Grue | Die Kunst zu sterben | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 3, 448 Seiten

Reihe: Dan Sommerdahl

Grue Die Kunst zu sterben

Sommerdahls dritter Fall
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-03792-042-8
Verlag: Atrium Verlag AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Sommerdahls dritter Fall

E-Book, Deutsch, Band 3, 448 Seiten

Reihe: Dan Sommerdahl

ISBN: 978-3-03792-042-8
Verlag: Atrium Verlag AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Bücher, bei denen man vergisst, im Bus an der richtigen Haltestelle auszusteigen" - so beschreibt Annemarie Stoltenberg, NDR, die Fälle von Dan Sommerdahl. Dänische Krimikost vom Feinsten: raffiniert, packend und erfrischend bissig.

Die dänische Provinzstadt Christianssund steht kopf: Die hoch angesehene Literaturkritikerin Ingegerd Clausen liegt ermordet im Atelier ihrer Tochter Kamille. Kommissar Flemming Torp hat einen Verdacht, aber keine Beweise. Als Kamille zusammen mit Torps Jugendfreund und Privatermittler Dan Sommerdahl in die TV-Reality-Show Mörderjagd eingeladen wird, wittert Torp eine Chance. Er bittet Dan, Kamille zu beschatten - und vor laufender Kamera verdeckte Ermittlungen anzustellen. Dan und Kamille werden gemeinsam mit den anderen Teilnehmern in den Mauern eines alten Sanatoriums auf einem Eiland untergebracht, das im Volksmund nur "Die Seufzerinsel" genannt wird. Die Show, in der die Zuschauer die Teilnehmer "ermorden", indem sie sie aus der Sendung wählen, beginnt. Als Dan kurz darauf in seinem Bettkasten eine schreckliche Entdeckung macht, muss er erkennen, dass neue Regeln auf der Seufzerinsel gelten - und dass das Morden plötzlich kein Spiel mehr ist.
Grue Die Kunst zu sterben jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Vorgeschichte


August

1


Viertel vor zwei. Höchste Zeit, zu verschwinden. Kamille konnte jeden Moment nach Hause kommen, und Ingegerd hatte absolut keine Lust, noch einmal erwischt zu werden. Die kleinen donnerstäglichen Rundgänge im Haus der Tochter sollten möglichst geheim bleiben. Als sie zum ersten Mal entdeckt worden war, hatte sie gesagt, es handele sich um ein Missverständnis. . Beim zweiten Mal war es ein wenig peinlich gewesen. . Aber ein drittes Mal? Es hieße, das Schicksal herausfordern.

Ingegerd war sich sicher, dass Kamille dann die Schlösser auswechseln lassen würde. Und man hätte es ihr nicht einmal verdenken können. Im Grunde war es eine Schande, die eigene Tochter auszuspionieren. Erbärmlich. Ingegerd hasste sich dafür. Die naheliegendste Lösung wäre natürlich gewesen, sofort damit aufzuhören und das zu tun, was sie ihrem Mann gegenüber immer zu tun behauptete.

Doch so entschieden ihre Vorsätze auch waren, sobald sie ihre Wohnung verlassen hatte, waren sie oft genug vergessen. Dann landete sie vor Kamilles rot lackierter Haustür, an der eine perfekt getrimmte Buchsbaumkugel Wache hielt und sie wie ein riesiger dunkelgrüner Augapfel anglotzte. Sie klingelte. Redete sich ein, dass sie wieder gehen würde, wenn niemand reagierte. Nach Hause zu Jørn. Ingegerd versuchte wirklich zu widerstehen, aber vergeblich. Den Schlüssel ins Schloss, Klinke gedrückt, Tür auf; ein letzter Blick auf das Buchsbaum-Auge, bevor sie lautlos die Tür hinter sich schloss und im dunklen Eingangsbereich stehen blieb. Sie nahm den vertrauten Geruch des Hauses wahr, während sie die vier Ziffern eintippte, mit denen die Alarmanlage abgeschaltet wurde.

Donnerstags unterrichtete Kamille an einem Gymnasium in Kopenhagen. Und Ingegerd nutzte die Gelegenheit, sich ungestört in dem hellen, ordentlichen Heim aufzuhalten, das den Mittelpunkt des Lebens ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns bildete. Eines Lebens, von dem Ingegerd sich von jeher ausgeschlossen fühlte. Sicher, man sah sich, so war es nicht, aber dennoch … Ingegerd hatte es im Grunde aufgegeben, wissen zu wollen, was an ihrem Verhältnis nicht stimmte. Eng war es jedenfalls nicht, aber so verhielt es sich vermutlich bei vielen Müttern und Töchtern. Daran lag es nicht. Oder nicht nur. Kamille und sie waren so verschieden, dass man nicht vermutete, sie seien Mutter und Tochter. Hätte Kamille nicht diese langen, seitlich gebogenen Finger geerbt, würde Ingegerd tatsächlich den Verdacht hegen, es könnte auf der Entbindungsstation zu einer Verwechslung gekommen sein. Ihrem Vater ähnelte sie schon mehr. Das Misanthropische hatte sie von ihm, jedenfalls bildete Ingegerd sich das ein. Ebenso die Haarfarbe. Hin und wieder zweifelte Ingegerd, ob sie ihr einziges Kind überhaupt mochte. Ein Gedanke, den sie mit aller Macht zu verdrängen suchte, der sich aber langsam und stetig in ihr Bewusstsein bohrte. Schwer zu ertragen. Es war eine Sache, dass sie ihren Mann satthatte, aber eine ganze andere, dass sie allmählich die Liebe zu ihrer erwachsenen Tochter verlor.

Ingegerd kannte durchaus auch Kamilles andere, die entgegenkommende, charmante Seite. Die zeigte sich allerdings eher bei offiziellen Anlässen, bei Empfängen, Vernissagen und Einladungen zum Abendessen. Andere Menschen bewunderten Kamille, hielten sie für eine gute Gesellschafterin, und gewisse ältere Kunstprofessoren eiferten geradezu um ihre Gunst. In Wahrheit war sie wohl nur gegenüber Ingegerd so distanziert. Kamille lud ihre Eltern häufig zu derartigen Veranstaltungen ein. Ingegerd versuchte dann, sich über die Aufmerksamkeit zu freuen, das gute Essen zu genießen und sich einzubilden, sie seien aus Freundlichkeit, ja vielleicht sogar aus einer Art von Liebe eingeladen worden. Tief in ihrem Inneren wusste sie jedoch genau, dass sie nur als glamouröse Staffage dienten. In Kamilles und Lorenz’ Kreisen war Jørn Clausen als einer der hervorragendsten Lyriker seiner Generation bekannt, und Ingegerds Ruf als scharfe und engagierte Literaturkritikerin bei Dänemarks größter Tageszeitung war noch nicht verblasst, obwohl sie bereits vor mehreren Jahren in Rente gegangen war. Die beiden hoben ganz einfach das Niveau bei gesellschaftlichen Ereignissen.

Die geselligen Anlässe verbesserten das Verhältnis zwischen Kamille und Ingegerd indes nicht. Im Gegenteil. Ingegerd fiel es unglaublich schwer, ihre Verwirrung zu verbergen, wenn Kamilles Gesicht sich innerhalb einer Viertelsekunde – der Zeit, die es brauchte, um den Blick von dem Gesicht eines einflussreichen Museumsdirektors auf das Gesicht ihrer Mutter zu richten – von zuvorkommender Nähe in eine ausdruckslose Maske verwandelte. Jedes Mal riss eine weitere Faser in dem Band, das sie eigentlich verbinden sollte. Jedes Mal wuchs in Ingegerd das Gefühl, ihre Tochter sei eine Fremde. Und jedes Mal zerriss sie der Kummer.

Vor knapp einem Jahr hatte Kamille ihr eines Tages plötzlich einen Schlüssel zu ihrem Haus gegeben. Ob die Mutter so nett sein und die Post aus dem Briefkasten nehmen könne, während sie und Lorenz für ein paar Wochen nach Los Angeles reisten? Und wenn sie bei der Gelegenheit auch die Blumen gießen würde? Dann wäre sie ihr sehr dankbar. Ingegerd hatte selbstverständlich zugestimmt. Man ist doch ein hilfsbereiter Mensch, eine liebevolle Mutter. Sie hatte es in keiner Weise bereut. Denn dort, in Kamilles leerem Zuhause, empfand sie endlich – zum ersten Mal wieder, seit die Tochter klein war – eine Art Nähe. Ingegerd lief in Strümpfen über den kalten Fußboden, hob hier ein Kissen, rückte dort ein schief hängendes Bild zurecht und blätterte im Atelier in Kamilles Skizzenbüchern, während ihre Füße eiskalt wurden. Bereits beim zweiten Besuch nahm sie sich Hausschuhe mit, und von da an lagen immer ein Paar Slipper in einer ihrer Fahrradtaschen; ein physisches Zeugnis, dass sie trotz guter Absichten nicht im Sinn hatte, die heimlichen Besuche im Haus ihrer Tochter aufzugeben.

Sie fand es großartig, in Kamilles Atelier umherzugehen und die fertigen und halb fertigen Werke ihrer Tochter zu begutachten. Zum ersten Mal konnte sie sich ihre Kunst ansehen, ohne dabei scharf beobachtet zu werden. Wenn ihr danach war, konnte sie vor einer Skulptur stehen bleiben und sie eine ganze Stunde lang betrachten. Es gab niemanden, der ihr eine Meinung abnötigte und danach beleidigt war, weil sie gesagt hatte, was schließlich gesagt sein musste.

Unglücklicherweise erlaubte Ingegerd Clausens unbestechliche Rezensentenseele ihr nicht zu lügen. Nicht einmal ihrer Tochter gegenüber. Sie brachte es nicht fertig, begeistert über die kühl kalkulierten Skulpturen aus Gips, Stahl, Draht, Glas- und Spiegelstücken zu jubeln. Egal, aus welchem Winkel man sie ansah, das eigene Spiegelbild wurde zu einem Teil des Werkes, Seite an Seite mit einigen stark vergrößerten Details aus Kamilles eigener Physiognomie – eine riesige Brustwarze hier oder der Ausschnitt eines Ohres dort. Ingegerd gewöhnte sich nie daran, wie sie sich in den Skulpturen auf geradezu beunruhigende Weise mit ihrer Tochter vermischte. Es erschien ihr falsch, zumal wenn sie an die Distanz dachte, die in der Realität zwischen ihnen herrschte. So gesehen wirkte die Vermischung quälend intim und aufdringlich. Ingegerd hatte die Werke ihrer Tochter nie gemocht, doch durch die vielen Stunden, die sie allein mit ihnen verbracht hatte, war sie inzwischen vielleicht ein klein wenig immuner geworden. Auf ihren donnerstäglichen Runden konnte sie die Entstehung jeder einzelnen Skulptur verfolgen und sich langsam an sie gewöhnen; so überwand sie ihr Unbehagen und reagierte entspannter, wenn Kamille sie öffentlich präsentierte.

Das Atelier war ebenso aufgeräumt wie der Rest des Hauses. In hübschen, handgefertigten Schachteln lagen Spiegelreste, Zeichenkohle, Papier und andere Kleinigkeiten ordentlich aufgereiht in den Designerregalen. In der untersten Regalreihe standen glänzende viereckige Stahlbehälter, die sorgsam mit Deckeln verschlossen waren. In ihnen bewahrte die Künstlerin Gipspulver und einige größere Maschinen auf, die mit ihren unpraktischen Kabeln und klobigen Formen nicht einfach herumliegen sollten. Kamilles Arbeitstisch bestand aus einer drei Quadratmeter großen lackierten Holzfaserplatte, auf der nicht ein einziges Stück Papier an der falschen Stelle lag. Die Skizzen in einem Stapel, die Texte in einem anderen. Der Fußboden – ein auf Hochglanz polierter Betonboden, der wie feinstes Marmor schimmerte – war stets sorgfältig gefegt und geputzt. Sämtliche Spuren der täglichen Arbeit mit Gips, Draht und Lötzinn waren wie weggeblasen, wenn Kamille Feierabend machte. Pünktlich um fünf schenkte sie sich das erste von drei Gläsern Rotwein am Tag ein und begann, das Abendessen vorzubereiten. Pünktlich, präzise, ordentlich – es war fast schon neurotisch. Von wem hatte sie das bloß? Jedenfalls nicht von ihren Eltern, dachte Ingegerd. Ihre Wohnung glich der des Maulwurfs aus alles voller Möbel, Geschirr, Vasen und Kisten, Bücher und Fotos. Und einer reichlichen Menge Staub.

Außer den großen Oberlichtern gab es keine Fenster in dem hohen Raum. Eine Tür führte direkt in den atriumartigen Garten, in dem Kamille stand, wenn sie mit dem Schweißbrenner oder dem Winkelschleifer...


Grue, Anna
Anna Grue ist eine der erfolgreichsten Krimiautor:innen Dänemarks. Die in viele Sprachen übersetzten Bände ihrer Krimiserie um den Ermittler Dan Sommerdahl sind allesamt Bestseller, die von Publikum und Presse gleichermaßen für ihre Raffinesse wie für ihre menschliche Wärme gefeiert werden. Anna Grue hat drei Kinder und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Kopenhagen.

Sonnenberg, Ulrich
Ulrich Sonnenberg, geboren 1955, ist Herausgeber und einer der renommiertesten Übersetzer aus dem Dänischen und Norwegischen. Er hat u.a. Hans Christian Andersen, Herman Bang, Jakob Ejersbo und Morten Ramsland ins Deutsche übertragen. Sonnenberg wurde 2013 mit dem Dänischen Übersetzerpreis ausgezeichnet.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.