E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Gunesekera Riff
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-293-30669-1
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-293-30669-1
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im Jahr, als Sri Lanka unabhängig wird, kommt der elfjährige Triton als Boy in das Haus von Mister Salgado, einem Meeresbiologen, der nur einen Lebensinhalt hat: das gefährdete Universum des Ozeans. Für den Jungen wird das Haus des Junggesellen zu einem abgeschlossenen Mikrokosmos. Er lernt, das Silber so zu polieren, dass es schimmert wie geschmolzenes Sonnenlicht, den Liebeskuchen mit zehn Eiern zu backen und für die Freundin seines Herrn den Papageienfisch zu dünsten. Und er lernt, mit wachen Augen die politischen, sozialen und amourösen Ränkespiele zu beobachten. Hintergründig erzählt Triton seine Geschichte. Naiv und wissend zugleich, tapfer und ängstlich - die eindrückliche Stimme eines Jungen, der in einer zerbrechenden Welt erwachsen geworden ist.
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I Kolla
Mister Salgado ist ein Gentleman, ein echter Gentleman. Du musst alles tun, was zum Teufel er dich auch heißt.« Mein Onkel zog an meinem Ohr. »Hast du verstanden, kolla? Einfach gehorchen!« Ich war elf Jahre alt. 1962 war das gewesen: im Jahr des gescheiterten Staatsstreichs. Mein Onkel begleitete mich in ein Haus in einer Stadt, in der ich zuvor noch nie gewesen war. Die zwei Säulen an der Vorderseite des Hauses tauchten in die weißen Jasminsträucher und ein rotes Blumenmeer. Die Fensterfront und die große Veranda dazwischen waren durch windschiefe modrig grüne Schilfjalousien abgeschirmt, die stellenweise ausgefranst und mit Vogelkot bekleckst waren. Darüber ringelten sich die rotbraunen Dachziegel. Ein riesiger, mit kleinen Flammenblüten gesprenkelter Niaulibaum überschattete den Garten. Mein Onkel führte mich durch einen Seiteneingang in den rückwärtigen Teil des Hauses. Eine Tür, an der eine lange, graue Metallfeder befestigt war, fiel quietschend hinter uns ins Schloss. Eine runzlige alte Frau saß auf einem Holzschemel und wärmte die Füße in der Sonne. Sie schaute auf. »Schon wieder da?«, sagte sie zu meinem Onkel. »Was soll das ständige Kommen und Gehen?« Ihr Mund zog sich über dem leeren Zahnfleisch zusammen. Mein Onkel sagte, wir seien gekommen, um Mister Salgado zu sprechen. Sie stand blinzelnd auf. »Muss fragen«, brummte sie und entfernte sich langsam in Richtung der vorderen Räume. Wir setzten uns auf den Fußboden und warteten. Mein misshandeltes Ohr glühte. Als die Sonne hinter den Giebeln unterging, wurden wir gerufen. »Ko?«, rief eine Stimme von irgendwoher aus der Tiefe des Hauses. »Wo?« Die glasklare Silbe hallte. Die letzten Lichtstrahlen zuckten zwischen den Bäumen. Mein Onkel schob mich vor sich her: »Gehen wir!«?Mister Salgado sagte zuerst nichts. Da mein Onkel ebenfalls ein wortkarger Mann war, schwiegen sie beide eine ganze Weile, nickten einander bloß zu wie in der Luft hängende Marionetten. Schließlich deutete Mister Salgado mit dem Kinn auf mich: »Das ist also der Junge?« »Ja, das ist der Junge.« Mein Onkel verlegte sein Gewicht von einem Bein aufs andere und lehnte sich mit der Schulter an die Wand. Die eine Hand suchte Halt, die andere hielt Mister Salgado eine Tüte mit grünen Mangos hin, die wir ihm mitgebracht hatten. Für meinen Onkel war Mister Salgado kaum mehr als ein Junge, aber einer von jenen, die von der Geschichte begünstigt worden waren – ein Produkt des modernen Feudalismus –, während er ein road-runner der Landstraße war, Fernfahrer für eine Erdölgesellschaft. »Das ist der Junge, von dem ich Ihnen erzählt habe. Das ist er. Er lernt sehr schnell.« Ein gelassenes, glatt rasiertes Gesicht musterte mich. »Schule? Bist zur Schule gegangen?« »Ja«, antwortete ich eifrig. »Ich bin zur Schule gegangen. Fünfte Grundschulklasse. Ich kann lesen und schreiben.« Ich hatte sogar etwas Englisch gelernt von meinem armen, gequälten Lehrer, der immer noch unter dem Zauber einer dschungelumrankten Victoria stand. Er wohnte in einem weiß getünchten Bungalow, nicht weit von den Feldern meines Vaters entfernt. »Und jetzt?« Mein Onkel wand sich: »Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, er ist aufgeweckt, aber er kann nicht mehr zu Hause wohnen. Diese dumme Geschichte …« Ich hatte unabsichtlich das Dach einer Hütte im Schulhof in Brand gesteckt. Ich hatte ein einziges brennendes Streichholz in Vaters fast leere Arrakflasche geworfen: Eine blaue Stichflamme war zischend herausgeschossen und hatte züngelnd auf die geflochtenen Palmwedel übergegriffen. Mein Vater tobte; ich flüchtete zu meinem Onkel, der mir versprach, sich um ein neues Leben für mich zu kümmern. Er sagte, ich brauchte nicht mehr nach Hause zurückzukehren. »Ich tue es bloß deiner Mutter zuliebe; wär sie noch am Leben, hätt sie mich darum gebeten. Verstanden?« Mister Salgado seufzte. Er war hager; seine Wirbelsäule war gekrümmt. Er setzte sich oft in den unmöglichsten Stellungen hin, verhedderte seine Glieder, schlang die langen Beine ineinander, verrenkte gefährlich den Hals und schaute gequält in die Welt wie ein verletzter Reiher. Er redete langsam, fast zögernd, wechselte höflich das Gesprächsthema und erkundigte sich nach dem misslungenen Staatsstreich, als handle es sich um einen für die Jahreszeit außergewöhnlichen Wolkenbruch. Ich hatte noch nie eine so weich gesprochene Sprache gehört. Im Vergleich dazu klang die Redeweise meines Onkels, als erwürge er die Seele. Selbst später war ich immer wieder von Mister Salgados Stimme fasziniert. Ich ging ganz in seiner Stimme auf; nicht nur an jenem ersten Tag, sondern noch viele Jahre lang. Oft hörte ich gar nicht, was er mich hieß, doch er merkte es nicht immer. Ich glaube, er war manchmal selbst von seiner Stimme hingerissen und wusste nicht mehr, was er eigentlich hatte sagen wollen. Vielleicht war dies der Grund, warum er oft vorzog zu schweigen. Ich verstand das. In meinen Kopf drängten sich oft viel mehr Worte, als jemals über meine Lippen kommen konnten. MISTER SALGADO – Ranjan Salgado – war Junggeselle. Ein süßer Geruch klebte an ihm, berauschend und künstlich aus einem glockenförmigen Elfenbeinflakon, der sich unmöglich ordentlich öffnen ließ. Er schüttelte kleine magische Tropfen aus der Metallhülse auf dem schlanken Hals und verrieb sie zwischen den Handflächen, auf dem Gesicht oder auf dem ganzen Körper. Der Duft erinnerte mich an Zimtbüsche, doch es handelte sich um eine seltsame städtische Methode, die Natur zu überlisten. Selbst in Mister Salgados Haus hatte sich die Hinterlist eingenistet, vor allem im Kopf seines Dieners Joseph. Mister Salgado blieb nach dem Essen auf seinem Armstuhl sitzen, die Wange oder das Kinn, manchmal sogar den ganzen Kopf auf einen seiner knochigen Finger oder in die hohle Hand gestützt – was das Unglück geradezu herausfordert –, und starrte mit aufgesperrten Augen ins Nichts, als ob er bloß darauf warte, alt zu werden. Er saß am Kopfende des großen Mahagonitisches. Es gehörte zu meinen Obliegenheiten, das Tischblatt zu polieren, bis es tiefdunkel glänzte. Abends, wenn er allein war, zog er es vor, Brot und westliche Gerichte zu essen: verschiedene Gänge. Dünne gebratene Schnitzel und sämig zermanschte Kartoffeln, die spurlos in seinem Körper verschwanden. Corned Beef war sein Lieblingsgericht. Dazu aß er seeni-sambol, das den Gaumen in Brand steckt. Als ich später sein Koch und überhaupt alles wurde, tüftelte ich ein besonderes Hackfleischgericht aus: knusprig gebratenes Corned Beef mit Kartoffeln, Zwiebeln, grünen Pfefferschoten, mit einem Klecks Sojasauce und mit Palmzucker bestreut. Es schmeckte auch mir ausgezeichnet. Am Anfang bestand meine Arbeit lediglich darin, dem jungen Herrn den Morgentee zu bringen und dann die Veranda und die Gartentreppe zu kehren. Bevor ich mich nicht bewährt hatte, wurde mir nicht einmal erlaubt, das Teewasser aufzusetzen oder die Wohnräume zu kehren. Mir war das recht; ich hätte ja etwas zerschlagen können. Man drückte mir einen riesigen Besen in die Hand. Ich war in Panik, ich könnte etwas umstoßen, daher benützte ich den Seiteneingang, der von der Küche ums Haus herum zum Haupteingang führte. Ich getraute mich nicht, mit dem Besen durchs Wohnzimmer oder durchs Esszimmer zu gehen. Eines Tages kam ich auf einen großartigen Gedanken: Ich kürzte den Besenstiel. Das war der Anfang des Ärgers mit Joseph. »Dummkopf, Idiot, Spatzenhirn, Bauerntölpel, hast du denn gar keinen Respekt vor fremdem Eigentum? Man hat dich eingestellt, um für die Dinge Sorge zu tragen, nicht, um sie kaputt zu machen!« Eigentlich sollte ich Joseph bei der Arbeit helfen, doch er mochte mich von allem Anfang an nicht. Vielleicht lag das daran, dass ich trotz meiner Herkunft aus anderem Holz geschnitzt war. Joseph arbeitete seit zwei Jahren bei Mister Salgado. Er stammte aus Kosgoda, einem kleinen schmuddeligen Dorf unweit von Ambalangoda, wo die Maskenschnitzer herkommen. Er hatte sich in einem staatlichen Gästehaus hochgearbeitet, bis eine Ersatzwahl zu seinem Rausschmiss führte. Die Opposition gewann die Wahlen, und die Angestellten der Regierungspartei wurden entlassen. Das zumindest hatte er amma Lucy erzählt, Mister Salgados Köchin – die erste Person, der ich im Haus begegnet war. Ich vermute aber eher, dass er beim Klauen erwischt worden war. Trotz seines hochtrabenden Getues konnte er es nicht lassen. Er war wohl mit langen Fingern zur Welt gekommen – keine Versuchung war ihm zu klein. Ich verachtete ihn wegen dieser Schwäche: Er beschmutzte Mister Salgados Haus. Ich spürte es ganz deutlich. Doch an jenem Tag tat er so, als sei ich es, der das Haus verunstaltete, als sei der Besen ein Lebewesen, das ich nun verstümmelt hatte – der Spross einer Dynastie anstatt ein hölzerner Stiel mit abgewetzten Kokosborsten. In Mister Salgados Haus wurden Besenköpfe nie ersetzt, bevor sie nicht ratzekahl waren: Das war eine von Mister Salgados Marotten. Er brüstete sich mit seiner Sparsamkeit und hätte seine Zahnbürste um nichts in der Welt ersetzt, bevor nur noch der blanke Kunststoffgriff übrig war. Ich beobachtete, wie die Borsten Tag für Tag kürzer und flacher wurden, bis ich ihm schließlich manchmal eine neue Zahnbürste kaufen ging und sie in sein Zahnglas stellte. Die alte versteckte ich im...