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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Grau Reine Nervensache

Wie das Nervensystem unser Leben bestimmt

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-406-75093-9
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Unser gesamter Körper ist von Nerven durchzogen. Ohne sie könnten wir weder denken noch uns bewegen. Manche Menschen haben Nerven wie Drahtseile, andere gehen schnell die Nerven durch. Prof. Dr. med. Armin Grau, Chefarzt für Neurologie des Klinikums Ludwigshafen, beschreibt in spannenden Geschichten und klaren Worten, wie unser Nervensystem funktioniert, was passiert, wenn die Nerven versagen, Nerven und Muskeln nicht zusammenspielen oder unsere Bewegungen steifer werden. "Reine Nervensache" ist ein unterhaltsames und leicht verständliches Buch darüber was wir über unsere Nerven wissen.

Wir alle kennen das: das Herz beginnt zu rasen, wenn uns der Hund anspringt. Die Knie zittern vor einer Prüfung. Diese Körperreaktionen werden vom vegetativen Nervensystem gesteuert. Auch viele Erkrankungen sind Nervensache: von Spannungskopfschmerzen und Migräne bis hin zu Schlaganfall, Epilepsie, Mutliple Sklerose, Demenz und Parkinson. Nicht wenige neurologische Krankheiten gehen dabei mit psychischen Symptomen einher.
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1. Wochenbeginn – eine Einleitung
Hier ist die Station Neurologie 1. Heute ist Montag, 8:15 Uhr, die Visite beginnt. Fast alle Patienten sind neu und erst übers Wochenende auf die Station gekommen. In Zimmer 1 berichtet Frau Berger: «Ich saß vor dem Fernseher und plötzlich war das Bild weg. Ich sag noch zu meinem Mann, was hat denn der Fernseher. Aber dann merk ich, ich seh ja auch meinen Mann nicht und alles andere drum herum auch nicht mehr. Ich sag zu ihm, du, ich bin blind, der meinte nur, jetzt mach keine Scherze, weil wir oft so miteinander Spaß machen. Aber ich sag, das ist ernst jetzt. Mein Mann schlug vor, dann gleich zum Arzt zu gehen, das wollte ich aber nicht. In der nächsten Stunde kamen helle Punkte auf der linken Seite, ein richtiges Gekrissel wie Schnee oder Graupelschauer, alles durcheinander, und manchmal war es wie Vorhänge, die im Wind wehen; dann kamen kleine Bilder wie ein Puzzle, und allmählich habe ich links wieder gesehen, aber nach rechts bleib ich blind. Auch von Ihnen seh ich jetzt nur das halbe Gesicht, ich muss meinen Kopf drehen, dann wird das besser. Wir haben uns hingelegt, und als die Sache am nächsten Morgen noch so ähnlich war, gingen wir zum Hausarzt. Der hat eine Netzhautablösung vermutet und mich zum Augenarzt geschickt. Der Augenarzt hat schnell festgestellt, dass alles vom Gehirn kommt, und mich in die Klinik geschickt. Auf Ihrer Schlaganfall-Station ist schon viel untersucht worden. Gestern bin ich jetzt hierher verlegt worden.» Die Patientin wirkt keineswegs verängstigt, sondern fast fröhlich und gelöst. Am Ende fügt sie hinzu: «Ich glaube, ich habe noch Glück gehabt, obwohl ich doch so lange gewartet habe.» Die Zimmernachbarin, Frau Ost, erzählt: «Ich kam gerade nach Hause, habe die Einkaufstasche auf den Küchentisch gestellt und wollte zu meiner Tochter sagen: ‹Wenn der Papa gleich nach Hause kommt, dann guckt er nach den Mathe-Hausaufgaben.› Da kam kein Wort heraus, nur bra, bra, viel Luft und einzelne Töne, aber kein richtiges Wort. Den Satz, den ich sagen wollte, weiß ich noch genau. Gleich danach verdrehte sich meine Zunge im Mund und der rechte Arm und mein Gesicht wurden pelzig, wie Ameisenlaufen war es da. Und dann bin ich erst im Krankenwagen wieder zu mir gekommen. Ich habe einen blutigen Geschmack im Mund gehabt und meine Hose war nass.» Bevor ich weitere Fragen stellen und erklären kann, was passiert war, unterbricht mich unsere Pflegekraft. «Herr Professor, der Patient in Zimmer 3 will gerade wieder aus dem Bett klettern. Das Frühstückstablett hat er umgeworfen, die Tabletten im Bett verteilt. Er war fast die ganze Nacht unruhig, die Nachtschwester hatte ihre Mühe und Not mit dem Patienten.» Ich entschuldige mich bei Frau Ost und gehe in Zimmer 3 zu Herrn Schüler. Der Sechsundsechzigjährige war Ende der Vorwoche vom Hausarzt eingewiesen worden wegen «zunehmender Verwirrtheit und Verhaltensauffälligkeiten». Noch vor zwei Wochen hatte er – allein lebend – sich selbst versorgt und die Nebenkostenabrechnungen seiner Mietwohnungen fehlerfrei fertiggestellt, so die Informationen der einzigen Tochter. Jetzt rüttelt er verzweifelt am Bettgitter, das eine Bein zwischen die Gitterstäbe nach draußen gestreckt, den Pyjama und das Bettlaken in Kaffee und Marmelade getränkt. «Herr Schüler, was machen Sie?» Der Patient blickt durch mich hindurch, nimmt keinen Blickkontakt auf. «Kennen Sie mich eigentlich noch?» Der Patient rüttelt noch drei bis vier Mal am Bettgitter. Auf die Frage nach seinem Namen lässt er sich erschöpft zurückfallen. «Wir stellen die Medikamente um. Wenn der Patient nachher ruhiger ist, bitte gleich noch ein EEG und dann die anderen Untersuchungen wie am Freitag besprochen.» Die heutige Visite wird eine mäandernde Reise durch die Zimmer der kleinen Station, immer wieder unterbrochen durch Telefonate und kleine Fährnisse, so dass ein geordneter Gang vom ersten bis zum letzten Zimmer nicht möglich ist. Neurologische Krankheiten sind durchaus häufig. Rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland leiden an der Alzheimer-Krankheit oder einer anderen Demenz-Erkrankung, fast 1,8 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Schlaganfall hinter sich und über 400.000 Menschen sind von epileptischen Anfällen betroffen. Bei den Parkinson-Krankheiten wird mit 200.000 bis 300.000 Patienten gerechnet, und an Multipler Sklerose leiden ebenfalls über 200.000 Deutsche. Noch viel häufiger sind Migräne, Spannungskopfschmerzen oder Wirbelsäulen- und Bandscheibenerkrankungen, die zu Ischias oder anderen Schädigungen an Nervenwurzeln oder Rückenmark führen. Rund 7 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen leiden an Migräne, etwa jeder Dritte ist mit Spannungskopfschmerzen behaftet und Millionen haben ein Wirbelsäulenleiden, das zeitweilig oder auch dauerhaft Nervenschmerzen oder Läsionen des Nervensystems verursacht. Manche der Krankheiten sind erblich bedingt, und unser eigenes Tun und Lassen kann die Anlagen, die in uns wohnen, nicht beeinflussen. Viele Erkrankungen sind jedoch erworben, und sie sind von unseren Lebensumständen beeinflusst, auch wenn die genauen Einflussfaktoren nicht immer schon ausreichend bekannt sind. Bei diesen Krankheitsbildern bestimmen unsere Gene allenfalls mit, ob, wann und wie wir erkranken. Für einzelne Krankheitsbilder wie den Schlaganfall kennen wir Ursachen und Risikofaktoren schon sehr gut, so dass eine gezielte Vorbeugung möglich ist. Bei anderen Erkrankungen sind wir den Ursachen noch auf der Spur. Auffällig ist, dass manche Krankheiten, gerade auch solche des Nervensystems, neu auftauchen oder auch wieder verschwinden, häufiger werden oder seltener auftreten, ein Hinweis darauf, dass Umwelt und gesellschaftliche Lebensbedingungen einen Einfluss auf ihr Auftreten haben. Auf diese Zusammenhänge werde ich an verschiedenen Stellen hinweisen. Für sehr viele neurologische Krankheiten gibt es heute Therapien, die den Verlauf günstig beeinflussen. Die Zahl der behandelbaren Krankheitsbilder nimmt ständig zu. Diese Fortschritte in Diagnostik und Therapie wurden häufig erst in den letzten Jahren entwickelt und bilden deshalb einen weiteren wichtigen Schwerpunkt des Buches. Am Ende des stationären Aufenthalts in einer Klinik gibt es ein Abschlussgespräch, häufig in Gegenwart von Angehörigen, in dem die Ergebnisse zusammengefasst werden und die zukünftige Therapie besprochen wird. Gerade bei komplizierteren Krankheitsbildern und Verläufen ist es für Patienten und Angehörige auch dann oft schwierig, sich alles Wichtige zu merken, wenn das Abschlussgespräch in Ruhe und mit ausreichend Zeit stattfindet. Leider ist Letzteres im turbulenten Krankenhausalltag oft nicht garantiert. Daher wäre es oft gar nicht schlecht, die wichtigsten Ergebnisse in schriftlicher Form mit nach Hause zu bekommen, einfach weil man dann später alles nochmals in Ruhe nachlesen kann. Die knappe ärztliche Besetzung auf den Stationen lässt dafür heute aber kaum Zeit. Auch bei uns in der Klinik ließ es sich nicht etablieren, neben dem Brief für den Hausarzt und die Fachärzte Patientenbriefe zu verfassen – sehr zu meinem Bedauern. Aus der Erfahrung heraus, dass viele Patienten und Angehörige mehr über die Krankheiten wissen möchten, entstand die Idee zu diesem Buch. Jeder Mensch ist einzigartig und jeder Krankheitsverlauf ist individuell und besonders. Daher kann ein solches Buch nie das persönliche ärztliche Gespräch ersetzen. Aber es kann über Krankheiten informieren. Die Visite, zu der ich Sie einlade, führt Sie zu den neurologischen Krankheiten, angefangen von den leichten, die sich selbst heilen oder durch die moderne Medizin gut behandelt werden können, bis hin zu den schweren mit ihrem manchmal ungünstigen Ausgang. Unser Nervengewebe wartet mit einer Vielzahl zum Teil recht merkwürdiger Phänomene auf. Diese Symptome und Befunde zu ordnen und in einen diagnostischen Rahmen zu bringen, ist Aufgabe des Neurologen. Oft liegen die Diagnosen auf der Hand, schon die Krankengeschichte und der körperliche Untersuchungsbefund oder spätestens die heute schnell zugänglichen Untersuchungsmethoden, vor allem Verfahren wie Computertomografie (CT) und Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT) geben rasch Aufschlüsse. Nicht selten aber müssen wir Neurologen das ganze Spektrum unserer alten Fertigkeiten auspacken und die Symptome und Untersuchungsbefunde zu Einheiten, sogenannten Syndromen, zusammenfassen, den Syndromen die Orte der Schädigung im Nervensystem zuordnen und eine Liste der wahrscheinlichsten Ursachen aufstellen. Auf dem Weg zur Diagnose müssen dann die möglichen Ursachen eine nach der anderen ausgeschlossen oder am Ende bestätigt werden. Doch das ist nicht alles....


Prof. Dr. med. Armin Grau ist Chefarzt der Neurologischen Klinik am Klinikum Ludwigshafen. Sein Forschungsschwerpunkt ist der Schlaganfall und hier vor allem der Zusammenhang mit Infektionen und Entzündungen sowie mit sozialen Bedingungen.


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