Greving / Reichenbach / Wendler | Inklusion in der Heilpädagogik | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Greving / Reichenbach / Wendler Inklusion in der Heilpädagogik

Diskurse, Leitideen, Handlungskonzepte

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-17-037232-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Kein anderes Fach ist durch die Inklusionsdebatte so herausgefordert worden wie die Heilpädagogik. Nicht nur werden deren disziplinären Grundlagen einer kritischen Revision unterzogen. Auch die Profession der Heilpädagogik muss tradierte Berufsbilder überprüfen, sich im Prozess der Inklusion neu verorten. Das Buch vermittelt in dieser Situation sicheres Orientierungswissen. Im Mittelpunkt steht die professionelle Positionierung der Heilpädagogik. Sehr konkret wird dabei auf die unterschiedlichsten Handlungsfelder der Behindertenhilfe und die Lebenswelten von Menschen mit Behinderungen eingegangen. Kritisch analysiert werden dann die bisherigen Basisvariablen des Faches und gleichzeitig die Leitideen für die neugefassten Rollen, Kompetenzen und Zuständigkeiten der Heilpädagogik skizziert.
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Heilpädagogik und Inklusion – ein Widerspruch?!
Heinrich Greving, Christina Reichenbach & Michael Wendler
  Das »Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen« (kurz: UN-Behindertenrechtskonvention) hat zu einem Paradigmenwandel in der Arbeit mit behinderten Menschen weg von einem Fürsorge- hin zu einem rechtebasierten Ansatz geführt. Einerseits sind »Selbstbestimmung« und »Inklusion« die neuen Schlüsselbegriffe, an denen sich alle Angebote der Träger der Eingliederungshilfe orientieren müssen. Andererseits besteht zunehmend die Anforderung an alle sozialen Dienste und Leistungen inklusiv konzipiert, d. h. gleichermaßen für Menschen mit unterschiedlichen Benachteiligungsfaktoren und Beeinträchtigungen offen zu sein (vgl. Graumann 2012, S. 90 ff.). Damit haben sich die Anforderungen für die Disziplin und Profession der Heilpädagogik geändert: Grundlage professionellen Arbeitens mit Menschen mit Beeinträchtigungen ist nicht mehr ein medizinisches, sondern das soziale Modell von Behinderung. Die pädagogischen Konzepte müssen nunmehr mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar sein und die Grundsätze »Selbstbestimmung« und »Inklusion« in vollem Umfang verwirklichen. Die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens bei voller und gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe in allen Lebensbereichen spielt nun in allen Bereichen der Heilpädagogik eine zentrale Rolle. Dabei sind in der Heilpädagogik insbesondere Kinder, Jugendliche und erwachsene Personen mit einem hohen und sehr hohen Unterstützungsbedarf zu fokussieren. Genau für diese Personengruppe bringt die UN-Behindertenrechtskonvention besondere Herausforderungen mit sich, die ohne vielfältige Aktualisierungen und Neujustierungen spezifischer heilpädagogischer Fachkompetenzen nicht zu bewältigen sind. In der aufzunehmenden (und gleichzeitig anzuregenden) Fachdiskussion müssen die Chancen des Inklusionsparadigmas ausgelotet und zugleich mit einer Professionalisierungsdebatte verbunden werden. Inklusion ist nicht allein auf Kindergarten und Schule und die damit verbundene wohnortnahe Betreuung und Beschulung bezogen, sondern betrifft insbesondere die Bereiche (Aus-)Bildung, Freizeit, Wohnen und Arbeiten gleichermaßen. Hier müssen Erfahrungen mit inklusionsorientierten Angeboten mit und ohne zugeschriebene Behinderungen zur Diskussion im Kontext des heilpädagogischen Handelns gestellt werden. Das lenkt den Blick auf das Fachgebiet selbst und offenbart eine Reihe von Widersprüchen. So lassen sich nach Hinz (2013, S. 5) zahlreiche Versuche finden, inklusive Pädagogik als Kontinuum bisheriger Heil- und Sonderpädagogik zu konstruieren, gleichwohl diese an der Segregation von Menschen mit Behinderungen in Geschichte und Gegenwart einen hohen Anteil und zugleich Einfluss (gehabt) hat. Noch immer orientiert sich der generelle Hilfebedarf an der Fragestellung von Behinderung im Sinne von heil- und sonderpädagogischen Förderbedarfen, so dass das Phänomen der Etikettierung weiterhin ebenso Bestand hat wie die Zweigruppentheorie (behindert – nicht behindert bzw. beeinträchtigt – nicht beeinträchtigt). Im Hinblick auf einen Paradigmenwechsel innerhalb einer gewünschten bzw. geforderten Dekategorisierung fragt Moser (2012, S. 1) nicht unbegründet, ob inklusive pädagogische Ausrichtungen überhaupt noch einen Behindertenbegriff benötigen. Auf die hierbei relevanten berufsethischen und methodologischen Themen und Fragestellungen kann an dieser Stelle nur verwiesen werden. Um diese in all ihrer Differenziertheit zu diskutieren, würde es einen weiteren Diskursband benötigen. Herausforderungen ergeben sich auch aus der Fragestellung, ob das Fachgebiet noch (stationäre) Sondereinrichtungen vor dem Hintergrund einer auf Inklusion ausgerichteten Heilpädagogik favorisieren darf, anstatt nach anderen Wohn- und Betreuungssystemen Ausschau zu halten, die eine sinnvolle Alternative zur wirksamen Begegnung spezifischer Risiken der Normalität darstellen (vgl. Theunissen 2011, S. 34). Die große Gefahr, so Degener (2009, S. 283 in Hazibar/Mecheril 2013, 2) mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention, bestehe darin, »(…) sich einem semantischen Trend der Zeit anzuschließen ohne sich ernsthaft mit dem Menschenrechtsmodell von Behinderung auseinanderzusetzen (ebda.)«. Inklusion als Folgebegriff von Integration droht dann zu einer Markierung auf dem Markt zu werden, unter der politische und pädagogische Konzepte versammelt sind, die teilweise wenig mit dem, was Inklusion programmatisch sinnvoll meinen kann, zu tun haben und unter dem Ausdruck Inklusion etwa weiterhin segregative Praxen konservieren (vgl. Hazibar/Mecheril 2013, S. 2). Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ist es entscheidend, dass nunmehr jedes Angebot dem Wollen, den Interessen und Bedürfnissen der sog. Nutzer (also der Menschen mit Beeinträchtigungen) entspricht und angesichts einer häufig erlernten Bedürfnislosigkeit institutionalisierter Menschen legitimiert wird. »Inklusion stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der grundsätzlichen Verfasstheit einer Gesellschaft, d. h. präzisiert, dass es dabei sowohl um deren Toleranz- und Inklusionsfähigkeiten als auch um deren Maßnahmen und Methoden gehen muss« (Hinz 2011, S. 111). Der fachliche Blick einer heilpädagogischen Professionalität darf demnach nicht Behinderung im Verständnis einer feststehenden Eigenschaft bestimmter Menschen (oder sogar Menschengruppen) und ihrer Beeinträchtigungen determinieren, sondern konsequent innerhalb eines systemtheoretischen Begründungszusammenhanges nach deren Auswirkungen fragen, die der Partizipation eines Individuums an der gesellschaftlichen Teilhabe im Wege stehen. Der noch in der jüngeren Vergangenheit der Heilpädagogik formulierte »Hilfe- und Förderbedarf« muss innerhalb dieser Sichtweise als »Förderanspruch« in (heil-)pädagogischen Konzepten konsequent pädagogisch und berufspolitisch realisiert und umgesetzt werden. Inklusion erfordert daher (basierend auf den Errungenschaften der Integrationspädagogik, diese jedoch methodologisch deutlich überschreitend), eine Entwicklung, die heilpädagogische Konzepte und Modelle erfolgreich erprobt und im Spiegel der Paradoxien der unvollendbaren Demokratie auf ihre flächendeckende Umsetzung hin diskutiert (vgl. Prengel 2012, S. 26 f). Mehr noch: »Wenn Inklusion nicht anhand einer intensiven Organisationsentwicklung und Fortbildung sorgfältig implementiert wird, kann sie in der Fläche nicht qualifiziert umgesetzt werden, weil es zu viele Menschen in der Bildungsforschung, -verwaltung und -praxis gibt, die die Essentials nicht verstanden haben. In der Praxis führt das dazu, dass inklusive Ansätze von solchen pädagogischen Fachkräften, die sie Grunde falsch finden, verfälscht werden, indem unter dem Namen Inklusion im Alltag Exklusion praktiziert wird« (ebda. S. 27). Die Gefahr, dass Inklusion als Sparmodell missbraucht werde, z. B. um sonderpädagogische Leistungsstunden einzusparen, sei laut Prengel nicht von der Hand zu weisen, so dass Inklusion Gefahr laufe, wegen Ressourcenmangels gegen die Wand gefahren zu werden (vgl. ebda. S. 27). Die Beiträge in diesem Buch wollen somit eine Fachdiskussion aufnehmen und zugleich weiter konkretisieren, die im gegenwärtigen Zeitraum eines sog. Paradigmenwechsels in der Eingliederungshilfe bzw. Heilpädagogik unumgänglich ist. Dabei gliedern sich die Beiträge in drei Bereiche: Im ersten Teil wird eine theoretische Positionierung einer auf Inklusion ausgerichteten heilpädagogischen Professionalität zur Diskussion gestellt. Der darauffolgende Teil stellt Umsetzungsbemühungen in eine inklusiv ausgerichtete, reflektierte Praxis dar, die eine Ressource für gutes heilpädagogisches Handeln darstellen. Der dritte Teil wird zweifellos Herausforderungen für das Fachgebiet Heilpädagogik offenbaren, weil die Beiträge auf verschiedenen Ebenen Inklusion zwischen Anspruch und Wirklichkeit darstellen. Hier soll es anhand der dargestellten Widersprüche um Denkanstöße darum gehen, welche Widersprüche vorhanden und ggf. wie und auf welche Weise sie auflösbar oder (noch) nicht auflösbar sind.   Literatur
  Graumann, S.: Inklusion geht weit über »Dabei sein« hinaus – Überlegungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Pädagogik. In: Balz, H.-J., Benz, B. & Kuhlmann, C. (Hrsg.): Soziale Inklusion. Wiesbaden: Springer 2012, S. 79–94 Hazibar, K. & Mecheril, P.: Es gibt keine richtige Pädagogik in falschen gesellschaftlichen Verhältnissen. Widerspruch als Grundkategorie einer Behindertenpädagogik. In: Zeitschrift für Inklusion online. Online unter:...


Dr. Christina Reichenbach hat die Professur für Heilpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Dr. Michael Wendler hat dort die Professur für Didaktik und Methodik der Heilpädagogik. Prof. Dr. Heinrich Greving lehrt Allgemeine und Spezielle Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule NRW in Münster.


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