E-Book, Deutsch, Band 390, 64 Seiten
Reihe: Der Notarzt
Graf Der Notarzt 390
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7517-1331-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mondsüchtig
E-Book, Deutsch, Band 390, 64 Seiten
Reihe: Der Notarzt
ISBN: 978-3-7517-1331-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Alisha führt ein ungewöhnliches Leben: Nachts steht sie stundenlang vor dem Fenster und blickt den Mond an. Abgeschnitten von der Welt und all den Menschen, die um diese Zeit schlafen. Morgens, wenn draußen alles erwacht, schließt Alisha ihre Augen und fällt in einen unruhigen Schlaf mit bedrückenden Träumen.
So war es nicht immer, aber so ist es nun schon seit etlichen Jahren. Und an die Zeit davor vermag sie sich kaum noch zu erinnern. Sie weiß nur, dass damals eine Sache anders war: Sie musste nicht in ständiger Furcht leben. Heutzutage ist die Angst Alishas ständiger Begleiter, von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen. Die Hoffnung, dass sich daran jemals wieder etwas ändern könnte, hat sie längst aufgegeben. Doch ihr Nachbar, der Notarzt Dr. Peter Kersten, ist nicht bereit, die junge Frau so einfach ihrem Schicksal zu überlassen ...
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Mondsüchtig Roman um eine schlaflose Frau und ihre große Angst Karin Graf Alisha führt ein ungewöhnliches Leben: Nachts steht sie stundenlang vor dem Fenster und blickt den Mond an. Abgeschnitten von der Welt und all den Menschen, die um diese Zeit schlafen. Morgens, wenn draußen alles erwacht, schließt Alisha ihre Augen und fällt in einen unruhigen Schlaf mit bedrückenden Träumen. So war es nicht immer, aber so ist es nun schon seit etlichen Jahren. Und an die Zeit davor vermag sie sich kaum noch zu erinnern. Sie weiß nur, dass damals eine Sache anders war: Sie musste nicht in ständiger Furcht leben. Heutzutage ist die Angst Alishas ständiger Begleiter, von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen. Die Hoffnung, dass sich daran jemals wieder etwas ändern könnte, hat sie längst aufgegeben. Doch ihr Nachbar, der Notarzt Dr. Peter Kersten, ist nicht bereit, die junge Frau so einfach ihrem Schicksal zu überlassen ... »Bla, bla, bla, würden wir uns sehr freuen, Sie bei Gelegenheit zu einem Vorstellungsgespräch ... bla, bla. Sie wissen schon, das Übliche. Was wir halt immer ...« Prof. Lutz Weidner, der Chefarzt der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, brach ab und schüttelte genervt den Kopf. Er stand neben dem Schreibtisch seiner Sekretärin und wollte ihr einen Brief diktieren, konnte sich jedoch nicht richtig konzentrieren. »Streichen Sie bitte bei Gelegenheit, Marianne. Das ist eine ungeschickte Formulierung, die je nach Lust und Laune ausgelegt werden kann. Bei Gelegenheit, das kann ja auch in einem Monat oder gar in einem Jahr bedeuten. Fügen Sie stattdessen bitte eine etwas präzisere Zeitangabe ein.« »Morgen?« Marianne Hoppe markierte das bisher Geschriebene und löschte es. »Morgen? Unsinn!« Der Klinikchef machte eine wegwerfende Handbewegung. »Morgen bekommt er den Brief ja erst. Vorausgesetzt, Sie trödeln nicht und der Brief geht heute noch rechtzeitig weg. Da kann man nicht gut verlangen, dass er sofort losrennt.« »Übermorgen?« Die vollschlanke Mittfünfzigerin mit den bordeauxroten Ringellöckchen blickte gottergeben seufzend an die Decke und flehte stumm um ein bisschen mehr Geduld. Ihr Chef war heute so zerstreut und biestig, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihr endgültig der Geduldsfaden riss. »Übermorgen, übermorgen!«, äffte Prof. Weidner sie kopfschüttelnd nach. »Nun machen Sie dem armen Mann doch nicht so viel Druck! Auf ein Vorstellungsgespräch muss man sich vorbereiten. Unterlagen zusammensuchen. Einen Lebenslauf verfassen. Erkundigungen über das Unternehmen anstellen, das einen zum Vorstellungsgespräch einlädt. Et cetera, et cetera.« Marianne trommelte mit den Spitzen ihrer bordeauxrot lackierten Fingernägel auf die Tischplatte. Hätte der Chefarzt sie – wie sonst auch immer – darum gebeten, selbst eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu verfassen, dann wäre das innerhalb von zwei oder drei Minuten erledigt gewesen. So aber tippte und löschte, löschte und tippte sie nun schon seit einer Viertelstunde, und es sah im Moment nicht so aus, als ob aus den immer wieder neu zusammengestoppelten Sätzen jemals ein ganzer Brief werden würde. Zumindest keiner, der einen Sinn ergab. »Ich denke mal, das hat er alles schon längst erledigt«, erwiderte sie schnippisch. »Sind Sie jetzt unter die Hellseherinnen gegangen?«, brauste Lutz Weidner auf, der normalerweise ein Ausbund an Friedfertigkeit und guter Laune war. »Haben Sie in Ihrer Kristallkugel gesehen, wann und wie er das bereits erledigt hat?« »Nein.« Marianne verdrehte seufzend die Augen. »Dazu braucht man keine Kristallkugel. Bloß ein bisschen logisches Denkvermögen.« »Und das habe ich nicht? Wollen Sie das damit behaupten? Ja? Wollten Sie mir unterstellen, dass ich des logischen Denkens nicht mächtig sei?« »Im Moment jedenfalls nicht«, murmelte die Sekretärin fast unhörbar. »Die Tasse mit der Aufschrift gesunder Menschenverstand scheint zumindest einen Sprung zu haben.« »Das habe ich gehört!«, donnerte Prof. Weidner empört. »Um meine Tassen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Meine Tassen sind in bester Ordnung.« »Hören Sie, Professor ...« Marianne schlug einen milden und übertrieben geduldigen Säuselton an. »Dieser Dr. Grabovsky hat sich bei uns als Assistenzarzt beworben. Ja? Mit Lebenslauf und allem. Ja? Da kann man doch davon ausgehen, dass er sich eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhofft und sich auch dementsprechend darauf vorbereitet hat. Ja? Nein? Oder?« Sie seufzte leise, produzierte einen Augenaufschlag und schaute ihren Chef milde lächelnd an, als ob er ein störrisches Kind und sie die leidgeplagte, aber fast bis zur Selbstaufgabe verständnisvolle Mutter wäre. »Wie? Was? Also gut. Meinetwegen.« Der zweiundsechzigjährige Mediziner schnaubte unwillig durch die Nase. »Jetzt haben Sie mich mit Ihrem Gerede über Tassen völlig rausgebracht. Lesen Sie mir noch einmal vor, was wir bisher geschrieben haben.« »Gerne, Eure hochwohlgeborene Verdrießlichkeit«, unkte Marianne. »Bisher haben wir Folgendes: Bla, bla, bla. Sind Sie damit zufrieden, oder soll ich es ein bisschen umformulieren? Bla, blabla, bla, beispielsweise? Oder Blablabla, bla?« »Machen Sie sich über mich lustig, Marianne?« »Wie kommen Sie darauf?« Marianne Hoppe gab sich zutiefst erschrocken. »Niemals würde ich es wagen, Ihre Unfehlbarkeit infrage zu stellen, erlauchte Vergrätztheit!« Sie schlug die Beine übereinander und lehnte sich seufzend zurück. »Was darf die nichtswürdige Tippse denn nun also notieren?« »Schreiben Sie: Wir würden uns freuen, Sie bei Gelegenheit zu einem Vorstellungsgespräch begrüßen zu dürfen. Das ist doch ganz gut so, oder?« »Das ist geradezu genial!«, erwiderte die Sekretärin ironisch und klickte auf die Taste, die das vorhin Gelöschte wiederherstellte. »Fertig. Weiter.« »Es ist nicht möglich, dass Sie das schon haben. Wie konnten Sie das so schnell schreiben? So schnell kann niemand tippen.« Marianne Hoppe seufzte abgrundtief. »Das hatte ich vorhin schon geschrieben. Dann sagten Sie jedoch, dass bei Gelegenheit eine ungeschickte Formulierung sei, die je nach Lust und Laune ausgelegt werden könne. Dann habe ich es gelöscht und vorgeschlagen, dass wir stattdessen das morgige Datum einsetzen. Dann haben Sie mich angefaucht und gesagt, dass ...« »Schon gut!« Prof. Weidner musste lachen. Er holte sich einen Stuhl, stellte ihn neben den Schreibtisch seiner Sekretärin und ließ sich seufzend darauf fallen. »Es tut mir leid, Marianne. Ich bin heute ein wenig unkonzentriert und gereizt.« »Nein!« Frau Hoppe riss in gespielter Verwunderung Mund und Augen auf. »Niemals wäre ich darauf gekommen! Und was ist Ihnen über die Leber gelaufen, wenn ich fragen darf?« Der Chefarzt griff seufzend zu der Mappe mit den Bewerbungsunterlagen des jungen Kollegen, dem er eine Anstellung als Assistenzarzt in seiner Klinik anbieten wollte. »Ich habe diesen Kollegen nur für den Fall, dass alle Stricke reißen, in der Ablage behalten«, murmelte er und fächelte sich mit der Mappe Luft zu. »Und jetzt sind sie gerissen?« »Was?« »Die Stricke?« »Oh ja, das kann man wohl sagen!« Lutz Weidner warf die Mappe entnervt auf den Schreibtisch zurück. »Ich habe mir immer eingebildet, einen ganz passablen Instinkt für die Auswahl wirklich guter Studienabgänger zu haben«, seufzte er. »Diesmal aber nicht?« Prof. Weidner schüttelte überdeutlich den Kopf. »Diesmal ganz und gar nicht. Meine erste Wahl – ein junger Mann, der das Studium mit summa cum laude abgeschlossen hat –, hat sich als totaler Reinfall entpuppt. Man konnte ihn nicht einmal ohne Aufsicht jemandem ein Heftpflaster aufkleben lassen.« »Ach, war das dieser schöne Jüngling mit dem klangvollen Namen Luzifer Lupus?« »So ähnlich. Luzius Lupinek. Der Kollege Kersten hat es genau drei Tage lang mit ihm ausgehalten. Dann ist er zu mir auf die Kardiologie gekommen, um mir zu erklären, dass der junge Kollege untragbar sei.« Er schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Herr Kersten hat behauptet, der Kollege Lupinek würde es sogar schaffen, einen Patienten bereits beim Anamnesegespräch umzubringen. Ich denke, da hat er wohl ein wenig übertrieben. Auf alle Fälle war er sehr ungehalten. Und Sie wissen, wie geduldig und verständnisvoll unser Dr. Kersten sonst immer ist.« »Weiß ich.« Marianne nickte. »Da muss der schöne Luzifer schon ein ziemlicher Blindgänger gewesen sein, dass Herrn Kersten einmal die Hutschnur reißt.« »Das war er!«, seufzte der Chefarzt. »Das war er! Er schaffte es nicht einmal, einen Venenkatheter zu...