Grünmandl | Ein Gefangener | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Grünmandl Ein Gefangener

Werkausgabe Band 1. Kurzprosa und Gedichte
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7099-3900-0
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Werkausgabe Band 1. Kurzprosa und Gedichte

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-7099-3900-0
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



EINE ENTDECKUNG FÜR FANS DES GROSSEN SATIRIKERS UND VOLKSSCHAUSPIELERS OTTO GRÜNMANDL.


OTTO GRÜNMANDL - DAS "EINMANNGESAMTKUNSTWERK"
Mit der legendären Radiosendung "ALPENLÄNDISCHE INTERVIEWS" gelang dem KABARETTISTEN, SCHAUSPIELER UND DREHBUCHAUTOR OTTO GRÜNMANDL in den 1970er-Jahren der Durchbruch. Als Schauspieler war er u. a. an der Seite von GERHARD POLT zu sehen und wirkte in Filmen von MICHAEL HANEKE mit. Zusammen mit Kurt Weinzierl, Dietmar Schönherr und JOSEF KUDERNA war er Mitbegründer der Tiroler Volksschauspiele. In seinen Programmen und Hörspielen machte Otto Grünmandl DAS ABSURDE DER MENSCHLICHEN EXISTENZ sichtbar. Zeitlebens wirkte er aber auch als Schriftsteller. Sein Debüt "Ein Gefangener" war jahrzehntelang vergriffen - bis jetzt.

EINE NEUE FACETTE DES LEGENDÄREN OTTO GRÜNMANDL ENTDECKEN
In der NOVELLE "EIN GEFANGENER" kommt eine SELTEN OFFENBARTE, ERNSTE SEITE zum Vorschein: Vielfältig und kunstfertig, atmosphärisch und eindringlich zeigt sich darin Grünmandl, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft selbst von den Nationalsozialisten in ein Zwangsarbeitslager verschleppt wurde. Vor dem HINTERGRUND DES ZU ENDE GEHENDEN ZWEITEN WELTKRIEGS erzählt er in dichten, bestechenden Bildern von den SINNLOSEN WIRREN DES KRIEGES und dem WERT DER MENSCHLICHKEIT. "Ein Gefangener" bildet - gemeinsam mit weiterer Kurzprosa und Gedichten - den Auftakt zu einer WERKAUSGABE IN FÜNF BÄNDEN.

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Weitere Infos & Material


EIN GEFANGENER
Novelle
Meinem Vater LITANEI In einem Fluß liegen, wie von unsichtbaren Stricken an den Handgelenken der ausgestreckten Arme gehalten, daß einen die Strömung nicht abtreibt und das Wasser durch den geöffneten Mund hindurch den ganzen Leib durchfließt und verwandelt. Die Sonne brennt nieder und ihre Strahlen glitzern in den weißen Krönchen der ruhig dahingleitenden Wellen, und das Wasser fließt durch die Poren der Haut und löst und verwandelt und fließt durch Fleisch und Blut, durch Herz und Leber und alle Eingeweide und löst und verwandelt, bis nichts mehr da ist als in der Erinnerung das Bild des Mannes, der so im Wasser lag: mit ausgestreckten Armen und daran gehalten von unsichtbaren Stricken, daß ihn die Strömung nicht abtreibe und das Wasser durchfließe, löse und wandle: Ein Gefangener. ES GESCHAH „Ein Gefangener ist ein Mensch, der nicht weiter kann. Ein Gefangener ist ein Mensch, der wartet. Ein Gefangener ist ein ...“ Der rechte Unterarm des am Rücken liegenden Kranken ragte mit der wie dozierend emporgehaltenen Hand, den Ellenbogen gestützt an der eisernen Bettkante, senkrecht zur kahlen Zimmerdecke. Das Lazarett lag in einem Hotel nahe der Hauptstraße. Draußen fuhren die ganze Nacht die Lastwagenkolonnen der von dem Land Besitz ergreifenden Besatzungstruppen vorbei. Lautlos brachen ihre Scheinwerfer durch die geschlossenen Fenster, warfen den Schatten des aufgereckten Armes groß an die glatte Wand, wo er fremd und schwarz die paar Sekunden verharrte, die ein Auto braucht, um eine Kurve zu nehmen, und dann wie ein gefällter Baumstamm schräg niederstürzte. Hernach wieder das Dunkel der Nacht, in dem der Kranke nicht einmal die Finger seiner Hand erkennen konnte, so tief füllte es den Raum. Er war froh um diese Scheinwerfer, er badete seine Finger in ihrem Licht, und seine Phantasie spielte mit den Schattenfiguren. „Schattenspiele“, redete er zu sich selbst, „sind Gefangenenspiele; man hört sie nicht.“ Arm und Hand fielen ihm müde herunter. Er schloß die Augen und blieb eine kleine Weile ganz ruhig liegen. Dann begann er wieder: „Ein Gefangener ist ein Mensch, der zwar einen eigenen Willen hat, ihn jedoch nicht geltend machen kann. Ein Gefangener ist ein Mensch, der will, aber nicht kann. Ein Gefangener ist ein Ohnmächtiger. Ein Gefangener ist ein Mensch, über den verfügt wird. Ein Gefangener ...“ AUS DEN AUFZEICHNUNGEN UND BRIEFEN DES AMERIKANISCHEN SOLDATEN F. M. Aus einem Brief: Gestern befreiten wir einen Gefangenen. Nachdem wir schon am Nachmittag unser Tagesziel, ein Industriedorf namens Klein-Ludditz, erreicht hatten, beschloß der Chef, die Zeit bis zum Dämmern noch auszunützen, und schickte uns zu dritt mit einem Jeep fort, die nähere Umgebung dieses schmutzigen, trostlosen Nestes auszukundschaften. Wir verließen den Ort in südlicher Richtung, kamen bei einem leerstehenden Barackenlager vorbei und bogen dann nach Osten in ein kleines, sanft aufsteigendes Tal ein. Der Weg wurde bald so schmal, daß wir unseren Jeep stehenlassen und zu Fuß weitergehen mußten, was infolge des hier noch überall tief liegenden Schnees ziemlich mühsam war. Wir beschlossen daher, für den Anstieg zum oberen Tal-Ende nicht den Weg zu benützen, sondern den die rechte Talseite bestehenden Wald. Hier kamen wir denn auch viel leichter und schneller vorwärts, was für uns notwendig war, wollten wir, wie es uns der Chef befohlen hatte, bis zum Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein. Allerdings hatte das Dickicht des Waldes nicht nur den Vorteil für uns, daß der Boden vor allzuviel Schnee bewahrt blieb und wir nicht zu waten brauchten, sondern auch den Nachteil, daß es uns weitgehend der Sicht beraubte, uns allerdings gleichzeitig auch vor eventuellen feindlichen Beobachtern schützte. Nachdem wir so den oberen Talschluß erreicht hatten, traten wir vorsichtig an den Waldrand und blickten, hinter Bäumen und Gesträuch gut getarnt, ins Freie hinaus. Zu unserer größten Überraschung erblickten wir etwa hundert Meter von uns entfernt ein großes Gebäude, das man fast für eine in Betrieb stehende Fabrik hätte halten können, wäre es nicht in einem Zustand elender Verwahrlosung gewesen, der einem sofort deutlich machte, daß es schon lange Zeit leergestanden haben mußte. Wir hatten es erst wenige Sekunden beobachtet, als plötzlich ein Schuß knallte. Gleich darauf stürzte ein Mann aus dem großen Tor des verlassenen Gebäudes und rannte aus Leibeskräften auf den Wald, direkt auf uns zu. Zuerst dachten wir, es wäre ein feindlicher deutscher Soldat, dann aber sahen wir, daß es ein Gefangener war. Er war bis auf ungefähr fünfzig Meter an uns herangekommen, als ein zweiter Mann, diesmal wirklich ein feindlicher Soldat, mit schußbereitem Gewehr in den Händen aus demselben Tor kam und ihm mit großen Sprüngen nachsetzte. Der Gefangene blickte sich um und warf sich, als er seinen Verfolger bemerkte, in den Schnee, wo er sofort so tief versank, daß er nicht mehr zu sehen war. Dies rettete ihm wahrscheinlich das Leben, denn im selben Augenblick hielt sein Verfolger inne und setzte das Gewehr zum Schuß an. Als er nun aber nichts mehr als das leere Schneefeld vor sich sah, nahm er es wieder ab und watete auf die Stelle zu, an der sich der Gefangene niedergeworfen hatte. Dabei hielt er das Gewehr in den Händen, als gelte es, einem Wild den Fangschuß zu geben. Über seine mörderische Absicht konnte kein Zweifel bestehen. Zwei von uns hoben ihre Maschinenpistolen und schossen auf ihn, er torkelte noch einige Schritte vor und fiel dann in den Schnee, wo er wie der Gefangene auf der Stelle unterging und versank. Wir schrien nun dem Gefangenen zu und fragten ihn, ob sich noch jemand in der Fabrik befände. Zögernd stand er auf, winkte, als er unsere Frage verstanden hatte, „nein“ mit den Händen und kam auf uns zu. Er erzählte uns, daß er von einem Wachsoldaten hätte nach rückwärts gebracht werden sollen. Dabei seien sie während einer Rast in der Fabrik von diesem Blindwütigen – er machte eine Geste in das Schneefeld hinaus – gestellt worden, der den Wachsoldaten erschossen habe und dem er selbst nur durch unser Dazwischentreten mit knapper Not entkommen sei. Da wir noch etwas Zeit zu haben glaubten, sagten wir dem Gefangenen, er möge in der Fabrik auf uns warten, wir würden noch eine Kleinigkeit weiter vordringen, jedoch bald wieder zurück sein und ihn dann sofort zur nächsten SFBG (Sammelstelle für befreite Gefangene) bringen. Am Rückweg gerieten wir wieder in tiefen Schnee und kamen dadurch langsamer vorwärts, als wir angenommen hatten. Als wir die Fabrik wieder erreichten, war es bereits dunkel geworden. Wir suchten den Gefangenen, fanden ihn jedoch nirgends. Bedrückt, einen Fehler gemacht zu haben, indem wir den Gefangenen allein zurückgelassen hatten, traten wir schließlich den Rückweg an. Ziemlich weit unten, nur mehr wenige hundert Meter von unserem Jeep entfernt, fanden wir ihn dann. Er lag regungslos und zusammengekrümmt mitten am Weg. Als wir ihn anrührten, stöhnte er leise und schlug kurz die Augen auf, um sie gleich wieder zu schließen. Auf unsere Fragen gab er keine Antwort. Jetzt erst bemerkten wir, daß wenige Schritte von ihm entfernt noch wer lag. Es war ein toter Feindsoldat. Wir legten diesen aus dem Weg in den Schnee, merkten die Stelle mit zwei jungen Bäumen, die wir aus dem nahen Wald brachten, und trugen dann den Gefangenen zum Jeep hinunter. Von Klein-Ludditz wurde er sofort mit unserem Sanitätswagen in das nächste rückwärts gelegene Lazarett gebracht. Wie uns der Sanitäter nachher mitteilte, befand er sich in einem sehr schlechten Allgemeinzustand, wies jedoch keinerlei Verletzungen auf, die auf einen Kampf mit jenem toten Feindsoldaten, der neben ihm gelegen war, hätten schließen lassen. Wir holten den Toten am nächsten Tag und ließen ihn am Ortsfriedhof bestatten. Er hatte einen Kopfschuß, eine kleine, kreisrunde, schwarze Öffnung mitten in der Stirn. LITANEI Ein Gletscher gab einen Toten frei: seine Gesichtshaut war gebräunt und glattrasiert, wie am Tage des Unglücks, seine Augen glänzten seltsam durch das blanke Eis, alles an ihm schien wohlbehalten und heil. Doch als man ihn aus dem Eise gehackt hatte, wurde es offenkundig, daß es doch nur ein Leichnam war. Rasch verweste er. ES GESCHAH Es geschah zu der Zeit, da die Fronten des einst so mächtigen Reiches ins Wanken geraten waren. Der Zusammenbruch war nur noch eine Frage von Wochen, vielleicht auch nur von Tagen. Von allen Seiten drangen die feindlichen Armeen in das Innere des Landes vor. Aber noch gaben sich die Machthaber nicht geschlagen. Sie erließen Befehle und Verordnungen. Sie drohten und verfolgten und waren ohne Gnade. Manchmal jedoch packte den einen oder anderen unter ihnen die Angst und die taten und befahlen dann Unverständliches. Ein Wachsoldat in einem der großen Gefangenenlager bekam Befehl, einen einzelnen Gefangenen in ein anderes, frontwärts gelegenes Lager zu bringen. Der Wachsoldat fügte sich diesem Befehl nur unwillig und mit mürrischem Gehorsam, denn was ihm da befohlen ward, erschien ihm doppelt unsinnig. Unsinnig einmal, weil sich der Befehl so ausführlich mit dem Schicksal eines Einzelnen befaßte, wo das von Tausenden und Abertausenden sich einer noch im Dunkel verborgenen Entscheidung von Tag zu Tag mit größerem Ungestüm näherte, und unsinnig zum zweitenmal, weil die Ausführung dieses Befehls das genaue Gegenteil dessen bedeutete, was bei erfolgreichen Feindoffensiven bisher immer angeordnet worden war: Die Rückverlegung sämtlicher...


OTTO GRÜNMANDL, 1924 in Hall in Tirol geboren, war Kabarettist, Schauspieler und Autor von Prosa, Lyrik und Drehbüchern. Für sein vielgestaltiges Schaffen wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Österreichischen Förderungspreis für Literatur (1969) und dem Deutschen Kleinkunstpreis (1978 und 1992). 2000 verstarb Otto Grünmandl. "Ein Gefangener" ist der erste Teil einer fünfbändigen Ausgabe seiner Werke.



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