E-Book, Deutsch, 180 Seiten
Günther Taschkent
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-2855-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 180 Seiten
ISBN: 978-3-7534-2855-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Taschkent' ist psychologischer Roman und Agententhriller zugleich. Der junge BND-Agent Jan Werder ist 2003 nach Usbekistan entsandt worden, um einen Kollegen zu ersetzen. Gemeinsam mit seinem Vorgesetzten, Kien, in dem er nur einen versoffenen Versager sieht, versucht er, den Tod seines verunglückten Vorgängers aufzuklären. Kien, dem desillusionierten Mittfünfziger wiederum, missfällt die forsche Oberflächlichkeit seines neuen Mitarbeiters. Im Laufe der Ermittlungen - und unter dem Einfluss der Liebe - entwickeln sich ihre Persönlichkeiten zum Positiven. Der Roman, im Wechsel aus der Perspektive beider Männer erzählt, spielt vor dem Hintergrund der usbekischen Scheindemokratie und des US-amerikanischen 'War On Terror''.
Christian Günther lebt seit geraumer Zeit in Bonn. Er studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und arbeitete nach seinem Abschluss ein Jahr als Assistenzlehrer in Manchester. Danach war er in der Erwachsenenbildung tätig und reiste des Öfteren nach Russland und in die Ukraine. Nach wiederholten Aufenthalten in Usbekistan arbeitet er seit 2008 als Lehrer an einem Berufskolleg. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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Ist alles nur Gefasel, Sherry-Brandy2 Kien ging aus dem Haus und im Schatten unter den Ulmen entlang. Er setzte sich auf eine Mauer, schaute auf das Haus zurück, in dem er jetzt seit mehr als einem Jahr wohnte, ein russisches Holzhaus, hellblau, und zündete sich eine Zigarette an. Er mochte die unparfümierte usbekische 'Pine' - ahh, der Schwindel nach einem tiefen Zug! - und die ungewohnten Gedanken, die sich aus diesem Schwindel ergaben. Er stellte sich vor, wie sein Haus in die Luft flog. 'Taschkentsky Point' – ein Blick in die Zukunft? Möglich. Trotzdem fühlte er sich gut, wie seit langem nicht mehr. Weil er sich krankgemeldet hatte, ohne krank zu sein. Eine diebische Freude überkam ihn, wenn er an all die vom Beruf deformierten, irgendetwas hinterherjagenden Wesen dachte, die heute ohne ihn durch die Gänge der Botschaften und Ministerien liefen. Der neue Mitarbeiter würde sich einen Tag lang auch ohne ihn zurechtfinden, zumal er ihm ja eine Stadtführung organisiert hatte. Kien mochte sein grünes, etwas verfallenes Viertel oberhalb des Luna Parks. Er ging zu einer blühenden Albizie und betrachtete die zart gefiederten Blätter und wunderbaren Blüten - fragile Flauschgebilde, am Ende der flimmernden Härchen pfirsichfarben gepudert, - Ballett tanzende Feen, die er beschützen wollte. Kien stellte sich vor, wie seine Kollegen reagieren würden, teilte er ihnen solche Gedanken mit. 'Weichei', 'Blumenflüsterer' käme vielleicht von den deutschen, 'douchebag', 'sissy' von den amerikanischen Agenten, 'faggot' von den britischen. Kien sah noch einmal zum Haus zurück, sah sich darin liegen, sah Gestalten, die sich anschlichen, hörte schallgedämpfte Schüsse - double tap. Er fühlte, wie die Angst, die ihn ständig begleitete, stärker wurde. Äußerlich ruhig ging er ein paar Querstraßen weiter, bis er vor einer seiner beiden Stammkneipen stand, der 'American Sportsbar', einem fast nur von Expats besuchten, dunklen 'watering hole'. Er liebte die frühen Abendstunden in einer Bar, wenn es noch still war und nur wenige Leute am Tresen saßen, den ersten Schluck des ersten Drinks, vielleicht eines Gimlets, und das langsame Einsetzen der Wirkung. Ohne Zweifel war er Alkoholiker, hatte die Sucht aber meist gut im Griff. In letzter Zeit waren die Nächte allerdings öfter schlecht ausgegangen. Er nahm das als Zeichen, dass er nicht im Gleichgewicht war. Sicher hatte das mit Hartmut Soldes Tod zu tun, der ihn erschüttert hatte und den er vielleicht auf irgendeine Art hätte verhindern können. Er hatte Solde auf die Gruppe 'Seide' angesetzt und ihn mit der Aufgabe dort im Fergana-Tal alleingelassen. Hier in der Bar hatten sie oft zusammengesessen und getrunken, bevor Solde sich mit Franziska Schuten zusammengetan hatte. Hartmut bedachtsam vor seinem Bier, genau auf dem Barhocker, der jetzt leer neben ihm stand. Wie Kien es gewohnt war, ließ er den Blick durch die Bar schweifen und beobachtete dabei die Gäste, von denen er einige kannte. Da war der Bundeswehrmajor Sass, der nicht mehr mit ihm sprach, seit Kien ihn betrunken einmal 'SA – SS' genannt hatte. Jetzt durchbohrte Sass ihn nur noch mit stechendem Blick. Kein Verlust. Der Mann war völlig humorlos, von seiner Wichtigkeit überzeugt. Noch schlimmer aber als Sass und die anderen Bundeswehroffiziere oder die immer dasselbe sagenden Botschaftsleute waren die kernigen US-Militärs und -Diplomaten, Typen wie der US-Attaché, dessen Augen wie hartgekochte Eier aussahen und der gerade wieder lautstark seinen 'Buddy-ism' zelebrierte. Eigentlich wäre hier mal eine richtige Saloon-Schlägerei fällig, dachte Kien, bei der Leute durchs Fenster flogen und so endlich Luft von außen in diesen Klimaanlagenmief hereinließen. Heute war die Britin wieder einmal da, eine Hotelmanagerin, deren Witz noch trockener war als die Martinis, die sie Kette schlürfte, und mit der er einmal sogar tanzen gegangen war. Sie unterhielt sich gerade mit einem ihm unbekannten Mann, - vielleicht ein Journalist. Nein, heute würde er hier keinen Zugang finden, wurde Kien klar und er beschloss, das Lokal zu wechseln. Er ging in die Nacht mit ihrer heißen, nach gegrilltem Fleisch riechenden Luft hinaus. Durch die Kiefern über ihm sah er hinauf zum roten Himmel und während er ein paar Blocks weiter durch die Wohngegend ging, schien es ihm so, als folge ihm ein dunkler Wolga. Alles okay, solange kein Lichtpunkt auf ihn fiel oder der Wagen plötzlich beschleunigte. Das kleine armenische Restaurant hatte eine Art Veranda, von der aus man zwischen den Bäumen hindurch auf die Lichter der Stadt schauen konnte. Dazu erst einmal 200 Gramm Wodka und eine Schale Kharovaz. Der scharfe Gurkensalat mit frischem Koriander, Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch und Granatapfel war Kiens Lieblingsessen. 'Da könnte ich mich reinsetzen', hätte sein rheinischer Ex-Kollege Pütz gesagt. - Tot seit einem Jahr, tot wie Hartmut, den er ins Tal hätte begleiten sollen, obwohl dessen Berichte über die Operation seltsam schwammig gewesen waren, so dass Kien den Stand der Dinge im Grunde genommen gar nicht gekannt hatte. Sodiqov, den Solde hatte treffen wollen, war sicher eine Schlüsselfigur, ein Fergana-Magnat, der wie ein Fürst in Andijon Hof hielt, offiziell im Seidengeschäft war, aber vor allem mit Waffenhandel seine Gewinne erwirtschaftete. Er konnte die Schaltstelle zu Terroristen sein, die sich in den nahen, unwegsamen Bergregionen Kyrgystans versteckten. Kien dachte an Namangani, den berüchtigten Terroristen, der erst vor kurzem bei einem Luftschlag getötet worden war. Angeblich hatte er Amtsträger köpfen und die Köpfe vor dem Rathaus auf Stangen spießen lassen. Damals schon hatte die Regierung mit aller Härte zugeschlagen und Hunderte als Kollaborateure wahabitischen Terrors verhaftet. Vielleicht war Sodiqov aber auch eine Spielfigur der usbekischen Regierung ... Ah, der Pfefferwodka! Den Neuen konnte er getrost ins Tal fahren lassen, denn zu Sodiqov würde dieser Werder auf keinen Fall vordringen. Er, Kien, würde sich genug Zeit für seinen nächsten Schachzug nehmen, so dass sich der Gegner in Sicherheit wiegte. Wie war das? Steinitz war der Ansicht gewesen, es gäbe in jeder Situation einen besten Zug. Lasker dagegen hatte die Wirkung des Zuges auf die Psyche des Gegners für entscheidend gehalten: Überraschung, Bluff, Einlullung … Aber widersprachen sich diese beiden Überlegungen eigentlich? Der Fall 'Solde' schien geklärt. Kien hatte sich die Unfallstelle angesehen: eine graue, gelegentlich gleißende Schotterpiste am verbrannten Hang, die dort, wo Bremsspuren hätten sein müssen, keine aufwies. Das allerdings war noch kein Beweis für ein Eingreifen von außen. Der Nexia war durch ein paar Büsche gebrochen, das konnte man erkennen -, war dann in eine Schlucht gestürzt und verbrannt. Kien hatte ein einziges Haus in der Gegend gesehen, etwa drei Kilometer vor dem Unfallort, abseits der Straße, das aussah wie eine verlassene Unterkunft für Zollbeamte oder Milizionäre, zweigeschossig, ganz anders als die Häuser der Viehhirten, und er hatte sofort gewusst, dass Solde dort ermordet worden war. Er vertraute seiner Intuition. Sie mussten Solde auf der Straße angehalten haben, hatten ihn ins Haus gebracht, dort bewusstlos geschlagen, in sein Auto gelegt, waren zur Schlucht gefahren, hatten den Ohnmächtigen auf den Fahrersitz gesetzt und den Wagen von der Straße geschoben, so dass er in die Schlucht stürzte. Dort war Solde verbrannt. Die deutschen Experten hatten keine Zeichen von Manipulation gefunden, und der Leichnam war nach Deutschland geflogen worden, wo auch die Gerichtsmediziner nichts Auffälliges hatten finden können. Kien aber wusste, dass der MXX, der usbekische Geheimdienst, Solde ermordet hatte, wollte die Mörder jedoch nicht wissen lassen, dass er es wusste. Er würde sie, wenn sie es am wenigsten erwarteten, spüren lassen, dass sie einen falschen Zug gemacht hatten. Es war ja erst ein paar Monate her, die wilden Tulpen hatten rot geblüht - die Hänge mit Blut besprenkelt. Hinter ihm fiel etwas funzeliges Licht durch eines der Fenster auf die Veranda und er hörte den Satz auf Russisch 'Ich wette, dass die Packung noch nicht leer ist'. 'Ich wette, dass ich noch nicht tot bin', hatte Mandelstam geschrieben. Jemand stellte sich ans Fenster und blies Rauch hinaus. Auch Kien zündete sich eine Zigarette an, die letzte 'Pine' in der Packung, the trail of the lonesome pine ... Er dachte an Jakob. Was er jetzt wohl gerade machte? Hier war's elf Uhr nachts, in Deutschland acht. Ein 16-Jähriger? Saß bestimmt in seinem Zimmer und spielte ein Computerspiel, hatte vorher mit seiner Mutter zu Abend gegessen, Kien sah kurz ihr Gesicht, wie es früher einmal ausgesehen hatte, weich, ohne die Falten um den enttäuschten Mund. Wie Jakob wohl ausschaute? Sicher war er hoch aufgeschossen inzwischen, größer als er, sah ihm nicht besonders ähnlich, höchstens der Blick, nur waren die Augen nougatbraun, ganz anders als seine, die er immer, wenn er sich, was selten vorkam, im Spiegel ansah, als verstörend hell empfand. Zuletzt gesehen hatte er Jakob vor mehr als einem Jahr, als er kurz in München gewesen war. Sie hatten vor einem Café gesessen...