E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Groner Der rote Merkur (Wiener Kriminalroman)
Verbesserte Auflage
ISBN: 978-80-268-4475-4
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dunkle Seiten der bürgerlich-aristokratischen Gesellschaft
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-80-268-4475-4
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Der rote Merkur (Wiener Kriminalroman)' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Auguste Groner (1850-1929) war eine österreichische Schriftstellerin. Sie veröffentlichte auch unter den Pseudonymen Olaf Björnson, A. von der Paura, Renorga und Metis. Zunächst schrieb die produktive und vielseitige Feuilletonschriftstellerin Rätselgedichte, Jugend- und historische Heimaterzählungen. Für ihr Werk wurde sie bereits 1893 von der Literarischen Abteilung der Weltausstellung in Chicago geehrt. Seit 1890 erschienen auch zahlreiche Kriminalerzählungen und -Romane, die teilweise ins Skandinavische und Englische übersetzt wurden. Groner erfand den ersten Seriendetektiv der deutschsprachigen Literatur, Joseph Müller, der das erste Mal in der Erzählung Die goldene Kugel erscheint, die erstmals 1892 veröffentlicht wurde. Aus dem Buch: 'Sie sind schon wieder gereizt. Ihre Braut kam im Verlauf unserer Unterhaltung ganz von selbst darauf zu sprechen, daß sie mit Ihnen einen Teil des Abends verbrachte, und dabei äußerte sie, daß sie fürchte, Sie seien krank, da Sie sonst doch schon durch die Zeitungen wissen müßten, was geschehen sei. Sie seien aber heute noch nicht zu ihr gekommen. Bei dieser Gelegenheit ließ sie durchblicken, daß sie beide der Tante wegen des Hochzeitsaufschubes schon längere Zeit zürnten, und daß Sie gestern noch eine harte Bemerkung über Frau Schubert machten.'
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Zweites Kapitel.
Die vollen, ernsten Glockenklänge vom Turm der Stephanskirche kündeten die siebente Abendstunde an. Einige Minuten später traten aus einem. Hause der Kärntnerstraße etliche junge Mädchen. Sie alle hatten es sehr eilig. Es waren Schneiderinnen, die im »Salon Irene« täglich acht Stunden lang hübsche Toiletten für – andere machten und froh waren, wenn die abendliche Freiheit anbrach. Daher ihre Eile. Sofort waren sie im Gedränge verschwunden.
Eine der jungen Arbeiterinnen, die etwas später das Haus verließ, eine hübsche, bescheiden und doch sehr nett gekleidete Brünette, war vor dem Tore stehen geblieben. Nach rechts und nach links schaute sie sich um, aber der, der sie fast allabendlich hier erwartete, war heute noch nicht da.
Anna Lindner trat wieder in den Hausflur zurück und wartete. Sie mußte über sich selbst lächeln, über die Ungeduld, mit der sie heute ihren Arbeitsgenossinnen nachgeeilt war, was sie sonst doch nie tat, denn ihr Verlobter konnte ja im besten Falle erst zehn Minuten nach sieben Uhr zur Stelle sein. So lange brauchte er mindestens, um von seiner Buchhandlung bis zu ihrem Geschäftshause zu kommen.
Aber zuweilen verspätete er sich auch. Dann wartete sie, wie jetzt, im Hausflur auf ihn, denn in der gerade um diese Zeit sehr belebten Straße könnte sie ihn verfehlen, wenn sie ihm entgegengehen würde.
Eine Viertelstunde verging. Das Mädchen wurde ungeduldig. Gerade heute hätte Otto pünktlich sein sollen. Sie wollten doch in der Rotenturmstraße bei einem Ausverkauf einige Wäschestücke für ihre künftige Wirtschaft kaufen. Wenn Otto nun nicht bald kam, wurde jenes Geschäft geschlossen.
Er kam nicht.
Als es schon nahezu halb acht Uhr war, ging Anna ein bißchen geärgert und ein bißchen beunruhigt nach Hause. Gerade auf den heutigen Abend hatte sie sich so gefreut.
Zu ihrer ziemlich am äußeren Ende des fünften Stadtbezirks gelegenen Wohnung brauchte sie fast drei Viertelstunden. Sie legte diesen Weg früh und abends zu Fuße zurück, was bei ihrem sitzenden Berufe geradezu eine Notwendigkeit für sie war. Ihr Mittagessen nahm sie in einem bescheidenen Gasthause ein, das in der Nähe ihres Geschäfts lag. So ersparte sie mittags den weiten Heimweg und gewann eine Arbeitsstunde mehr, für die sie selbstverständlich besonders entlohnt wurde.
Es war alles sehr genau eingeteilt im Leben dieser kleinen Schneiderin, in diesem so einförmigen und so bescheidenen Leben, darin es so viele Plage und so viele Entbehrungen gab. Freilich auch viele Freuden, denn Anna Lindner war eine große Lebenskünstlerin. Sie verstand es, sich Freude zu machen. Jeder schöne Tag war ihr schon eine solche, und mußte sie durch Regen und Sturm, dann freute sie sich schon im voraus auf ihr warmes Plätzchen im Geschäft oder im Heim ihrer alten Tante, bei der sie, die Waise, schon mehrere Jahre lebte.
Auch über die feinen Toiletten, bei deren Anfertigung sie mit tätig war, freute sie sich; sie hatte eben ein Interesse an allem Schönen, das an sie herantrat.
Und wie glücklich wurde sie durch ihre Liebe, durch dieses herzliche, innige Verhältnis zu ihrem Verlobten gemacht! Sie kannte ihn schon ein ganzes Jahr. Seit dem Sommer war sie seine verlobte Braut und schwamm schier im Glück.
Freilich ein Schatten lag doch darauf. Tante Therese war nicht ganz einverstanden mit dieser Brautschaft. Otto Falk hatte ja noch keine sichere Anstellung. Sonst hatte sie nichts gegen ihn einzuwenden.
Und Anna selbst? Nun, die hatte überhaupt nichts gegen ihn einzuwenden, die liebte ihn eben und war bereit, bis an ihr seliges Ende ihre Nadel zu gebrauchen, wenn sie nur Ottos Frau werden konnte.
Gerade heute sehnte sie sich so sehr nach ihm und mußte nun den weiten Weg allein machen. Die Augen wollten ihr naß werden.
Aber sie bezwang sich. »Er hat halt eine Abhaltung gehabt,« dachte sie bei sich und schritt tapfer aus.
An diesem Augenblick tauchte aus der dahinhastenden Menge der Leute Otto vor ihr auf, bemerkte sie aber noch nicht.
An ihr stieg ein Schrecken auf. Wie blaß er war! An düsteres Sinnen verloren starrte er vor sich hin und sah das Nächste nicht, denn soeben stieß er wie ein Blinder an einen der Vorübergehenden an.
Ein ärgerlicher Ausruf des Mannes brachte ihn zu sich. Er fuhr sich über die Augen und murmelte mechanisch eine Entschuldigung.
Das waren die Vorgänge weniger Sekunden. Dann stand Anna dicht vor ihrem Verlobten und sagte, ihre Hand auf seinen Arm legend, besorgt: »Aber Otto! Was ist dir nur, und woher kommst du jetzt erst? Ich hab' nimmer gemeint, daß ich dich heut noch sehen würde.«
Sonst sah er so glücklich aus, wenn er ihrer ansichtig wurde. Heute seufzte er, drückte ihre Hand lange und fest, zog ihren Arm in den seinen und machte kehrt.
»Grüß dich Gott!« sagte er wie sonst, aber seine Stimme hatte keinen Klang, sein Auge keinen Glanz.
An Annas Herzen wuchs die Sorge. »Du kommst spät,« sagte sie gepreßt.
Er nickte und erwiderte: »Ich hab' schon gefürchtet, ich verfehle dich.«
»Was er nur hat?« dachte sie. Laut fragte sie: »Woher kommst du denn?«
Sie erhielt nicht sogleich eine Antwort darauf. Endlich sagte er: »Einen Geschäftsgang hab' ich gehabt.«
»Und nicht gut ist dir,« bemerkte sie, verstohlen sein Gesicht betrachtend, das ihr heute merkwürdig verändert, so spitz, so verfallen vorkam.
»Stimmt. Es ist mir ziemlich übel,« gab er zu. »Schon seit Mittag befinde ich mich körperlich recht unwohl. Du mußt es mir ja ansehen.«
Das Wort »körperlich« hatte er besonders betont. Seiner Begleiterin war das aufgefallen. Eine eigentümliche Scheu hielt sie aber davon ab, weitere Fragen zu stellen. Sie sagte nur: »Es wird dir gut tun, wenn du bei uns zu Hause eine Tasse heißen Tee trinkst. Es schüttelt dich ja förmlich.«
Ganz bestimmt hatte er Fieber. Auch übelgelaunt war er. »Es wäre mir lieber, wenn wir in ein Kaffeehaus gingen,« meinte er kurz und heftig, um gleich danach hinzuzusetzen: »Weißt du, ich bin heute sehr reizbar. Man hat schon solche Tage, da bin ich lieber mit dir allein. Geh, komm hier herein. Da ist's gemütlich.«
»Gemütlich!« dachte Anna, hinter ihm in das Kaffeehaus tretend. »Heute wird es kaum gemütlich werden!«
Ein paar Minuten später saßen sie in einer Ecke, und jedes hatte eine Tasse Tee vor sich.
Otto stürzte die heiße Flüssigkeit gierig hinunter, Anna trank in kleinen Schlucken, denn sie wurde immer besorgter, seit sie sein Gesicht in heller Beleuchtung sah. Es sah aus, wie das Gesicht eines Menschen aussehen kann, der erst kürzlich etwas Aufregendes erlebt hat, etwas, dessen er noch nicht Herr geworden ist.
Jetzt setzte er die geleerte Schale klirrend vor sich hin. Er konnte sie offenbar in den zitternden Händen nicht halten.
»Jetzt sprich, Otto! Was ist geschehen? So wie heute hab' ich dich noch nicht gesehen.«
Da neigte er sich ihr entgegen, streckte ihr die Hand hin, und sein Gesicht glättete sich, seine Augen verloren die Düsterkeit. »Die Hauptsache ist, daß du mich immer gern hast,« sagte er, und sein hübscher Mund zuckte.
Jetzt fiel alle Angst von ihr ab. Sie lächelte und flüsterte zärtlich: »Aber Otto, wie kannst du denn daran zweifeln? Selbstverständlich hab' ich dich immer gern. Ich wüßt' gar nicht, wie ich es anfangen sollt', dich nicht gern zu haben. Denk' ich doch schier den ganzen Tag nur an dich und an die Zeit, in der wir immer beisammen sein werden. Und wenn die Tant' Resi unsere Hochzeit auch hinausgeschoben hat, einmal werden wir einander ja doch heiraten, und bis dahin mußt halt du auch Geduld haben.«
»Freilich, bis dahin muß ich auch Geduld haben,« entgegnete er bitter, »denn sie hat das Geld und kann Bedingungen machen, die sich so ein armer Teufel, wie ich einer bin, eben gefallen lassen muß.«
»Otto!«
»Ja, ja, ich bin schon wieder ruhig. Erlaube mir nur, es lächerlich zu finden, daß so eine alte Frau, die es längst scheu vergessen hat, was Liebe ist, wegen der viertausend Kronen, die sie dir versprochen hat – du hast sie allerdings noch mit keinem Auge gesehen, diese versprochenen viertausend Kronen –, daß also so eine alte Frau es sich herausnimmt, zu bestimmen, wann zwei Leute, die sich gern haben, miteinander glücklich sein dürfen.«
»Aber hat sie denn nicht recht, bei deinem kleinen Einkommen und meinem noch viel kleineren Verdienst, um unsere Zukunft besorgt Zu sein? Sie meint es ja nur gut mit uns.«
»Gut meint sie es? Und mit uns? Nein, Anna, mit mir meint sie es ganz gewiß nicht gut. Glaubst du, ich spüre all die kleinen und großen Bosheiten nicht, mit denen sie dich und mich zum Auseinandergehen bringen will? Sie hat mir's ja doch mehr als einmal angedeutet, daß ich dich noch einmal unglücklich machen werde. Nun, sie hat vielleicht recht!«
»Otto! – Aber nein, heute bist du nicht für deine Reden verantwortlich. Du bist ganz einfach krank. Deine Hand ist ja eiskalt, und schon deine ganze Laune sagt, daß dir etwas fehlt. Es ist halt ein verlorener Abend. Nicht der erste ist es, und es wird nicht der letzte sein, den du uns durch solch eine Stimmung verdirbst. Ach, wie hab' ich mich gerade auf den heutigen Abend gefreut! Meine ganzen Ersparnisse hab' ich mitgenommen – siebenundvierzig Kronen. Ein Dutzend Handtücher habe ich mir kaufen wollen, solche mit Einfassung, weißt du? Und zwei Tischtücher und ein Dutzend Servietten. Dazu hätte es gerade gelangt. Ich hab' mir alles schon...




