E-Book, Deutsch, 478 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Graf Unruhe um einen Friedfertigen
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8437-0865-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 478 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0865-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oskar Maria Graf wurde 1894 in Berg am Starnberger See geboren. Von 1911 an lebte er als Schriftsteller in München. Von Wien aus, seiner ersten Exilstation, protestierte er 1933 mit seinem berühmten »Verbrennt mich!«-Aufruf gegen die Bücherverbrennung. Ab 1938 lebte er in New York, wo er am 28. Juni 1967 starb.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
Der Schuhmachermeister Julius Kraus in Auffing wurde bis zum Ende seines langen Lebens fast immer übersehen. Er ging, wenn man so sagen darf, stets nur nebenher. Das wollte er vielleicht, doch manchmal machten ihm die Umstände einen Strich durch dieses Wollen. An ihm lag das bestimmt nicht. Der Kraus nämlich war ein Mensch, der niemals auffiel, und wer nicht auffällt, den beachten weder die Leute noch die Behörden sonderlich. »Mach dich nicht mausig, dann frißt dich keine Katz’«, pflegte der Kraus zu sagen.
Wie er nach Auffing kam, ist schnell erzählt. Als ein schon gut in den Vierzigern stehender Mann, der bisher in der Landeshauptstadt eine kleine Schuhmacherei betrieben hatte, las er einmal ein Inserat in seiner Zeitung, wonach in Auffing ein kleines Häusl zu verkaufen war. Er war damals ein bißchen besorgt um seine Frau, die Kathi. Die hatte immerzu einen trockenen, zeitweise schmerzenden Husten, und der Hans, das einzige Kind, das sie hatten, sah auch recht blaß und mager aus.
»Luftveränderung«, hatte der Arzt der Frau Kraus geraten, »möglichst Landluft.« Kurz entschlossen fuhr der Kraus mit den Seinen an einem schönen Sonntag nach Auffing. Vom Bezirksort Amdorf, der zugleich Bahnstation war, mußten sie noch fast zwei Stunden gehen, denn um jene Zeit verkehrten noch nicht die jetzigen Überland-Autobusse von Dorf zu Dorf.
Strotzend fruchtbares Land lachte ihnen entgegen. Die Straße war auf beiden Seiten mit Apfelbäumen gesäumt. Die Wiesen waren wunderbar blumig und saftig. Die Felder standen in der ersten Reife und versprachen eine gesegnete Ernte. Ein sanft fächelnder, kühler Wind strich über die anmutigen Höhen, und dann kam der schattige Forst, der erst kurz vor Auffing endete. Friedlich lag das stille, in eine sanfte Mulde gebettete Dorf da. Getreideäcker, Wiesen, freundliche Laubwälder, schmale, ausgefahrene Straßen und Dörfer mit spitzen Kirchtürmen in der weiteren Umgegend, – wie hingemalt sah das alles aus.
»So was Schönes! … Und schau bloß die vielen Blumen, Julius!« sagte die Kathi stehenbleibend und verschnaufte, während sie die Blumen, die der Hans aus den Feldern geholt hatte, zu einem Strauß zusammenfaßte.
»Kathi?« sagte der Kraus fast streng und spähte herum: »Die Blumen gehn uns jetzt gar nichts an! Überhaupt – der Bub soll nicht immer in die Wiesen laufen. Das mögen die Bauern sicher nicht.« Dann setzte er, wie sich selber befragend, dazu: »Hm, wo steht das Häusl?« Er entdeckte eins, das ziemlich verlassen an der abschüssigen Straße am Dorfausgang stand. Ein kleines, umzäuntes, verwildertes Gärtchen war davor, und die Fensterläden waren geschlossen. Als sich später herausstellte, daß er richtig geraten hatte, sagte er zu seiner Frau: »Kathi? … Ich schau’ immer bloß dahin, wo ich was will … Drum täusch’ ich mich auch nie.«
Kurz und gut, der Julius Kraus kaufte das Häusl vom Hans Jägerlehner, einem jungen Metzgerburschen, der sich offenbar aus diesem Erbstück seiner verstorbenen Eltern nichts machte. Der Hans war weit in der Welt herumgekommen, wollte nicht in Auffing bleiben und ging nach dem Verkauf in die Stadt.
Den Krausens war von Anfang an das Glück günstig. Bisher nämlich mußten die Leute ihre Schuhe nach dem entfernten Amdorf bringen, weil es sonst weit und breit keinen Schuster gab. Gute Handwerker waren in solchen Landgegenden gesucht, und der Kraus verstand sein Geschäft ausgezeichnet. Er lieferte passende Schuh und Stiefel, er flickte und sohlte die alten solid. Er hatte gar nichts Städtisches. Kein Auftrag war ihm zu schlecht, und obendrein war er auch noch billiger als die Amdorfer Schuster. »Recht was Ordentliches«, konstatierten die Leute in Anbetracht dieses schätzbaren Vorteils.
Wie das immer ist, wenn Fremde in einem Dorf ansässig werden, zuerst beschnüffelt man sie einmal unauffällig. Scharfsichtige Nachbarinnen merkten schnell, daß die schwächliche Schusterin eine grundfleißige Person war. Sie hielt das Haus sauber, wusch die Wäsche, grub den kleinen Garten um, kaufte beim Krämer Stelzinger, was für den Haushalt nötig war, und mischte sich ebensowenig wie ihr Mann in die Angelegenheiten anderer Leute. Eins nur fiel anfangs auf: Statt am Samstag putzte sie jedesmal bereits am Freitag die Böden heraus und ging dann mit einem Körbchen nach Amdorf. Am Abend drang ein Duft von gebratenen Fischen aus dem Schusterhaus, und einige erspähten mitunter, daß die Krausens in der kleinen Küche hinter der Werkstatt fast feierlich um den blankgedeckten Tisch saßen, auf dem zwei Kerzen brannten.
»Die müssen von einer ganz fremden Gegend sein, wo das der Brauch ist«, sagten die Nachbarn. Vom Bürgermeister erfuhr man auch, daß sie aus dem österreichischen stammten, und schließlich kam noch heraus, daß die Kathi bereits die zweite Frau vom Schuster sei, der Bub, der Hans, sei von der ersten. Arme Leute fallen nicht auf, insonderheit, wenn sie genauso leben wie alle im Dorf. Beim Kraus redeten sie denselben Dialekt wie in Auffing. Am Sonntag ging der Schuster mit seinem Buben wie jedermann ins Hochamt in die Pfarrkirche nach Glaching. Er trank hernach in der Postwirtschaft sein Bier, grüßte, wenn er gegrüßt wurde, wechselte die üblichen Worte, wenn ihn jemand anredete, und zeigte sich weder scheu, noch drängte er sich irgendwie auf.
Der Bub ging wie alle Kinder nach Glaching in die Schule. Er wurde zusehends kräftiger, blieb aber hager und hochaufgeschossen und wurde nie sommerbraun im Gesicht. Er hatte dichtes, weiches, rötlich schimmerndes Haar und dunkle Augen und sah seinem Vater nicht im geringsten ähnlich. Er geriet ihm auch nicht nach. Er schien etwas fahrig, stolz und verschlagen zu sein. Wenn er mitunter mit den Dorfkindern ins Raufen kam, wehrte er sich heftig und war gefürchtet wegen seiner Listen. Wurde er aber doch einmal verprügelt, dann sagte der Kraus zu ihm: »Esel, saudummer! Was läßt du dich denn ein, wenn dir die andern über sind?… Dummer Tropf, dummer, da hast du’s jetzt!« Fing der Bub zu winseln an und wollte die Nachbarskinder verklagen, so schimpfte der Schuster ganz ärgerlich: »Hör auf mit deiner Lamentation, sag’ ich! … Hör auf, oder ich lass’ dich nicht mehr aus dem Haus, basta!« Der Bub bekam eine beleidigt-verstockte Miene und ging seinem Vater aus dem Weg, bis sich der Zwischenfall ausgeglichen hatte. Die Schusterin mischte sich nie drein. Sie war gut und recht zum Buben. Der aber zeigte sich nur herzlich, wenn er etwas von ihr wollte.
Außer denselben dunklen Augen unterschied sich der Kraus vom Buben wie Tag und Nacht. Er war immer gleichmäßig ruhig und ungemein fleißig. Er war mittelgroß und sehr gedrungen gebaut, und im Gegensatz zu seiner bedächtig-friedsamen Art verliehen ihm die dichten widerborstigen Brauen und sein krauses volles Haar etwas Martialisches, fast Finsteres. Wie seine zerarbeiteten Hände und Füße war auch sein massiver Kopf auf dem kurzen Hals viel zu groß geraten, und seine Bewegungen hatten etwas Vierschrötiges, eher Langsames, wie man es bei Menschen antrifft, die ihr Leben lang schwer arbeiten und sich nur auf die eigene, derbe Kraft verlassen. Schon nach dem ersten Jahr in Auffing wurde er Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Einmal, nach einem großen Brand, als die durstigen Feuerwehrleute mitten in der Nacht den Postwirt weckten und stürmisch nach Bier verlangten, hob der immer hilfsbereite Schuster zufällig ein Hektoliterfaß auf den Schenkbock. Diese Kraftleistung erregte verschwiegenen Respekt, und einige meinten, das mache dem Kraus so schnell keiner nach. Der tat, als höre er nicht hin, setzte sich zwischen die Leute und trank gemächlich sein Bier.
Viele solche Kleinigkeiten kamen zusammen, die dazu beitrugen, daß man sich an die Schusterleute gewöhnte. Das Fremde wich mehr und mehr. Mit den Jahren gehörten sie zum Dorf und zur Gegend. Sie hatten ihr Leben und Auskommen und waren allseits geschätzt. Ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg aber mußte sich die immer kränkelnde Krausin hinlegen. Ihre Lungen arbeiteten nicht mehr richtig. Vielleicht aber drückte sie noch etwas anderes der Ewigkeit entgegen. Der Hans, der inzwischen schon sechzehn Jahre alt geworden war und seinen Vater bereits um Kopfeslänge überragte, hatte sich zu nichts Ordentlichem ausgewachsen.
Schon in der letzten Zeit der »Sonn- und Feiertagsschule« war es zwischen ihm und dem Kraus zu harten Zusammenstößen gekommen, weil der Bub nie sagen wollte, für welchen Beruf er eigentlich Lust habe, und lieber herumstreunte. Diese Reibereien zermürbten die geduldige Stiefmutter immer mehr, denn sie stand beständig zwischen den zweien, wollte ausgleichen und versöhnen und verdarb sich’s oft mit jedem von ihnen.
Nachdem der Kraus vergeblich versucht hatte, wenigstens einen brauchbaren Schuster aus dem Hans zu machen, gab er ihn schließlich zum Drogeriebesitzer Ampletzer in Amdorf in die Lehre. Der Hans fügte sich zwar, kam hin und wieder an den Sonntagen heim und richtete es stets so ein, daß er mit seiner Stiefmutter allein war. Dabei hielt er sie stets um Geld an und konnte dabei herzerweichend bitten. Eines Tages jedoch erschien der Ampletzer unverhofft im Schusterhaus und verriet, daß der Hans überhaupt keinen Lerneifer zeige, um so mehr aber ganze Nächte in anrüchigen Weinkneipen herumstrolche und in recht schlechte Gesellschaft geraten sei. Auf der Stelle ging der Kraus mit ihm nach Amdorf und schlug den Buben windelweich.
»Woher hast du das Geld, du Galgenstrick, du nichtsnutziger! « schrie der Kraus und hieb immer wieder auf den ellenlangen Kerl ein. Der riß sich auf, schaute ihn fliegend und voll Haß an und sagte nur: »Von dir nicht!« Dann rannte er zur Türe des Drogerie-Magazins hinaus.
Am anderen Tag – es war eine...