Gstättner | Am Fuß des Wörthersees. | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 200 Seiten

Gstättner Am Fuß des Wörthersees.

Neue Nachrichten aus der Provinz
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7117-5220-8
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Neue Nachrichten aus der Provinz

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

ISBN: 978-3-7117-5220-8
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Wörthersee und die Menschen, die an seinen Ufern leben, stellen eine ganz besondere Welt dar, zumindest wenn man Egyd Gstättner, der selbst schon sein ganzes Leben lang dort daheim ist, glaubt. Seine sehr persönlichen, kritischen "Nachrichten aus der Provinz" berichten von der High Society rund um den Wörthersee, die ihren eigenen Gesetzen gehorcht und auch Geistliche nicht ausschließt, von Kleinkriegen und verletzten Vögeln. Er karikiert die große Politik im Kleinen - vor allem aber ist diese Auslese eine beinahe intime Bestandsaufnahme eines Schriftstellers, der seine Heimat zu lieben versucht, dem aber immer wieder (Pflaster-)Steine in den Weg gelegt werden.

Egyd Gstättner ist ganz in seinem Element, und so entschlüpft einem immer wieder ein bitteres Lachen, wo man nicht gerade zustimmend den Kopf schüttelt. Der Meister des schonungslosen Humors at his best!

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AUS DEM LEBEN EINES BADEMEISTERS
Letztes Jahr fragte mich ein bedeutender Rezensent auf der Wiener Buchmesse, wann ich denn endlich in die Hauptstadt übersiedeln werde. »Da unten in Kärnten« könne man als Schriftsteller doch wohl nur schwer existieren. »Ja stimmt«, gab ich zurück, aber »da unten« sei ich ja nur Bademeister; mein Schreibtisch stehe allseits umwölkt auf exterritorialem Gebiet. Niemand im Messepublikum interessierte sich für den exterritorialen Schreibtisch, alle hingegen dafür, was ich als Bademeister denn konkret tue. Nun also: Vom ersten bis zum letzten Tag der Badesaison, also von 1. Mai bis 1. Oktober, betrete ich das Strandbad-Portal, eine Art Brandenburger Tor des Südens, und schreite zweimal täglich, einmal morgens nach dem Frühstück, einmal abends den mächtigen Steg der Strandbad-Bootsbrücke zu ihrem Plateau hinaus. Auf beiden Seiten liegen fast nackte Menschen Spalier und grüßen mich (oder schauen verschämt weg, falls sie etwas angestellt haben), denn sie erkennen in mir eine Respektsperson: Schriftsteller gibt es viele. Aber es gibt nur einen Bademeister! Und der steigt in das spiegelglatte, einmal curaçaoblaue, ein anderes Mal smaragdgrüne Wasser, lässt den Lustruf »Little Tahiti, ich komme!« in den Äther los, schwimmt eine große Runde – morgens unter dem tiefblauen Sommerhimmel, abends in den Sonnenuntergang oder ins Abendblutrot hinein –, kehrt zurück, legt sich wonneseufzend auf die Holzplanken nieder und lässt sich lufttrocknen. Dolce far niente an der österreichischen Riviera, könnte man meinen, und für die übrigen Badegäste sehe ich wohl tatsächlich wie ein Nichtstuer des Südens aus, der sich einfach erholt und in die Luft schaut. Aber in Wirklichkeit beobachte ich auch beim trägen Seelebaumelnlassen messerscharf, wie neben dem Strandbad das schnittige rot-blau-silberne Polizeimotorboot mit der Nationalflagge am Heck, eine riesige Gischt erzeugend, in See sticht. Wer lenkt das Polizeiboot?, frage ich mich. Es ist ein leicht übergewichtiger Polizist in meinem Alter, der aber zum Ausgleich eine extrem coole pechschwarze Sonnenbrille trägt – und schon ist von allen Badegästen unbemerkt mein Kommissar erfunden, Johann Sichalich, der Bademeister unter den Kommissaren sozusagen. »Was für ein Glück, als Polizist in einer Stadt am See zu leben!«, denkt Sichalich. Wer kann sich heute noch eine private Motorbootlizenz leisten? Im Namen der Republik findet der gewissenhafte Beamte immer irgendeinen schönen Grund, dienstlich auf den See hinauszubrausen! Hollaroh! Ahoi! Wenn sonst nichts los ist, kann man durchaus auch einmal die Filmcrew eines Privatfernsehsenders mit laufender Kamera am Wasserweg zu einem Society-Side-Event ins Beachvolleyball-Stadion chauffieren. Helping is our success! Warum, fragen sich Sichalichs Mitarbeiter, sollte man nicht auch einmal den Reichen und Schönen helfen, also den Reichen, die sich die Schönen als eine Art Ganzjahreschristbaumschmuck halten und nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen außer Volleyball zuschauen. Oder man sichert die Starnacht am Wörthersee gegen den See hin ab und versperrt Tony Christie den Weg nach Amarillo, wo Sweet Marie noch immer auf ihn wartet. (Schönheit, denke ich untätig am See, ist – das muss man fairnesshalber sagen – relativ. Ist Niki Lauda schön? Ist DJ Ötzi schön? Ist Otto Retzer schön?) In diesem Zusammenhang habe ich unlängst bei einem Kulturfestival einen schönen Satz aufgeschnappt, der lautete: »Der Schönere gibt nach.« Die übrigen Badegäste werden mich, ihren Bademeister, wohl einfach für einen großen Faulpelz halten, denn am Abend desselben Sommertags liege ich ja dem Wasser entstiegen schon wieder untätig da und schaue melancholisch auf das Nordufer, wo hinter der Schiffswerft das majestätische, altehrwürdige Hotel Wörthersee steht, das viele Touristen mit dem berühmten Schlosshotel in der Veldener Bucht am anderen Ende des Sees verwechseln. Kaisergelb sind beide Paläste, aber in Velden haben finstere Politiker im Verein mit finsteren Bankmanagern viel finsteres Geld investiert und außerdem das rein architektonische Verbrechen begangen, direkt an das historische Schlosshotel den postmodernen Nervenheilanstaltsplattenbau zu fügen. Dorthin können die Verantwortlichen aber nicht eingewiesen werden, weil sie binnen weniger Jahre größtenteils entweder selbst verschuldet am Privatwaldfriedhof liegen oder im Knast schmoren. Viel Aufklärungsarbeit für meinen Kommissar, auch wenn sich ein Teil davon von alleine erledigt. Ja ja, die Bank! Die Bank in ihrer ursprünglichen Bedeutungsvariante war zum Sitzen da. Und die Bank im übertragenen, im finanzwirtschaftlichen Sinn ist nun auch wieder zum Sitzen (in seiner übertragenen Bedeutung) da: zum Einsitzen. Das Hotel hier am Nordufer, einer der letzten stummen Zeugen der großartigen Wörthersee-Jugendstil-Architektur, hat große Zeiten und illustre Gäste erlebt; jetzt ist es aber heruntergekommen, verfallen, zugesperrt und von seiner Fassade hängt ein riesiges Transparent, auf dem steht: »Zu verkaufen«. Dieses Transparent verdeckt ausgerechnet das Fenster des Zimmers, in dem – na wer wohl? – wohnt. Genau, mein Kommissar Johann Sichalich. Auf diese Weise kommt er, wenn er nicht gerade auf Mörderjagd ist, so wie ich, sein Schöpfer, dazu, zweimal täglich schwimmen zu gehen. Er muss hierzu nur die Werft passieren, wo die Ausflugsschiffe die Nacht verbringen. Ein Schiff der Flotte, die »Kärnten«, heißt seit diesem Jahr »Schlumberger«, auf einem anderen, dem alten Raddampfer »Thalia«, steht »Metaxa«. Sehr treffend! Neuerdings wird hier in der Gegend alles nach Alkohol umbenannt. Falls aus dem Bachmannpreis in ein, zwei Jahren nicht der Bachmann-Turner Overdrive geworden sein wird, dann auf alle Fälle der Wodka-Dostojewski-Award. Joseph Roth würde sich freuen! Wirklich interessant für Sommerfrischler, Badegäste und Strandliegeleseratten wird ein Seekommissar natürlich erst durch sein Privatleben. Entweder hat er Beziehungsprobleme oder Haustiere: Meiner hat zwei Schwäne, Tristan und Isolde, die ihn jeden Morgen am Ufer erwarten, in die Seemitte eskortieren und ihm dort die neuesten Gerüchte zuflüstern, welche Untaten sich rund um den See abspielen. Da sein Ufer zu achtundneunzig Prozent von den Reichen und Schönen und Bankern verbarrikadiert und versperrt ist, kann man leider nur auf diese bedenkliche Weise fahnden und ermitteln … In den finsteren Zeiten hat sich hier nämlich ein Syndikat unter dem Decknamen »Freunde des Wörthersees« (die nicht genannt werden wollen) gebildet, das gegenwärtig ein wenig führerlos, dem aber noch immer nicht das Handwerk gelegt worden ist. Unlängst wurde die Bevölkerung zur Landesverteidigungspflicht befragt. Sie votierte dafür, hat dabei aber leider übersehen, dass dieses Land (und seine Seen und deren Ufer) heute gar nicht mehr zu verteidigen ist. Wie soll man verteidigen, was einem längst gestohlen wurde? Es herrscht hier und heute Krieg. Aber es ist kein Krieg zwischen Staaten, sondern zwischen Reich und, sagen wir: Nichtreich. Dieser Krieg wird nicht mit Waffengewalt (sieht man vielleicht von der Familie des Waffenindustriellen ab), sondern mit Kontoständen ausgefochten. Und gerade im Krieg gilt: Wer zahlt, schafft an (oder um es mit den Worten eines greisen Eintagspropheten zu sagen: »Wer das Gold hat, macht die Regel.« Wer das Gold hat, macht das Goldufer). Aus dem Dilemma am Seeufer gibt es scheinbar kein Entkommen. Dass die ganze Bevölkerung, auch wenn sie murrt und stöhnt und leidet, zum demokratischen Mittel des gewaltfreien Widerstands greifen und geschlossen auf die Straße gehen könnte und dort bliebe und die Wege zum See abschnitte, bis die Ufer wieder freigegeben und öffentlich zugänglich sind – daran glaube ich nicht mehr. Man würde schon gern, aber leider, leider: der Anstand! Die Angst vor Ungemach! Die Obrigkeitshörigkeit! »Leider wäre die Ungerechtigkeit am See nur noch durch ein anderes Unrecht, das Verbrechen der Politik nur durch ein anderes Verbrechen zu beseitigen!«, seufzte Kommissar Sichalich, als in meiner Gegenwart sein Handy läutete und sich ein Entführer meldete: Man habe den Erstgeborenen eines Seegrundgroßbesitzers gekidnappt. Wenn der Besitzer nicht bis Monatsende von sich aus zu einem angemessenen Preis an das Land zurückverkauft, dann …« Um Himmels willen! Sichalich war entsetzt! Ich schreckte aus meinem Nickerchen hoch. Offenbar war ich mitten auf dem Steg eingeschlafen. Aber ich arbeite auch im Schlaf; das heißt: Es arbeitet in mir, selbst wenn ich schlafe. Ein Präzedenzfall jedenfalls! Noch ganz traumverloren frage ich mich: Wie geht es weiter? Wie geht es dem Erstgeborenen und wo ist er? Soll ich den Krimi weiterschreiben? Wir stehen hier und seh’n betroffen: das Ufer zu. Und alle Fragen offen. So wie ich für alle Badegäste sichtbar aber unsichtbar schwer arbeitend hier liege, liege ich im Grund schon mein Leben lang am See. Ich habe damit, als ich noch kein Bademeister und keine Respektsperson, sondern...


Egyd Gstättner, geboren 1962, lebt als freier Autor in seiner Heimatstadt Klagenfurt. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Im Picus Verlag erschienen unter anderem »Ein Endsommernachtsalbtraum«, »Das Geisterschiff«, »Karl Kraus lernt Dummdeutsch«, »Wiener Fenstersturz« und »Die Familie des Teufels. Allein gegen die Literaturgeschichte«, »Mein Leben als Hofnarr. Es ist verdammt hart, Egyd Gstättner zu sein« (2019), »Klagenfurt. Was der Tourist sehen sollte« (2020) sowie »Leopold der Letzte« (2021). Im Herbst 2022 erschienen seine tolldreisten Erzählungen »Ich bin Kaiser«.



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