liaba, dei Schwester, dös is ja a ganz a bockstarre …«
»A ganz a hundsheiderne, wia i g’sogt hab«, bekräftigte der Barthl und riet: »Do hilft nix als wia wos ganz Radikals …«
Und er versprach, der hochnäsigen Margreth die Sache schon beizubringen.
»So sekkier’ ich s’ scho, da s’ windelwoach werd … Da konnst di verlassn drauf, Wastl«, schloß er: »Und an Sunnta, do packst ös!«
Einig waren sie wie nach einem guten Viehhandel. Die ganze Woche schimpfte und raunzte der Barthl daheim herum. Mit einer Findigkeit, die keiner bei ihm erwartet hätte, setzte er seiner störrischen Schwester zu. In der Früh’ fing er schon das Streiten an, denn seitdem der alte Schmauß nicht mehr ganz so regieren konnte wie früher, war eigentlich er der Bauer. Kurzum, wenn die Margreth auch nie verlegen war im Abwehren und Hinausgeben, diese giftige Feindseligkeit Tag für Tag war ihr doch zuwider. Einmal, als sie allein in der Kuchl hockten, sagte sie zu ihrem Vater ein wenig verdrossen: »Do möcht i am liabern heiratn und mei eigner...