E-Book, Deutsch, Band 493, 64 Seiten
Reihe: Der Notarzt
Graf Der Notarzt 493
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7517-7769-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Symptome der Einsamkeit
E-Book, Deutsch, Band 493, 64 Seiten
Reihe: Der Notarzt
ISBN: 978-3-7517-7769-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Einsamkeit ist eine stille Krankheit, die keine sichtbaren Narben hinterlässt - und doch die Seele zermürbt. Anneke Rainer liegt im Krankenhaus, umgeben von fremden Gesichtern und steriler Stille. Kein Besucher, kein Anruf, keine Worte der Sorge. Inmitten von kahlen Wänden wird deutlich, wie das Leben sie isoliert hat. Wie konnte es so weit kommen?
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Symptome der Einsamkeit Niemand besucht die Patientin, niemand sorgt sich um sie Karin Graf Einsamkeit ist eine stille Krankheit, die keine sichtbaren Narben hinterlässt – und doch die Seele zermürbt. Anneke Rainer liegt im Krankenhaus, umgeben von fremden Gesichtern und steriler Stille. Kein Besucher, kein Anruf, keine Worte der Sorge. Inmitten von kahlen Wänden wird deutlich, wie das Leben sie isoliert hat. Wie konnte es so weit kommen? Die große Eingangshalle der Frankfurter Sauerbruch-Klinik erstrahlte in hellem Lichterglanz. Nein, nein, nicht, weil Weihnachten war. Weihnachten war längst vorüber. Es gab hier auch keine Lichterketten, keine Sterne, keine geschmückte Tanne und keine rotnasigen Rentiere. Woher der helle Lichterglanz kam, das wurde Prof. Lutz Weidner, dem Chefarzt des Krankenhauses, erst nach und nach klar, als er sich aufmerksam umschaute. Der helle Steinboden der großen Eingangshalle war so blitzblank poliert, dass man darauf hätte Schlittschuhlaufen können. Die großen kugelförmigen Deckenleuchten, die gestern noch gelblich-grau gewesen waren, waren heute von einem jungfräulichen Weiß und spiegelten sich darin. Die große Orientierungstafel aus Aluminium funkelte wie frisch poliertes Silber, und in den Scheiben der gläsernen Drehtür fing sich die noch tiefstehende Morgensonne, wurde vervielfältigt – vier Scheiben, vier Sonnen – und von dort auf die dicken Säulen aus weißem Marmor geworfen. Wurde die Drehtür gedreht, wie eben jetzt durch Lutz Weidner, so gingen die Säulensonnen kurz unter und gleich danach wieder auf. Das war ein atemberaubendes Schauspiel, und Prof. Weidner fragte sich, ob der Architekt das so geplant hatte oder ob es ihm zufällig passiert war. Frau Elsa Schmittchen, die einen kleinen Blumenkiosk im hinteren Bereich der Eingangshalle betrieb, schien heute das Geschäft ihres Lebens zu machen. Sie schleppte blankpolierte silberfarbene Eimer voll prächtiger Blumenarrangements aus ihrem kleinen Lieferwagen, der dicht am Seiteneingang parkte, und stellte sie überall dort auf, wo man nur etwas aufstellen konnte. Dabei lief sie nicht, wie Prof. Weidner befremdet feststellte. Sie trug Filzschlappen an den Füßen und rutschte damit wie man auf Schlittschuhen über den glänzenden Boden. Der Klinikchef wollte ihr gerade eine Frage zurufen, als er plötzlich grob am Oberarm gepackt und zurückgerissen wurde. Dazu brüllte ihm eine vertraute Stimme dröhnend ins Ohr. »Halt! Stopp! Zurück! Sind Sie vom wilden Affen gebissen, Sie alter Zausel? Sehen Sie, was Sie hier angerichtet haben? Na? Sehen Sie es? Dreck! Sie haben Dreck hereingetragen! Schmutzigen Dreck!« »Direktor!« Lutz Weidner starrte den stark übergewichtigen Verwaltungsdirektor der Sauerbruch-Klinik entgeistert an. »Natürlich ist der Dreck schmutzig«, bemerkte er kopfschüttelnd und betrachtete die schlammige Fußspur, die sich von der gläsernen Drehtür bis dorthin zog, wo er gerade stand. »Es hat geregnet. Draußen ist es matschig.« »Und wofür, glauben Sie, steht seitlich des Eingangs die große Kiste mit den Filzpantoffeln, die man für einen Unkostenbeitrag von zwei Euro dort entnehmen und gegen die Straßenschuhe tauschen kann, Sie Blitzbirne?« Der Chefarzt schüttelte entschieden den Kopf. »Ich ziehe keine Filzpantoffeln an. Und ich stelle ganz bestimmt nicht meine Schuhe draußen auf die Straße. Die sind doch abends weg, wenn ich sie wieder anziehen will.« »Dafür gibt es eine zweite Kiste mit Plastiktüten zu fünfzig Cent das Stück!«, blaffte Emil Rohrmoser ihn an. »Da können Sie Ihre Latschen hineinstecken und sie mit sich tragen.« »Was soll dieses Affentheater überhaupt, Direktor?«, stellte der Professor ihn zur Rede. »Moment mal!« Emil schnippte mit den Fingern, und ein Mann in einem Overall mit dem Namen der Reinigungsfirma, die zweimal täglich alle öffentlichen Bereiche in der Sauerbruch-Klinik putzte, kam mit einem geschulterten Wischmopp auf Filzpantoffeln herbeigeschlittert und tilgte den schmutzigen Dreck vom Boden. »Heute kommt er doch, Weidner!«, zischte der Verwaltungsdirektor. »Er kommt! Er müsste jeden Augenblick ...« Er brach ab und packte die Hand des Chefarztes, als dieser sich damit an eine der Säulen stützen wollte. »Nicht anfassen! Fassen Sie hier bloß nichts an!«, brüllte er wie von Sinnen. »Sehen Sie denn nicht, dass hier alles frisch geputzt ist? Müssen Sie da gleich wieder überall Ihre schmierigen Fingerabdrücke hinterlassen?« »Wer kommt heute?« Lutz Weidner seufzte ergeben. Er warf Schwester Barbara, die am Informationstresen saß, einen Blick zu. Die Pflegerin verdrehte grinsend die Augen, zuckte mit den Schultern und schüttelte zugleich den Kopf. »Er, der Sohn des Königs von ... Dingsda. Der Prinz von ... sonst wo. Ich kann mir einfach nicht merken, wie das Land heißt. Wissen Sie es, Weidner? Es ist irgendwo dort unten.« »Keller?«, erwiderte der Chefarzt, als Emil auf den Boden zeigte. »Heiliges Sparschwein!«, brauste Emil Rohrmoser auf. »Der Prinz vom Keller wird es wohl nicht sein!« Er tippte sich mit einem wurstähnlichen Zeigefinger an die Stirn. »Manchmal könnte man wirklich glauben, Sie hätten nicht alle Nadeln an der ...« Er brach abermals ab, als ein junger Mann mit einer riesigen Rolle unter den Arm – auf Filzpantoffeln natürlich! – durch den Seiteneingang kam. »Hierhin!«, dirigierte Emil ihn zur gläsernen Drehtür. »Von der Drehtür bis hin zu dem Aufzug mit den blockierten Türen, in dem ein bequemer Ledersessel steht! Ich will aber keine Falten sehen! Ist das klar?« »Glasklar, Meister!« Der junge Mann salutierte. Dabei wäre ihm beinahe die Rolle unter dem Arm entglitten. »Ich meinte den Süden, Weidner«, kam Emil Rohrmoser nun wieder auf das Thema zurück. »Er kommt aus einem kleinen Land irgendwo im Süden und ganz bestimmt nicht aus dem Keller.« »Aha! Und das ist ...?« »Ein roter Teppich, Weidner«, antwortete der Verwaltungsdirektor und konnte gerade noch rechtzeitig zupacken und den Chefarzt zur Seite schubsen, als dieser sich mit seinen dreckigen Schuhen dem roten Pfad näherte, den der junge Mann gerade schwungvoll entrollte und dann auf allen Vieren darüber kroch, um die Falten glattzustreichen. »Der ist nicht für Sie, Weidner!«, brüllte er. »Der ist für den Prinzen von ... von ...« »Vom Keller?« »Eben nicht, Sie ignoranter ... Ignorant!« »Was will der Prinz von ... irgendwo dort unten überhaupt hier?«, wollte der Chefarzt wissen. »Sich ein paar Tage lang durchchecken lassen«, erwiderte Emil Rohrmoser. »Von Ihnen. Und er zahlt privat! Sein Sekretär sagte, der Vater des Prinzen, sein älterer Bruder, seine beiden Onkels und eine seiner Tanten seien an einer nicht erkannten Herzerkrankung verstorben. Nun will der Prinz verständlicherweise wissen, ob er vielleicht auch bald ins Gras ... ich meine, das Zeitliche ... ich meine, die Krone abgeben muss.« Prof. Weidner hob interessiert den Kopf. »Eine Erbkrankheit?« »Was fragen Sie mich ...?«, fuhr der Verwaltungsdirektor ihn an. »Ich mache in Geld, Sie in Herzen! Ich bitte Sie ja auch nicht, eben mal schnell die Steuererklärung auszufüllen oder die Bilanzen nachzurechnen. Ha! Da wären wir längst bankrott!« »Vermutlich«, gestand der Chefarzt, der nicht sonderlich gerne rechnete. »Und keine Blasmusik?«, fragte er spöttisch. »Bei Staatsbesuchen wird doch immer die Landeshymne des jeweiligen Besuchers gespielt.« »Heiliges Sparschwein! Daran habe ich gar nicht gedacht! Weidner, Sie sind gar nicht so dämlich, wie Sie aussehen! Warten Sie mal ...« Emil Rohrmoser überlegte angestrengt. Dann nickte er zufrieden. »Kleinschuster hat so eine schiefe Blockflöte ...« »Querflöte.« »Jacke wie Hose, Tröte wie Flöte! Er soll sich hier neben dem Eingang postieren und die Hymne pusten, wenn der Prinz eintrifft. Warten Sie, ich sag's ihm lieber gleich! Kleinschuster braucht immer ziemlich lange, bis er in die Hufe kommt.« Er kramte sein Smartphone aus der Tasche seines Jacketts, wählte die Nummer des Hauptbuchhalters und erklärte ihm in Stichworten, welche Ehre ihm und seiner schiefen Blockflöte zuteil wurde. »Ich sagte doch schon, ich hätte vergessen, wie das Land heißt, Kleinschuster«, blaffte er ihn an und hielt sein Smartphone auf Abstand. »Dieser kleinkarierte Erbsenzähler! Was der alles wissen will.« »Nun, wenn Sie von ihm verlangen, dass er die Landeshymne des Gastes spielt, dann sollte er doch wissen, aus welchem Land der Prinz kommt, nicht wahr?«, gab Prof. Weidner zu bedenken. »Ach ja, da ist was dran«, musste Direktor Rohrmoser zugeben. Er holte sein Handy wieder näher...