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E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

Große Der Tod im Leben

Philosophische Deutungen von der Romantik bis zu den ›life sciences‹
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2008
ISBN: 978-3-7873-3335-6
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Philosophische Deutungen von der Romantik bis zu den ›life sciences‹

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

ISBN: 978-3-7873-3335-6
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als 'Philosophie des Lebens' galt in den letzten Jahrhunderten Verschiedenes. Neben eine Auffassung als 'Lebenskunst' seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert trat der Anspruch eines antispekulativen Philosophierens 'aus dem Leben' (F. Schlegel, Novalis). Mit Dilthey, Simmel, Bergson wurde die 'Lebensphilosophie' Ende des 19. Jahrhunderts zur akademischen Strömung, deren Denkmotive bis in die Gegenwart vielfältig fortwirken.

Auffällig ist die Vermittlungslosigkeit zwischen diesen Richtungen und dem heutigen Nachdenken über Leben und Tod unter dem Aspekt der sog. life sciences bzw. der 'Bioethik'.

Das Buch bietet eine Strukturgeschichte der 'Philosophien des Lebens', die erstmals auch deren naturwissenschaftliche und naturphilosophische Ausläufer mit einbezieht. Zudem werden Probleme aktueller 'Biopolitik' berücksichtigt. Den Leitfaden bildet eine Typologie von vier Problemstellungen, anhand derer sich über Leben und Tod philosophieren läßt. Sie soll Laien wie Fachwissenschaftlern zur ersten Orientierung dienen.

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Historischer Vorblick


Als ›Philosophie des Lebens‹ oder ›Lebensphilosophie‹ galt während der letzten 250 Jahre Verschiedenes.1 Die ältesten Verwendungen zeigen den Terminus in der semantischen Nähe von ›praktische Philosophie‹, ›Philosophie für jedermann‹, ›Lebensweisheit‹, auch ›Lebenskunst‹. ›Praktisch‹ wollte die Lebensphilosophie des 18. Jahrhunderts nicht allein im Sinne der rationalistischen Schulphilosophie sein, die damit einen Themenbereich neben dem theoretischen benannt hatte. Die frühen Philosophen des Lebens, meist im Gefolge Rousseaus, wollten sich an den ›im Leben Stehenden‹ wenden, die Philosophie sollte ihm durch eine andere – spontan-unmittelbare, z. B. gnomische, aphoristische – Ausdrucksweise nicht mehr fremd und herrisch gegenüberstehen.

Um 1800 hatte sich dieser Philosophiestil in Deutschland institutionell etabliert in eigenen Zeitschriften (»Magazin der Philosophie des Lebens«) und Lehrtechniken. Gegen die drohende Verfestigung zur abrufbaren Lebensweisheit protestierte bald schon eine andere Strömung, die mit ›Philosophie des Lebens‹ ein Philosophieren dem Leben geltend macht (F. Bouterwek, F. Schlegel). Bei diesen Philosophen ist eine angezielt, die der reflexiven Selbstdurchdringung zugleich bedarf und fähig ist. Die Erhebung ›des Lebens‹ zum Maß und Medium des Denkens überhaupt ist schließlich ein Grundzug jener »Deutschen Bewegung«, die H. Nohl zufolge vom geschichtlichen Veränderungsgefühl und -glauben Hamanns und Herders zu Novalis und der frühen Romantik führt. Hier ist der antitheoretische Impetus gleichermaßen als Philosophiestil wie -ziel wirksam. Das Mißtrauen gegenüber ›Spekulation‹, ›Abstraktion‹, ›System‹ ist unübersehbar. Gegen ›Verstand‹ wird ›Erfahrung‹ aufgeboten, die gefühlshaft und individuell sein kann, aber auch – wie im Fall der Schellingschüler – Anleihen bei den Einzelwissenschaften (Physik, Psychologie, Biologie) nicht verschmäht.

Diese vielsinnigen und wirkungsgeschichtlich zerstreuten Ansätze systematisiert und synthetisiert später eine historisch ihrer selbst bewußte ›Lebensphilosophie‹, für die in Frankreich die Namen Guyau und Bergson, in Deutschland vor allem Dilthey, Yorck von Wartenburg, Simmel stehen. Keine Schule bezeichnet dagegen jener ›Vitalismus‹, der im ausgehenden 18. Jahrhundert eine der konkurrierenden Hypothesen über die Entstehung und Entfaltung der organischen Lebensvorgänge bildet. Der Vitalismus und Neovitalismus des 19. Jahrhunderts will freilich wissenschaftliche oder in Auseinandersetzung mit den Wissenschaften fundierte Philosophie sein. Im beginnenden 20. Jahrhundert wird sichtbar, daß und wie ein von den ›Lebenswissenschaften‹ her gedachtes Seinsverständnis zur naturwissenschaftlichen Alternative der akademischen wie der populären ›Lebensphilosophien‹ aufsteigen kann.

Die historisch aufgetretenen Bedeutungsfacetten von ›Lebensphilosophie‹ sind nicht restlos aufeinander reduzierbar, etwa in einer ›Geschichte des Lebensproblems‹. Von einer kontinuierlichen Begriffsgeschichte kann im deutschsprachigen Raum ohnehin erst ab ca. 1800 die Rede sein, als nämlich Wort- und Bedeutungsgeschichte sich in einer Weise überschneiden, die fortan die typische Spannung von lebensphilosophischen Ansprüchen bezeichnen wird: nämlich , zunehmend akademisiert und verwissenschaftlicht, ein spezifisches zu bearbeiten, dies aber in einer Weise zu tun, die aus dem Fächerkanon von philosophischen Unterdisziplinen, Spezialmetaphysiken u. ä. hinaustreibt in eine – zunächst gewiß nur intellektueller – .

›Lebensphilosophie‹ ist zu einem beträchtlichen Teil Polemik, zehrt vom Bekämpften, dem sie aber nicht simpel Gegenposition, sondern Sinndeutungs- und Sinnbegrenzungsmacht bedeuten will: Lebensphilosophie hält stets auch Deutungen bereit, wie es zu den philosophischen, metaphysischen, theoretischen Verstellungen und Verfälschungen von ›Leben‹ kommen konnte. Die Möglichkeit des falschen, reduzierten, scheinhaften Lebens bildet eine ihrer dauerhaften Fragen. Diese Ambivalenz, aus der Zweiheit von Opposition gegen jegliche Lebensverengung Sachwaltungsanspruch für ein ursprüngliches, alles Einseitige generierendes, wenn auch unergründliches Lebensganzes, massiv erstmals aufgeboten gegenüber der philosophisch-literarischen ›Klassik‹ um 1800, ist durchgängig. Die Herkunft aus der geistesgeschichtlichen Gemengelage von absolutheitssüchtiger Verstandesspekulation und einhergehender Nihilismusangst, von europäischen Revolutionen und nationaler Romantik bleibt auch den späteren, akademischen Varianten der ›Philosophie des Lebens‹ anzumerken. Deshalb hat sie, anders als z. B. die Existenzphilosophie, terminologisch wie denkstrategisch nicht auf die schroffe Entgegensetzung zur Profession und Institution gewordenen Philosophie gebaut. Mit dem ›Leben‹ glaubte sie sich jener Macht unmittelbar versichert, die binden und lösen kann und worauf konkurrierende Denkrichtungen in ›System‹ und ›Schule‹ gewiß gleichfalls abzielen, nur eben über den gefährdeten Umweg von ›Form‹, ›Vergegenständlichung‹, ›Geist‹, ›Objektivation‹.

Eine beachtliche Freiheit der Methode und Weitläufigkeit der Themen waren dadurch, zumindest auf den ersten Blick, verheißen. ›Philosophie des Lebens‹ schien in die lange Reihe der Genitivphilosophien zu gehören, zu jenen Philosophien der Technik, des Geldes, des Wissens, der Kultur usw., die ein selbsterteiltes Placet zu lockerer Reflexion zwanglos erweitern konnte. Die Freiheit des Denkens reichte hierbei so weit wie die Zahl der Themen, die ihm als Lebensphänomene begegnen mochten. Für die Brisanz eines Denkens, das ›lebensphilosophisch‹ sein will, kommen fraglos beide Formen des Genitivs in Betracht: ›Lebensphilosophie‹ enthält als strukturelle Möglichkeiten gleichermaßen das Ausgehen Leben wie den Ausgang Leben. Die Komplikationen, Ambivalenzen, Verwerfungen ihrer Denkgeschichte sind kaum verstehbar ohne diese doppelte Hinsicht.

Allerdings gibt es hier einige Möglichkeiten, die nie ganz entfaltet wurden, die blieben, damit aber auch den Ausblick auf eine Strukturgeschichte2 der Lebensphilosophie entlang strikten Alternativen eröffnen: . Diese Merkwürdigkeit könnte für ein Phänomen erst unserer Tage gelten: Das Versiegen traditionell lebensphilosophischen Theoriebemühens vor den Problemexpositionen der kommerziell und politisch forcierten ›Lebenswissenschaften‹ ist augenfällig. Doch auch in den Blütezeiten der Lebensphilosophie um 1800 und um 1900, im weiteren von Denkformationen, die ohne normative und theoretische Privilegierung des Terms ›Leben‹ schwer vorstellbar wären, spielen der Tod bzw. das Sterben in ihrer alltäglichen Erfahrbarkeit eine nur geringe Rolle. An Aussagen über Tod und Sterblichkeit ist zwar kein Mangel, doch treten diese in einer merkwürdigen Verstecktheit bzw. Vermitteltheit, zumeist hinter tradierten Topoi der Metaphysikgeschichte (z. B. als Untersterblichkeitsfrage) auf. Das fällt vor allem beim Vergleich mit den verschiedenen Varianten der Existenzphilosophie ins Auge. Man könnte meinen, ein Theorietyp oder Denkstil, der, wenngleich oft erst postum, ein Oppositionsglied wie ›Leben‹ zu seinem Titel erhob, sollte begrifflich und argumentativ einen Bezug zu dem entgegengesetzten Oppositionsglied besitzen. Nun wäre es sicherlich eine ›substraktive Täuschung‹ (Quine), bei einer ›Philosophie des Lebens‹ besondere Nähe zu Erfahrungsgegenständen namens ›Leben‹ und ›Tod‹ zu vermuten. Das zeugte allenfalls von einem Denken, das vergleichsweise dem Theologen eine besondere Gottesnähe zuschriebe. Bei den diversen ›Philosophien des Lebens‹ liegt der Fall offensichtlich anders; hier fällt gerade die fast betonungslose Geläufigkeit des Genitiv-Gegenstandes auf. Die begriffliche Bestimmung von ›Leben‹ erschöpft sich vielfach in emphatischen Tautologien bzw. Wiederholungen; viel aussagekräftiger ist meist die Polemik gegen die Fehl- und Verfallsformen von ›Leben‹. Was Lebensphilosophie gegenüber anderen philosophischen Theorietypen als auch in ihren historischen Varianten sei, wird sich demnach eher an Ausschließungen bzw. Restriktionen des Lebensbegriffs bestimmen lassen, die unterhalb der vertrauten Schlagworte zu suchen sind, die auch andere philosophische Strömungen verwenden. Hier allerdings liegt der Bezug zum Tod nahe....


Jürgen Große (*1963) ist promovierter Historiker und habilitierter Philosoph, nach mehrjähriger Lehrtätigkeit im In- und Ausland lebt er heute als Buchautor in Berlin.



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