Grober | Die Entdeckung der Nachhaltigkeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Grober Die Entdeckung der Nachhaltigkeit

Kulturgeschichte eines Begriffs

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

ISBN: 978-3-88897-847-0
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Nachhaltig ist heutzutage alles, von der Diät bis zum Ausbau der Kapitalkraft. Nachhaltigkeit ist aber unser ursprünglichstes Weltkulturerbe, ein Begriff, der tief in unserer Kultur verwurzelt ist und den es vor seinem inflationären Gebrauch zu retten gilt. Das von Joachim Heinrich Campe 1807 herausgegebene Wörterbuch der deutschen Sprache definiert das Wort 'Nachhalt' als das, 'woran man sich hält, wenn alles andere nicht mehr hält'. An was kann man sich halten, was bedeutet Nachhaltigkeit?
In diesem anschaulich erzählten Buch wird der Begriff 'Nachhaltigkeit' neu vermessen. Vor fast 250 Jahren avancierte er zum Leitbegriff des deutschen Forstwesens und bezeichnet seitdem die Verpflichtung, Reserven für künftige Generationen nachzuhalten. Das von Hans Carl von Carlowitz 1713 erstmals beschriebene Dreieck der Nachhaltigkeit – ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit – ist heute als 'sustainable development' in aller Munde.
Die Idee dieses Begriffs aber reicht noch weiter zurück. Sie findet sich im 'Sonnengesang' des Franziskus von Assisi genauso wie bei den griechischen Philosophen und den Philosophen der Aufklärung. Ulrich Grobers spannende (Zeit)Reise führt uns an den Hof des Sonnenkönigs und in die deutschen Fürstenstaaten, erzählt vom sächsischen Silberbergbau und vom Holzmangel. Und davon, dass die Nachhaltigkeitsidee überall, wo sie auftaucht, ein Kind der Krise ist, aber auch die Entstehung eines neuen Bewusstseins markiert. Des Bewusstseins, dass der Planet, auf dem wir leben, erhalten und bewahrt werden muss.
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ZWEI
  EIN SPERRIGER BEGRIFF
Begriffsverwirrung
Was assoziieren wir mit dem Wort Nachhaltigkeit? Ist es glasklar oder nebulös? Ist es vor allem ein Lichtblick, mit positiven Erwartungen besetzt? Oder ist es ein Langweiler? Setzt es Fantasien frei? Klärt es Zusammenhänge? Oder verschleiert es Abhängigkeiten? Wie auch immer man in seinem eigenen Wortschatz damit umgeht, man sollte möglichst genau wissen, wovon die Rede ist. In den letzten Jahren ist die Klage über die »inflationäre Verwendung«, die Verwässerung, die Begriffsverwirrung zum Mantra geworden. Aus meiner journalistischen Arbeit kenne ich Leute, die das Wort nicht in den Mund nehmen, ohne dabei mit gekrümmten Zeige- und Mittelfingern Gänsefüßchen in die Luft zu malen. Das Wort ist in das mediale Feuerwerk der Reklamesprache geraten. »Nachhaltigkeit der Diät«, »nachhaltige Befreiung der Kopfhaut von Schuppen«, »nachhaltiger Ausbau der Kapitalkraft« – nichts ist unmöglich. In der Schweiz weihte man einen Monat vor dem Kopenhagener Klimagipfel »die nachhaltigste Autobahn aller Zeiten« ein. Was meint, wer von »nachhaltigem Wachstum« spricht? Stetiges Wachstum des Bruttosozialprodukts oder eines Firmenimperiums mit allen damit verbundenen ökologischen und sozialen Kollateralschäden? Das Wachstum grüner Strukturen innerhalb einer womöglich schrumpfenden Ökonomie? Manchmal ist gedankliche und sprachliche Schlamperei im Spiel. Allzu oft freilich werden bewusst Nebelkerzen gezündet. »Greenwashing« nennt man das in den USA. In Anlehnung an das biblische »seine Hände in Unschuld waschen« – oder auch an die im Kalten Krieg aufgekommene Redewendung von der »Gehirnwäsche«. Aus der Verwirrung lässt sich Kapital schlagen. Der Trick ist simpel, aber nicht ganz einfach zu durchschauen. Denn das Wort führt im Deutschen ein Doppelleben: einmal als allgemeinsprachliches Wort, dann als politischer Begriff. Was bedeutet »nachhaltig« auf der Ebene der Gemeinsprache? Zunächst einmal tatsächlich nichts weiter als »nachdrücklich«, »intensiv«, »dauerhaft«. Siehe Goethes Wortwahl im »Wilhelm Meister«-Roman von 1796: »Er schien nunmehr zum ersten Male zu merken, daß er äußerer Hülfsmittel bedürfe, um nachhaltig zu wirken.« So weit, so gut. Das Verwirrspiel setzt da ein, wo die Ebenen verwischt werden. Wo man in der Sache im Rahmen der alltags sprachlichen Bedeutung bleibt, jedoch suggeriert, man meine die neue, ökologisch aufgeladene Bedeutung des Begriffs. Eine schlich te Gewinnerwartung für die nächsten zwei, vielleicht drei Jahre mutiert so zu einer nachhaltigen, will sagen: ökologisch verantwortlichen und sozial gerechten Rendite. Fatal ist es, wenn »Nachhaltigkeit« gegen vermeintlich überzogene Forderungen von Umweltschützern in Anschlag gebracht wird: Man erklärt den Bau eines Kohlekraftwerks zur »nachhaltigen« Lösung, weil es sauberer sei als das alte und Arbeitsplätze erhalte. Wo der Begriff seiner Substanz beraubt ist, lässt sich damit wenig – oder alles – machen. Noch den banalsten Vorgang, ja sogar die rücksichtsloseste Plünderung des Planeten, kann man mit diesem entkernten Begriff als »nachhaltig« ausgeben. Das Wort ist auf den ersten Blick nicht sonderlich attraktiv. »Nach« und »halt«, »-ig« und »-keit« – das klingt statisch, sperrig, irgendwie dröge. Selbst unter Experten ist das Unbehagen weit verbreitet. Bei einer Fachtagung in Berlin hörte ich vor einigen Jahren den damaligen grünen Umweltminister händeringend an das Auditorium appellieren, ihm eine bessere Übersetzung für sustainability zu liefern. Nachhaltigkeit sei schwerfällig, nicht vermittelbar, einfach »nicht sexy«. Aber was ist, wenn sustainability historisch eine Übersetzung von Nachhaltigkeit war – und nicht umgekehrt? Bei meinem Gang durch die Wälder der Aufklärung komme ich darauf zurück. Und was ist, wenn in der »Sperrigkeit« des Begriffs Nachhaltigkeit gerade sein subversives Potenzial liegt? Im Umfeld des Kopenhagener Klimagipfels von 2009 führten manche Thinktanks und Medien ein neues Vokabular ein. Von nun an soll eine klimagerechte Strategie den Weg in eine postkarbone Zivilisation bahnen. So notwendig der Übergang zu einer CO2-neutralen Entwicklung ist – dieses Vokabular kann das Wortfeld der Nachhaltigkeit ergänzen, den Hauptbegriff jedoch keineswegs ersetzen. Eine kleine Szene aus »Alice hinter den Spiegeln«, Lewis Carrolls Kinderbuch aus dem England des 19. Jahrhunderts, beschreibt den Mechanismus von semantischen Machtspielen aller Art: »›Wenn ich ein Wort gebrauche‹, sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, ›dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.‹ ›Es fragt sich nur‹, sagte Alice, ›ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann.‹ ›Es fragt sich nur‹, antwortete Goggelmoggel, ›wer der Stärkere ist, weiter nichts.‹ Alice war zu verwirrt, um darauf noch eine Antwort zu finden…« Wortkörper
Sustainability, hållbar utveckling, desarrollo sostenible, chi xu fa zhan, Nachhaltigkeit – im globalen Dorf ist das Wort allgegenwärtig. Speist man es nur in ein paar Sprachen als Suchbegriff bei Google ein, bekommt man innerhalb von Sekunden etliche Millionen Treffer. Es gibt, nimmt man das Internet als Messlatte, nicht viele Themen, die am Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts die Menschheit so stark beschäftigen. Der moderne Begriff hat jedoch tiefe Wurzeln und eine lange Tradition. Alte Wörter sind in der Regel mit den vergangenen Bedeutungen aufgeladen. Diese archäologischen Schichten möchte ich freilegen, um an das Potenzial heranzukommen, das sich dagegen sperrt, mit unserer gegenwärtigen Normalität gleichgeschaltet zu werden. Dazu ist es notwendig, mehrsprachig zu verfahren. Werfen wir zunächst einen Blick auf den Wortkörper in der Gestalt, wie er 1987 im Brundtland-Bericht der UN definiert ist: Sustainable development. Was genau bedeutet sustainable? Der eine Bestandteil der Wortbildung ist schnell erklärt. -able heißt können, fähig sein. Im Deutschen haben wir dafür das Suffix -bar. Holz kann brennen. Es ist brennbar. Komplexer ist das Verb sustain. Das Oxford English Dictionary aus den sechziger Jahren, also vor der neuen Begriffsbildung, behandelt es in mehreren Spalten und belegt es seit dem Mittelalter. Unter Punkt 4 erscheint die uns interessierende Bedeutungsebene. Sustain meint hier to keep in being. Übersetzt wäre das etwa im Dasein halten. Eine andere Umschreibung lautet: to cause to continue in a certain state, also: bewirken, dass etwas in einem bestimmten Zustand fortdauert. Dann: to keep or maintain at the proper level or standard etwa: auf dem angemessenen Stand erhalten. Und to preserve the state of, den Zustand von etwas bewahren. Demnach wäre sustainable wortgetreu zu übersetzen mit aufrechterhaltbar oder auf Dauer bewahrbar. Oder schlicht: tragfähig. Die englische Sprache ist, salopp gesagt, eine Kreuzung aus Plattdeutsch und Vulgärlatein. Sustain ist ein Wort lateinischen Ursprungs. Im lateinischen Wörterbuch finden wir mit annähernd gleicher Bedeutung die Verben sustinere und sustentare. Die Grundwörter sind jeweils sub (unter) und tenere (halten, tragen). Für die deutsche Übersetzung bietet das Wörterbuch an: aushalten, aufrechterhalten, tragen, stützen, bewahren, etwas zurückhalten. Mit dem letzten Eintrag sind wir ganz dicht an nachhalten. Wohl unterscheiden sich die Blickwinkel der beiden Wörter. Während sustentare mehr die Anordnung der Dinge im Raum, nämlich das Tragende, die Tragfähigkeit einer Struktur ins Visier nimmt, betont nachhalten die Zeitleiste, nämlich die Anlegung einer ausreichenden Reserve für die Zukunft. Semantisch aber – auf ihrer Bedeutungsebene – sind sich sustinere, sustainable und nachhalten, nachhaltig sehr nahe. Und das ist kein Zufall. Das allgemeinsprachliche Wort nachhaltig ist im Deutschen schon sehr früh zu einem fachsprachlichen Terminus geworden. Vor fast 250 Jahren avancierte es zum Leitbegriff des deutschen Forstwesens. Es bezeichnet seitdem die Verpflichtung der Forstwirtschaft, Reserven für künftige Generationen nachzuhalten. Mitte des 19. Jahrhunderts übersetzte man nachhaltige Forstwirtschaft ins Englische: sustained yield forestry. In dieser sprachlichen Form und mit klar umrissener Bedeutung gelangte es in die internationale forstliche Fachsprache und kurz nach Gründung der Weltorganisation auch in das Vokabular der Vereinten Nationen. Dort diente es wiederum drei Jahrzehnte später als Vorbild und Blaupause für die moderne Begriffsbildung...


Ulrich Grober, geb. 1949 in Lippstadt, Studium der Germanistik und Anglistik in Frankfurt/M. und Bochum, ist Publizist und Journalist. Seine Themenfelder sind Kulturgeschichte und Zukunftvisionen, Naturerfahrung, Nachhaltigkeit und Ökotourismus.


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