E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Gstättner Klagenfurt
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7117-5420-2
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was der Tourist sehen sollte
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-7117-5420-2
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Reisender, den es nach Klagenfurt verschlägt, kann sich keinen besseren Guide wünschen als Egyd Gstättner. Der Schriftsteller nimmt ihn an der Hand und führt launig schwadronierend und kenntnisreich durch die Wörtherseemetropole. Den Lindwurm auf dem Neuen Platz lässt er zwar links liegen, dafür darf man sich über tausendundeine Hintergrundinformation der Stadtgeschichte freuen, über Anekdoten und persönliche Erinnerungen an Kulturschaffende in Klagenfurt sowie über akademische Ausführungen zur Verfassung des legendären KAC und zur Situation des Fußballs an sich. Unweigerlich taucht man ein in die Gedankenwelt des Schriftstellers, der vergnüglich und scharfsinnig von Denkmälern und Friedhöfen, von Töchtern und Söhnen der Stadt, von Politik und Sport erzählt - und vom Wörthersee.
Egyd Gstättner, geboren 1962, lebt als freier Autor in seiner Heimatstadt Klagenfurt. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Im Picus Verlag erschienen unter anderem »Ein Endsommernachtsalbtraum«, »Das Geisterschiff«, »Karl Kraus lernt Dummdeutsch«, »Wiener Fenstersturz« und »Die Familie des Teufels. Allein gegen die Literaturgeschichte«, »Mein Leben als Hofnarr. Es ist verdammt hart, Egyd Gstättner zu sein« (2019), »Klagenfurt. Was der Tourist sehen sollte« (2020) sowie »Leopold der Letzte« (2021). Im Herbst 2022 erschienen seine tolldreisten Erzählungen »Ich bin Kaiser«.
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DER RING
Aber jetzt Schluss mit den maritimen Tagträumereien: Wir befinden uns hier nicht hinter, sondern noch vor den sieben Bergen und fahren gerade die St. Veiter Straße stadteinwärts. Darf ich dich links auf die Konditorei Fahrnberger aufmerksam machen? Hier gibt es eine große Auswahl hervorragender Torten und Mehlspeisen. Rechter Hand das weite Areal des Klinikums. Gewöhnlich wird man hier geboren, und gewöhnlich stirbt man hier auch wieder. Manchmal wird man hier auch geheilt. Wegen des Neubaus, der 2010 fertiggestellt wurde, wurde eigens das Flussbett der Glan um etwa zweihundert Meter nach Norden verlegt. Eine Baustelle ist das Areal eigentlich immer: Gerade eben entsteht das neue, größere Zentrum für seelische Gesundheit. (Wenn der Primarius nach dem Psychotherapieren seiner Patienten noch Zeit findet, analysiert und psychografiert er auch gern Thomas Bernhard. Seine frei praktizierende Kollegin Dr. Andrea Nagele wiederum schreibt zwischen katathym imaginativer Psychotherapie, Einzeltherapie, Paartherapie, Familientherapie und Gruppentherapie gerne Krimis, die in Grado zu allen Tageszeiten und bei allen Wetterlagen spielen: Grado im Sturm, im Mondschein, im Nebel, im Regen, im Dunkeln. Zu therapieren gibt’s da freilich nix mehr.) Architektonisch hat man sich beim Neubau des Klinikums für dunkelgraue Betonwürfel entschieden, sodass einem, falls Genesung und Heilung schon nicht möglich sind, der Abschied aus dem Sein wenigstens in ästhetischer Hinsicht nicht besonders schwer fällt. So. Bögest du auf Höhe des Krankenhausareals links in die Durchlaßstraße ein, könntest du die Fassade des Geburtshauses von Ingeborg Bachmann sehen, die man stehen lassen hat, als man das Haus selbst abgerissen und durch einen Wohnblock ersetzt hat. Hier hat sie aber nur die ersten drei oder vier Jahre ihres Lebens verbracht, und zu sehen ist eigentlich nichts, nicht einmal eine Gedenktafel. Von der Fassade hängt ein Stofftransparent, auf dem steht: We create values – was ja irgendwie stimmt. Auf dem Namensschild neben der Türklingel steht E & S – Ertrag und Sicherheit. Das stimmt nicht ganz. Sollte einmal eine Gedenktafel angebracht werden, aktualisiere ich Neuauflagen gerne. (Update Logbuch 2020: Das Stofftransparent ist schon wieder abgenommen, nobody creates values no more. Statt Ertrag und Sicherheit residiert hier nun ein Immobilienunternehmen. Von Bachmann nach wie vor keine Spur.) Vorderhand fahren wir also geradeaus weiter. An der Fassade des Hauses St. Veiter Straße 24 erinnert eine kleine Gedenktafel an den Grafiker und Schriftsteller Alfred Kubin. Der österreichische Dalí absolvierte in Klagenfurt als junger Mann bei seinem Onkel, dem Landschaftsfotografen Alois Beer, von 1892 bis 1895 eine Fotografenlehre, bei der er aber nach eigener Aussage nicht viel lernte. Im Gegenteil verging ihm durch seine stupide Handlangerarbeit die Lust auf den Fotografenberuf. In Klagenfurt las Kubin viel Schopenhauer, kaufte sich ein Fahrrad, erkundete damit die Umgebung und absolvierte ausgedehnte Gasthausbummel. Einmal wollte er sich umbringen. Zu diesem Zweck setzte er sich in den Zug, fuhr nach Zell am See, stellte sich ans Grab seiner Mutter, legte den Revolverlauf an die Schläfe, schaffte es aber nicht abzudrücken und fuhr wieder zurück nach Klagenfurt. Schließlich ließ er die Fotografenlehre bleiben und übersiedelte zum Kunststudium nach München. Schon mündet die St. Veiter Straße in den St. Veiter Ring. Wie in Wien wird auch in Klagenfurt der erste Bezirk, der hier aber nicht so heißt, von Ringstraßen umschlossen. Wie in Wien ist auch in Klagenfurt der Ring eckig. Jede Quadratseite ist nach der Nachbarstadt benannt, die in dieser Richtung liegt: der Villacher Ring im Westen, der St. Veiter Ring im Norden, der Völkermarkter Ring im Osten. Nur der Viktringer Ring im Süden ist nicht ganz analog benannt, da Viktring zwar ein bedeutendes ehemaliges Zisterzienserstift besitzt und die früheste Ansiedlung in der Gegend war, es aber nie bis zur Stadterhebung gebracht hat. Genau genommen müsste er Ferlacher oder Laibacher oder Ljubljana-Ring heißen. Wenn es kommunalpolitisch mit dem Entgegenkommen einmal so weit ist, werde ich auch diese Stelle in späteren Ausgaben gerne aktualisieren. So einzigartige Prachtbauten wie am Wiener Ring wird man hier natürlich nicht finden, aber immerhin repräsentative Gebäude: Bankzentralen, Versicherungspaläste, das Landesgericht, ein Gymnasium, die Verlagsgebäude von Carinthia und Hermagoras, das Redaktionsgebäude der Kleinen Zeitung, hinter einer Häuserzeile verborgen das bischöfliche Palais mit eigenem Garten und eigenem Krankenhaus. (Ein »bischöfliches Palais« beweist die Existenz eines Bischofs ebenso wenig wie eine Kirche die Existenz Gottes. Manchmal gibt’s in Kärnten einen Bischof, manchmal nicht. Jetzt gerade zur Drucklegung dieses Buches wird nach eineinhalbjähriger Sedisvakanz ein neuer Bischof inthronisiert. Es ist wohl als Geschenk Gottes zu betrachten, dass er aus der slowenischen Volksgruppe kommt – falls es eben einen Gott gibt; sonst natürlich nicht.) In der südöstlichen Ecke steht das Konzerthaus, in dem nicht nur das Konservatorium untergebracht ist und die Veranstaltungen des Musikvereins und die meisten Bälle stattfinden, sondern auch Parteitage. Es folgen die Landwirtschaftskammer, das Landesmuseum mit der schönen kaisergelben Fassade, das »kulturelle Gedächtnis Kärntens«, das aber seit vielen Jahren geschlossen ist und laut Auskunft der Experten spätestens in vielen Jahren wieder öffnen wird, anschließend das Gebäude der Landesregierung. Am Villacher Ring reiht sich Park an Park, zuerst der Stadtgraben, dann der Schillerpark, dann der Goethepark, unterbrochen vom Dorotheum und dem sogenannten Rothauer Hochhaus, eine Art Provinzwolkenkratzer, hauptsächlich für sehr tief schwebende Wolken gedacht. Bei seiner Erbauung in den späten Sechzigern des zwanzigsten Jahrhunderts hat das Hochhaus das ästhetische Empfinden der Bevölkerung in Hinblick auf die Ortsbildverträglichkeit so sehr gestört, dass der Aktionist Viktor Rogy zu einer radikalen Kunstmaßnahme gegriffen hat: Er fotografierte das Rothauer Hochhaus, strich die Schwarz-Weiß-Fotografie durch, ließ die durchgestrichene Schwarz-Weiß-Fotografie rahmen und stellte sie in die Auslage des Künstlerbeisls Rote Lasche auf der Kreuzung schräg gegenüber. Heute hat die Rote Lasche längst zugesperrt. Viktor Rogy ist gestorben und das Rothauer Hochhaus steht nach wie vor gelangweilt und soeben generalsaniert in der Stadt herum. Wie viele Stockwerke es genau hat, weiß ich nicht, weil mir immer schwindlig wird, wenn ich nach oben schaue. Zähl einfach selbst, wenn es dich interessiert. Du kannst mir das Ergebnis gerne mitteilen, wenn wir uns treffen. Ich füge es dann hier ein. Danke für deine Mitarbeit! Der Schillerpark heißt Schillerpark, weil Schiller fast einmal auf Besuch nach Klagenfurt gekommen wäre, es sich schließlich aber doch anders überlegt hat und nicht gekommen ist. Die Einladung kam vom schwerreichen Klagenfurter Industriellen und Hobbyphilosophen Franz de Paola von Herbert (1759–1811), der Schiller verehrte, ihn in Jena besuchte, dessen Vorlesungen hörte und ihn finanziell großzügig unterstützte. Das war sozusagen der Klagenfurter Beitrag zum deutschen Idealismus. Der Klagenfurter Förderer wohnte in einem entzückenden, wenn auch heute leider leicht verfallenen Schlösschen an der nordwestlichen Ecke der Ringstraßenanlage, dem sogenannten Herbertstöckl, benannt nach einer der schillerndsten Klagenfurter Familien früherer Jahrhunderte. Der berühmteste Spross der Familie war Ottilie von Herbert, die erste Liedermacherin Kärntens, die in Molltonart schrieb, eine wunderschöne junge Freifrau, die mit zweiundzwanzig Jahren in der Nacht des 26. September 1847 auf den dunklen Wörthersee hinausruderte – und nie wieder zurückkam. Ihr (und nicht nur ihr) Schicksal habe ich in der Erzählung Das Mädchen im See1 beschrieben. Falls du sie noch nicht gelesen haben solltest, was ich mir aber überhaupt nicht vorstellen kann, empfehle ich dir die vertiefende Lektüre dringend, selbst auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt wieder unbescheiden nennst. Und wenn du schon in der Buchhandlung bist, nimm auch gleich den Roman von Alois Brandstetter Cant läßt grüßen2 mit. Der handelt von Ottiliens Tante, die mit niemand Geringerem als Immanuel Kant im Briefwechsel stand. Es ging um Liebe, Moral und Selbstmord. Der quantitative Anteil Kants am Briefwechsel Kant–Herbert war aber vergleichbar mit dem Anteil Handkes am Briefwechsel Handke–Kolleritsch: Kolleritsch schrieb die schönen, schweren, langen Briefe, Handke die Postkartengrüße von überall, wo er gerade war. Lieber Knallfred, schöne Grüße aus Alaska! Auch bei Brandstetter antwortet nicht Kant (Cant) persönlich, sondern dessen (von Brandstetter erfundener) Amanuensis: Der aber umso ausführlicher und sachkundiger. Aus abgrundtiefer Verzweiflung über die schändliche Kant’sche Schreibfaulheit ging die Herberttant in die Drau, den Kärntner...