Grutzpalk | Polizei.Wissen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1/2017, 46 Seiten, Format (B × H): 210 mm x 297 mm

Reihe: Polizei.Wissen

Grutzpalk Polizei.Wissen

Interkulturelle Kompetenz für die Polizei
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-86676-697-6
Verlag: Verlag für Polizeiwissenschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Interkulturelle Kompetenz für die Polizei

E-Book, Deutsch, Band 1/2017, 46 Seiten, Format (B × H): 210 mm x 297 mm

Reihe: Polizei.Wissen

ISBN: 978-3-86676-697-6
Verlag: Verlag für Polizeiwissenschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



In der Lehre an Polizeiaus- und fortbildungseinrichtungen fallen immer wieder Themen an, die verschiedene Perspektiven
auf sich zulassen. Das können z.B. die juristische, soziologische und die polizeipraktische Sichtweisen sein. Die
Zeitschrift macht sich nun zur Aufgabe,
a) eine Mannigfaltigkeit an Sichtweisen
b) in kurzen Texten
zusammenzuführen. Dadurch soll eine Diskussion möglich werden, die ansonsten nur schwer zu organisieren wäre und die
sehr lange dauern könnte.
Grundsätzlich wird in den Themenheften, ein Thema von verschiedenen Seiten beleuchtetet.
Dabei wird jeweils besonders der polizeilichen Lehre als auch der polizeilichen Praxis Raum zur Aussprache eingeräumt.

Grutzpalk Polizei.Wissen jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Vorwort zum aktuellen Themenheft „Interkulturelle Kompetenz für die Polizei“
Alexander Bosch, Jonas Grutzpalk, Thomas Georg Müller

Interkulturelle Kompetenzen für die Polizei
Irene Mihalic

Andere Schubladen öffnen, neuen Spuren folgen
Eva Högel

Die Lehren der Politik aus der NSU-Affäre und die Auswirkungen auf die Polizeiausbildung
Cemile Giousouf

Racial Profiling als Ermittlungshemmnis
Ali Schwarzer

Systembedingt. Ein Nachsatz zu institutionellem Rassismus
Jamie Schearer-Udeh, Tahir Della

Interkulturelle Qualifizierungsarbeit – das uneingelöste Versprechen
Martin Herrnkind

Implementierung „interkultureller Polizeiarbeit in die Polizeiorganisation. Ein Praxis-bericht
Uwe Jordan

„Und, was nützt uns das in der Praxis?“ Transkulturelles Arbeiten als Ethnologe bei der Polizei Hamburg
Wolfgang Köpke

Interkulturelles Lernen in einer Einwanderungsgesellschaft – nicht ohne Selbstreflexion möglich
Bettina Franzke

Interkulturelle Kompetenz? Vom Segeln unter falscher Flagge!
Thomas Georg Müller


Andere Schubladen öffnen, neuen Spuren folgen


von Eva Högl*

Zehn Morde, ein Mordversuch, zwei Sprengstoffanschläge mit 22 zum Teil lebensgefährlich verletzten Menschen und 15 brutale Banküberfälle. Das ist die grausame Bilanz des rassistischen Hasses und der Gewalt der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).

„Zehn Morde, ein Mordversuch, zwei Sprengstoffanschläge und 15 brutale Banküberfälle. Das ist die grausame Bilanz des NSU.“

Der NSU sprach seinen Opfern das Lebens- und Existenzrecht ab – aufgrund ihrer Herkunft. Neun der zehn Todesopfer waren türkisch- und griechischstämmige Gewerbetreibende. Damit waren die Taten des NSU nicht nur barbarische Akte rechtsextremer Gewalt gegen Einzelne, sondern auch Angriffe auf uns Alle, auf unsere pluralistische Einwanderungsgesellschaft und unsere Verfassung mit Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat. Die Selbstenttarnung nach dem 4. November 2011 hat uns alle schockiert. Das Vertrauen in die deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden wurde nachhaltig erschüttert, das gesellschaftliche Bewusstsein über das Potenzial rechtsextremer Gewalt und rassistischen Hasses schlagartig geschärft. Wie nur konnten die Mitglieder des NSU fast 14 Jahre lang mitten in Deutschland morden, unterstützt von einem Netzwerk Gleichgesinnter, aber unentdeckt von den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurde im Deutschen Bundestag in der 17. Legislaturperiode ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, dem ich als Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion angehörte. Unser Ziel war eine lückenlose Aufklärung. Das waren wir insbesondere den Opfern und ihren Angehörigen schuldig für das unfassbare Leid, das ihnen widerfahren ist.

In den 20 Monaten unserer Tätigkeit haben wir 107 Zeugen und Sachverständige in fast 350 Stunden angehört sowie rund 12 000 Akten gesichtet und ausgewertet. Das Ergebnis ist ein 1368 langer Abschlussbericht, der die begangenen Fehler schonungslos analysiert, daraus wichtige Schlussfolgerungen zieht und umfassende Empfehlungen für die Weiterentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur aufstellt.

„Die Polizeiarbeit im NSU-Fall war geprägt von vorurteilsbehafteten Routinen, in denen die Delinquenz bestimmten Personengruppen, Milieus und Ethnien schematisch zugeordnet wurde, ohne dass dieses Handeln und Denken reflektiert und kritisch hinterfragt wurde.“

Hierbei haben alle im Bundestag vertretenen Fraktionen nicht nur einen gemeinsamen Feststellungsteil, sondern auch eine gemeinsame politische Bewertung erarbeitet – ein absolutes Novum in der Geschichte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Diese Geschlossenheit war und ist eine starke Botschaft der tiefen Überzeugung aller Fraktionen: Ein Fall wie der NSU darf sich nicht wiederholen. Rassismus und Rechtsextremismus haben in Deutschland keinen Platz!

Die Arbeit des Untersuchungsausschusses hat ein multiples Versagen von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, Politik, Medien und Gesellschaft zutage gefördert, wodurch der NSU jahrelang unentdeckt mitten in Deutschland leben und morden konnte. Auf allen Ebenen wurden die Gefahren des Rechtsextremismus verkannt und verharmlost.

Diese Verharmlosung offenbarte sich bei der Polizei allen voran in der fehlenden Offenheit der Ermittlungen. Diese waren im Grunde von Anfang bis Ende einseitig konzentriert auf das Umfeld der Opfer. Dies war weder purer Zufall noch eine unglückliche Häufung handwerklicher Fehler. Es war auch keineswegs darauf zurückzuführen, dass die Polizist*innen auf dem rechten Auge bewusst blind waren. Der Grund für die Betriebsblindheit der ermittelnden Personen lag vielmehr im Unbewussten, in routinisierten Verdachts- und Vorurteilsstrukturen und Prozessen institutioneller Diskriminierung.

So wurde jahrelang ein möglicher rassistischer Hintergrund der Mordserie nahezu kategorisch ausgeschlossen, weil er nicht schlicht nicht denkbar war. Stattdessen wurde nahezu krampfhaft versucht, die Taten im Bereich der „Ausländerkriminalität“ zu verorten. Denn dies war für die ermittelnden Personen angesichts der Herkunft der Todesopfer die plausibelste Erklärung.

Allein schon eine solche Banalität wie die Namensgebung bei Teilen der eingesetzten Ermittlungseinheiten illustriert dies deutlich: BAO „Bosporus“ oder der Soko „Halbmond“. Bezeichnend hierfür auch das erstellte Täterprofil, in dem es unter anderem hieß: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.“

Die Polizeiarbeit im NSU-Fall war somit geprägt von vorurteilsbehafteten Routinen, in denen die Delinquenz bestimmten Personengruppen, Milieus und Ethnien schematisch zugeordnet wurde, ohne dass dieses Handeln und Denken reflektiert und kritisch hinterfragt wurde.

„Eine zentrale Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses war es, interkulturelle Kompetenzen als festen und verpflichtenden Bestandteil der Polizeiausbildung zu etablieren.“

Eine der wichtigsten Lehren aus dem NSU-Untersuchungsausschuss lautete daher, die bestehenden routinisierten, oftmals rassistisch geprägten Verdachts- und Vorurteilsstrukturen in der Polizei aufbrechen und Polizist*innen in die Lage versetzen zu müssen, diese Strukturen erkennen und sich aus ihnen befreien zu können. Um dies zu erreichen, war eine zentrale Empfehlung des Untersuchungsausschusses, interkulturelle Kompetenzen als festen und verpflichtenden Bestandteil der Polizeiausbildung zu etablieren.

Doch was genau sind interkulturelle Kompetenzen? Welchen Nutzen und welche Notwendigkeit haben sie? Frei nach dem kanadischen Philosophen Charles Taylor ist Kultur ein kollektives Gedächtnis, dessen Individuen sich automatisch und unbewusst bedienen. Eine Kultur ist daher essenziell für jeden Menschen. Sie ist eine moralische Landkarte, um sich in der sozialen Welt zu orientieren und zu bewegen. Gleichzeitig ist eine Kultur nicht ganz unproblematisch, da ihr stets ein Ausschluss innewohnt. Denn eine Kultur impliziert einen mehr oder weniger klar abgrenzbaren Kreis derjenigen, die dazu gehören und die nicht dazu gehören. Kulturkreise können sich hierbei ähneln, aber auch widersprechen. Sie können in Harmonie untereinander leben, aber auch in Konflikt miteinander geraten.

„Die Fehler speziell der Polizei hingen im Wesentlichen ab von einem anachronistischen Schubladendenken der ermittelnden Personen, das im offenen Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität einer Einwanderungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts steht.“

Die Vermittlung interkultureller Kompetenzen setzt hier an. Sie zielt darauf ab, die Befangenheit im eigenen Kulturkreis sichtbar zu machen und das kritische Hinterfragen der eigenen moralischen Landkarte zu ermöglichen. Hierdurch möchte sie aufzeigen, was der eigene Kulturkreis ist, wen er einschließt und wen er ausschließt. Zudem möchte sie für die Bedeutsamkeit und den Wert anderer Kulturkreise sensibilisieren, um hierdurch das Verständnis und Anerkennung für andere Kulturkreise zu fördern, Harmonie zu stiften und Konflikte zu lösen.

In früheren Jahrhunderten mögen die Unterschiede zwischen einzelnen Kulturkreisen noch deutlich erkennbar gewesen sein. Im 21. Jahrhundert ist das jedoch immer weniger der Fall. Bedingt durch das Internet, durch Migrationen und die Globalisierung verschwimmen die Grenzen innerhalb und zwischen einzelnen Kulturkreisen immer stärker. Unsere Einwanderungsgesellschaft ist Ausdruck hiervon.

In unserer Gesellschaft leben Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Religionen, Weltanschauungen und Sprachen. Sie bezeichnen sich individuell und situativ – mal als Deutsche, Europäer oder Kosmopoliten, Männer, Frauen oder Cis, weiß, schwarz oder bunt. Was somit der „deutsche“ Kulturkreis ist und was nicht – das ist längst nicht mehr so eindeutig, sondern vielschichtig, hybrid und im steten Wandel begriffen. Auch hier setzt die Vermittlung interkultureller Kompetenzen an. Sie zielt darauf ab, die Vielschichtigkeit und den Wandel von Kulturkreisen zu verstehen und den Umgang mit der gegenwärtigen gesellschaftlicher Vielfalt zu ermöglichen. Was bedeuten auf diese Weise verstandene interkulturelle Kompetenzen für die Polizeiarbeit? Wie genau sehen sie aus und wie sollen sie vermittelt werden?

Polizeiarbeit ist Bürgerarbeit. Polizist*innen schützen Bürger*innen vor Gefahren, klären Verbrechen auf und schützen Opfer. Bürger*innen in unserer Gesellschaft sind vielfältig und bunt. Sie kommen aus unterschiedlichen Kulturkreisen bzw. vereinen unterschiedliche Kulturkreise in sich. Die Vermittlung interkultureller Kompetenzen soll Polizist*innen einen angemessenen, vernünftigen und selbstreflektierten Umgang...



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