E-Book, Deutsch, 341 Seiten
Graham Die Gefangene des Freibeuters
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95885-691-2
Verlag: venusbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 341 Seiten
ISBN: 978-3-95885-691-2
Verlag: venusbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Heather Graham wurde 1953 geboren. Die New-York-Times-Bestseller-Autorin hat über zweihundert Romane und Novellen verfasst, die in über dreißig Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Heather Graham lebt mit ihrer Familie in Florida. Von Heather Graham erscheinen bei venusbooks: »In den Händen des Highlanders« »Fieber der Leidenschaft« »Der Lord und die Rebellin« »Die Leidenschaft des Earls« »Das Begehren des Ritters« »Die Gefangene des Freibeuters« »Das Erbe der Liebenden« Die Highland-Kiss-Saga: »In den Armen des Schotten« »Der Highlander und die schöne Feindin« »Gefangen von einem Highlander« »Die Braut des Viscounts« Die Wild-Passion-Saga: »Der Ungezähmte und die Schöne« »Der Laird und die Schöne« »Der Krieger und die Schöne« Die Cameron-Saga: »Der Lord und die ungezähmte Schöne« »Die Geliebte des Freibeuters« Unter dem Autorennamen Shannon Drake veröffentlicht sie bei venusbooks außerdem: »Blutrote Nacht« »Bei Anbruch der Dunkelheit« »Verlockende Finsternis« »Das Reich der Schatten« »Der Kuss der Dunkelheit«
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PROLOG
Eine Kanone explodierte, und schwarzer Pulverqualm stieg in die Luft. Nur knapp verfehlte der Schuß die Lady May. Eine Fontäne sprühte aus dem Wasser. Das Schiff schwankte heftig in der aufgewühlten See.
Langsam löste sich die Rauchwolke auf. Da zeigte sich die Quelle der Bedrohung, ragte hoch in den kristallklaren Himmel, flatterte im Wind, weckte kalte Angst in allen Herzen.
Der Totenschädel über gekreuzten Gebeinen. Weiß auf Schwarz. Die stolze Piratenflagge. Am Ruder stand Kapitän Niemens, sein Fernglas auf das Piratenschiff gerichtet, das die Wellen so geschmeidig zu durchpflügen schien. Mit ruhiger Stimme befahl er seinem Ersten Maat, das Feuer zu erwidern. Aber auch diese Kanonenkugel ging daneben.
Hatte der Pirat nur einen Warnschuß abgegeben? Nein, es gab keinen Zweifel. Er wollte die Lady May kapern. Aufmerksam studierte Kapitän Gaylord Niemens die Fahne. Denn die zahlreichen Totenschädel und Gebeine unterschieden sich voneinander, so wie die Männer, die unter diesen Flaggen segelten. Ein Schauer rann über seinen Rücken. Zum Teufel mit den Schurken! Um sein eigenes Leben bangte er nicht. Bis zum letzten Blutstropfen würde er den Feind bekämpfen.
Aber er mußte an Lady Rose denken, die ihm genauso exquisit erschien wie ihr Name, Lady Rose mit den smaragdgrünen Augen, von tintenschwarzen Wimpern umrahmt, und den klassisch schönen Zügen. Ihre Lippen glichen der Blume, nach der sie benannt war. Wenn Sonnenstrahlen auf ihr kastanienrotes Haar fielen, sprühten goldene und kupferne Funken darin. Ihre weiche Haut schimmerte elfenbeinweiß, ein verführerischer rosiger Hauch überzog die Wangen.
Für ihr Geschlecht war sie hochgewachsen und wirkte noch größer, weil sie jeder Herausforderung in aufrechter, entschlossener Haltung begegnete. Sicher hatte sie die Flagge entdeckt. Doch sie schrie nicht vor Furcht, überhäufte den Kapitän nicht mit Vorwürfen wegen eines Ereignisses, an dem er keine Schuld trug, und sank auch nicht ohnmächtig auf die Deckplanken.
Stolz und schweigend stand sie an seiner Seite und betrachtete das Piratenschiff. Ihre Augenfarbe wurde von einem dunkelgrünen Kleid betont, einer modischen Kreation mit weitem, schwingendem Rock und samtenem Oberteil. Darüber trug sie einen grünseidenen Umhang. Schwarzweiße Spitzenborten schmückten den Saum und den tiefen runden Ausschnitt, die Ärmel bauschten sich bis zu den Ellbogen. Trotz ihrer zarten Schönheit besaß sie ein leidenschaftliches Temperament. Es kam vor allem dann zum Vorschein, wenn sie jemanden verteidigte, dem ein Unrecht geschehen war. Ihre Untergebenen behandelte sie freundlich und fair. Das wußte der Kapitän, weil er ihr diente. Sie hatte das Schiffahrtsgeschäft von seinem früheren Herrn übernommen, und Niemens schätzte sie sehr. Nach seiner Ansicht konnte sich ihre innere Schönheit mit der äußeren messen. »Meine liebe Lady Rose ...«, begann er.
»Kennt Ihr die Flagge?« unterbrach sie ihn und schaute eindringlich in seine Augen.
Er nickte. »Aber vielleicht irre ich mich. Meines Wissens greift er keine englischen Schiffe an, und unsere Farben wehen deutlich sichtbar im Wind.«
»Der Drachentöter?« Ihre Wangen wurden ein wenig bleicher, sonst zeigte sie keine Regung. Aber sie verspürte ein wachsendes Unbehagen. Seit einigen Monaten verbreitete dieser Mann Angst und Schrecken auf den Meeren. Kein Spanier oder Holländer war vor ihm sicher. Und obwohl ein königlicher Erlaß allen Piraten den Tod verhieß, freute sich König Charles II. angeblich über jeden Sieg des Schurken, der sich bereicherte, indem er insbesondere die Spanier beraubte. Oft genug waren vornehme Damen und Herren von spanischen Schiffen entführt und gegen hohes Lösegeld wieder freigelassen worden. Was mit den Geiseln zu geschehen pflegte, konnte man haarsträubenden Gerüchten entnehmen.
Und jetzt näherte sich der Drachentöter dem englischen Schiff. Kapitän Niemens wandte sich zu seiner Herrin. »Ich begleite Euch in meine Kabine, Mylady ...«
»Nein. Ich möchte nicht eingesperrt werden wie ein Vogel in seinem Käfig. Außerdem würde es keinen Unterschied machen, falls es zum Schlimmsten kommt. Von hier aus kann ich die Ereignisse besser beobachten.«
»Bitte, Mylady, hört auf mich! Womöglich stürzt ein Segel auf Euch herab. Oder Ihr erleidet einen Unfall, wenn wir unsere Geschütze abfeuern ...«
»Soll ich in meiner Kabine warten, bis mich dieses schurkische Hinkebein niedermetzelt?«
Für einen Augenblick glaubte er, es wäre eine barmherzige Tat, wenn er Lady Roses Brust mit seinem eigenen Schwert durchbohrte. Andererseits würde sie gewiß am Leben bleiben, sollte tatsächlich der Drachentöter das Piratenschiff kommandieren. Noch nie hatte er seine Gefangenen getötet.
Aber was ihr bevorstehen mochte ... Niemens wagte nicht, sich das auszumalen. Ihr Vater zählte zu den reichsten Männern in den Kolonien. Das mußte der Drachentöter wissen, und deshalb griff er die Lady May an. Ein englisches Schiff.
»Kapitän Niemens«, sagte Rose leise, »ich brauche ein Schwert ...«
»Noch einmal Feuer!« befahl er seinem Ersten Maat, einem dürren Burschen mit dem Gesicht eines Totengräbers. Dann packte er Roses Arm, zog sie vom Rudergehäuse weg und die Kajüttreppe hinab. Unter Deck schob er sie in seine Kabine, einen großen Raum, über dem sich das Steuer befand.
Empört starrte sie ihn an. »Kapitän! Hier kann ich nicht bleiben, hilflos ausgeliefert!«
»Bitte, Mylady! Ich flehe Euch an, bei Eurer Ehre!«
Zum Teufel mit ihm, dachte Rose. Er schloß sie nicht ein, schaute sie nur mit seinen großen braunen Hundeaugen an und vertraute auf ihre Ehre. Verstand er denn nicht, was in ihr vorging? Sicher, wenn es zu einem Gefecht kam, würde er für sie sterben. Aber warum durfte sie sich nicht verteidigen? Sie erinnerte sich an eine Zeit, wo sie den Tod herbeigesehnt hatte. So qualvoll war der Schmerz gewesen. Doch dann hatte sie erkannt, wieviel sie besaß, wofür es sich zu leben lohnte. Und jetzt mußte sie überleben. »Kapitän!«
Er schloß die Tür, und sie hörte, wie sich seine Schritte hastig entfernten. Wieder krachte eine Explosion, die das ganze Schiff erschütterte. Der zweite Schuß hätte beinahe das Ziel getroffen. Rose taumelte und hielt sich an Niemens' Schreibtisch fest, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden.
Dann tastete sie sich zur Bank mit dem Brokatbezug und setzte sich. Ihr Atem stockte, als sie durch ein Fenster beobachtete, wie schnell das Piratenschiff heransegelte. Nun sah sie die Flagge ganz deutlich, auch die Galionsfigur, den nackten Oberkörper einer Frau, über deren Brüsten lange Locken hingen. Diese schöne Gestalt bildete einen seltsamen Gegensatz zur häßlichen Grimasse des Totenschädels auf der Fahne.
Rose versuchte, die Kampfkraft des Piratenschiffs einzuschätzen. Steuer- und Backbords war es gut bestückt. Sie zählte je zehn Kanonen, und ihr Mut begann zu sinken. Über ihr polterten Schritte auf den Deckplanken, ein Befehl erklang. »Feuer!« Die Lady May schien Luft zu holen und zu erbeben, während ein Schuß abgegeben wurde, der keine Wirkung zeigte. Unaufhaltsam näherte sich das Piratenschiff.
Hier kann ich nicht bleiben, sagte sich Rose. Aber wagte sie zu kämpfen? Sie mußte nach Hause zurückkehren ...
Plötzlich schrie sie auf. Die Galionsfigur drohte das Fenster der Kapitänskajüte zu durchstoßen. Als Rose aufsprang, um vor der Gefahr zu fliehen, drehte das Schiff und rammte die Lady May seitwärts, durch die ein gewaltiger Ruck ging.
Rose wurde auf den Schreibtisch geworfen, dann nach links, wo sie auf das kunstvoll geschnitzte, zwischen Regalen festgemachte Bett flog.
Stählerne, knirschende Geräusche drangen in die Kabine, und sie erkannte, daß das Schiff mit Enterhaken attackiert wurde. Piraten stürmten an Bord, und sie erhob sich bestürzt auf die Knie. Eine wilde Bö schleuderte die Lady May gegen das feindliche Schiff, und Rose fiel aufs Bett zurück, in einem Durcheinander aus Unterröcken, Baumwolle, Samt und Seide.
An Deck erklang wütendes Gebrüll, Metall klirrte. Bald würden Leichen die Planken übersäen. Inständig hoffte sie auf Gaylord Niemens' Sieg. Doch der ehrenwerte, würdevolle Mann, ein guter Freund und tüchtiger Seefahrer, war diesen wilden Piraten wohl kaum gewachsen. Schaudernd stellte sie sich das Schicksal vor, das ihren Kapitän erwartete.
So schnell, wie der Lärm begonnen hatte, verhallte er. Der Kampf fand ein jähes Ende, die ganze Welt schien zu schweigen. Wieder auf den Knien, lauschte Rose angespannt.
Die Kabinentür öffnete sich. Nein, Kapitän Niemens war tatsächlich nicht der Sieger. Der stand nun auf der Schwelle. Der Drachentöter. Nur undeutlich sah sie die dunkle Gestalt, eine große Silhouette vor dem schwachen Lichtschein hinter der Tür. Eine Hand hatte der Pirat in die Hüfte gestemmt, die andere umklammerte ein Schwert. Das Hemd mit den weiten Ärmeln war pechschwarz, ebenso wie die enge Kniehose und die hohen Stiefel. Obwohl ein breitrandiger Hut mit einer weißen Feder das Gesicht überschattete, bemerkte Rose die schwarze Augenklappe.
Er glich einem Henker, und dieser Gedanke jagte ihr kalte Angst ein. Doch sie beschloß zu kämpfen, zu überleben. Reglos starrte er sie an. Was mochte er denken? Die Stille verdichtete sich. Plötzlich bewegte eine Brise die weiße Feder, das dunkle Haar des Piraten. Zögernd stand Rose auf. Da entdeckte sie den glänzenden, scharf geschliffenen Brieföffner auf dem Schreibtisch des Kapitäns. In ihrer Verzweiflung stürzte sie sich darauf, ohne zu überlegen, daß die schmale Klinge nichts gegen das lange Schwert ihres Feindes ausrichten...




